Spruch:
Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.
Der angefochtene Beschluss wird mit der Maßgabe bestätigt, dass der Antrag, der Antragsgegnerin gemäß § 16 Z 1 KartG nachträgliche Maßnahmen aufzutragen, um die durch die Entstehung bzw Verstärkung der marktbeherrschenden Stellung von H***** entstehenden Wirkungen des Zusammenschlusses abzuschwächen oder zu beseitigen, abgewiesen wird.
Text
Begründung
Am 3. 8. 2011 meldete die Antragsgegnerin bei der Wettbewerbsbehörde den Erwerb aller Anteile an der S***** Gesellschaft mbH an. Die Amtsparteien haben keinen Prüfungsantrag gestellt. Das Durchführungsverbot ist mit Wirkung vom 1. 9. 2011 weggefallen.
Die Antragstellerin beantragte am 28. 10. 2011, der Antragsgegnerin gemäß § 16 Z 1 KartG nachträgliche Maßnahmen aufzutragen, um die durch die Entstehung bzw Verstärkung der marktbeherrschenden Stellung entstandenen negativen Wirkungen des Zusammenschlusses abzuschwächen oder zu beseitigen; es werde angeregt, der Antragsgegnerin aufzutragen, Filialen in „kritischen Bezirken“, insbesondere auch im Bezirk Klagenfurt, zu verkaufen.
Der Antragstellerin drohten durch den Zusammenschluss schwere wirtschaftliche Nachteile. Sie ginge aufgrund des ihr vorliegenden Datenmaterials davon aus, dass die Genehmigung des Zusammenschlusses offensichtlich auf unrichtigen oder zumindest unvollständigen Marktzahlen beruhe. Am 17. 8. 2011 habe sie bei der Bundeswettbewerbsbehörde eine Stellungnahme abgegeben, wonach der Marktanteil der Antragsgegnerin nach dem Zusammenschluss österreichweit bei rund 34,5 % liege. In einzelnen Regionen habe die Antragsgegnerin sogar einen Marktanteil von nahezu 50 %. Am 5. 9. 2011 habe sie deshalb der Bundeswettbewerbsbehörde mitgeteilt, dass die Annahme eines Marktanteils der Antragsgegnerin in Kärnten nach dem Zusammenschluss von unter 20 % nicht der Realität entsprechen könne. Die Genehmigung des Zusammenschlusses sei offensichtlich auf Basis der Angaben der Antragsgegnerin zum österreichischen Gesamtmarkt erfolgt. Es müsse davon ausgegangen werden, dass die Anmeldung unvollständig gewesen sei. Die von der Antragstellerin übermittelten Daten seien bei der Prüfung nicht berücksichtigt worden. Der Zusammenschluss hätte nicht ohne Auflagen freigegeben werden dürfen. Über Auftrag des Erstgerichts gab die Antragstellerin in einem weiterem Schriftsatz bekannt, dass sie keine eigene Wahrnehmung über die von der Antragsgegnerin bei der Bundeswettbewerbsbehörde vorgelegten Unterlagen habe und auf deren Unrichtigkeit nur schließen könne.
Die Antragsgegnerin beantragt die Zurückweisung, hilfsweise die Abweisung des Antrags. Das Vorbringen sei unschlüssig, auch fehle der Antragstellerin die Antragsbefugnis und sie habe kein rechtliches oder wirtschaftliches Interesse. Eine Antragsbefugnis Privater im Zusammenhang mit § 16 Z 1 KartG in der österreichischen Zusammenschlusskontrolle sei systemwidrig und auch aus praktischen Erwägungen abzulehnen. Die unmittelbaren Interessen einzelner Mitbewerber seien nicht durch eine Fusionskontrolle, sondern im Wege der Missbrauchskontrolle geschützt. Die Zusammenschlusskontrolle sehe die Kontrolle von Änderungen der Marktstruktur ausschließlich durch dem allgemeinen Interesse verpflichtete Institutionen vor. Dieses Konzept würde unterlaufen, wären auch Private antragslegitimiert nach § 16 Z 1 KartG, und es könnten diesfalls vertrauliche Daten im Zusammenschlussverfahren nicht geschützt werden. Im Verfahren vor der Bundeswettbewerbsbehörde und vor dem Kartellgericht sei die Akteneinsicht Dritter ausgeschlossen. Das Vorbringen sei unschlüssig, weil der Antrag keine unrichtigen oder unvollständigen Angaben behaupte, sondern sich in Spekulationen erschöpfe.
Der Bundeskartellanwalt bestritt die Antragslegitimation der Antragstellerin. Bei teleologisch‑systematischer Auslegung sei im Gegensatz zu § 16 Z 2 KartG die Antragslegitimation auf die Amtsparteien zu beschränken. Im Übrigen sei der Zusammenschluss im Rahmen des gesetzlichen Auftrags ausreichend geprüft worden. Die Zusammenschlusswerberin habe nicht zuletzt infolge der Äußerung der Antragstellerin mehrfach umfangreiche Ergänzungen ihrer Anmeldung vorgelegt. Eine Prüfung sei nicht nur auf bundesweiter, sondern auch auf lokaler Ebene bis hin zur Aufstellung aller Schuhhändler am Sitz der Antragstellerin erfolgt. Dem Zusammenschluss sei von den Amtsparteien weit überdurchschnittliche Aufmerksamkeit gewidmet worden.
Die Bundeswettbewerbsbehörde beteiligte sich nicht am Verfahren.
Das Kartellgericht wies den Antrag mangels Antragsbefugnis der Antragstellerin zurück. § 36 Abs 2 KartG beschränke die Berechtigung zum Antrag auf Prüfung eines Zusammenschlusses auf die Amtsparteien, um der Gefahr von Verzögerungen im Interesse der Wirtschaft entgegenzuwirken. Der Zweck der Zusammenschlusskontrolle liege darin, präventiv das allgemeine Interesse an der Aufrechterhaltung einer Marktstruktur, die einen funktionierenden Wettbewerb verspreche, zu fördern. Die Interessen der Mitbewerber würden hingegen durch die Aufsicht über marktbeherrschende Unternehmer geschützt. § 36 Abs 2 KartG enthalte nach seinem Wortlaut keine Beschränkung der Antragsbefugnis für nachträgliche Maßnahme nach § 16 KartG. Die Antragsbefugnis von Mitbewerbern führe jedoch zu Problemen für den Fall des § 16 Z 1 KartG. Die Anmeldung liege nur den Amtsparteien vor, die alleine prüfen könnten, ob sie unrichtig oder unvollständig sei. Die Antragstellerin besitze hingegen keine Parteistellung im Zusammenschlussverfahren und keine Einsicht in dessen Akten. Sie sei daher nicht in der Lage, den notwendigen Vergleich durchzuführen und argumentiere auch nur mit Vermutungen und Verdächtigungen. So sei es der Antragstellerin trotz Verbesserungsauftrags nicht möglich gewesen, konkretes tatbestandsmäßiges Vorbringen zu erstatten. Eine Antragsbefugnis der Mitbewerber nach § 16 Z 1 KartG laufe auf eine Zusammenschlusskontrolle durch Mitbewerber „durch die Hintertür“ hinaus. Eine teleologisch‑systematische Auslegung müsse daher dazu führen, die Antragsbefugnis nach § 16 Z 1 KartG auf die Amtsparteien zu beschränken. Eine Klarstellung in diesem Sinn enthalte auch der Entwurf für eine KartG-Novelle 2012.
Gegen diese Entscheidung richtet sich der Rekurs der Antragstellerin, die eine Aufhebung des Beschlusses anstrebt.
Die Rechtsmittelwerberin macht geltend, die einschränkende Auslegung des Kartellgerichts gehe unzulässig über den Wortsinn des § 36 Abs 4 KartG hinaus. Selbst wenn die Antragsbefugnis von Wettbewerbern auf prozessuale Schwierigkeiten stoßen sollte, sei es nicht Aufgabe der Gerichte, eine geplante Gesetzesänderung durch eine dem Wortsinn der Bestimmung widersprechende Auslegung vorweg zu nehmen. Beabsichtigte Änderungen zeigten nur auf, dass der Gesetzgeber einen Anpassungsbedarf sehe. Gewichtige Stimmen im Schrifttum sprächen für eine individuelle Antragslegitimation betroffener Unternehmer. Auch die Materialien zur Vorgängerbestimmung des § 42b Abs 6 KartG 1988 idF der RV zur KartGNov 2002 hielten eine individuelle Antragsberechtigung für sachgerecht und zeigten, dass eine individuelle Antragslegitimation nicht nur dem Wortlaut der Bestimmung entspreche, sondern vom Gesetzgeber geradezu beabsichtigt gewesen sei. Es handle sich um keinen gesetzlichen „Unfall“, der teleologisch „beiseite geschoben“ werden könne. Die Antragstellerin habe nach ihren Möglichkeiten ein Vorbringen dazu erstattet, weshalb ihrer Ansicht nach die Prüfung und Nichtuntersagung des Zusammenschlusses nur aufgrund falscher und unvollständiger Angaben der Anmelderin erfolgt sein könne und habe auch angeregt, die Akten der Bundeswettbewerbsbehörde und des Bundeskartellanwalts beizuschaffen; sie habe somit konkretes Vorbringen erstattet und Beweise angeboten.
Die Antragsgegnerin und der Bundeskartellanwalt beantragten, dem Rekurs nicht Folge zu geben.
Der Rekurs ist nicht berechtigt.
I. Zur Antragslegitimation
Rechtliche Beurteilung
1. Das Kartellgesetz regelt Zusammenschlüsse in seinem dritten Abschnitt; dieser enthält auch die hier auszulegenden Bestimmungen über nachträgliche Maßnahmen.
Gemäß § 16 KartG kann das Kartellgericht nach der zulässigen Durchführung eines anmeldebedürftigen Zusammenschlusses den am Zusammenschluss beteiligten Unternehmen unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit nachträglich Maßnahmen auftragen, durch die die Wirkung eines Zusammenschlusses abgeschwächt oder beseitigt werden, wenn die Nichtuntersagung des Zusammenschlusses bzw der Verzicht auf einen Prüfungsantrag, die Unterlassung eines Prüfungsantrags oder die Zurückziehung eines Prüfungsantrags auf unrichtigen oder unvollständigen Angaben beruhen, die von einem beteiligten Unternehmen zu vertreten sind (Z 1), oder einer mit der Nichtuntersagung verbundenen Auflage zuwidergehandelt wird (Z 2).
Eine ausdrückliche Regelung der Antragsberechtigung enthält § 16 KartG ‑ anders als § 11 KartG iVm § 36 Abs 2 KartG iVm § 36 Abs 2 KartG, der die Amtsparteien im Zusammenschlussverfahren zu einem Prüfungsantrag legitimiert ‑ nicht.
2. Das Antragsprinzip im österreichischen Kartellrecht ist in § 36 KartG geregelt. Nach dessen Abs 2 sind zum Antrag auf Prüfung von Zusammenschlüssen (sowie zum Antrag auf Verhängung von Geldbußen und Zwangsgeldern) nur die Bundeswettbewerbsbehörde und der Bundeskartellanwalt berechtigt.
§ 36 Abs 4 Z 4 KartG bestimmt, dass „in allen anderen Fällen“ auch jeder Unternehmer, der ein rechtliches oder wirtschaftliches Interesse an der Entscheidung hat, zum Antrag berechtigt ist.
Nach dem klaren Gesetzeswortlaut ist die Antragslegitimation somit nur hinsichtlich des Antrags auf Prüfung von Zusammenschlüssen und auf Verhängung von Geldbußen und Zwangsgeldern auf die Amtsparteien beschränkt, nicht hingegen in allen anderen Fällen (etwa von Anträgen nach § 16 KartG).
3. § 36 Abs 2 KartG enthält daher eine Ausnahmeregelung, die die allgemeine Bestimmung über die Antragslegitimation einschränkt. Ausnahmebestimmungen sind nach der Rechtsprechung im Allgemeinen nicht ausdehnend auszulegen (RIS‑Justiz RS0008903; vgl auch RS0111009; RS0069264; RS00047300 [T16]; RS0044503 [T10]).
Auch nach der Lehre darf eine Ausnahmebestimmung, die ein allgemeines Rechtsprinzip durchbricht, nicht ausdehnend interpretiert werden (Posch in Schwimann/Kodek, ABGB4 I § 6 Rz 30; Egger in Schwimann, ABGB TaKomm § 6 Rz 11). Systematische Argumente sprechen demnach gegen die Auffassung des Erstgerichts.
4. Diesen Befund bestärkt ein Blick auf die Rechtslage vor dem KartG 2005. § 42b Abs 7 KartG 1988 (die Vorgängerbestimmung zu § 16 KartG 2005) sah eine Antragsberechtigung der in § 42a Abs 5 KartG 1988 angeführten Stellen und Personen vor; darunter fiel ‑ neben den damaligen Amtsparteien ‑ unter anderem auch jeder Unternehmer, dessen rechtliche oder wirtschaftliche Interessen durch den Zusammenschluss berührt wurden. Hingegen konnte auch nach der früheren Rechtslage der Antrag auf Prüfung eines Zusammenschlusses nur von den damaligen Amtsparteien des § 42b Abs 1 KartG 1988 gestellt werden.
Die Erläuternden Bemerkungen zu dieser Bestimmung verweisen darauf, dass ebenso wie mit Beziehung auf die verbotene Durchführung eines Zusammenschlusses gemäß § 42a Abs 5 KartG 1988 auch bei Erschleichung der Nichtuntersagung bzw des Unterbleibens der Prüfung durch unvollständige oder unrichtige Angaben oder die Zuwiderhandlung gegen Auflagen eine individuelle Antragsbefugnis sachgerecht sei (vgl Auer/Urlesberger, Kartellrecht5 59).
5. Auch im Schrifttum wird grundsätzlich davon ausgegangen, dass alle nach § 36 KartG legitimierten Anträge über nachträgliche Maßnahmen nach § 16 KartG stellen können (Lukaschek in Petsche/Urlesberger/Vartian, KartG § 16 Rz 2; Mair in Petsche/Urlesberger/Vartian, KartG § 36 Rz 33; Hoffer, Kartellgesetz, 198; Solé, Das Verfahren vor dem Kartellgericht Rz 127, 364).
6. Parteien des Zusammenschlussverfahrens sind unstrittig nur die antragstellenden Unternehmen und die Amtsparteien. Behauptungen von unrichtigen oder unvollständigen Angaben im Zusammenhang mit einer Zusammenschlussanmeldung können daher wohl in aller Regel von Verfahrensfremden, insbesondere Mitbewerbern, nicht gemacht werden. Es mag dieser praktischen Erfahrung entsprechen, dass die Regierungsvorlage einer KartG‑Novelle 2012 die Antragslegitimation für nachträgliche Maßnahmen nach § 16 KartG nur für die Amtsparteien vorsieht.
Aus diesem Gesetzesvorhaben kann aber nach Auffassung des Senats noch nicht der Schluss gezogen werden, es sei ausgeschlossen, dass von den Zusammenschlusswerbern unabhängige Unternehmen ‑ aus welchen Gründen immer ‑ Kenntnis vom Inhalt einer Zusammenschlussanmeldung erhalten und damit in die Lage versetzt werden können, schlüssige Behauptungen über unrichtige und unvollständige Angaben in Zusammenschlussanmeldungen aufzustellen.
7. Es besteht daher de lege lata kein Grund, Unternehmer iSd § 36 Abs 4 Z 4 KartG von der Antragsbefugnis für Maßnahmen nach § 16 Z 1 KartG auszuschließen.
8. Für die Antragstellerin ist damit aber im Ergebnis nichts gewonnen.
II. Zu den Inhaltserfordernissen eines Antrags nach § 16 KartG.
9. Das KartG enthält keine Bestimmungen über allgemeine Inhaltserfordernisse von Anträgen. In diesem Punkt ist daher auf das gemäß § 38 KartG anwendbare Außerstreitgesetz zurückzugreifen.
§ 9 AußStrG ordnet an, dass ein Antrag zwar kein bestimmtes Begehren enthalten, jedoch hinreichend erkennen lassen muss, welche Entscheidung oder sonstige gerichtliche Tätigkeit aufgrund welchen Sachverhalts angestrebt wird. Um Schlüssigkeit des Vorbringens herzustellen, muss zumindest ein gewisses Vorbringen zu den Elementen des geltend gemachten Tatbestands erstattet werden (Solé, Das Verfahren vor dem Kartellgericht Rz 128; Mair in Petsche/Urlesberger/Vartian, KartG, § 36 Rz 10 ff).
10. In einem Antrag nach dem Kartellgesetz müssen Behauptungen zu den Elementen des geltend gemachten Tatbestands aufgestellt werden (vgl RIS‑Justiz RS0123676 [T2]). In einem auf § 16 Z 1 KartG gestützten Antrag muss der Antragsteller daher konkretes Vorbringen unter anderem dazu erstatten, dass die Nichtuntersagung des Zusammenschlusses bzw der Verzicht auf einen Prüfungsantrag bzw dessen Zurückziehung auf unrichtigen oder unvollständigen Angaben beruhe. Bloße Vermutungen in diese Richtung erfüllen die inhaltlichen Erfordernisse an einen schlüssigen Antrag nicht.
11. Entgegen der offenbar vertretenen Auffassung der Antragstellerin hat das Kartellgericht bloßen Vermutungen im Rahmen eines nach dem Untersuchungsgrundsatz abzuführenden Verfahrens nicht nachzugehen, setzt doch die Durchführung eines Verfahrens Schlüssigkeit des Antrags (allenfalls nach Erteilung eines Verbesserungsauftrags) voraus.
12. Im Anlassfall war es der Antragstellerin ‑ wie sie selbst zugesteht ‑ nicht möglich, schlüssiges Vorbringen im aufgezeigten Sinn zu erstatten. Diesem inhaltlichen Mangel konnte damit auch nicht durch einen entsprechenden Verbesserungsauftrag abgeholfen werden. Das Kartellgericht hat deshalb zu Recht von der Durchführung eines Beweisverfahrens über den unschlüssigen Antrag Abstand genommen.
13. Dem Rekurs ist deshalb ein Erfolg zu versagen.
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