OGH 16Os47/89

OGH16Os47/8915.12.1989

Der Oberste Gerichtshof hat am 15.Dezember 1989 durch den Präsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Melnizky als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kießwetter, Hon.Prof. Dr. Steininger, Dr. Walenta und Dr. Markel als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Dr. Lassmann als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Johann G*** wegen des Verbrechens des Mordes nach § 75 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten und die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Geschwornengerichtes beim Landesgericht Salzburg vom 23.August 1989, GZ 40 Vr 53/89-53, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Bassler, des Angeklagten Johann G***, und des Verteidigers Dr. Hetz, zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten wird verworfen. Der Berufung der Staatsanwaltschaft wird Folge gegeben und die Freiheitsstrafe auf 15 (fünfzehn) Jahre erhöht.

Gemäß § 390 a StPO fallen dem Angeklagten die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem auf dem Wahrspruch der Geschwornen beruhenden angefochtenen Urteil wurde der 49-jährige Gendarmeriebeamte Johann G*** des Verbrechens des Mordes nach § 75 StGB schuldig erkannt. Ihm liegt zur Last, am 7.Jänner 1989 in Weißenbach seine Ehefrau Anna G*** dadurch, daß er ihr mit einer Pistole der Marke Walther PP Kal. 7,65 mm in die Brust schoß, vorsätzlich getötet zu haben.

Die Geschwornen hatten die (anklagekonforme) Hauptfrage nach dem Verbrechen des Mordes stimmeneinhellig bejaht; demgemäß blieben die Eventualfragen nach dem Verbrechen des Totschlags und nach dem Vergehen der fahrlässigen Tötung unter besonders gefährlichen Verhältnissen unbeantwortet.

Rechtliche Beurteilung

Dieses Urteil bekämpft der Angeklagte mit einer auf die Z 5, 8 und 10 a des § 345 Abs 1 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde, der jedoch in keinem Punkt Berechtigung zukommt.

Den Beschwerdeausführungen zur Z 5 des § 345 Abs 1 StPO ist zunächst global zu erwidern, daß die formellen Voraussetzungen für die Geltendmachung des in Rede stehenden Nichtigkeitsgrundes nur dann gegeben sind, wenn (nach dem Inhalt des Hauptverhandlungsprotokolls) in der Hauptverhandlung über einen Antrag des Beschwerdeführers nicht erkannt oder gegen seinen Antrag oder Widerspruch ein Zwischenerkenntnis gefällt worden ist. Diesen (formellen) Erfordernissen wird die Verfahrensrüge nur insoweit gerecht, als sich der Angeklagte gegen die Abweisung eines Beweisantrages und gegen die Nichterledigung eines Antrages wendet (worauf noch einzugehen sein wird); im übrigen entbehrt sie aber der prozeßordnungsgemäßen Ausführung, weil es an einer entsprechenden Antragstellung des Beschwerdeführers in der Hauptverhandlung fehlt. Das gilt zunächst für den Einwand, der Beschwerdeführer sei bei der Zustellung der Anklageschrift durch den Untersuchungsrichter "nicht richtig informiert worden" und habe den Verzicht auf die Erhebung eines Anklageeinspruchs vor Kenntnis der Anklageschrift "unterschreiben müssen". Der Beschwerdeführer hat zwar in der Hauptverhandlung im Zuge seiner Verantwortung derartiges vorgebracht (S 23, 31, 32/Bd. II); irgendwelche Anträge wurden in diesem Zusammenhang jedoch weder von ihm noch von seinem Verteidiger - der anläßlich seiner Gegenäußerung zum Vortrag der Anklage ausführte, daß der Inhalt der Anklage bekannt war und auf die Erhebung eines Einspruches verzichtet wurde (S 19/Bd. II) - gestellt. Davon abgesehen findet die Beschwerdebehauptung im Protokoll über die Anklagekundmachung (S 443/Bd. I) keine Deckung. Soweit der Beschwerdeführer darauf verweist, daß er im Zeitpunkt der Kundmachung der Anklage bereits einen Verteidiger hatte, so übersieht er, daß gemäß § 209 Abs 1 StPO dem in Haft befindlichen Beschuldigten die Anklageschrift persönlich zuzustellen ist und er - nach entsprechender Rechtsbelehrung (vgl. abermals S 443/Bd. I) - die Zustellung der Anklageschrift an seinen Verteidiger nicht verlangt hat (§ 209 Abs 3 StPO).

Das gilt weiters für den Einwand, der Schwurgerichtshof wäre "von sich" verpflichtet gewesen, einen (neuerlichen) Lokalaugenschein im Zuge der Hauptverhandlung durchzuführen. Denn der Beschwerdeführer hat, wie er selbst einräumt, einen darauf abzielenden Antrag in der Hauptverhandlung nicht gestellt. Mit den bezüglichen Beschwerdeausführungen wird aber auch nicht ein schwerwiegender, unter Außerachtlassung der Pflicht zur amtswegigen Wahrheitsforschung zustande gekommener Mangel in der Sachverhaltsermittlung aufgezeigt, der - intersubjektiv - erhebliche Zweifel an der Richtigkeit der Tatsachenfeststellungen der Geschwornen in entscheidungswesentlichen Fragen aufkommen ließe (vgl. EvBl 1988/116 = NRsp 1988/204), sodaß die Rüge auch unter dem Aspekt der Z 10 a des § 345 Abs 1 StPO nicht durchschlägt. Der von der Beschwerde ins Treffen geführte Verstoß gegen § 248 Abs 1 StPO (Vernehmung eines Zeugen in Gegenwart noch nicht vernommener Zeugen) ist zum einen dem Hauptverhandlungsprotokoll (das insgesamt ungerügt geblieben ist) nicht zu entnehmen; zum anderen wäre es Sache des Beschwerdeführers gewesen, die Feststellung einzelner Verfahrensvorgänge im Protokoll zur Wahrung seiner Rechte zu verlangen und gegebenenfalls diesbezüglich eine Beschlußfassung des Schwurgerichtshofes zu erwirken (§ 238 StPO), um solcherart die formellen Voraussetzungen für die Geltendmachung des Nichtigkeitsgrundes der Z 5 des § 345 Abs 1 StPO zu schaffen. Da eine (allenfalls unterlaufene) Verletzung der Vorschrift des § 248 Abs 1 zweiter Satz StPO als solche nicht unter Nichtigkeitssanktion steht (vgl. Mayerhofer-Rieder StPO2 ENr. 4 aE zu § 248), wird mit dem bezüglichen Vorbringen auch keine Nichtigkeit im Sinn der Z 4 des § 345 Abs 1 StPO dargetan.

Entgegen dem weiteren Beschwerdeeinwand, der Angeklagte sei in seinem Recht, an die Zeugen Dr. B*** und Insp. R*** Fragen zu stellen, unzulässig beeinträchtigt worden, kann dem Hauptverhandlungsprotokoll (dessen Berichtigung auch in diesem Zusammenhang nicht begehrt wurde) nicht entnommen werden, daß auch nur eine einzige Frage des Angeklagten an diese Zeugen vom Gericht nicht zugelassen worden wäre (vgl. S 58 ff, 100 ff/Bd. II). Die von der Beschwerde reklamierten "einseitig negativen Äußerungen des Vorsitzenden" in bezug auf den Angeklagten hätten allenfalls Grundlage für einen Antrag auf Ablehnung des betreffenden Richters sein können (§§ 72 ff StPO). Der Beschwerdeführer hat jedoch - wie er selbst einräumt - nach Beratung mit seinem Verteidiger einen derartigen Antrag nicht gestellt, womit es (abermals) an den Formalvoraussetzungen für eine Rüge auf der Z 5 des § 345 Abs 1 StPO fehlt. Äußerungen des Staatsanwaltes hinwieder, die zudem gleichfalls nicht aktenkundig sind, unterliegen von vornherein keiner Anfechtung mittels Nichtigkeitsbeschwerde (vgl. Mayerhofer-Rieder aaO ENr. 7 zu § 281 Z 3).

Im bisher erörterten Umfang ist die Verfahrensrüge somit nicht den Prozeßgesetzen entsprechend ausgeführt.

Soweit sich die Rüge gegen die Abweisung bzw. Nichterledigung von Anträgen richtet, die der Beschwerdeführer in der Hauptverhandlung gestellt hat, kommt ihr keine Berechtigung zu. Die Vernehmung des Zeugen Dr. S*** hat der Beschwerdeführer "zum Beweis über den Inhalt der Gespräche unmittelbar nach der erlittenen Schußverletzung zwischen dem Angeklagten und dem dort diensthabenden Arzt" beantragt (S 57 iVm S 48/Bd. II). Der Schwurgerichtshof hat dieses Beweisbegehren ersichtlich dahin gedeutet, daß es auf die Klärung der Erinnerungsfähigkeit des Angeklagten unmittelbar nach der Tat abzielt; daher hat es den Antrag mit der Begründung, der Sachverständige Univ.Prof. Dr. H*** habe ohnedies in Aussicht gestellt, im Rahmen seines Gutachtens (auch) über die Erinnerungsfähigkeit des Angeklagten Auskunft geben zu können, abgewiesen (S 57/Bd. II), wobei der genannte Sachververständige in der Folge auch tatsächlich in seinem in der Hauptverhandlung erstatteten Gutachten zu dieser Frage eingehend Stellung genommen hat (S 123 ff/Bd. II). Soweit der Beschwerdeführer nunmehr dagegen einwendet, daß sein Antrag nicht auf die Frage seiner Erinnerungsfähigkeit abgezielt habe, so hat sein in erster Instanz formulierter Antrag jedenfalls nicht erkennen lassen, inwieweit durch die angestrebte Zeugeneinvernahme eine Aufklärung über erhebliche, nämlich für die Entscheidung über die Schuld oder für den anzuwendenden Strafsatz entscheidende Tatsachen (§ 254 Abs 1 StPO) zu erwarten sein soll (vgl. Mayerhofer-Rieder aaO ENr. 19 zu § 281 Z 4; s. auch ENr. 15 zu § 345 Z 5). In der Ablehnung der begehrten Beweisaufnahme kann demnach - entgegen der Beschwerdeauffassung - eine Beeinträchtigung von Verteidigungsrechten des Angeklagten nicht erblickt werden. Was die gerügte Nichterledigung eines Antrages betrifft, so hat der Beschwerdeführer zwar zunächst beantragt, die (Audio-)Kassetten zur Verbesserung der Akustik nicht im Schwurgerichtssaal, sondern in einem kleineren Raum abzuspielen (S 42/Bd. II), wobei die Beschlußfassung über diesen Antrag vorbehalten wurde (abermals S 42/Bd. II). In der Folge wurde aber das Tonband nach dem Inhalt des Hauptverhandlungsprotokolles (S 122/Bd. II) einverständlich (somit auch im Einverständnis des Angeklagten bzw. seines Verteidigers) im Schwurgerichtssaal abgespielt; im Protokoll ist ausdrücklich festgehalten, daß "die Stimmen auf dem Originaltonbandgerät gut zu vernehmen sind" (abermals S 122/Bd. II), ohne daß diesbezüglich ein Widerspruch des Angeklagten erfolgt wäre. Aus dem Einverständnis des Angeklagten zum Abspielen des Tonbands im Schwurgerichtssaal ergibt sich aber, daß er seinen Antrag, das Tonband in einem kleineren Raum abzuspielen, zurückgezogen hat, womit eine Entscheidung des Schwurgerichtshofes darüber (zu Recht) entfiel.

In der auf die Z 8 des § 345 Abs 1 StPO gestützten Rüge bezeichnet der Beschwerdeführer die den Geschwornen erteilte Rechtsbelehrung deshalb als unrichtig, weil den Geschwornen nicht schon bei der Belehrung zur Hauptfrage (nach dem Verbrechen des Mordes) die für eine Beurteilung der Tat als Vergehen nach § 81 Z 1 StGB, worauf die Eventualfrage II abstellt, wesentlichen Rechtsbegriffe der Fahrlässigkeit und der besonders gefährlichen Verhältnisse erklärt wurden.

Auch damit ist die Beschwerde nicht im Recht. Denn sie übersieht, daß die Rechtsbelehrung (gemäß § 321 Abs 2 StPO) für jede gestellte Frage gesondert zu erfolgen hat, von den Geschwornen aber stets als Ganzes zur Kenntnis zu nehmen ist (vgl. Mayerhofer-Rieder aaO ENr. 50 zu § 345 Z 8; 12 Os 7/88; 11 Os 43/88 uam). Es entsprach demnach durchaus dem Gesetz, in der Belehrung zur Hauptfrage nach Mord nur die in dieser Frage aufscheinenden Rechtsbegriffe, nicht aber auch andere, wenngleich gegebenenfalls verwandte Rechtsbegriffe, oder ihr Verhältnis zu den Deliktsmerkmalen anderer Tatbestände zu erläutern und die Erläuterung der Rechtsbegriffe der Fahrlässigkeit und der besonders gefährlichen Verhältnisse, die allein den Tatbestand der fahrlässigen Tötung nach § 81 Z 1 StGB betreffen, erst in die Belehrung zu der dieses Delikt betreffenden Eventualfrage II aufzunehmen.

Was letztlich die Tatsachenrüge (Z 10 a) anlangt, so stützt sich diese lediglich darauf, daß der Wahrspruch keine Feststellung enthalte, "daß die Tatpistole entsichert war". Damit werden aber keine sich aus den Akten ergebenden schwerwiegenden Bedenken gegen die Richtigkeit der im Wahrspruch der Geschwornen festgestellten entscheidenden Tatsache, wonach der Beschwerdeführer am 7. Jänner 1989 seine Ehefrau durch einen Pistolenschuß vorsätzlich getötet hat, aufgezeigt.

Die Nichtigkeitsbeschwerde erweist sich demnach zur Gänze als unbegründet, weshalb sie zu verwerfen war.

Das Geschwornengericht verurteilte den Angeklagten nach § 75 StGB zu einer Freiheitsstrafe von 12 (zwölf) Jahren. Dabei wertete es als erschwerend keinen Umstand, als mildernd hingegen die Unbescholtenheit des Angeklagten sowie dessen schwere Verletzung und die durch den Affektstau stark eingeschränkte Diskretions- und Dispositionsfähigkeit.

Der öffentliche Ankläger strebt mit seiner Berufung die Erhöhung

der Freiheitsstrafe an.

Die Berufung ist berechtigt.

Zutreffend weist die Staatsanwaltschaft darauf hin, daß der Angeklagte nach den Ergebnissen des Beweisverfahrens in den letzten Jahren gegen seine Ehefrau - das nachmalige Mordopfer - mehrmals tätlich vorgegangen ist und ihr dabei nicht unerhebliche Verletzungen zugefügt hat. Wenngleich diese Verfehlungen mangels Erstattung einer Anzeige nicht zu einer Verurteilung des Angeklagten geführt haben, sodaß der Erschwerungsgrund des § 33 Z 2 StGB nicht zum Tragen kommt, so charakterisieren sie den Angeklagten jedenfalls als einen Straftäter, dessen bisheriger Lebenswandel angesichts dieser Verfehlungen nicht als ordentlich bezeichnet werden kann und dessen nunmehrige Tat auch nicht mit seinem sonstigen Verhalten in auffallendem Widerspruch steht. Damit kommt dem Angeklagten der Milderungsgrund des § 34 Z 2 StGB - trotz der bestehenden Unbescholtenheit, auf welche das Geschwornengericht ersichtlich allein abstellt - nicht zugute, sodaß die im angefochtenen Urteil festgestellten Strafzumessungsgründe insoweit zu korrigieren sind. Der Umstand hinwieder, daß das Mordopfer eine dem Angeklagten besonders nahestehende Person, nämlich seine Ehefrau, war, stellt zwar formal keinen eigenen Erschwerungsgrund dar, woran auch der Hinweis der Anklagebehörde auf die seinerzeitige Bestimmung des § 137 StG nichts zu ändern vermag, zumal der Gesetzgeber des StGB bewußt davon abgesehen hat, einen Mord am Ehegatten (oder an einem Verwandten in auf- oder absteigender Linie) sanktionsrechtlich anders zu behandeln als einen Mord an einer dem Täter nicht nahestehenden Person (vgl. EBRV 1971, 194); bei der Gewichtung der personalen Täterschuld des Angeklagten fällt dieser Umstand aber - einzelfallbezogen - sehr wohl zu dessen Lasten ins Gewicht. Die eigene schwere Verletzung des Angeklagten als Folge des von ihm nach der Mordtat unternommenen Selbstmordversuchs hat das Geschwornengericht an sich zutreffend als mildernd gewertet. Der Oberste Gerichtshof konnte sich allerdings anläßlich der (in der Gegenausführung zur Berufung beantragten) Vorführung des Angeklagten zum Gerichtstag davon überzeugen, daß der Angeklagte infolge der (Schuß-)Verletzung, die er sich zugefügt hat, weder körperlich noch geistig in auffälligem Maße beeinträchtigt ist; er leidet - entgegen seiner Behauptung - nicht an einer verletzungsbedingten (behindernden) Schwerhörigkeit und weist auch sonst keine merkbaren verletzungsbedingten (Dauer-)Folgen auf. Damit kommt diesem Milderungsgrund nicht jenes Gewicht zu, das ihm in erster Instanz ersichtlich beigemessen worden ist.

Wird all dies entsprechend berücksichtigt, so zeigt sich, daß das vom Geschwornengericht gefundene Strafmaß der Schwere der Strafzumessungsschuld des Angeklagten, dem gerade als Gendarmeriebeamten die Wahrung der körperlichen Unversehrtheit anderer in erhöhtem Maße obliegen hätte müssen, nicht gerecht wird. In Stattgebung der Berufung des öffentlichen Anklägers war daher die verwirkte Strafe auf das aus dem Spruch ersichtliche Ausmaß zu erhöhen.

Die Kostenentscheidung fußt auf der bezogenen Gesetzesstelle.

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