OGH 15Os89/94

OGH15Os89/948.9.1994

Der Oberste Gerichtshof hat am 8.September 1994 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Reisenleitner als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Kuch, Mag.Strieder, Dr.Rouschal und Dr.Schmucker als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag.Kriz als Schriftführer, in der Strafsache gegen Robert K***** wegen des Verbrechens nach § 12 Abs 1 vierter Fall SGG und einer anderen strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 9.Februar 1994, GZ 6 b Vr 10.057/93-26, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.

Gemäß § 390 a StPO fallen dem Angeklagten auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Rechtliche Beurteilung

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Robert K***** (1.) des Verbrechens nach § 12 Abs 1 vierter Fall SGG und (2.) des Vergehens nach § 16 Abs 1 vierter und fünfter Fall SGG schuldig erkannt, weil er in Wien den bestehenden Vorschriften zuwider Suchtgift, nämlich Heroin, (zu 1.) in einer großen Menge in Verkehr gesetzt hat, indem er im Sommer 1992 dem gesondert verfolgten Reinhard B***** insgesamt 10 Gramm verkaufte, und (zu 2.) in der Zeit von August 1990 bis (zu seiner Festnahme am) 18.Juli 1993 (zu ergänzen: außer den Fällen der §§ 12 und 14 a SGG) wiederholt erworben und besessen hat.

Aus Punkt 2. des Rechtsmittelantrages des Beschwerdeführers (S 163) in Verbindung mit den Beschwerdeausführungen (S 160 ff) ist ersichtlich, daß sich seine auf § 281 Abs 1 Z 3 und Z 5 a StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde lediglich gegen den Schuldspruch wegen des Verbrechens nach § 12 Abs 1 vierter Fall SGG richtet und der Schuldspruch wegen des Vergehens nach § 16 Abs 1 vierter und fünfter Fall SGG unangefochten gelassen wird.

Der Nichtigkeitsbeschwerde kommt kein Erfolg zu.

Als Verfahrensmangel (Z 3) sieht der Beschwerdeführer die Verlesung und Verwertung der Aussagen des Zeugen B*****.

Nach der Aktenlage zeigte Reinhard B***** am 18.Juli 1993 bei der Sicherheitsbehörde an, er habe zunächst von einem unbekannten Mann um 1.000 S ein Gramm Heroin gekauft, das ihm dieser in der Folge unter Ansetzen eines Messers an den Hals wieder abgenommen habe (S 31). In einer niederschriftlichen Vernehmung vom selben Tag modifizierte er seine Angaben dahin, daß er das Suchtgift von einem ihm nicht näher bekannten Mann gekauft habe (S 35) und ihm dieses sodann von einem anderen, nämlich dem anhand eines Lichtbildes agnoszierten Angeklagten, auf die beschriebene Weise abgenommen worden sei; von letzterem habe er vor etwa einem Jahr über einen Zeitraum von ca 6 Wochen ca 10 Gramm Heroin erstanden (S 37). Über Antrag der Staatsanwaltschaft leitete der Untersuchungsrichter des Landesgerichtes für Strafsachen Wien am 20.Juli 1993 gegen den Angeklagten Robert K***** die Voruntersuchung wegen §§ 142 f StGB und § 12 SGG unter Bedachtnahme auf § 16 Abs 1 SGG ein, schied unter einem das Verfahren gegen Reinhard B***** wegen § 16 SGG mangels Konnexität - die Konnexitätsbestimmung des § 56 Abs 1 letzter Satz StPO nF (enger sachlicher Zusammenhang strafbarer Handlungen mehrerer Personen) wurde erst durch das Strafprozeßänderungsgesetz 1993 BGBl 526, mit Wirkung vom 1.Jänner 1994 eingeführt - gemäß § 57 StPO zum AZ 26 e Vr 9823/93 aus (S 3); dieses Verfahren wurde am 4.August 1993 an das Strafbezirksgericht Wien zum AZ 18 U 759/93 abgetreten, B***** wurde dort mit Urteil vom 14.September 1993 wegen des Vergehens nach § 16 Abs 1 SGG verurteilt.

Der Angeklagte K***** bestritt von Anfang an (S 59 f, 77, 123 ff und 135) das ihm lediglich aufgrund der Angaben des Anzeigers und Zeugen B***** angelastete Inverkehrsetzen von 10 Gramm Heroin. In der Hauptverhandlung vom 9.Februar 1994 verweigerte der als Zeuge vorgeführte B***** nach Vorhalt des § 152 Abs 1 Z 1 StPO die Aussage, worauf der Vorsitzende dessen Aussage vor der Polizei (S 35; ersichtlich auch: S 37) und vor dem Untersuchungsrichter (S 95 ff) "gemäß § 252 Abs 1 Z 3 zweiter Fall StPO" (so US 5) verlas, ohne daß der Angeklagte oder sein Verteidiger irgendeine Erklärung vor oder während der Verlesung abgegeben hätten (S 136); das Schöffengericht beurteilte die Aussage des Zeugen im Rahmen der Beweiswürdigung als "glaubwürdig und nachvollziehbar" und gründete den angefochtenen Schuldspruch im wesentlichen darauf (abermals US 5).

Zu Unrecht behauptet der Beschwerdeführer eine Verletzung des Umgehungsverbotes des § 252 Abs 4 StPO. Der Gesetzgeber des Strafprozeßänderungsgesetzes 1993, BGBl 526, fand im Zuge seiner umfangreichen Neuregelung in bezug auf die Zulässigkeit von Verlesungen keinen Anlaß zu einer Änderung der Bestimmung des § 252 Abs 1 Z 4 StPO, wonach die Verlesung von gerichtlichen und sonstigen amtlichen Protokollen über die Vernehmung von Mitbeschuldigten und Zeugen, anderer amtlicher Schriftstücke, in denen Aussagen von Zeugen oder Mitbeschuldigten festgehalten worden sind, von Gutachten von Sachverständigen sowie technischen Aufzeichnungen über die Vernehmung von Zeugen zulässig ist, wenn über die Vorlesung Ankläger und Angeklagter einverstanden sind. Es ist demnach davon auszugehen, daß in einem solchen - von der Frage der Berechtigung zur Aussageverweigerung unabhängigen - Fall einer Verlesungszulässigkeit infolge Parteienerklärung die bisherige Rechtsprechung über die Möglichkeit auch einer stillschweigenden Zustimmung zur Verlesung (Mayerhofer/Rieder StPO3 § 252 E 50 ff) nach wie vor uneingeschränkt aufrecht erhalten werden kann (so jüngst auch 14 Os 82/94 und 11 Os 78/94). Im Sinne dieser Judikatur gilt die Unterlassung einer Äußerung zu der in der Hauptverhandlung angekündigten oder begonnenen Verlesung als Zustimmung. Angemerkt sei in diesem Zusammenhang, daß damit - auch schon bisher - keine Widerspruchspflicht im Sinne des § 281 Abs 1 Z 4 StPO statuiert, sondern lediglich eine eindeutige, die Annahme stillschweigender Zustimmung hindernde Prozeßerklärung für erforderlich gehalten wird.

Ist aber nach dem Gesagten die Verlesung wegen der stillschweigenden Zustimmung hiezu zulässig, dann kann von einer Verletzung des Umgehungsverbotes keine Rede sein.

Demnach bedarf es vorliegend keines Eingehens auf die Frage, ob Reinhard B***** die Aussage berechtigt verweigerte.

Auch die Tatsachenrüge (Z 5 a) versagt. Der Beschwerdeführer unternimmt nämlich darin - wie auch in seiner an den Obersten Gerichtshof erstatteten Äußerung - nichts anderes, als nach Art einer unzulässigen Schuldberufung den die Suchtgiftankäufe vom Angeklagten mit Bestimmtheit darstellenden Angaben des Zeugen B***** die Glaubwürdigkeit abzusprechen und die Glaubwürdigkeit seiner eigenen Deponierungen zu behaupten. Dabei übergeht er aber auch alle weiteren plausiblen Erwägungen des Schöffengerichtes (US 5 zweiter Absatz), warum es die leugnende Verantwortung des Beschwerdeführers schon an sich für unglaubwürdig beurteilte. Damit verfehlt er aber eine gesetzeskonforme Ausführung des angerufenen Nichtigkeitsgrundes (Mayerhofer/Rieder StPO3 § 281 Z 5 a E 4).

Aus den angeführten Gründen war die Nichtigkeitsbeschwerde schon bei einer nichtöffentlichen Beratung zurückzuweisen (§ 285 d Abs 1 Z 2 StPO).

Die Kompetenz zur Entscheidung über die Berufung fällt demnach dem Oberlandesgericht Wien zu (§ 285 i StPO).

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