Spruch:
1. Die „Stellungnahme zur Rekursbeantwortung" der Zweitantragstellerin vom 1. August 2008 wird zurückgewiesen.
2. Dem Rekurs wird Folge gegeben.
Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben. Die Rechtssache wird zur neuerlichen Entscheidung nach Gewährung des rechtlichen Gehörs der Zweitantragstellerin zu von der Erstantragsgegnerin mit anderen Antragsgegnerinnen abgeschlossenen Zusatzvereinbarungen an das Erstgericht zurückverwiesen.
Text
Begründung
Die Rechtssache war bereits Gegenstand einer Entscheidung des
erkennenden Senats; hinsichtlich Vorbringen, bisherigen
Verfahrensgang und Sachverhalt wird auf den Beschluss 16 Ok 12/06 =
ÖBl 2007, 181 (Hoffer/Innerhofer) = ÖBA 2007, 644 = ZFR 2007/68
verwiesen.
Das Erstgericht hat mit dem angefochtenen Beschluss die nachstehenden Verpflichtungszusagen der Antragsgegnerinnen (AG) für bindend erklärt (§ 27 Abs 1 KartG):
1. Datenfluss
Die AG verpflichten sich, § 4 Abs 4 der Ergänzungsvereinbarung binnen 6 Wochen nach Rechtskraft der Entscheidung, mit der die Verpflichtungszusagen verbindlich erklärt werden, dahin abzuändern:
„Die Vertragsteile erteilen hiermit ihre ausdrückliche Zustimmung zur Übermittlung der für die Zwecke der Erfüllung dieser Ergänzungsvereinbarung notwendigen Daten, insbesondere durch den s-Verband, die Spardat und den Sparkassen-Prüfungsverband sowie durch die sonstigen sektoralen Einrichtungen an die Haftungsgesellschaft. Diese Zustimmungserklärung gilt nicht für die Übermittlung von nicht anonymisierten Kundendaten, soweit eine solche Übermittlung nicht gesetzlich geboten ist. Die Haftungsgesellschaft wird die ihr nach dieser Ergänzungsvereinbarung zur Verfügung gestellten Informationen ausschließlich zur Durchführung der ihr und/oder der E***** nach dem BWG übertragenen Aufgaben verwenden und jede Weitergabe an Dritte unterlassen, es sei denn, es besteht hierzu eine Verpflichtung aufgrund gesetzlicher oder behördlicher Vorschriften oder aufgrund dieser Ergänzungsvereinbarung."
2. Kreditrechner
Die AG verpflichten sich, auf gemeinsamen Internet-Seiten und/oder in sonstigen gemeinschaftlichen Werbemitteln ihren aktuellen oder potenziellen Kunden keine Kalkulationsbehelfe für Finanzprodukte (insbesondere Kredite), welche von den Antragsgegnerinnen im eigenen Namen auf eigene Kosten vertrieben werden, zur Verfügung zu stellen, sofern bei diesen Kalkulationsbehelfen einheitliche Zinssätze und/oder Gebühren und/oder sonstige finanzielle Konditionen zur Anwendung kommen. Diese Verpflichtung gilt nicht im Verhältnis zwischen AG, die iSv § 7 Abs 1 Z 5 KartG miteinander verbunden sind.
3. Verschwiegenheitsverpflichtung der Organe der Haftungsgesellschaft
Die ErstAG und die Dritt- bis FünfundfünfzigstAG verpflichten sich, binnen vier Wochen nach Rechtskraft des Beschlusses mit dem die Verpflichtungszusagen angenommen werden, einer Änderung der Grundsatzvereinbarung zuzustimmen, die vorsieht: „Die Organe der Haftungsgesellschaft (Geschäftsführer und Beiratsmitglieder) verpflichten sich, keine Daten, welche sie selbst und/oder Mitarbeiter der Haftungs GmbH von den Mitgliedern des Haftungsverbundes erhalten haben, an die E*****, in welcher Form auch immer, insbesondere auch nicht in Form einer EDV-mäßigen Anbindung, weiterzuleiten, dies weder direkt noch indirekt (etwa im Wege der Weiterleitung über einen Wirtschaftstreuhänder oder den Konsolidierungsbeirat etc). Diese Verschwiegenheitsverpflichtung gilt nicht, soweit die E***** der Haftungs GmbH vor der Datenübermittlung schriftlich nachweist, dass die Daten bei der E***** für die Risikokontrolle (also zu Zwecken der Risikobeurteilung) und nicht den Bereich Markt bearbeitet und verwertet werden."
4., 5. Bestellung von Organen der Haftungsgesellschaft
Die AG verpflichten sich, bis längstens 30. 6. 2008 die Grundsatzvereinbarung über den Haftungsverbund dahingehend abzuändern, dass die Bestellung der die Stimmenmehrheit innehabenden Geschäftsführer der Haftungsgesellschaft nicht mehr durch die E***** erfolgt. Die ErstAG verpflichtet sich, keine Personen zu Geschäftsführern der Haftungs GmbH zu bestellen, die organschaftliche Funktionen bei der E***** oder deren Tochtergesellschaften innehaben, zur E***** oder deren Tochtergesellschaften in einem Dienstverhältnis, einem dienstnehmerähnlichen Verhältnis oder einem sonstigen Verhältnis, das eine wirtschaftliche Abhängigkeit von der E***** zur Folge hat, stehen. Die E***** verpflichtet sich, binnen zwei Monaten nach Rechtskraft der Entscheidung, mit der die Verpflichtungszusagen angenommen werden, die von ihr bestellten Geschäftsführer dem geänderten Bestellmodus entsprechend neu zu bestellen. Diese Verpflichtungszusage gilt nicht im Verhältnis zwischen AG, die miteinander iSv § 7 Abs 1 Z 5 KartG verbunden sind. Das Kartellgericht knüpfte bei seinen Feststellungen an die Feststellungen im Beschluss über den Grund der Anträge („Zwischenentscheidung") an und stellte darüber hinaus ua fest:
Der Haftungsverbund beruht auf der Grundsatzvereinbarung vom 1. 1. 2002, der Ergänzungsvereinbarung vom 14. 11. 2002 und dem Gesellschaftsvertrag der Haftungsgesellschaft. Die Grundsatzvereinbarung über einen Haftungsverbund (der acht österreichische Sparkassen nicht beigetreten sind) besteht aus zwei Säulen: einerseits der sparkassenspezifischen Geschäfts- und Marktpolitik (beinhaltend a) vertiefte Kooperation unter Berücksichtigung der rechtlichen Eigenständigkeit der Sparkassen durch einen effektiven Produktionsverbund [gemeinsame Planung und Entwicklung und Einsatz von Sektorprodukten- und Dienstleistungen zur Vermeidung von Parallelaktivitäten]; b) Vereinheitlichung des Marktauftrittes und der Werbelinie; c) Harmonisierung der Risikoklassifizierung und -qualifizierung; d) Installierung leistungsfähiger einheitlicher Kontrollingsysteme; e) Bündelung wesentlicher Abwicklungsfunktionen in der Sparkassen-Gruppe; f) Zusammenarbeit zur Nutzung des Know-How der Erstantragstellerin im Bereich des Geld-, Devisen-, Wertpapier- und Kommissionshandels sowie des Asset/Liability-Managements), andererseits einem Haftungsverbund zur Sicherung der Kunden gegen das Insolvenzrisiko einzelner Sparkassen über die gesetzliche Einlagensicherung hinaus. Unternehmensgegenstand der Haftungsgesellschaft (= ZweitAG) ist die fachliche und finanzielle Unterstützung von Sparkassen, die Durchführung von Maßnahmen zur Absicherung der Kunden von Sparkassen, insbesondere durch die Errichtung des Haftungsverbundes, die Entwicklung, Einführung und Umsetzung eines Früherkennungssystems, das es ermöglicht, wirtschaftliche Schwierigkeiten von Sparkassen möglichst frühzeitig zu identifizieren und analysieren und die Verarbeitung und Übermittlung von Daten zum Zweck des automationsunterstützten Datenverkehrs, die Erbringung von Dienstleistungen in der automationsunterstützten Datenverarbeitungsinformationstechnik sowie die Errichtung und Führung von Organisations- bzw Verwaltungseinrichtungen und die Durchführung der Konzernrevision für die ErstAG im Zusammenhang mit der Innenrevision bzw Konsolidierung der einzelnen Sparkassen/Sparkassenaktiengesellschaften.
Die ZweitAG hat zwei bis vier Geschäftsführer, die über die Vornahme von Geschäftsführungsmaßnahmen gemeinsam entscheiden. Der Beschluss bedarf der einfachen Mehrheit der abgegebenen Stimmen, in Fällen der Stimmengleichheit gibt die Stimme des Vorsitzenden den Ausschlag (Diriminierungsrecht). Außerhalb des gewöhnlichen Geschäftsverkehrs (Gewährung finanzieller Unterstützungsleistungen an in wirtschaftliche Schwierigkeiten geratene Gesellschafter, wenn die Unterstützungsleistung 10 Mio EUR übersteigt) dürfen die Geschäftsführer nur mit vorheriger Zustimmung der Gesellschafter vorgehen. Zur Unterstützung der Geschäftsführung bei der Festlegung finanzieller Unterstützungsleistungen an in wirtschaftliche Schwierigkeiten geratene Sparkassen und zur Zustimmung bei der Vornahme finanzieller Unterstützungsleistungen an solche Sparkassen in jedweder Art und Höhe wird durch den Gesellschaftsvertrag ein Beirat eingerichtet, der aus 18 bis 24 von den Gesellschaftern zu nominierenden Mitgliedern besteht. Er kann jederzeit von der Geschäftsführung schriftliche oder mündliche Berichte verlangen, die Räumlichkeit betreten sowie sämtliche Vermögensgegenstände, Geschäftsbücher, Belege und sonstige Unterlagen in Augenschein nehmen oder prüfen lassen. Nach § 4 der Grundsatzvereinbarung ist die ErstAG berechtigt, zwei Geschäftsführer einschließlich des Vorsitzenden und ein Drittel der Beiratsmitglieder zu nominieren, die Sparkassen machen die restlichen Geschäftsführer und Beiratsmitglieder namhaft. Am 1. 9. 2002 trat eine Novelle zum BWG in Kraft, die bewirkt, dass die Beteiligten an einem Vertrag wie der Grundsatzvereinbarung als Kreditinstitutsgruppe behandelt werden. Voraussetzung ist, dass dabei ein Zentralinstitut - bei aufrechter unternehmerischer Selbständigkeit der angeschlossenen Institute - gewisse Funktionen des übergeordneten Instituts einer Kreditinstitutsgruppe übernimmt, insbesondere die (konzern- und bankrechtliche) Konsolidierung und die Risikoüberwachung sowie die Sicherstellung des für die Risikoüberwachung und -begrenzung erforderlichen Informationsflusses von den übrigen beteiligten Instituten. Im Hinblick auf diese Gesetzesänderung vereinbarten die AG in einer Ergänzungsvereinbarung, dass alle in der Grundsatzvereinbarung dargelegten Informationen nicht nur der Haftungsgesellschaft, sondern auch an die ErstAG übermittelt werden. Jeder Vertragsteil ist berechtigt, die Grundsatzvereinbarung unter Einhaltung einer Kündigungsfrist von zwei Jahren zum Ende jedes Kalenderjahres zu kündigen. Im Übrigen besteht die Möglichkeit einer vorzeitigen Auflösung aus wichtigem Grund. Im November 2005 schlossen die ErstAG, die ZweitAG und die 22. AG eine Zusatzvereinbarung, in der die 22. AG der ZweitAG Mitwirkungsrechte einräumt („Wiener Neustädter Modell"). Das Kartellgericht hat - neben ihrem wesentlichen Inhalt - festgestellt, dass die Unterzeichnung dieser Zusatzvereinbarung Gegenstand eines Zusammenschlussverfahrens gemäß § 7 Abs 1 Z 5 KartG war (OLG Wien zu 27 Kt 599/04, bestätigt durch den Obersten Gerichtshof [OGH] als Kartellobergericht zu 16 Ok 1/07), welches mit Nichtuntersagung geendet hat, und dass mittlerweile alle AG - mit Ausnahme der 29. AG - die Zusatzvereinbarung unterzeichnet haben. Die Zusammenschlüsse wurden fusionskontrollrechtlich genehmigt (27 Kt 61-94/07, 95-128/07 des OLG Wien; BWB-Z 602 der Bundeswettbewerbsbehörde). Die Nichtuntersagung des Zusammenschlusses mit der 35. AG durch Entscheidung einer innerstaatlichen Wettbewerbsbehörde erfolgte bis zur Erlassung der angefochtenen Entscheidung noch nicht; die AG haben jedoch die Verweisung des bei der Europäischen Kommission angemeldeten Zusammenschlusses gemäß Art 4 Abs 4 FKVO beantragt. In rechtlicher Hinsicht vertrat das Kartellgericht folgende Auffassung:
Nach Rechtskraft der Zwischenentscheidung über den Anspruchsgrund - hier: Feststellung des Zuwiderhandelns gegen Art 81 EGV - sei nunmehr im fortzusetzenden Verfahren die Abstellung des Zuwiderhandelns zu konkretisieren, und zwar entweder durch Abstellungsentscheidung oder durch Bindenderklärung von Verpflichtungszusagen. Hier hätten alle AG Verpflichtungszusagen angeboten. Das Kartellgericht als innerstaatliche Wettbewerbsbehörde sei in Einzelfällen für die Anwendung der Art 81, 82 EG zuständig und könnten hiezu Entscheidungen erlassen, mit denen Verpflichtungszusagen angenommen würden (Art 5 VO [EG] 1/03). Unter den Voraussetzungen des Art 9 VO (EG) 1/03 seien angebotene Verpflichtungszusagen für bindend zu erklären, sofern diese für das Gericht keinen Anlass für ein weiteres Tätigwerden gäben. Dies sei dann der Fall, wenn die Verpflichtungszusagen eindeutige, bestimmte Verhaltenszusagen enthielten, die dem festgestellten Zuwiderhandeln dauerhaft entgegenwirkten. Wenn die angebotenen Verpflichtungszusagen in ihren zu erwartenden Auswirkungen einer Abstellungsentscheidung gleichkämen, seien sie für bindend zu erklären; andernfalls seien Abstellungsaufträge zu erteilen. Ersteres sei hier der Fall. zu 1. Datenfluss
Die Verpflichtungszusage enthalte gegenüber der Zwischenentscheidung hinsichtlich des Datenflusses folgende wesentliche Änderungen: Die Zustimmung zur Datenübermittlung beziehe sich nur noch auf die Zwecke der Ergänzungsvereinbarung, nicht mehr der Grundsatzvereinbarung; es werde nur noch der Datenübermittlung an die Haftungsgesellschaft und nicht mehr an die E***** zugestimmt; die Daten dürften nur noch zur Erfüllung gesetzlicher Verpflichtungen und nicht mehr von Pflichten aus der Grundsatzvereinbarung verwendet werden. Damit würden die in der Zwischenentscheidung geäußerten Bedenken ausgeräumt. zu 2. Kreditrechner
Die Verpflichtungszusage verbiete den AG, Kundenkalkulationsbehelfe mit einheitlichen Zinssätzen und/oder Gebühren und/oder sonstigen finanziellen Konditionen zur Verfügung zu stellen. Dass die AG in gemeinschaftlichen Werbemitteln Kalkulationsbehelfe für Finanzprodukte, bei deren Nutzung der Kunde alle für das Berechnungsergebnis relevanten kommerziellen Parameter selbst einzugeben habe, zur Verfügung stellten, sei kartellrechtlich unbedenklich. Der Einwand der ErstASt, diese Abstellung müsse auch nachprüfbar sein, verlange einen „Monitoring-Mechanismus". Ein solcher sei hier nicht zweckmäßig, weil die Tatsache der Bereitstellung eines gemeinsamen Kreditrechners auch von den Amtsparteien oder Mitbewerbern jederzeit überprüft werden könne. Da die Verpflichtung nicht im Verhältnis zwischen AG gelte, die iSv § 7 Abs 1 Z 5 KartG miteinander verbunden seien, müsse geprüft werden, ob durch den Zusammenschluss zwischen den AG ein Konzern entstanden sei. Nach §§ 15 AktG, 115 GmbHG gälten das herrschende und das abhängige Unternehmen als Konzern, wenn ein rechtlich selbstständiges Unternehmen unmittelbar oder mittelbar unter dem beherrschenden Einfluss eines anderen Unternehmens stehe. Für die Annahme eines solchen „Unterordnungskonzerns" komme es nicht darauf an, ob die Beherrschung im Wege der einheitlichen Leitung tatsächlich ausgeübt werde, sondern darauf, ob die Möglichkeit eines solchen Einflusses bestehe, weil schon dadurch die Wahrscheinlichkeit „einflusskonformen Verhaltens" herbeigeführt werde. Die Möglichkeit der ErstAG, über die Zusatzvereinbarung beherrschenden Einfluss auf die mit ihr verbundenen Sparkassen auszuüben, sei vom Kartellgericht zu 27 Kt 599/04 geprüft und bejaht worden. Bei Annahme eines beherrschenden Einflusses werde der Wegfall der Unabhängigkeit der beherrschten Unternehmen bei wettbewerbsrelevanten Entscheidungen vermutet. Für die Annahme eines Konzernverhältnisses reiche es in der Regel aus, dass das Erlangen beherrschenden Einflusses nach § 7 Abs 1 Z 5 KartG angemeldet und vollzogen worden sei; dies habe sowohl fusionskontrollrechtliche als auch kartellrechtliche Wirkungen. Selbst wenn in einem nach innerstaatlichem Recht durchgeführten Zusammenschlussverfahren kein Indiz für die kartellrechtliche Zulässigkeit der abzustellenden Verhaltensweisen (Kreditrechner; Bestellung von Organen der Haftungsgesellschaft) zu sehen sei, reichten die von den AG vorgeschlagenen Verpflichtungszusagen aus. Es komme nach europäischem wie nach österreichischem Kartellrecht für die Ausnahme vom Anwendungsbereich des Kartellverbots darauf an, ob die Unternehmen eine gemeinsame wirtschaftliche Einheit bildeten, was dann der Fall sei, wenn sie ihr Wettbewerbsverhalten nicht mehr selbstständig bestimmen könnten. Die in Grundsatz- und Zusatzvereinbarung zum Ausdruck kommende Organisationsform zwischen den AG ziele darauf ab, Wettbewerb zwischen ihnen zu verhindern; damit bestehe kein Grund mehr, ihnen unter diesen Umständen einen gemeinsamen Kreditrechner zu verbieten oder die Gestaltungsdominanz der ErstAG bei der Bestellung von Organen der Haftungsgesellschaft zu verhindern. Dies gelte unabhängig davon, ob die Umsätze der AG die Schwellenwerte des Art 1 FKVO überschritten oder der Zusammenschluss bei den inländischen Kartellbehörden angemeldet werde. Zwischen der ErstAG und den mit ihr verbundenen Sparkassen bestehe eine wirtschaftliche Einheit im Sinne des § 7 Abs 4 KartG. Die Änderung der Kündigungsfrist des § 15 Abs 1 der Grundsatzvereinbarung bewirke, dass die Kündigungsfrist doppelt so lang sei wie die maximal 5-jährige Bestellungsperiode des Sparkassenvorstands. Selbst wenn ein neu bestellter Vorstand am Beginn seiner Tätigkeitsperiode eine Kündigung aussprechen würde, wäre er - abgesehen vom Fall der Wiederbestellung - nicht in der Lage, die Rücknahme der Kündigung wirksam zu verhindern. Damit könne eine Kündigung nie umgesetzt werden. Auch das Mitwirkungsrecht der Haftungsgesellschaft bei der Vorstandsbestellung der Sparkassen, das ermögliche, bei Bestellung einer Person ohne Zustimmung der Haftungsgesellschaft den Ausschluss aus dem Haftungsverbund aus wichtigem Grund auszusprechen, mache einen Austritt einer verbundenen Sparkasse aus dem Haftungsverbund praktisch unmöglich. Da nach der Grundsatzvereinbarung und dem Gesellschaftsvertrag der Haftungsgesellschaft zwei der maximal vier Mitglieder der Geschäftsführung der Haftungsgesellschaft von der ErstAG bestellt würden (darunter der Vorsitzende, dem das Diriminierungsrecht zukomme), liege jedenfalls eine beherrschende, mittelbare Einflussmöglichkeit der ErstAG auf die Geschäftsführung der verbundenen Sparkassen vor. Aus den Beschränkungen der Entscheidungsgewalt beim Jahresbudget, dem Investitionsplan und der Festlegung der Grundsätze der Geschäftspolitik folge auch eine indirekte Beschränkung der Verfügungsrechte über das Vermögen der verbundenen Sparkassen. Die Haftungsgesellschaft - und somit indirekt die ErstAG - könne über die aufgezeigten Einflussmöglichkeiten auch die wesentlichen Markt- und Wettbewerbsstrategien der verbundenen Sparkassen bestimmen und eigene wettbewerbliche Interessen durchsetzen. Die angebotene Verpflichtungszusage zum Kreditrechner sei daher (obwohl sie nur gegenüber nicht verbundenen Sparkassen gelte) ausreichend.
zu 3. Verschwiegenheitsverpflichtung der Organe der Haftungsgesellschaft
Die in der Zwischenentscheidung vermisste Verschwiegenheitsverpflichtung der Organe der Haftungsgesellschaft werde in der angebotenen Verpflichtungszusage im Wege einer Änderung der Grundsatzvereinbarung geschaffen. Gegen die inhaltliche Ausgestaltung der angebotenen Verpflichtungszusage seien keine Einwände vorgebracht worden. Daten zur Risikobeurteilung, die auf das Marktverhalten der AG keinen Einfluss haben können, dürften an das Zentralinstitut weitergeleitet werden. Dadurch komme es zu keinem Marktinformationsverfahren mit Austausch wettbewerbsrelevanter Daten, sondern zur Information über Risikodaten in begründeten Einzelfällen an diejenige AG, die bei Notwendigkeit von Unterstützungsmaßnahmen deren Hauptlast zu tragen hat (§§ 8, 14 Grundsatzvereinbarung). Ein sinnvoller Monitoring-Mechanismus für die Überprüfung der Einhaltung der Verschwiegenheitsverpflichtung sei nicht möglich. Eine denkbare Verpflichtung der Organe der Haftungsgesellschaft, in bestimmten Abständen Berichte an die ZweitASt über ihr verpflichtungskonformes Verhalten zu übermitteln, wäre ungeeignet, weil eine Selbstbelastung durch Bekanntgabe eines von den Zusagen abweichenden Verhaltens nicht zu erwarten sei.
zu 4. und 5. Bestellung von Organen der Haftungsgesellschaft
Die angebotene Verpflichtungszusage reiche aus, um die in der Zwischenentscheidung gegen die Bestellung der Organe der ZweitAG geäußerten Bedenken auszuräumen. Die Verpflichtungszusage beseitige nämlich die Möglichkeit der Bestellung der die Stimmenmehrheit innehabenden Geschäftsführer der ZweitAG durch die ErstAG und die Möglichkeit der Bestellung von Geschäftsführern, die Funktionen bei der ErstAG oder ihren Tochterunternehmen inne hätten. Die Vorlage der Zusatzvereinbarung sei den AG nicht aufzutragen gewesen, weil jene Teile dieser Vereinbarung, die der Entscheidung zugrundegelegt worden seien, ohnedies veröffentlicht und allgemein bekannt seien; darüber hinausgehende Teile des Vertragstextes seien der Entscheidung nicht zugrundegelegt worden. Zeugenbeweise zum Beweisthema „tatsächlicher Umfang und Wirkung der Zusatzvereinbarung sowie Abschluss derselben" seien nicht erheblich, weil die maßgeblichen Feststellungen über den Inhalt der Zusatzvereinbarung getroffen worden und allgemein bekannt seien. Ebenso sei allgemein bekannt, dass eine große Zahl von AG die Zusatzvereinbarung abgeschlossen habe. Zur Auslegung der angebotenen Verpflichtungszusagen müsse nicht näher bestimmt werden, welche AG bisher dieser Vereinbarung beigetreten seien, zumal die Ausnahme von der Verpflichtungszusage auch für zukünftig beitretende AG gelte. Gegen diesen Beschluss richtet sich der Rekurs der ErstASt wegen Verfahrensfehlern, Nichtigkeit und unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, den Beschluss aufzuheben und eine Abstellungsentscheidung zu erlassen; hilfsweise wird beantragt, den Beschluss in näher ausgeführtem Umfang abzuändern oder ihn aufzuheben und dem Kartellgericht eine neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufzutragen.
Die Antragsgegnerinnen beantragen, dem Rekurs nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Der Rekurs ist berechtigt im Sinne seines Aufhebungsantrags. Die ZweitASt macht als wesentlichen Verfahrensfehler und Nichtigkeitsgrund die Verletzung ihres rechtlichen Gehörs geltend;
das Erstgericht habe seiner Entscheidung eine nicht aktenkundige
Zusatzvereinbarung zugrunde gelegt und damit Beweisergebnisse
verwendet, zu denen sich die ZweitASt nicht habe äußern können. Die betreffende Zusatzvereinbarung sei - entgegen einem darauf abzielenden Antrag der ZweitASt (AS 391) - nicht vorgelegt worden; dass Teile daraus veröffentlicht und allgemein bekannt seien, ändere nichts daran, dass die Auslegung einer Vereinbarung nur in ihrem Gesamtkontext an Hand aller relevanten Bestimmungen erfolgen könne und die Kenntnis einzelner Teile eines Gesamttextes nicht ausreiche. Auch stehe keineswegs fest, dass sämtliche zwischen ErstAG und mehreren Sparkassen abgeschlossene Zusatzvereinbarungen wortgleich seien. Die in einem Vorverfahren ergangene rechtliche Beurteilung einer Zusatzvereinbarung entfalte keine Rechtskraftwirkung gegenüber der an diesem Vorverfahren nicht beteiligten ZweitASt.
1.1. Nach § 15 AußStrG ist den Parteien Gelegenheit zu geben, von dem Gegenstand, über den das Gericht das Verfahren von Amts wegen eingeleitet hat, den Anträgen und Vorbringen der anderen Parteien und dem Inhalt der Erhebungen Kenntnis zu erhalten und dazu Stellung zu nehmen. In Erfüllung des durch Art 6 EMRK garantierten Grundrechts auf ein faires Verfahren wird mit dieser Bestimmung jeder Partei das Recht eingeräumt, bereits vor Erlassung einer gerichtlichen Entscheidung zu Verfahrensvorgängen, die erkennbar für sie wesentliche Tatsachen betreffen, Stellung zu nehmen (vgl Fucik/Kloiber, AußStrG § 15 Rz 1 mwN).
1.2. Das rechtliche Gehör ist gewahrt, wenn den Parteien Gelegenheit gegeben wird, ihren Standpunkt dazulegen, und wenn sie sich zu allen Tatsachen und Beweisergebnissen, die der Entscheidung zugrunde gelegt werden sollen, äußern können (7 Ob 141/03s; RIS-Justiz RS0005915 [T17]; RS0119970 [T1]).
1.3. Der Stellenwert des Gehörgrundsatzes lässt sich am besten aus der Sanktionierung seiner Verletzung ersehen: Nach den Materialien ist diese Verletzung „ein schwer sanktionierter Verfahrensverstoß", der nicht nur mit Rechtsmittel, sondern auch von Amts wegen in jeder Lage des Verfahrens wahrzunehmen ist (Rechberger in Rechberger, AußStrG § 15 Rz 1).
1.4. Die Gehörverletzung ist kein absolut wirkender Verfahrensmangel, sondern nur dann wahrzunehmen, wenn sie einen Einfluss auf die Richtigkeit der Entscheidung haben konnte (vgl § 57 Z 4 AußStrG). Für die Entscheidung unerhebliches Vorbringen muss nicht gehört werden (Rechberger aaO Rz 4).
2.1. Wie die Rekurswerberin zutreffend aufzeigt, wurde ihr rechtliches Gehör im Anlassfall in einem für die Entscheidung wesentlichen Punkt nicht ausreichend gewahrt.
2.2. Die AG haben sich erstmals in der Tagsatzung am 10. 9. 2007 (ON 100) auf eine Zusatzvereinbarung zwischen der ErstAG und anderen Sparkassen berufen, ohne diese vorzulegen; Bestandteil der Zusatzvereinbarung sei es, dass die bisherige Ergänzungsvereinbarung aufgehoben werde, wobei jedoch „ein Teil" der Ergänzungsvereinbarung inhaltsgleich in die Zusatzvereinbarung übernommen werde (AS 351). In ihrem Schriftsatz vom 22. 1. 2008 (ON 104) hat die ErstAG mitgeteilt, dass zwischenzeitig sämtliche AG mit einer einzigen Ausnahme eine solche Zusatzvereinbarung mit ihr abgeschlossen hätten. Die ZweitASt hat in ihrer Stellungnahme vom 1. 2. 2008 (ON 105) beanstandet, dass die Zusatzvereinbarungen nicht vorgelegt worden seien, obwohl sich die AG zur Abwendung einer Abstellverfügung auch auf diese Zusatzvereinbarungen berufen haben; sie haben deren Vorlage beantragt. Das Kartellgericht hat diesen Beweisantrag verworfen, sich aber in seiner Entscheidung wiederholt auf die Zusatzvereinbarung(-en) berufen, daraus Feststellungen getroffen und deren Inhalt rechtlich gewürdigt.
2.3. Durch diese Vorgangsweise konnte sich die ZweitASt zu Beweisergebnissen, die der Entscheidung zugrunde gelegt wurden, nicht äußern. Entgegen der Auffassung des Kartellgerichts sind die von ihm berücksichtigten Tatsachen im Zusammenhang mit der/den Zusatzvereinbarung/en nicht notorisch: Allein die Veröffentlichung einer Entscheidung (mag sie auch vom Vertreter der Rechtsmittelwerberin glossiert worden sein), die auf eine - dort nur auszugsweise referierte - Zusatzvereinbarung Bezug nimmt, macht den (gesamten) Inhalt dieser Zusatzvereinbarung nicht allgemeinkundig im Sinn des § 269 ZPO. Dazu kommt, dass sich der rechtliche Gehalt einer Vereinbarung nur anhand ihres gesamten Wortlauts abschließend beurteilen lässt.
2.4. Anlass für die verfahrenseinleitenden Abstellungsaufträge war der Abschluss der Grundsatzvereinbarung mit Wirkung zum 1. 1. 2002. Ausgangspunkt einer kartellgerichtlichen Entscheidung kann aber allein die im Entscheidungszeitpunkt bestehende Vertragslage sein:
Nur ein aktuelles, im Zeitpunkt der Entscheidung noch andauerndes kartellrechtswidriges Verhalten kann Gegenstand einer Abstellungsentscheidung sein (vgl RIS-Justiz RS0116044 [T2]). Hat die Zusatzvereinbarung - folgt man dem Vorbringen der AG - Teile der Ergänzungsvereinbarung zur Grundsatzvereinbarung des Haftungsverbunds zwischen den AG übernommen, wurde damit auch die zwischen den AG bestehende Vertragslage verändert; ihr Inhalt ist somit für die Abstellungsentscheidung erheblich. Ohne Kenntnis der Zusatzvereinbarung/en können Art und Umfang kartellrechtlicher Zuwiderhandlungen der AG sowie die zu deren künftiger Verhinderung angebotenen Abstellungsmaßnahmen nicht abschließend beurteilt werden.
2.5. Die Entscheidung ist daher aufzuheben und die Sache zur neuerlichen Entscheidung nach Gewährung des rechtlichen Gehörs zum Inhalt der Zusatzvereinbarung/en an das Gericht erster Instanz zurückzuverweisen (§ 58 Abs 3 AußStrG). Insbesondere wird im fortgesetzten Verfahren zu erörtern sein, wie die aktuelle Vertragslage zwischen der ErstAG und jeder einzelnen AG gestaltet ist und inwieweit sich der zu beurteilende Sachverhalt gegenüber dem Zeitpunkt der Zwischenentscheidung dem Grunde nach (ON 70) verändert hat. Sollten nämlich etwa - wie in der Rekursbeantwortung behauptet - mittlerweile die Ergänzungsvereinbarungen im Verhältnis zu allen am Haftungsverbund beteiligten Sparkassen aufgehoben worden sein, wäre diese Modifikation der Vertragslage von der Rechtskraft der Zwischenentscheidung ebenso wenig umfasst wie die Abänderung der Grundsatzvereinbarung durch eine Zusatzvereinbarung; insofern wäre nämlich die Zwischenentscheidung durch die mittlerweile geänderte Sachlage überholt.
2.6. Ergänzend ist auszuführen, dass die im Rekurs behauptete Verletzung des Rechts auf Akteneinsicht nicht vorliegt. Gerügt wird die Verweigerung der Einsicht in das Aktenstück ON 102, die Notifizierung der bevorstehenden Entscheidung gemäß Art 15 Abs 2 VO 1/2003 an die Europäische Kommission. Dieses Aktenstück wurde noch vor der Beschlussfassung verfasst, enthält demnach nur einen Entscheidungsentwurf. § 219 Abs 1 ZPO - welche Bestimmung gemäß § 22 AußStrG im außerstreitigen Verfahren sinngemäß anzuwenden ist (vgl ErlRV AußStrG 2003, 37; Rechberger in Rechberger, AußStrG § 22 Rz 3) - nimmt bestimmte Aktenstücke von der Akteneinsicht aus; dazu zählen auch Entwürfe zu Urteilen und Beschlüssen. Dieses Verbot richtet sich auch gegen die Parteien des Verfahrens selbst (Gitschthaler in Rechberger, ZPO³ § 219 Rz 5). Die Notifizierung ON 102 unterliegt demnach nicht der Akteneinsicht. Soweit die Rekurswerberin in diesem Zusammenhang mit der Verletzung des Rechts auf den gesetzlichen Richter argumentiert, ist ihr zu entgegnen, dass sie kein subjektives Recht besitzt, dass die Europäische Kommission nach Konsultation der nationalen Wettbewerbsbehörde (Art 11 Abs 6 VO 1/2003 ) ein Verfahren zum Erlass einer Entscheidung nach Kapitel III VO 1/2003 einleitet.
3.1. Vor Verbreiterung der Sachverhaltsgrundlage im aufgezeigten Sinn ist eine abschließende rechtliche Würdigung der von den AG bisher angebotenen Verpflichtungszusagen zwar nicht möglich; aus Zweckmäßigkeitsgründen ist aber schon in diesem Verfahrensstadium aufzuzeigen, dass die von den AG mehrfach getroffene (und vom Erstgericht übernommene) Einschränkung, dass bestimmte Verpflichtungen nicht im Verhältnis zwischen AG gelten sollen, die iSv § 7 Abs 1 Z 5 KartG miteinander verbunden sind, selbst unter der Annahme, es hätte sich der Sachverhalt seit der Zwischenentscheidung nicht geändert, nicht den inhaltlichen Anforderungen an eine Verpflichtungszusage nach § 27 Abs 1 KartG genügen.
3.2. Der einschränkenden Formulierung liegt die - von den AG in der Rekursbeantwortung dargestellte - Auffassung zugrunde, das Kartellverbot des Art 81 Abs 1 EGV sei auf Unternehmen nicht anwendbar, die die Voraussetzungen eines Zusammenschlusses nach § 7 Abs 1 Z 5 KartG erfüllten. Dies folge nicht nur aus dem in Lehre und Rechtsprechung anerkannten „Konzernprivileg", sondern auch daraus, dass die VO (EG) 1/2003 als Durchführungsverordnung zu Art 81 EGV gemäß Art 21 Abs 1 VO (EG) 139/2004 (Fusionskontrollverordnung - VKVO) auf Zusammenschlüsse iSd Art 3 FKVO nicht anwendbar sei, wodurch verfahrensrechtlich sichergestellt werde, dass keine Doppelkontrolle identer Sachverhalte stattfinde.
3.3. Dieser Argumentation kann nicht für alle Fälle, sondern nur für den Tatbestand einer Vollfusion zugestimmt werden: Führt die Fusion zum Fortfall unabhängiger Entscheidungsträger, so macht sie das Kartellverbot gegenstandslos; ist nämlich die Kartellaufsicht Verhaltenskontrolle, so stößt sie ins Leere, wenn konkurrierende Entscheidungsträger nicht mehr vorhanden sind (K. Schmidt, Konzentrationsprivileg und Gleichordnungsvertragskonzern, in FS Rittner [1991] 561 ff, 570 mwN; in diesem Sinne auch Eilmannsberger in Streinz, EGV Art 81 Rz 6; Stockenhuber in Grabitz/Hilf, Das Recht der Europäischen Union II Art 81 EGV Rz 165).
Anderes gilt hingegen bei solchen Unternehmensverbindungen, die zwar den kartellrechtlichen Zusammenschlussbegriff erfüllen, aber aus gesellschaftsrechtlicher Sicht nur als fusionsähnlich bezeichnet werden können, und bei denen ein Integrationsgrad der beteiligten Unternehmen erreicht wird, der es nicht rechtfertigt, von einem Wegfall von Wettbewerbern, sondern bloß von einem konsolidierten Kartell zu sprechen (K. Schmidt aaO 572 f).
3.4. Es gibt demnach keinen allgemeinen Vorrang der Fusionskontrollvorschriften vor dem Kartellverbot; vielmehr erfasst das Kartellverbot auch solche fusionsähnliche Formen, die die wirtschaftliche Selbstbestimmung der beteiligten Unternehmen nicht beseitigen, so etwa, wenn sich ein Kartell der Form eines Gemeinschaftsunternehmens bedient. Derartige Tatbestände sind nicht allein unter dem Gesichtspunkt der Zusammenschlusskontrolle, sondern auch nach Art 81 Abs 1 EGV zu beurteilen (vgl die in Art 21 Abs 1 FKVO genannte Ausnahme für die Nichtanwendung der VO 1/2003 auf bestimmte Gemeinschaftsunternehmen; in diesem Sinne auch Bunte, Kommentar zum deutschen und europäischen Kartellrecht I10 § 1 GWB Rz 249).
Zutreffend verweist Bunte (aaO Rz 250) in diesem Zusammenhang auf die Gefahr, dass bei gegenteiliger Auffassung jeder sachliche Kartelltatbestand in die äußere Form eines Zusammenschlusses gebracht werden könnte, ohne dass der Ausschluss des materiellen Kartellverbots allein wegen der Verwirklichung des formellen Zusammenschlussbegriffs gerechtfertigt wäre; die Unternehmen könnten dann an Stelle einer verbotenen Koordination ihres Marktverhaltens leicht eine möglicherweise zulässige Fusion herbeiführen. Wegen der untrennbaren Verbindung kooperativer und konzentrativer Elemente eines Vorhabens führt die ausschließliche Anwendung des Kartellverbots oder der Fusionskontrollvorschriften in vielen Fällen zu nicht sachadäquaten Ergebnissen. Kartellverbot und Fusionskontrolle können daher nebeneinander anwendbar sein (vgl BGH 1. 10. 1985, WuW/E BGH 2169 - Mischwerke; idS auch Reidlinger/Hartung, Das neue österreichische Kartellrecht 154; Urlesberger/Haid in Petsche/Urlesberger/Vartian, KartG Vor § 7 Rz 49 für bestimmte Gemeinschaftsunternehmen).
3.5. Daraus folgt im Anlassfall, dass eine Einschränkung von Verpflichtungszusagen auf Sachverhalte, die nicht den Tatbestand des § 7 Abs 1 Z 5 KartG erfüllen, aktuelle oder künftige Zuwiderhandlungen gegen das Kartellverbot (§ 27 Abs 1 KartG) nicht mit der erforderlichen Sicherheit ausschließt: Dies gilt für eine Fortsetzung des kartellrechtlichen Zuwiderhandelns in aktuellen Kooperationsformen, die zwar unter § 7 Abs 1 Z 5 KartG fallen (und fusionskontrollrechtlich genehmigt sind), ohne aber die wirtschaftliche Selbstbestimmung der beteiligten Unternehmen zu beseitigen, ebenso wie für die künftige Gründung eines Gemeinschaftsunternehmens, das auf Dauer alle Funktionen einer selbstständigen wirtschaftlichen Einheit erfüllt (§ 7 Abs 2 KartG) und eine Koordinierung des Wettbewerbsverhaltens der Mütter untereinander oder im Verhältnis zum Gemeinschaftsunternehmen mit sich bringt („kooperatives Vollfunktions-Gemeinschaftsunternehmen"). Sofern nämlich durch letzteres Verhalten Wettbewerbsbeschränkungen verwirklicht werden, die über mit der Durchführung der Gründung des Gemeinschaftsunternehmens notwendige Nebenabreden hinausgehen, bleibt neben der Fusionskontrolle auch eine Anwendung von Art 81 Abs 1 EGV denkbar (vgl dazu Urlesberger/Haid in Petsche/Urlesberger/Vartian, KartG § 12 Rz 45 ff mit Hinweisen auf die Gesetzesmaterialien).
3.6. Es ist allerdings auch ein berechtigtes Anliegen der AG, keine weitergehenden Verpflichtungszusagen abgeben zu müssen, als ihre gesetzlichen Verpflichtungen reichen.
So ist im Schrifttum und in der Rechtsprechung des EuGH etwa anerkannt, dass Absprachen zwischen Unternehmen, die demselben Konzern angehören, dann ausnahmsweise nicht am Kartellverbot des Art 81 Abs 1 EGV zu messen sind, wenn die Unternehmen eine wirtschaftliche Einheit bilden, in der die einzelnen Gesellschaften des Unternehmens ihr Verhalten am Markt nicht selbstständig bestimmen können, sondern von den Weisungen der Konzernmutter abhängig sind (Bunte aaO Band II10 Art 81 Rz 10 f; Emmerich in Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht I4 Art 81 Abs 1 EGV Rz 53 ff; Eilmannsberger aaO Rz 6 ff; Sander, Das Konzernprivileg im europäischen und österreichischen Wettbewerbsrecht, OZK 2008, 20 ff, 21; Stockenhuber aaO Rz 166 f je mwN).
Sollten daher AG derzeit oder künftig auf eine solche - in der Rechtsprechung des EuGH näher konkretisierte - Weise miteinander verbunden sein, die den Tatbestand für die Anwendbarkeit des „Konzernprivilegs" erfüllt, wäre Art 81 Abs 1 EGV auf sie nicht anwendbar. Eine Einschränkung sonst ausreichender Verpflichtungszusagen auf Fälle außerhalb solcher privilegierender Sachverhalte stünde einer Bindenderklärung der Verpflichtungszusagen (§ 27 Abs 1 KartG) nicht entgegen.
4. Auch im kartellgerichtlichen Rechtsmittelverfahren ist gemäß § 49 Abs 2 KartG nur ein einmaliger Schriftsatzwechsel vorgesehen (16 Ok 5/04 mwN; 16 Ok 10/05); die Gegenäußerung der ZweitASt zur Rekursbeantwortung der AG ist daher als unzulässig zurückzuweisen.
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