OGH 15Os60/20t

OGH15Os60/20t30.6.2020

Der Oberste Gerichtshof hat am 30. Juni 2020 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Kirchbacher als Vorsitzenden, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl sowie die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel‑Kwapinski, Mag. Fürnkranz und Dr. Mann in der Strafsache gegen Dr. M***** U***** wegen des Verbrechens der geschlechtlichen Nötigung nach § 202 Abs 1 StGB über dessen Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung gegen das Urteil des Landesgerichts Korneuburg als Schöffengericht vom 28. Februar 2020, GZ 631 Hv 11/19t‑15, nach Anhörung der Generalprokuratur gemäß § 62 Abs 1 zweiter Satz OGH‑Geo 2019 den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2020:0150OS00060.20T.0630.000

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

 

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Dr. M***** U***** des Verbrechens der geschlechtlichen Nötigung nach § 202 Abs 1 StGB schuldig erkannt.

Danach hat er am 5. November 2019 in F***** J***** B***** außer den Fällen des § 201 StGB mit Gewalt zur Duldung einer geschlechtlichen Handlung genötigt, indem er sie an den Schultern auf die Couch drückte, sich zwischen ihre Beine legte und seinen erigierten Penis an ihr rieb, während er sie zu küssen versuchte, in weiterer Folge ihr Shirt und ihren BH nach oben schob, ihre nackten Brüste knetete und ihre Brustwarzen in den Mund nahm, während er ihre Hände über ihrem Kopf festhielt, obwohl sie ihm deutlich zu verstehen gab, dass er aufhören soll, wobei er mit seiner Hand ihren Vaginalbereich oberhalb der Kleidung massierte und schließlich von ihr abließ.

Rechtliche Beurteilung

Die dagegen aus § 281 Abs 1 Z 5, 5a, 9 lit a und lit b sowie Z 10a StPO ergriffene Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten verfehlt ihr Ziel.

Voranzustellen ist, dass Bezugspunkt der Mängelrüge (Z 5) nur entscheidende, also für die Schuld- oder Subsumtionsfrage relevante Tatsachenfeststellungen sind (RIS‑Justiz RS0106268, RS0117499).

Der Begründungsmangel der

Unvollständigkeit (Z 5 zweiter Fall) liegt vor, wenn das Gericht bei der für die Feststellung entscheidender Tatsachen angestellten Beweiswürdigung (§ 258 Abs 2 StPO) erhebliche, in der Hauptverhandlung vorgekommene (§ 258 Abs 1 StPO) Verfahrensergebnisse unberücksichtigt ließ (RIS‑Justiz RS0118316).

Widersprüchlich (Z 5 dritter Fall) sind zwei Urteilsaussagen, wenn sie nach den Kriterien der Logik oder der Empirie nicht nebeneinander bestehen können (RIS‑Justiz RS0117402). In diesem Sinn können die Feststellungen über entscheidende Tatsachen in den Entscheidungsgründen (§ 270 Abs 2 Z 5 StPO) und deren Referat im Erkenntnis (§ 260 Abs 1 Z 1 StPO), die Feststellungen über entscheidende Tatsachen in den Urteilsgründen, die zu den getroffenen Feststellungen über entscheidende Tatsachen angestellten Erwägungen sowie die Feststellungen über entscheidende Tatsachen in den Urteilsgründen und die dazu angestellten Erwägungen zueinander im Widerspruch stehen (RIS‑Justiz RS0119089).

Offenbar unzureichend (Z 5 vierter Fall) ist eine Begründung, die den Kriterien folgerichtigen Denkens oder grundlegenden Erfahrungssätzen widerspricht (RIS‑Justiz RS0116732, RS0118317).

Aktenwidrig im Sinn der Z 5 fünfter Fall ist ein Urteil, wenn es den eine entscheidende Tatsache betreffenden Inhalt einer Aussage oder Urkunde in seinen wesentlichen Teilen unrichtig oder

unvollständig wiedergibt (RIS‑Justiz RS0099547).

Die Feststellungen zur objektiven Tatseite (US 5 f) hat das Schöffengericht auf die für glaubhaft erachtete Aussage der Zeugin J***** B***** gestützt (US 7). Dass der Tathergang im Urteil nicht gleichlautend mit den von der Zeugin verwendeten Ausdrücken, sondern in eigenen Worten geschildert wird, stellt – der Beschwerde zuwider – keine Aktenwidrigkeit dar. Diese wird nämlich nur durch die unrichtige Wiedergabe des Inhalts von Beweismitteln begründet, während deren Wertung im Rahmen des § 258 Abs 2 StPO erfolgt (RIS‑Justiz RS0099431).

Mit der Behauptung, die Begründung halte dem Grundsatz „in dubio pro reo“ nicht stand, wird kein Begründungsdefizit aufgezeigt (RIS‑Justiz RS0102162).

Warum die Feststellungen zum Tathergang dadurch offenbar unzureichend begründet seien oder Aktenwidrigkeit vorliegen soll, dass die Zeugin B***** in ihrer Aussage (ON 14 S 26 ff) nicht ausdrücklich angab, sie habe (körperlichen) Widerstand geleistet, macht die Beschwerde nicht klar. Soweit sie aus den Angaben der Zeugin ableitet, dass „mangels Widerstandes keinerlei Gewalt erforderlich gewesen“ (gemeint: angewendet worden) sei, spricht sie keinen Begründungsmangel, sondern – ohne Ableitung aus dem Gesetz, somit in unzulässiger Form – eine Rechtsfrage an und vernachlässigt dabei im Übrigen die Gesamtheit der tatrichterlichen Feststellungen zum Vorgehen des Angeklagten (US 4 f).

Bleibt anzumerken, dass als Mittel zur Willensbeugung jede Art von Gewalt (im Sinn des Einsatzes einer nicht ganz unerheblichen physischen Kraft) zur Überwindung eines wirklichen oder vermuteten Widerstands genügt, wobei keine besondere Intensität der Kraftanwendung nötig ist (RIS‑Justiz RS0095666).

Die vom Beschwerdeführer vermisste Auseinandersetzung (Z 5 zweiter Fall) mit seiner Verantwortung befindet sich auf US 9 f und 11. Dem Gebot zu gedrängter Darstellung der Entscheidungsgründe (§ 270 Abs 2 Z 5 StPO) entsprechend waren die Tatrichter jedoch nicht verhalten, sich im Urteil mit sämtlichen Details der Angaben des Angeklagten auseinanderzusetzen (RIS‑Justiz RS0098377 [T1, T12 und T17], RS0106642 [T5]).

Mit Kritik an der Fragestellung durch den Vorsitzenden in der Hauptverhandlung und der Behauptung, die Angaben der Zeugin B***** seien im Urteil „überschießend dramatisch dargestellt“, wird Nichtigkeit aus Z 5 nicht aufgezeigt.

Dauer und Art der Beziehung des Angeklagten zum Opfer vor der Tat sowie die „Motivation der sexuellen Aktivitäten“ betreffen ebenso wenig entscheidende Tatsachen wie das Verhalten des Opfers unmittelbar nach der Tat und die Kommunikation desselben mit dem Angeklagten über WhatsApp. Die Kritik an den dazu getroffenen Feststellungen geht daher von vornherein ins Leere.

Dass aus der von der Beschwerde mehrfach ins Treffen geführten Verantwortung des Angeklagten für diesen günstigere Schlussfolgerungen möglich gewesen wären, begründet keine Nichtigkeit (RIS‑Justiz RS0098400).

Indem die Beschwerde eine Auseinandersetzung des Schöffengerichts mit dem Zeitpunkt der Anzeigeerstattung durch das Opfer und dem Umgang des Angeklagten mit Sexualität vermisst, wird ein – auf Feststellungen zu entscheidenden Tatsachen bezogener – Begründungsmangel nicht prozessordnungskonform zur Darstellung gebracht, sondern nach Art einer (im kollegialgerichtlichen Verfahren nicht zulässigen) Schuldberufung Beweiswürdigungskritik geübt.

Warum die Feststellungen zur subjektiven Tatseite (US 6) einen inneren Widerspruch aufweisen sollen, macht die Beschwerde nicht klar. Indem sie die darauf bezogene Beweiswürdigung (US 11 f) übergeht und vermeint, der Angeklagte sei aufgrund des Verhaltens des Opfers davon ausgegangen, dass dieses Geschlechtsverkehr mit ihm haben wollte und er habe von seinem Vorhaben abgelassen, als er den Unwillen B*****s erkannte, die ihn jedoch nicht mit körperlichem Widerstand oder bösen Worten abgewiesen habe, bekämpft sie abermals die Beweiswürdigung des Schöffengerichts außerhalb des Anfechtungsrahmens der Z 5.

Dass das Opfer den Angeklagten während des Vorfalls nicht angeschrien oder fester und lauter angesprochen hat, ist für die Lösung der Schuld- oder Subsumtionsfrage unerheblich. Der Vorwurf von Unvollständigkeit (Z 5 zweiter Fall) zufolge Unterbleibens der Erörterung der darauf bezogenen Angaben der Zeugin B***** geht daher ins Leere. Die Kritik am Unterbleiben einer Auseinandersetzung mit ihren Angaben zu Küssen des Angeklagten an ihrem Hals ist unverständlich, zumal die Zeugin angab, dass dies gegen ihren Willen geschehen sei und sie dem Angeklagten gesagt habe, dass er aufhören solle (ON 14 S 31).

Die Tatsachenrüge (Z 5a) wird nicht prozessordnungskonform zur Darstellung gebracht (RIS‑Justiz RS0119583, RS0117446 [T1]), weil sie unter Bezugnahme auf die mit Mängelrüge kritisierten Feststellungen lediglich behauptet, diese ließen sich „mit dem Akteninhalt, den Beweisergebnissen und mit einer unbedenklichen Beweiswürdigung nicht in Einklang bringen“ (RIS‑Justiz RS0100555).

Die gesetzmäßige Ausführung eines materiell-rechtlichen Nichtigkeitsgrundes setzt das Festhalten am gesamten Urteilssachverhalt, dessen Vergleich mit dem darauf anzuwendenden Gesetz und die (methodengerecht abgeleitete) Behauptung voraus, dass das Erstgericht bei der Beurteilung dieses Sachverhalts einem Rechtsirrtum unterlegen ist (RIS‑Justiz RS0099810, RS0116569).

Indem die Rechtsrüge (Z 9 lit a) die Feststellungen zur subjektiven Tatseite übergeht und eigene Erwägung zum Fehlen eines auf die Nötigung zu geschlechtlichen Handlungen gerichteten Vorsatzes des Angeklagten anstellt, wird sie diesen Kriterien nicht gerecht, sondern übt in unzulässiger Form Beweiswürdigungskritik.

Soweit die Rüge einen den Vorsatz ausschließenden Tatbildirrtum behauptet, entfernt sie sich vom festgestellten Sachverhalt, wonach der Angeklagte wusste, dass er „durch das Umdrücken, Fixieren mit seinem Körpergewicht und Festhalten der Hände Kraft zur Überwindung eines tatsächlichen oder auch erwarteten Widerstand(s)“ gegen das Opfer einsetzt (US 6).

Entgegen der Beschwerde können sich Feststellungsmängel weder aus Begründungsmängeln noch aus einer – aus Sicht des Beschwerdeführers – nicht ausreichenden Auseinandersetzung mit der Verantwortung des Angeklagten ergeben. Geltend gemacht wird ein Feststellungsmangel vielmehr, indem unter Hinweis auf einen nicht durch Feststellungen geklärten, jedoch indizierten Sachverhalt eine vom Erstgericht nicht gezogene rechtliche Konsequenz angestrebt wird, weil dieses ein Tatbestandsmerkmal, einen Ausnahmesatz (§ 281 Abs 1 Z 9 lit a bis c StPO) oder eine andere rechtliche Unterstellung (§ 281 Abs 1 Z 10 StPO) bei der rechtlichen Beurteilung nicht in Anschlag gebracht hat (RIS‑Justiz RS0118580).

Diesen Kriterien wird die Beschwerde jedoch nicht gerecht, weil sie unter selektiver Hervorhebung und eigenständiger Würdigung von Beweisergebnissen bloß für den Angeklagten günstigere Feststellungen fordert.

Die strafbefreienden Rücktritt vom Versuch (§ 16 StGB) reklamierende Rechtsrüge (Z 9 lit b) orientiert sich nicht an den Feststellungen (US 5), denen zufolge der Angeklagte das Opfer zur Duldung der im Urteil beschriebenen geschlechtlichen Handlungen bereits genötigt hat.

Die Diversionsrüge (Z 10a) behauptet, aus den Angaben des Angeklagten in der Hauptverhandlung (ON 14 S 43) sei die „Einsicht bewiesen“, dass sich der Angeklagte bewusst sei, „zu weit gegangen“ zu sein. Unter Berücksichtigung der beruflichen Folgen einer Verurteilung für den Angeklagten hätte das Erstgericht somit diversionell vorzugehen gehabt.

Sie vernachlässigt, dass die gesetzmäßige Ausführung einer

Diversionsrüge eine (methodisch korrekte) Argumentation auf Basis der Tatsachenfeststellungen unter Beachtung der Notwendigkeit des kumulativen Vorliegens sämtlicher Diversionsvoraussetzungen erfordert (RIS‑Justiz RS0116823, RS0124801). Warum die Schuld des Angeklagten nicht als schwer anzusehen (vgl US 13) und seine Bestrafung weder aus spezial- noch aus generalpräventiven Gründen geboten sein soll, legt die Beschwerde nicht dar.

Im Übrigen ist zwar – worauf die Beschwerde zu Recht hinweist – ein Geständnis keine generelle Voraussetzung für eine diversionelle Erledigung, die (bei allen Diversionsvarianten vorgesehene) innere Bereitschaft zur Schadensgutmachung und zum Tatfolgenausgleich erfordert aber eine Verantwortungsübernahme, die nur bei entsprechendem – fallbezogen jedoch weder aus den reklamierten noch aus anderen Angaben des Angeklagten in der Hauptverhandlung ableitbarem – Unrechtsbewusstsein möglich ist (RIS‑Justiz RS0116299 [T3]).

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher in nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO), woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufung folgt (§ 285i StPO).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

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