European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2017:0170OS00018.17A.1212.000
Spruch:
Der Antrag wird zurückgewiesen.
Gründe:
Mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 6. Oktober 2011, GZ 16 Hv 73/11m‑43, wurde – neben anderen Angeklagten – Friedrich E***** des Verbrechens des Missbrauchs der Amtsgewalt nach § 302 Abs 1 StGB schuldig erkannt. Nach dem zugrunde liegenden Urteilssachverhalt habe Friedrich E***** als Vorgesetzter der Zivildienstleistenden (§ 38 Abs 5 ZDG) im A***** diese beaufsichtigen und angemessen beschäftigen müssen. Er habe seine Befugnis missbraucht, indem er angeordnet habe, drei Zivildienstpflichtige, welche tatsächlich in einem nicht für die Ableistung des Zivildienstes anerkannten Unternehmen weiter beschäftigt gewesen seien, in den Dienstplänen A***** tatsachenwidrig als anwesend zu führen. Dieses Verhalten habe der Gemeinde Wien einen Schaden von 22.086,76 Euro und der Republik Österreich (aus finanziellen Vergütungen für die vorgetäuschte ordnungsgemäße Ableistung des Zivildienstes) von 5.353,11 Euro zugefügt.
Unter anderem diesen Schuldspruch und den darauf beruhenden Strafausspruch hob der Oberste Gerichtshof mit Erkenntnis vom 28. August 2012, AZ 12 Os 23/12t, auf und sprach dabei aus, dass der angeklagte Sachverhalt nicht dem Verbrechen des Missbrauchs der Amtsgewalt zu subsumieren sei. Befugnismissbrauch im Rahmen – hier vorliegender – Privatwirtschaftsverwaltung erfülle allenfalls den Tatbestand der Untreue. Täuschungsbedingtes Erwirken von Vergütungen könne Betrug darstellen.
Im zweiten Rechtsgang sprach die Einzelrichterin des Landesgerichts für Strafsachen Wien mit Urteil vom 13. Dezember 2012, GZ 16 Hv 73/11m‑84, sämtliche Angeklagten vom Anklagevorwurf gemäß § 259 Z 3 StPO frei.
Nachdem das Oberlandesgericht Wien als Berufungsgericht dieses Urteil in Stattgebung einer von der Staatsanwaltschaft wegen des Ausspruchs über die Schuld ergriffenen Berufung aufgehoben hatte, sprach die Einzelrichterin des Landesgerichts für Strafsachen Wien im dritten Rechtsgang mit Urteil vom 16. Oktober 2014, GZ 16 Hv 73/11m‑124, (unter anderem) Friedrich E***** – auf Basis der unveränderten Anklage – der Vergehen der Untreue nach § 153 Abs 1 und 2 erster Fall StGB und des schweren Betrugs nach §§ 146, 147 Abs 2 (jeweils idF vor BGBl I 2015/112) schuldig und verurteilte ihn zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe.
Das in weiterer Folge ergangene Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 4. August 2015, AZ 32 Bs 41/15m (ON 144 der Hv‑Akten), hob der Oberste Gerichtshof mit Erkenntnis vom 6. Juni 2016, AZ 17 Os 4/16s (17 Os 5/16p, 17 Os 11/16w) in teilweiser Stattgebung eines von Friedrich E***** gestellten Antrags auf Erneuerung des Strafverfahrens (§ 363a StPO) im Umfang der Erledigung der von diesem Angeklagten ergriffenen Berufung gegen das oben bezeichnete Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 16. Oktober 2014 auf und verwies die Sache zur (neuerlichen) Entscheidung über diese Berufung an das Oberlandesgericht Wien.
Mit dem nunmehr gegenständlichen Urteil vom 15. Februar 2017, AZ 19 Bs 207/16d, gab das Oberlandesgericht Wien der Berufung wegen Nichtigkeit und Schuld des Friedrich E***** nicht Folge. Für das ihm (verbleibend) zu Last liegende Vergehen des schweren Betrugs nach §§ 146, 147 Abs 2 StGB (idF vor BGBl I 2015/112) verurteilte es ihn zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe.
Rechtliche Beurteilung
Gegen dieses Urteil richtet sich der gemäß § 363a StPO gestellte Antrag auf Erneuerung des Strafverfahrens des Friedrich E*****, in dem dieser – zu Unrecht – eine Verletzung des Art 6 Abs 1, 2 und 3 lit d MRK geltend macht.
Schwerpunkt des Antragsvorbringens ist die Behauptung, Friedrich E***** sei trotz für ihn (im Verhältnis zum zweiten Rechtsgang, der mit Freispruch geendet hatte) günstigerer Beweislage schuldig gesprochen worden, wobei die ihm nachteiligen Feststellungen insbesondere auf willkürliche Würdigung der Aussagen der Zeugin Elisabeth Al***** durch das Erstgericht, welche das Berufungsgericht übernommen habe, gestützt worden seien. Das Berufungsgericht habe es überdies abgelehnt, die von ihm beantragte neuerliche Vernehmung dieser Zeugin im Berufungsverfahren durchzuführen.
Nach ständiger Rechtsprechung des EGMR ist die Würdigung von Beweismitteln grundsätzlich den nationalen Gerichten vorbehalten. Der EGMR prüft lediglich, ob Beweisaufnahme und Beweiswürdigung in einer Weise vorgenommen wurden, die das gesamte Strafverfahren unfair erscheinen lässt (RIS‑Justiz RS0120958; vgl Grabenwarter/Pabel , EMRK 6 § 24 Rz 69). An diesem Maßstab orientiert sich auch der Oberste Gerichtshof, wenn ein ohne vorherige Befassung des EGMR gestellter Antrag auf Erneuerung des Strafverfahrens dahingehende Defizite behauptet.
Eine Verletzung der Begründungspflicht (hier: in Bezug auf beweiswürdigende Erwägungen) liegt aus dem Blickwinkel des Art 6 Abs 1 MRK nur bei willkürlichen oder grob unvernünftigen (im Sinn der Rechtsprechung des EGMR: „arbitrary or manifestly unreasonable“) Urteils‑ oder Beschlussannahmen vor. Dies ist dann der Fall, wenn die Begründung eindeutig unzureichend oder offensichtlich widersprüchlich ist oder eindeutig einen Irrtum erkennen lässt (RIS‑Justiz RS0129981; 17 Os 13/14m [17 Os 14/14h, 17 Os 32/14f, 17 Os 33/14b]). Ein Erneuerungsantrag, der dies geltend macht, hat sich (wie stets) mit der als grundrechtswidrig bezeichneten Entscheidung in allen relevanten Punkten (im gegebenen Zusammenhang also mit der Gesamtheit der Erörterungen vom Gericht als für die Feststellung entscheidender Tatsachen erheblich erachteter Umstände) argumentativ auseinanderzusetzen.
Diese Vorgaben verfehlt der Antrag, der bloß die Ausführungen zur Glaubwürdigkeit der (unterschiedlichen) Aussagen der Zeugin Elisabeth Al***** mit eigenständigen Beweiswerterwägungen kritisiert, dabei jedoch die weiteren – vom Berufungsgericht übernommenen (vgl RIS‑Justiz RS0120809 [T2]) und im Zusammenhang mit der Abweisung des Beweisantrags ergänzten (US 19 ff) – Überlegungen zu belastenden Verfahrensergebnissen außer Acht lässt. Auf die Kritik an den (selektiv herausgegriffenen) Überlegungen des Erstgerichts war daher im Einzelnen nicht einzugehen. Dass eine (ausreichende) Auseinandersetzung mit widersprechenden Beweisergebnissen überhaupt unterblieben wäre (vgl EGMR 13. 12. 2011, 20883/09, Adjarić/Kroatien [Z 51]), wird – zu Recht – nicht behauptet.
Von einer Verletzung der Unschuldsvermutung (Art 6 Abs 2 MRK) infolge „Verschiebung der Beweislast auf den Angeklagten“, weil „die Schuld von keinen schlüssigen Beweisergebnissen getragen wird“, kann hier keine Rede sein (vgl RIS‑Justiz RS0115916).
Schließlich versagt auch die (auf Art 6 Abs 1 und 3 lit d MRK gestützte) Kritik an der – im Übrigen ausführlich begründeten (ON 161 S 7 und US 20 ff) – Abweisung des Antrags auf Vernehmung der Zeugin Elisabeth Al***** durch das Berufungsgericht. Eine Pflicht zu nochmaliger Vernehmung von Zeugen sieht § 473 Abs 2 StPO nur für den Fall vor, dass das Berufungsgericht gegen die Feststellungen im angefochtenen Urteil Bedenken hegt, nicht aber wenn es – wie hier (vgl US 19 und 29) – die Feststellungen samt den korrespondierenden beweiswürdigenden Erwägungen ausdrücklich als zutreffend übernimmt ( Ratz , WK‑StPO § 473 Rz 6 und 8/1). Aus der vom Antragsteller zitierten Rechtsprechung des EGMR (5. 7. 2016, 46182/08, Lazu/Moldau [Z 37 ff]) ergibt sich nichts anderes. Eine Verletzung von Art 6 Abs 1 MRK erblickt der EGMR nur dann, wenn das Berufungsgericht (bei voller Kognitionsbefugnis in der Schuldfrage) von der Beweiswürdigung des Erstgerichts zum Nachteil des Angeklagten ohne unmittelbare Beweisaufnahme abweicht (vgl auch EGMR 29. 3. 2016, 61112/12, Gómez Olmeda / Spanien [Z 33 ff]; RIS‑Justiz RS0105692; Meyer-Ladewig/Harrendorf/König in Meyer-Ladewig/Nettesheim/von Rauner , EMRK 4 Art 6 Rz 176). Für eine („verfassungskonforme“) Auslegung des § 473 Abs 2 StPO im Sinn einer weitergehenden Verpflichtung zur Beweiswiederholung im Berufungsverfahren besteht daher auch mit Blick auf die ins Treffen geführten Konventionsgarantien kein Anlass.
Der Antrag war daher als offenbar unbegründet zurückzuweisen (§ 363b Abs 2 Z 3 StPO).
Bleibt anzumerken, dass das Gesetz keine Grundlage für die angeregte (amtswegige) außerordentliche Wiederaufnahme des Verfahrens bietet (§ 362 Abs 1 Z 1 StPO). Für die vorliegende Konstellation der Befassung des Obersten Gerichtshofs mit einer Strafsache unter dem spezifischen Aspekt behaupteter Grundrechtsverletzungen ist eine Gesetzeslücke als Voraussetzung analoger Anwendung nicht auszumachen.
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