European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0160OK00007.23Z.0517.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Spruch:
Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.
Begründung:
[1] Die Antragsgegnerin ist im Bereich Markt-, Meinungs- und Motivforschung tätig. Ihre beiden jeweils zur Hälfte beteiligten Gesellschafter waren bis März 2022 alleinvertretungsbefugte Geschäftsführer. Das Geschäftsjahr der Antragsgegnerin beginnt jeweils am 1. 11. eines Jahres und endet am 31. 10. des Folgejahres. Die Gesamtumsätze betrugen im Geschäftsjahr 2018/2019 526.807,57 EUR, im Geschäftsjahr 2019/2020 1.121.538,72 EUR und im Geschäftsjahr 2020/2021 937.625,51 EUR. Im Geschäftsjahr 2021/2022 erzielte die Antragsgegnerin nur bis Dezember 2021 Umsätze von 187.081,20 EUR. Dann stellte sie ihre Geschäftstätigkeit ein.
[2] Zwischen 2019 und 2021 sprach sich die Antragsgegnerin bei der Angebotslegung für Aufträge mehrerer Auftraggeber jeweils mit zwei anderen Mitbewerberinnen ab. Diese gaben Scheinangebote (Deckungsangebote) ab, deren Preise regelmäßig über jenen im Angebot der Antragsgegnerin lagen, wodurch dieser zur Auftragserteilung verholfen werden sollte. Konkret betraf diese Vorgangsweise folgende Leistungen:
(i) Motivanalyse „Bewegung und Sport“
Das Bundesministerium für öffentlichen Dienst und Sport beabsichtigte 2019 die Erstellung einer Studie zum genannten Thema. Die Antragsgegnerin sollte dazu – nach einer ersten Vorstellung ihrer Ideen – ein Angebot legen. Nach Präsentation ihrer Analyse, die für ihre Gesprächspartner „im Wesentlichen passte“ und bei der „preisliche und geringfügige inhaltliche Anpassungen“ besprochen wurden, schien die Auftragserteilung aus Sicht der Geschäftsführerin der Antragsgegnerin „fixiert“. Der Vorgesetzte der mit der Auftragsvergabe befassten Mitarbeiter des Ministeriums wies diese jedoch an, zwei weitere Angebote einzuholen. Einer dieser Mitarbeiter ersuchte die Geschäftsführerin der Antragsgegnerin daher, ihm zwei „vertrauenswürdige“ Unternehmer für Vergleichsangebote zu nennen. Sollte die Antragsgegnerin den Auftrag bekommen, könne sie diese auch „subbeauftragen“. Die Geschäftsführerin der Antragsgegnerin ersuchte daraufhin S* (eine frühere Angestellte der Antragsgegnerin und nunmehrige Geschäftsführerin der B* GmbH) um ein „alternatives Scheinangebot“, damit ihr Angebot zum Zug komme. Diese nannte ihr (unter anderem) E* als mögliche weitere Anbieterin und übermittelte ihr die Vorgabe der Antragsgegnerin. Deren Geschäftsführerin stellte beiden Mitbewerberinnen eine Beauftragung als Subauftragnehmer in Aussicht. In der Folge wurden alle drei Unternehmerinnen vom Ministerium zur Angebotslegung aufgefordert. Die Antragsgegnerin übermittelte ihren beiden Mitbewerberinnen konkrete Vorgaben für deren Angebote mit den Worten: „bitte nicht 1:1 übernehmen und nur das was in der Ausschreibung angesprochen wird“ und ersuchte sie um Bekanntgabe ihrer Preise. Die Antragsgegnerin bot zunächst eine Studie mit 80 Interviews um 55.000 EUR, S* eine solche mit 75 Interviews um 49.900 EUR und E* acht Gruppeninterviews um 58.000 EUR an. Nachdem es aufgrund einer Regierungsumbildung zu Verzögerungen bei der Auftragsvergabe gekommen war, ersuchte das Ministerium drei Monate später alle drei Anbieter um Bekanntgabe, ob ihre Angebote noch aufrecht seien. Zuvor hatte ein Mitarbeiter des Ministeriums der Geschäftsführerin der Antragsgegnerin vorgeschlagen, dass sie ihren Preis etwas senken und S* den Preis etwas erhöhen solle. Alle drei Bieterinnen stimmten ihre Angebote daraufhin insoweit ab, als die Antragsgegnerin 53.000 EUR und die beiden Mitbewerber 53.500 EUR sowie 58.000 EUR für ihre jeweiligen Studien verlangten. Die Absprachen erfolgten zu dem Zweck, der Antragsgegnerin zum Zuschlag zu verhelfen. Sie wurde auch tatsächlich beauftragt.
(ii) Studie „Frauen im Vereinssport“
Mitarbeiter des Bundesministeriums für Kunst, Kultur, öffentlichen Dienst und Sport waren 2019 an einer Beauftragung der Antragsgegnerin mit der Erstellung der genannten Studie interessiert. Nachdem diese ein erstes Angebot gelegt hatte, wurde ihre Geschäftsführerin gefragt, ob sie das Prozedere bezüglich notwendiger Vergleichsangebote wie bei der Vergabe des Auftrags zur Erstellung der Motivanalyse „Bewegung und Sport“ wiederholen könnten. Da sie sich nicht dagegen aussprach, lud das Ministerium die Antragsgegnerin, die B* GmbH sowie E* zur Angebotslegung ein. Die Geschäftsführerin der Antragsgegnerin forderte S* und diese wiederum E* – jeweils unter konkreten inhaltlichen Vorgaben – auf, Scheinangebote zu legen, um der Antragsgegnerin zum Zuschlag zu verhelfen. Demnach bot die Antragsgegnerin ihre Leistung um 63.890 EUR an, die beiden Mitbieterinnen nannten Preise von 73.890 EUR und 69.500 EUR. Der Auftrag wurde 2020 der Antragsgegnerin erteilt.
(iii) Studie „Mädchen und Gewalt“
Die Obfrau des Berufsverbands Österreichischer PsycholgInnen bat die Antragsgegnerin 2020 um ein Angebot für eine mögliche Studie zum genannten Thema. Nach Angebotslegung ersuchte die Obfrau des Berufsverbands die Antragsgegnerin um „Organisation“ zweier Vergleichsangebote. Das Angebot der Antragsgegnerin würde aber favorisiert werden. Deren Geschäftsführerin wandte sich daraufhin an S* und E*. Es erfolgten Absprachen zum Inhalt der zu legenden Angebote und deren Preisen, mit dem Zweck, der Antragsgegnerin zum Zuschlag zu verhelfen. Aufgrund dieser Absprachen legten die beiden Mitbewerberinnen Angebote um 58.900 EUR bzw 57.900 EUR. Die Antragsgegnerin bot ihre Leistung um 55.900 EUR an. Eine Auftragsvergabe unterblieb letztlich.
(iv) Motivanalyse für die E* AG
Die Antragsgegnerin bewarb sich 2020 um einen Auftrag zur Erstellung einer Analyse zum Thema „Bonusprogramm und Wechselmotive“ für die genannte Auftraggeberin und legte dafür zunächst ein Angebot um 32.500 EUR. Nachdem die Geschäftsführerin der Antragsgegnerin von der Auftraggeberin aufgefordert worden war, „sich um Vergleichsangebote zu kümmern“, übermittelte sie dieser die Kontaktdaten von S* und E*. Diese wurden ebenfalls zur Angebotslegung eingeladen. Beide Mitbieterinnen stimmten ihre Angebote – insbesondere die Angebotspreise – wieder mit der Antragsgegnerin ab, um dieser zum Zuschlag zu verhelfen. Aufgrund von Angeboten der beiden Mitbieterinnen in Höhe von 34.000 EUR und 37.800 EUR kam das Angebot der Antragsgegnerin von zuletzt 30.875 EUR zum Zug.
(v) „Kinder und Jugendliche im Vereinssport“
Im Mai 2021 übermittelte die Geschäftsführerin der Antragsgegnerin dem Bundesministerium für Kunst, Kultur, öffentlichen Dienst und Sport ein Konzept für eine Studie zum genannten Thema samt Angebotspreis. Ein Mitarbeiter des Ministeriums fragte, ob sie damit einverstanden wäre, dass „die beiden anderen Einladungen […] an die bekannten Adressen ergehen“. Die Antragsgegnerin stimmte dem zu, sodass auch die B* GmbH und E* zur Angebotslegung eingeladen wurden. Die Geschäftsführerin der Antragsgegnerin übermittelte beiden „die zu verwendenden Angebotspreise“. E* wollte sich an einer weiteren Absprache nicht mehr beteiligen. Um der Antragsgegnerin zum Zuschlag zu verhelfen, legte die B* GmbH ein Angebot um 72.790 EUR. Die Antragsgegnerin bot um 68.980 EUR an. Ein Mitarbeiter aus dem Kabinett des Ministers ersuchte in weiterer Folge das Generalsekretariat um Prüfung, ob eine Ausschreibung durchzuführen sei, weil die Studien „nie auf der Wunschliste gestanden“ seien und die „Frauenstudie“ (gemeint: „Frauen im Vereinssport“) ohne Zutun des Kabinetts bzw des Ministers beauftragt worden sei. Der Auftrag wurde letztlich nicht vergeben, weil die Antragsgegnerin ihr Angebot – nachdem bei ihr eine Hausdurchsuchung durchgeführt worden war – zurückgezogen hatte.
[3] Am 8. 3. 2022 teilte die Zentrale Staatsanwaltschaft zur Verfolgung von Wirtschaftsstrafsachen und Korruption der Antragstellerin mit, dass in einem gegen eine Mitbewerberin der Antragsgegnerin wegen § 168b Abs 1 StGB geführten Ermittlungsverfahren auch mögliche Kartellverstöße der Antragsgegnerin „festgestellt“ worden seien.
[4] Die Antragstellerin beantragte die Verhängung einer Geldbuße gemäß § 29 Abs 1 Z 1 lit a KartG in angemessener Höhe über die Antragsgegnerin, weil diese bei den genannten Auftragsvergaben Vereinbarungen mit Mitbewerbern getroffen habe, um einen Wettbewerb zu verhindern. Selbst wenn die Auftraggeber primär an einer Zusammenarbeit mit der Antragsgegnerin interessiert gewesen wären, sei durch Einladung weiterer Anbieter eine Wettbewerbssituation geschaffen worden. Die Angebote – insbesondere die Angebotspreise – seien aufeinander abgestimmt worden, um die jeweiligen Auftraggeber zur Annahme des Angebots der Antragsgegnerin zu bewegen. Dieses fortgesetzte und einheitliche kartellrechtswidrige Verhalten habe den Preiswettbewerb ausgeschaltet und potentiell zu einer Erhöhung der Preise geführt. Da es sich dabei um Kernbeschränkungen des Wettbewerbs gehandelt habe, komme es auf deren tatsächliche Auswirkungen nicht an.
[5] Für die Bemessung der Geldbuße seien insbesondere die Schwere der Rechtsverletzung, die lange Dauer des Verstoßes, die erzielte Bereicherung, das schwere Verschulden der Antragsgegnerin aufgrund ihrer führenden Beteiligung an der Wettbewerbsbeschränkung sowie ihre wirtschaftliche Leistungsfähigkeit zu berücksichtigen.
[6] Der Bundeskartellanwalt schloss sich dem Antrag und dem Vorbringen der Antragstellerin an und brachte ergänzend vor, dass aufgrund der Einholung von Vergleichsangeboten selbst dann eine Wettbewerbssituation vorgelegen sei, wenn die Antragsgegnerin und die jeweiligen Auftraggeber bereits zuvor „handelseins“ geworden wären.
[7] Die Antragsgegnerin entgegnete zusammengefasst, dass von den jeweiligen Auftraggebern keine „echte“ Wettbewerbssituation geschaffen, sondern von Anfang an eine Beauftragung der Antragsgegnerin angestrebt worden sei. Die Vergleichsangebote seien nur für die „interne Dokumentation“ benötigt worden. Die Antragsgegnerin hätte nach den Wünschen der Auftraggeber Konzepte erstellt (und in der Regel auch bereits den Preis genannt) und es sei bereits auf dieser Basis zu „de facto-Auftragsvergaben“ gekommen. Erst danach habe sich die Notwendigkeit von Vergleichsangeboten ergeben, wobei es jeweils der Antragsgegnerin überlassen worden sei, weitere Mitbewerber vorzuschlagen. Diese seien nur „pro forma“ zur Angebotslegung eingeladen worden. Ernsthafte Angebote hätten die Auftraggeber nicht gewünscht. Dass die Antragsgegnerin ihre Mitbewerberinnen „subbeauftragen“ könne, sei ihr von den Auftraggebern nahegelegt worden.
[8] Bei – wie hier erfolgten – Direktvergaben müsse der Auftraggeber gar keine Vergleichsangebote einholen, sondern könne das Verfahren auch mit nur einem Bieter durchführen. Es bestehe dabei keine Pflicht zum Wettbewerb. Für keinen der hier zu beurteilenden Aufträge wäre vergaberechtlich also eine Einladung weiterer Mitbieter erforderlich gewesen. Die Absprachen hätten daher zu keiner Wettbewerbsbeschränkung geführt, vielmehr habe die Antragsgegnerin jeweils nur den Wünschen ihrer Kunden entsprochen. Nach dem KartG komme es auf den wahren wirtschaftlichen Gehalt eines Sachverhalts und nicht auf dessen äußere Erscheinungsform an.
[9] Für die (allfällige) Bemessung einer Geldbuße seien die Umsätze der Antragsgegnerin im Geschäftsjahr 2021/2022 maßgeblich. In diesem Geschäftsjahr habe sie nur im November und Dezember 2021 Umsätze von insgesamt 187.081,20 EUR erzielt. In den Geschäftsjahren davor erwirtschafteten Umsätzen komme für die Höhe der Geldbuße keine Bedeutung zu. Als mildernd sei zu berücksichtigen, dass es in zwei von fünf Fällen zu keiner Auftragsvergabe gekommen sei und die Antragsgegnerin mit den drei anderen Aufträgen nur geringe Umsätze erzielt habe. Sie habe zuvor nie an ähnlichen Vereinbarungen teilgenommen. Die jeweiligen Auftraggeber hätten Kenntnis vom Vorgehen der Antragsgegnerin gehabt. Dass sie auf deren Wunsch andere Bieterinnen genannt habe, impliziere nur ein geringes Verschulden. Die Initiative zu den „Vergleichsangeboten“ sei von den Auftraggebern ausgegangen, denen dadurch auch kein Schaden entstanden sei. Die Antragsgegnerin sei mangels echten Wettbewerbs auch nicht bereichert. Es sei auch zu berücksichtigen, dass ihre wirtschaftliche Leistungsfähigkeit aufgrund des gegen ihre Geschäftsführerin geführten Strafverfahrens und deren medialer Vorverurteilung zerstört worden sei.
[10] Das Erstgericht verhängte über die Antragsgegnerin wegen einheitlicher und fortgesetzter Zuwiderhandlung gegen § 1 KartG in Form kartellrechtswidriger horizontaler Absprachen zum Zweck der Abstimmung von Angeboten und Angebotspreisen im Bereich der Erstellung von Marktstudien im Zeitraum April 2019 bis Juni 2021 gemäß § 29 Abs 1 Z 1 lit a KartG eine Geldbuße von 50.000 EUR.
[11] Dem festgestellten Sachverhalt sei eine Willensübereinstimmung mit den beiden anderen Mitbieterinnen über die Regelung ihres Marktverhaltens zu entnehmen. Die Übereinkunft habe darauf beruht, durch eine inhaltliche und preisliche Abstimmung Deckangebote so zu legen, dass die Antragsgegnerin bei den Aufträgen zum Zug komme. Die beiden anderen Bieterinnen hätten auf eine autonome Preisfestsetzung verzichtet, indem sie nach den Vorgaben der Antragsgegnerin Deckangebote gelegt hätten.
[12] Dadurch sei der Preiswettbewerb beschränkt bzw ausgeschaltet worden, was eine Kernbeschränkung des Wettbewerbs begründe. Auf weitere Umsetzungshandlungen und eine konkrete Marktauswirkung komme es nicht an. Bezweckte Wettbewerbsbeschränkungen gelten unabhängig vom Nachweis ihrer konkreten Auswirkungen als spürbar. Auch bei einer Direktvergabe könne der Auftraggeber Vergleichsangebote oder Preisauskünfte verschiedener Unternehmer einholen. Zwar bestehe keine Pflicht zum Wettbewerb, die Durchführung eines solchen zwischen mehreren Bietern sei aber zulässig. Auch wenn Auftraggeber vorrangig die Antragsgegnerin beauftragen hätten wollen, sei aufgrund der Einholung weiterer Angebote eine echte Wettbewerbssituation vorgelegen, die durch die Absprachen ausgeschaltet worden sei. Ohne diese Absprachen wäre es nicht ausgeschlossen gewesen, dass Aufträge nicht der Antragsgegnerin sondern einer Mitbieterin erteilt worden wären. Auftraggeber müssten auch bei Direktvergaben die Preisangemessenheit dokumentieren, weshalb die Beauftragung eines Bieters bei Vorliegen eines günstigeren Angebots zumindest einer eingehenden Begründung bedurft hätte.
[13] Dass die Antragsgegnerin jeweils schon vor Einholung von Angeboten der beiden anderen Mitbieterinnen beauftragt worden wäre, stehe nicht fest. Aufgrund der Vergleichsangebote habe der Antragsgegnerin bewusst sein müssen, dass noch keine Auftragsvergabe an sie erfolgt sei. Dass sie von den jeweiligen Auftraggebern ersucht worden sei, Kontakte möglicher Mitbieter bekanntzugeben, ändere nichts daran, dass das wettbewerbswidrige Verhalten jedes Marktteilnehmers nach seiner eigenen Tatbeteiligung zu beurteilen sei.
[14] Die Absprachen hätten auf einem über zwei Jahre hinweg geschaffenen Gesamtsystem mit dem Grundverständnis beruht, sich bei der Erstellung von Marktstudien so zu unterstützen, dass Deckangebote der beiden Mitbewerberinnen der Antragsgegnerin zum Zuschlag verhelfen sollten, wobei die Erstgenannten fallweise durch Subaufträge partizipieren sollten. Es sei daher eine einheitliche und fortgesetzte Zuwiderhandlung gegen das Kartellverbot erfolgt.
[15] Gemäß § 29 Abs 1 Z 1 lit a KartG habe die Geldbuße bis zu 10 % des im vorangegangenen Geschäftsjahr erzielten Gesamtumsatzes zu betragen. Maßgeblich sei hier der Umsatz der Antragsgegnerin im Geschäftsjahr 2020/2021 in Höhe von 937.625,51 EUR. Als erschwerend sei zu berücksichtigen, dass die Antragsgegnerin vorsätzlich wettbewerbswidrig gehandelt habe, der Kartellverstoß Kernbeschränkungen betroffen und zwei Jahre lang angedauert habe, die Antragsgegnerin daran führend beteiligt gewesen sei und hauptsächlich von den Absprachen profitiert habe. Dass sie auf Wunsch der jeweiligen Auftraggeber gehandelt habe, könne nicht als mildernd gewertet werden. Allerdings sei die aktuelle wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Antragsgegnerin zu berücksichtigen. Davon ausgehend sei aus general- und spezialpräventiver Sicht eine Geldbuße von 50.000 EUR angemessen.
[16] Gegen diese Entscheidung richtet sich der von der Antragstellerin und vom Bundeskartellanwalt beantwortete Rekurs der Antragsgegnerin.
Rechtliche Beurteilung
[17] Dem Rekurs kommt keine Berechtigung zu.
1. Zur Beschränkung des Wettbewerbs:
[18] 1.1. Die Rekurswerberin argumentiert, dass die jeweiligen Auftraggeber von vornherein den Wunsch gehabt hätten, die Antragsgegnerin zu beauftragen. Sie hätten daher auf Wettbewerb verzichtet. Dies habe sich etwa darin gezeigt, dass die Auftraggeber bereits vor Beauftragung der Antragsgegnerin deren jeweiliges Angebot besprochen und Preisverhandlungen geführt hätten, wohingegen es mit den Mitbieterinnen keine solchen Gespräche gegeben habe. Die Auftraggeber hätten die Mitbieterinnen auch nicht selbst kontaktiert und um Angebote ersucht, sondern dies der Antragsgegnerin überlassen. Die Angebote der Mitbieterinnen hätten nur der internen Dokumentation der Auftraggeber gedient. Die Ausschreibungen seien auf die Antragsgegnerin zugeschnitten worden. Habe diese ihr Angebot zurückgezogen, sei eine Auftragsvergabe unterblieben. Die Annahme einer „ernsthaften Organisation“ eines Wettbewerbs durch die Auftraggeber sei mit einer solchen Vorgehensweise nicht vereinbar.
[19] 1.2. Eine Definition des „Wettbewerbs“ findet sich weder in § 1 KartG noch in Art 101 AEUV (Reidlinger in Kert/Kodek, Handbuch Wirtschaftsstrafrecht² [2022] Rz 16.6). Nach Eilmansberger/Kruis (in Streinz, EUV/AEUV³ [2018] Art 101 Rz 40) handelt es sich beim geschützten Wettbewerb um den Leistungswettbewerb als Wettstreit verschiedener Anbieter um Geschäftsabschlüsse mit Dritten aufgrund eines im Hinblick auf Qualität und Preis möglichst attraktiven Angebots (vgl auch Reidlinger aaO). Freier Wettbewerb besteht, wenn Rechtssubjekte von ihrer Handlungsfreiheit im Wirtschaftsverkehr Gebrauch machen (G. Dannecker/ C. Dannecker in Soyer, Handbuch Unternehmensstrafrecht [2020] Rz 18.1). Damit korrespondiert die Abgrenzung des Begriffs der Wettbewerbsbeschränkung, die sich in erster Linie aus dem dem Kartellverbot zugrundeliegenden „Selbständigkeitspostulat“ ergibt, wonach jedes Unternehmen selbständig bestimmen soll, welche Unternehmenspolitik es auf dem Markt verfolgt (Renhardt, Bezwecken oder bewirken? Begriffe einer Wettbewerbsbeschränkung, JAP 2021/2022/8, 91). Eine Beschränkung des Wettbewerbs liegt demnach vor, wenn die wettbewerblich relevante Handlungsfreiheit einzelner oder aller an einer Maßnahme beteiligten Unternehmen beschränkt wird, diese also die ihnen sonst zukommenden marktrelevanten Verhaltensmöglichkeiten nicht mehr wahrnehmen können (vgl 16 Ok 4/03; 16 Ok 51/05; 16 Ok 10/09; siehe auch Hiersche/Mertel in Egger/Harsdorf-Borsch, Kartellrecht [2022] § 1 KartG Rz 70; G. Dannecker/ C. Dannecker aaO Rz 18.127). Auswirkungen von Preisabsprachen auf das allgemeine Preisniveau am Markt (vgl im vorliegenden Zusammenhang auch § 66 BVergG zur Veröffentlichung der Ergebnisse bestimmter Ausschreibungsverfahren) ergeben sich in der Regel schon daraus, dass es Preiskartelle außenstehenden Unternehmen erlauben, ihre Preise am überhöhten Kartellpreis auszurichten (Preisschirmeffekt; „umbrella pricing“; dazu etwa EuGH 5. 6. 2014, C‑557/12 , KONE AG, insb Rn 28 f).
[20] 1.3. Der Zweck des Kartellverbots besteht nicht primär im Schutz der Interessen Einzelner, sondern im Schutz der Struktur des Marktes und damit des Wettbewerbs als solchem (vgl Hiersche/Mertel in Egger/Harsdorf-Borsch § 1 KartG Rz 70 mwN; Lengauer, Wettbewerbsbeschränkende Absprachen in Vergabeverfahren, ZVB 2023/97, 303 [305]; vgl auch Kirchbacher/Ifsitsin Höpfel/Ratz, Wiener Kommentar zum StGB² [2022] § 168b Rz 57 mwN). Dies gilt auch im Vergabeverfahren, wird durch eine Bieterabsprache doch nicht nur das wirtschaftliche Interesse des Auftraggebers an einem möglichst guten (günstigen) Angebot beeinträchtigt, sondern auch der allgemeine volkswirtschaftlich erwünschte Wettbewerb am Markt beschränkt (vgl Lurger, Die strafrechtliche Beurteilung von Submissionsabsprachen seit der KartGNov 2002, ecolex 2003, 109; siehe auch Schumann/Bruckmüller/Gappmayer, Wettbewerbsbeschränkende Absprachen im Vergabeverfahren und kollusive Beteiligung auf Seiten des Auftraggebers, RPA 2009, 224 [225]).
[21] Ob ein öffentlicher Auftraggeber einen Bieterwettbewerb herbeiführen muss, hängt vom konkret anzuwendenden Vergabeverfahren ab. Liegen die Voraussetzungen für eine Direktvergabe vor, kann eine Leistung zwar formfrei von einem ausgewählten geeigneten Unternehmer bezogen werden (§ 31 Abs 11 BVergG 2018). Eine Pflicht zur Herbeiführung eines (Bieter‑)Wettbewerb besteht in diesem Fall nicht (etwa Diem/Ziniel in Gölles, BVergG 2018 [2019] § 46 Rz 4). Auch ohne einen solchen (vergaberechtlichen) Bieterwettbewerb darf das Angebot eines einzelnen Anbieters aber nicht auf einer nach § 1 KartG verpönten Vereinbarung (oder abgestimmten Verhaltensweise) beruhen. Der Auftraggeber kann nämlich nicht auf die Einhaltung des durch diese Bestimmung geschützten Wettbewerbs durch den Anbieter verzichten, sondern nur auf die Einholung von Vergleichsangeboten. Dies ergibt sich neben dem primär im Allgemeininteresse an einem funktionierenden Markt gelegenen Schutzzweck des Kartellverbots auch daraus, dass bei – wie hier (vgl auch Pkt 1.5.4) – bezweckten Wettbewerbsbeschränkungen keine Umsetzungs- oder Durchführungshandlungen erforderlich sind (16 Ok 12/06).
[22] 1.4. Nach § 168b StGB macht sich strafbar, wer bei einem Vergabeverfahren (unter anderem) ein Angebot legt, das auf einer rechtswidrigen Absprache beruht, die darauf abzielt, den Auftraggeber zur Annahme eines bestimmten Angebots zu veranlassen. Die Rechtswidrigkeit einer solchen Absprache richtet sich nach dem Kartellrecht (Kirchbacher/Ifsits in WK-StGB² § 168b StGB Rz 44 mwN). Das kollusive Zusammenwirken einer Personauf Auftraggeberseite mit einem Bieter führt nicht zur Straflosigkeit nach § 168b StGB (jüngst 13 Os 93/23k [Rn 31] im Strafverfahren gegen die Geschäftsführerin der Antragsgegnerin; dort mit Hinweis auf Kirchbacher/Ifsits in WK‑StGB² § 168b StGB Rz 43 sowie auf Zeder SbgK § 168b Rz 82; idS wohl auch Schumann/Bruckmüller/Gappmayer, RPA 2009, 228, sowie Glaser, Strafbarkeit im Vergabe- und Beschaffungswesen, 13. AntiKorruptions-Tag [2020] 12 [18 f]). Insoweit geht also auch die strafrechtliche Rechtsprechung und Lehre davon aus, dass eine Mitwirkung des Auftraggebers (ihm zuzurechnender Personen) an einer Submissionsabsprache mehrerer Bieter nichts an deren wettbewerbsbeschränkender Wirkung ändert.
[23] 1.5. Auf Basis dieser Erwägungen vermag die Rekurswerberin keine Bedenken gegen die rechtliche Beurteilung des Erstgerichts, das die vorliegenden Preisabsprachen als wettbewerbsbeschränkend beurteilte, zu wecken:
[24] 1.5.1. Dass bei den hier zu beurteilenden Auftragsvergaben auf einen Bieterwettbewerb zur Gänze verzichtet worden und von Beginn an festgestanden wäre, dass die Antragsgegnerin beauftragt werden sollte (oder dass ihr der Auftrag überhaupt schon vor Einholung der Vergleichsangebote erteilt worden wäre), entspricht nicht dem festgestellten Sachverhalt. Zu zwei Aufträgen steht nicht einmal fest, dass die Antragsgegnerin klar „favorisiert“ worden wäre. Zu drei Aufträgen ergibt sich dies zwar aus dem Sachverhalt, allerdings wurden auch in diesen Fällen jeweils weitere Angebote eingeholt. Dass dies nur „pro forma“ erfolgt wäre, es sich bei den beiden anderen Angeboten also auch aus Sicht der für die jeweiligen Auftraggeber handelnden Personen um „Scheinangebote“ gehandelt hätte, ergibt sich lediglich hinsichtlich eines Auftrags (Studie „Bewegung und Sport“). Auch in diesem Fall wurde die mit der Auftragsvergabe betraute Person von ihrem Vorgesetzten aber angewiesen, zwei weitere Angebote einzuholen, sodass nicht davon ausgegangen werden kann, dieser Auftraggeber (Bundesminister für öffentlichen Dienst und Sport) hätte auf einen Bieterwettbewerb verzichtet.
[25] 1.5.2. Dass die Auftraggeber einen solchen Wettbewerb ausschließen wollten, ergibt sich auch nicht daraus, dass die Antragsgegnerin um Mithilfe bei der Einladung weiterer Bieter (um Bekanntgabe entsprechender Unternehmer) ersucht wurde. Soweit es sich dabei um „vertrauenswürdige“ Unternehmer handeln sollte, muss dies nicht zwingend als Aufforderung zu einer Preisabsprache, sondern kann auch als Hinweis auf einen „zuverlässigen (geeigneten) Unternehmer“ im Sinn des § 20 Abs 1 BVergG 2018 verstanden werden. Dass die Antragsgegnerin den beiden Mitbieterinnen Subaufträge erteilen „sollte“, ist nicht vom Sachverhalt gedeckt, steht doch nur fest, dass ihr für den Fall einer Beauftragung bloß die Möglichkeit zu einer solchen Vorgehensweise eingeräumt wurde. Es ist auch nicht ersichtlich, warum sich daraus der von der Antragsgegnerin behauptete Ausschluss des Wettbewerbs ergeben sollte. Auch daraus, dass einzelne Auftraggeber vor Einholung weiterer Angebote den Inhalt der zu erstellenden Studien mit der Antragsgegnerin besprochen hatten, kann dies nicht abgeleitet werden (vgl in diesem Zusammenhang auch § 24 BVergG 2018, wonach vor Einleitung eines Vergabeverfahrens die Möglichkeit besteht, potentielle Bieter zu kontaktieren).
[26] 1.5.3. Aber selbst wenn man – entsprechend dem Standpunkt der Antragsgegnerin – davon ausginge, dass (einzelne) Auftraggeber auf einen (vergaberechtlichen) Bieterwettbewerb verzichtet hätten und die für sie handelnden Personen von vornherein nur ein Interesse an einer Beauftragung der Antragsgegnerin gehabt hätten, wären die festgestellten Absprachen aus den bereits dargelegten Gründen wettbewerbsbeschränkend im Sinn des § 1 KartG. Einerseits würde eine Beteiligung des Auftraggebers (einer für ihn handelnden Person) an einer Submissionsabsprache nichts daran ändern, dass die Absprache die wettbewerbliche Handlungsfreiheit der Bieter beschränkte und das allgemeine Preisniveau am Markt für vergleichbare Dienstleistungen zumindest potenziell beeinflusste („umbrella effect“). Andererseits könnte ein öffentlicher Auftraggeber auch bei einer zulässigen Direktvergabe nur auf den in seinem Interesse gelegenen (vergaberechtlichen) Bieterwettbewerb verzichten (Privatpersonen unterlägen insoweit ohnehin keinen Beschränkungen), nicht aber auf den im allgemeinen volkswirtschaftlichen Interesse an funktionierenden Marktstrukturen gelegenen Wettbewerb im Sinn des § 1 KartG.
[27] Aus den in diesem Zusammenhang im Rekurs ins Treffen geführten Entscheidungen des Oberlandesgerichts Dresden vom 19. 3. 1998 (7 U 827/97) und des Oberlandesgerichts Naumburg vom 21. 12. 2000 (1 Verg 10/00) ergibt sich nichts Gegenteiliges. Diese Entscheidungen sind für die Beurteilung des vorliegenden Falls nicht einschlägig, weil dort keine Preisabsprachen und darauf beruhende Scheinangebote mehrerer Bieter (also keine Submissionsabsprachen) zu beurteilen waren, sondern jeweils – auf Wunsch der Auftraggeber gebildete – Arbeits- bzw Bietergemeinschaften.
[28] 1.5.4. Da Preisabsprachen als wettbewerbliche Kernbeschränkungen grundsätzlich bezweckte Wettbewerbsbeschränkung darstellen (RS0120917), deren Auswirkungen unberücksichtigt bleiben können (RS0120477), kommt es entgegen dem Standpunkt der Rekurswerberin nicht darauf an, ob sie ohne die Absprachen ebenso beauftragt worden wäre. Aus der von ihr ins Treffen geführten Entscheidung des EuGH zu C‑228/18 (Rechtssache Visa ua), in welcher der Gerichtshof davon ausging, dass für eine bezweckte Wettbewerbsbeschränkung „hinreichend belastende Erfahrungswerte dafür bestehen müssen, dass eine Vereinbarung als ihrem Wesen nach schädlich für das gut Funktionieren des Wettbewerbs abgesehen werden könne“ (aaO Rn 76), ist für die Antragsgegnerin schon deshalb nichts zu gewinnen, weil dort keine unmittelbare Absprache von Verkaufspreisen (also gerade keine Kernbeschränkung des Wettbewerbs), sondern eine „Standardisierung“ bestimmter Kostenaspekte zu beurteilen war (aaO Rn 61).
[29] 1.6. Als Zwischenergebnis ergibt sich also, dass die Antragsgegnerin dadurch, dass sie sich bei den hier zu beurteilenden Auftragsvergaben mit anderen Anbietern (insbesondere) über die Preise der angebotenen Dienstleistungen absprach, gegen § 1 KartG verstieß. Diese Beurteilung lag auch der – in dem gegen die Geschäftsführerin der Antragsgegnerin geführten Strafverfahren ergangenen – Entscheidung vom 6. 3. 2024 zu 13 Os 93/23k zugrunde (das Thema einer allfälligen Doppelbestrafung stellt sich hier schon mangels Parteienidentität – anders als zu 16 Ok 5/23f – nicht).
2. Zur Verhängung der Geldbuße
2.1. Grundsätzliches
[30] 2.1.1. Gegen einen Unternehmer, der vorsätzlich oder fahrlässig dem Kartellverbot des § 1 KartG zuwiderhandelt, ist eine Geldbuße bis zu einem Höchstbetrag von 10 % des im vorausgegangenen Geschäftsjahr erzielten Gesamtumsatzes zu verhängen (§ 29 Abs 1 Z 1 lit a KartG). Gemäß § 30 Abs 1 KartG ist bei deren Bemessung insbesondere auf die Schwere und die Dauer der Rechtsverletzung, auf die durch die Rechtsverletzung erzielte Bereicherung, auf den Grad des Verschuldens und auf die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit Bedacht zu nehmen. Abs 2 leg cit nennt verschiedene Erschwerungsgründe, Abs 3 Milderungsgründe. Geldbußen nach dem KartG verfolgen präventive und repressive Zwecke, was eine angemessene Höhe erfordert, weil sonst keine abschreckende Wirkung erzielt wird (RS0124666; RS0130389).
[31] 2.1.2. Die Festsetzung der Geldbuße ist eine Ermessensentscheidung, bei der neben den – nicht taxativ aufgezählten – gesetzlichen Bemessungsfaktoren die Umstände des Einzelfalls und der Kontext der Zuwiderhandlung zu berücksichtigen sind. Es ist eine rechtliche und wirtschaftliche Gesamtwürdigung aller relevanten Umstände vorzunehmen (RS0122743). Die Kontrolle der Höhe einer Geldbuße im Rechtsmittelverfahren richtet sich (nur) darauf, inwieweit das Kartellgericht alle gesetzlichen Faktoren korrekt berücksichtigt hat, die für die Beurteilung der Schwere eines bestimmten Verhaltens von Bedeutung sind (RS0122748).
2.2. Zur maßgeblichen Umsatzgrenze
[32] 2.2.1. Gemäß § 29 Abs 1 Z 1 KartG darf die Geldbuße 10 % des im vorausgegangenen Geschäftsjahr erzielten Gesamtumsatzes nicht übersteigen. Nach ständiger Rechtsprechung ist bei der Bemessung auf den Gesamtumsatz im letzten Jahr des Zuwiderhandelns abzustellen, weil dies den zeitlichen Zusammenhang zwischen Verstoß und Leistungsfähigkeit sicherstellt (16 Ok 5/08 [in diesem Verfahren war noch § 142 Z 1 KartG 1988 anzuwenden]; 16 Ok 4/09; 16 Ok 2/15b; 16 Ok 2/22p). Die Entscheidung des Erstgerichts, das für die Höchstgrenze der Geldbuße auf den Umsatz (937.625,21 EUR) im Geschäftsjahr 2020/2021 (November 2020 bis Oktober 2021) abstellte, entspricht dieser Judikatur, weil der letzte Wettbewerbsverstoß Anfang/Mitte 2021 erfolgte. Der Vollständigkeit halber ist zudem darauf zu verweisen, dass in den bisher vom Obersten Gerichtshof entschiedenen Fällen keine Hinweise auf ins Gewicht fallende Umsatzschwankungen vorlagen und zudem die Geldbußenobergrenze auch nicht annähernd ausgeschöpft wurde, sodass es keiner näheren Erörterung bedurfte, die Umsätze welchen Jahres für die Bemessung der Geldbuße herangezogen wurden.
[33] 2.2.2. Nach Ansicht der Rekurswerberin wäre für die Bußgeldobergrenze des § 29 Abs 1 Z 1 KartG jedoch der Umsatz des der erstinstanzlichen Entscheidung vorangegangenen Geschäftsjahrs 2021/2022 in Höhe von 187.081,20 EUR heranzuziehen und die Geldbuße demnach mit höchstens 18.708,12 EUR zu bemessen gewesen. Bereits in seinen Entscheidungen zu 16 Ok 4/09 und 16 Ok 2/15b habe der Oberste Gerichtshof – trotz des allgemeinen Rechtssatzes, wonach es auf den Umsatz im letzten Jahr des Zuwiderhandelns ankomme – im Ergebnis auf das der erstinstanzlichen Entscheidung vorausgegangene Geschäftsjahr abgestellt. Der Umsatz des letzten Jahres der Zuwiderhandlung spiele nach Ansicht der Rekurswerberin nur für die Bemessung der Höhe der Geldbuße nach § 30 KartG eine Rolle, nicht hingegen für die Höchstgrenze nach § 29 KartG.
[34] 2.2.3. Dass sich die höchstgerichtliche Rechtsprechung, wonach es auf den Gesamtumsatz im letzten Jahr des Zuwiderhandelns ankomme, nur auf die Bemessung der Geldbuße nach § 30 KartG und nicht auf die Höchstgrenze des § 29 Abs 1 Z 1 KartG beziehe, überzeugt schon deshalb nicht, weil nur die letztgenannte Bestimmung überhaupt auf den Umsatz des zuwiderhandelnden Unternehmers abstellt. Der Antragsgegnerin ist allerdings zuzugestehen, dass der Oberste Gerichtshof in den beiden im Rekurs genannten Entscheidungen (16 Ok 4/09 und 16 Ok 2/15b) für die Höchstgrenze der Geldbuße im Ergebnis offenbar auf den Umsatz in dem der erstinstanzlichen Entscheidung vorangegangenen Geschäftsjahr abstellte (diesbezüglich nicht ganz klar 16 Ok 4/09; deutlicher hingegen 16 Ok 2/15b). Dies entspricht eher dem Wortlaut des § 29 Abs 1 Z 1 KartG („vorausgegangenes Geschäftsjahr“). Das Argument der Antragsgegnerin, die Rechtsprechung, wonach es auf das „letzte Jahr des Zuwiderhandelns“ ankomme, stehe dazu in einem gewissen Widerspruch (so etwa auch Koprivnikar/ Mertel in Egger/Harsdorf-Borsch, Kartellrecht § 29 KartG Rz 45), ist nicht von der Hand zu weisen.
[35] 2.2.4. Im vorliegenden Fall muss darauf aber nicht weiter eingegangen werden. Aus dem festgestellten Sachverhalt ergibt sich nämlich, dass die Antragsgegnerin – worauf sie auch in ihrem Rekurs hinweist – ihre Geschäftstätigkeit ab 2022 eingestellt hat und seitdem keine Umsätze mehr erzielt. Ein vergleichbarer Fall, in dem ein gegen das Kartellverbot verstoßendes Unternehmen seine Geschäftstätigkeit vor Verhängung der Geldbuße eingestellt hatte, war vom EuGH zu C‑76/06 P (7. 6. 2007, Britannia Alloys) zu beurteilen. Dort hatte die Kommission mit Entscheidung vom 11. 12. 2001 eine Geldbuße wegen Kartellverstößen im Zeitraum März 1994 bis März 1997 verhängt. Für die Höchstgrenze der Geldbuße ging sie vom Umsatz in dem am 30. 6. 1996 beendeten Geschäftsjahr aus, weil es sich dabei um das letzte vollständige Geschäftsjahr handelte, in dem das Unternehmen eine normale Geschäftstätigkeit ausgeübt hatte. Der EuGH (aaO Rn 25 f) legte dar, dass für die Obergrenze der Geldbuße jener Umsatz heranzuziehen sei, der die tatsächliche wirtschaftliche Situation des Unternehmens in dem Zeitraum widerspiegle, in dem die Zuwiderhandlung begangen wurde. Die Berechnung der Obergrenze der Geldbuße setzte nicht nur voraus, dass Umsatzzahlen für das letzte Geschäftsjahr vor der Entscheidung vorlägen, sondern auch, dass diese Zahlen einem abgeschlossenen Jahr normaler wirtschaftlicher Tätigkeit entsprächen, das sich über einen Zeitraum von zwölf Monaten erstreckt habe. In bestimmten Situationen könne der Umsatz des letzten Geschäftsjahres vor Erlass der Entscheidung (über die Geldbuße) kein geeigneter Anhaltspunkt für die tatsächliche wirtschaftliche Situation des betroffenen Unternehmens und für die angemessene Höhe der zu verhängenden Geldbuße sein (aaO Rn 29). Da das im konkreten Fall betroffene Unternehmen im letzten Geschäftsjahr vor der Entscheidung der Kommission über die Geldbuße keinen Umsatz mehr erzielte, durfte ein anderes Geschäftsjahr herangezogen werden, um dessen finanzielle Mittel richtig bewerten zu können und sicherzustellen, dass die Geldbuße eine ausreichend abschreckende Wirkung entfalte (aaO Rn 30).
[36] 2.2.5. Unter Zugrundelegung dieser Erwägungen bedarf es keiner Korrektur, dass das Kartellgericht für die Ermittlung der Obergrenze der Geldbuße nach § 29 Abs 1 Z 1 KartG auf den Umsatz der Antragsgegnerin im Geschäftsjahr 2020/2021 abstellte, weil dies das letzte Geschäftsjahr war, in dem diese zur Gänze (also volle zwölf Monate lang) eine normale Geschäftstätigkeit ausübte.
[37] 2.2.6. Die dem im Rekurs entgegengehaltenen Argumente überzeugen nicht:
[38] Soweit die Antragsgegnerin darauf hinweist, dass das wettbewerbswidrig handelnde Unternehmen in dem vom EuGH zu C‑76/06 P (Britannia Alloys) entschiedenen Fall im letzten Jahr vor der Entscheidung (der Kommission) über die Geldbuße gar keinen Umsatz mehr erzielt, die Antragsgegnerin im letzten Geschäftsjahr vor Entscheidung des Erstgerichts hingegen noch einen (wenngleich geringen) Umsatz erwirtschaftet habe, ist sie darauf hinzuweisen, dass hier wie dort ein Fall zu beurteilen ist (war), in dem sich die wirtschaftliche Situation des betroffenen Unternehmens zwischen dem Zeitpunkt der (letzten) Zuwiderhandlung und der erstinstanzlichen Entscheidung über die Geldbuße wesentlich geändert hat. Der EuGH ging davon aus, dass in diesem Fall für die Bemessung der Höchstgrenze der Geldbuße auf den Umsatz jenes Geschäftsjahres abgestellt werden könne, in dem das wettbewerbswidrig handelnde Unternehmen (letztmalig) eine sich über volle zwölf Monate erstreckende normale wirtschaftliche Tätigkeit ausgeübt hat (aaO insb Rn 26). Dass nur bei einem gänzlich fehlenden Umsatz im letzten Geschäftsjahr vor (erstinstanzlicher) Entscheidung über die Geldbuße auf ein anderes – nämlich das letzte normale – Geschäftsjahr Bezug genommen werden dürfe, ergibt sich aus den Erwägungen des EuGH gerade nicht.
[39] Daraus, dass das Geldbußensystem des Gemeinschaftsrechts nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs mit jenem des nationalen Rechts nicht deckungsgleich sei und die Leitlinien der Kommission für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen gemäß Artikel 23 Abs 2 lit a der VO (EG) Nr 1/2003 deshalb im Verfahren über eine vom Kartellgericht nach nationalem Recht zu verhängende Geldbuße nur in jenem Umfang sinngemäß anzuwenden seien, in dem die entsprechenden Normen und die ihnen zugrunde liegenden Wertungen vergleichbar sind (RS0122747), ist für die Rekurswerberin nichts zu gewinnen. Einerseits diente Art 23 der VO (EG) Nr 1/2003 des Rates vom 16. Dezember 2002 zur Durchführung der in den Artikeln 81 und 82 des Vertrags niedergelegten Wettbewerbsregeln als Vorbild für § 29 KartG (Koprivnikar/ Mertel in Egger/Harsdorf‑Borsch, Kartellrecht § 29 KartG 2005 [2022] Rz 44 f). Andererseits erachtet es der Oberste Gerichtshof als unbedenklich, dass sich das Kartellgericht an der europäischen Entscheidungspraxis zum Geldbußenrecht orientiert, sofern das eigenständige inländische Sanktionensystem nicht missachtet und eigene Überlegungen vernachlässigt werden und die entsprechenden Normen und die ihnen zugrundeliegenden Wertungen vergleichbar sind (RS0122747; vgl auch Koprivnikar/Mertel aaO Rz 2).
[40] Die Frage, auf welches Geschäftsjahr für die Bemessung der Geldbußenhöchstgrenze abzustellen ist, wenn in jenem Geschäftsjahr, das dafür an sich heranzuziehen wäre, kein (durchgehender) normaler Geschäftsbetrieb erfolgte, stellt sich gleichermaßen im Unionsrecht wie im nationalen Recht (unabhängig davon, dass die in § 29 KartG vorgesehene Höchstgrenze anders als jene des Unionsrechts [vgl Koprivnikar/Mertel aaO Rz 48] nicht als „Kappungsgrenze“, sondern als Strafrahmen verstanden wird; vgl RS0130389). Nach der Entscheidung des EuGH in der Rechtssache Britannia Alloys sichere nur eine Begrenzung der Geldbuße anhand des Umsatzes des letzten Geschäftsjahres mit einer sich über einen Zeitraum von zwölf Monaten erstreckenden normalen wirtschaftlichen Tätigkeit eine ausreichende abschreckende Wirkung (aaO Rn 30). Dies gilt aber gleichermaßen für die Verhängung einer Geldbuße nach § 29 Abs 1 Z 1 lit a KartG. Es ist daher auch bei Anwendung dieser Bestimmung geboten, für die Bemessung der Höchstgrenze der Geldbuße auf das letzte normale Geschäftsjahr des gegen das Kartellverbot verstoßenden Unternehmers abzustellen. Das Geschäftsjahr 2021/2022, in dem die Antragsgegnerin ihre Geschäftstätigkeit bereits nach zwei Monaten einstellte, war zweifellos kein solches normales Geschäftsjahr. Es begegnet daher keinen Bedenken, dass das Erstgericht auf das vorangegangene Geschäftsjahr (2020/2021) abstellte.
2.3. Zur konkreten Bemessung der Geldbuße:
[41] 2.3.1. Für die Bemessung der Höhe der Geldbuße sind unter anderem die Art des Verstoßes und der Grad des Verschuldens maßgebliche Faktoren (RS0122743 [T1]). Es ist auch auf die durch die Rechtsverletzung erzielte Bereicherung und die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des dem Kartellverbot Zuwiderhandelnden Bedacht zu nehmen; ebenso auf seine Mitwirkung an der Aufklärung der Rechtsverletzung. Erschwerungs- und Milderungsgründe sind zu berücksichtigen (16 Ok 2/22p mwN). Dass die Entscheidung 16 Ok 2/15b, in der nur eine Geldbuße in Höhe von 3,5 % der gesetzlichen Obergrenze verhängt wurde, nicht verallgemeinerungsfähig ist, wurde bereits zu 16 Ok 2/22p hervorgehoben. Eine Kartellstrafe kann nur abschreckend wirken, wenn ihre Höhe und Wahrscheinlichkeit den zu erwartenden Kartellgewinn übersteigt.
[42] 2.3.2. Das Kartellgericht hat seiner Entscheidung die Bemessungskriterien des § 30 KartG zugrunde gelegt und nachvollziehbar dargelegt sowie sorgfältig begründet, aufgrund welcher Umstände es die Geldbuße in der konkreten Höhe festlegte. Dass es den ihm dabei zukommenden Ermessensspielraum in korrekturbedürftiger Weise überschritten hätte, zeigt das Rechtsmittel nicht auf.
[43] 2.3.3. Dass die Wettbewerbsverstöße der Antragsgegnerin nur „sehr kleine“ Umsätze betroffen hätten, vermag schon deshalb keine korrekturbedürftige Entscheidung des Kartellgerichts zu begründen, weil die tatsächlich verhängte Geldbuße nur rund ein Drittel des durch die Submissionsabsprachen erwirtschafteten Umsatzes ausmachte. Auch unter Berücksichtigung des Umstands, dass die Antragsgegnerin – wie sie auch in ihrem Rechtsmittel argumentiert – vor den hier zu beurteilenden Kartellverstößen keine ähnlichen Abstimmungshandlungen gesetzt habe, erscheint die Geldbuße (auch im Hinblick auf ihre Abschreckungsfunktion und die führende Stellung der Antragsgegnerin als „Anstifterin“ der Submissionskartelle) angemessen. Von einem bloß „formalen“ Verstoß gegen § 1 KartG kann ebenso wenig die Rede sein wie von einem bloß geringen Verschulden der vorsätzlich handelnden Antragsgegnerin. Sie trug entgegen ihrer Darstellung auch nicht wesentlich zur Aufklärung der Rechtsverletzung bei und stellte ihr wettbewerbswidriges Verhalten erst ein, nachdem bei ihr eine Hausdurchsuchung durchgeführt worden war. Auch die Dauer der Verstöße und die Anzahl der Absprachen war keinesfalls unerheblich. Ein Schaden der Auftraggeber kann nicht ausgeschlossen werden, auch wenn die für diese handelnden Personen einen solchen allenfalls in Kauf genommen hätten. Soweit die Rekurswerberin auch im Zusammenhang mit der Bemessung der Geldbuße auf dem Standpunkt steht, es habe kein „ernstgemeinter“ Wettbewerb bestanden, ist sie auf die Ausführungen zu Punkt 1 zu verweisen. Dass die Antragsgegnerin ab 2022 keine Umsätze mehr erzielte, wurde bei der Bemessung der Geldbuße nach § 30 KartG berücksichtigt.
[44] 3. Zusammengefasst ist dem Rekurs somit nicht Folge zu geben.
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