European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2019:0150OS00056.19B.0529.000
Spruch:
Der Beschluss des Präsidenten des Oberlandesgerichts Wien vom 6. Februar 2019, AZ 130 Ns 2/19g, verletzt das Gesetz in § 43 Abs 1 Z 3 StPO.
Dieser Beschluss wird aufgehoben und es wird in der Sache selbst erkannt, dass Senatspräsident des Oberlandesgerichts Wien Mag. Baumgartner sowie die Richterin des Oberlandesgerichts Wien Mag. Wilder von der Entscheidung über die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 9. November 2018, GZ 93 Hv 54/17t‑40, nicht ausgeschlossen sind.
Gründe:
Mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 28. Juli 2017, GZ 93 Hv 54/17t‑23, wurde Helmut P***** des Vergehens des Widerstands gegen die Staatsgewalt nach § 269 Abs 1 erster Fall StGB schuldig erkannt.
Danach hat er – zusammengefasst – zwischen Dezember 2016 und März 2017 eine Richterin des Landesgerichts Wiener Neustadt durch die Drohung, ein ihm seiner Ansicht nach der Genannten gegenüber zustehendes Pfandrecht in ein internationales Schuldner-Verzeichnis einzutragen bzw Maßnahmen zu dessen außergerichtlicher Zwangsvollstreckung zu ergreifen, an der StPO-konformen Durchführung eines gegen ihn anhängigen Strafverfahrens, somit an Amtshandlungen, gehindert.
Dieses Urteil hob das Oberlandesgericht Wien unter dem Vorsitz des Senatspräsidenten Mag. Baumgartner sowie unter Mitwirkung der Richterinnen Mag. Wilder und Dr. Setz-Hummel am 26. Juni 2018 zu AZ 19 Bs 364/17v aus Anlass der wegen Nichtigkeit, Schuld und Strafe erhobenen Berufung des Angeklagten in amtswegiger Wahrnehmung des Nichtigkeitsgrundes nach § 281 Abs 1 Z 9 lit a StPO wegen eines Rechtsfehlers mangels Feststellungen auf und verwies die Sache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht (ON 32 der Hv‑Akten).
Dazu führte es nach Wiedergabe der relevanten Urteilskonstatierungen begründend aus, dass die rechtliche Annahme der Eignung einer Äußerung, begründete Besorgnis einzuflößen, der Täter sei willig und in der Lage, das angekündigte Übel herbeizuführen, Feststellungen zum Bedeutungsinhalt dieser Äußerung voraussetze, die durch die bloße Wiedergabe ihres Wortlauts nicht ersetzt werden könnten. Mangels Konstatierungen zum Bedeutungsinhalt sei dem angefochtenen Urteil jedoch nicht mit Bestimmtheit zu entnehmen, welches Übel der Angeklagte dem Opfer angekündigt habe, weshalb sich die Urteilsaufhebung und Verfahrenserneuerung als unumgänglich erweise und sich ein Eingehen auf die geltend gemachten Berufungspunkte erübrige (ON 32 S 15 ff).
Mit Urteil vom 9. November 2018, GZ 93 Hv 54/17t‑40, sprach die Einzelrichterin des Landesgerichts für Strafsachen Wien im zweiten Rechtsgang Helmut P***** mehrerer Vergehen des Widerstands gegen die Staatsgewalt nach § 269 Abs 1 erster Fall StGB schuldig und verurteilte ihn zu einer für eine Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe in der Dauer von sechs Monaten.
Dagegen erhob der Angeklagte erneut Berufung wegen Nichtigkeit, Schuld und Strafe (ON 39 S 22, ON 42).
Mit Beschluss vom 6. Februar 2019, AZ 130 Ns 2/19g, sprach der Präsident des Oberlandesgerichts Wien über entsprechende Anzeige aus, dass Senatspräsident Mag. Baumgartner sowie die Richterinnen Mag. Wilder und Dr. Setz‑Hummel im Verfahren über die vom Angeklagten erhobene Berufung ausgeschlossen sind.
Zur Begründung verwies er auf die höchstgerichtliche Rechtsprechung (17 Os 4/16s, 5/16p, 11/16w; RIS‑Justiz RS0130814), nach welcher an einer kassatorischen Entscheidung in Stattgebung einer zum Nachteil des Angeklagten ergriffenen Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld beteiligte Richter von einem weiteren Berufungsverfahren ausgeschlossen sind. Wie nun die Mitglieder des Senats 19 in ihrer Anzeige vom 4. Februar 2019 zutreffend dargelegt hätten, habe auch hier das Rechtsmittelgericht im früheren Rechtsgang die Tatfrage mit Hinweis auf die Strafbarkeit des angelasteten Verhaltens indizierende Verfahrensergebnisse in voller Kognitionsbefugnis beurteilt bzw dazu beweiswürdigend Stellung bezogen. Das erwähnte Erkenntnis des Obersten Gerichtshofs nur auf kassatorische Entscheidungen in Stattgebung einer zum Nachteil des Angeklagten ergriffenen Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld zu beschränken, greife zu kurz, könne der objektive Anschein der Voreingenommenheit doch durch jede Art einer beweiswürdigenden Stellungnahme zur Tatfrage entstehen.
Wie die Generalprokuratur in ihrer Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes zutreffend ausführt, steht der Beschluss des Präsidenten des Oberlandesgerichts Wien vom 6. Februar 2019, AZ 130 Ns 2/19g, mit dem Gesetz nicht in Einklang:
Rechtliche Beurteilung
Schon aufgrund ihres Ausnahmecharakters, insbesondere aber mit Blick auf das Spannungsverhältnis zum verfassungsrechtlich gewährleisteten Recht auf den gesetzlichen Richter (Art 83 Abs 2 B‑VG) und zum Prinzip der festen Geschäftsverteilung (Art 87 Abs 3 B‑VG) erfordert die Wahrnehmung von Ausschließungsgründen nach § 43 StPO eine strikte Auslegung dieser Norm, um die – neben der Unabsetzbarkeit und Unversetzbarkeit (Art 88 Abs 2 B‑VG) – wesentlichsten Säulen der richterlichen Unabhängigkeit (Art 87 Abs 1 B‑VG) nicht auszuhöhlen (vgl Lässig, WK‑StPO Vor §§ 43–47 Rz 3).
Bei der Beurteilung der Frage, ob Richter eines Rechtsmittelgerichts nach Urteilsaufhebung im nachfolgenden Rechtsgang im Sinn der (hier einzig in Betracht kommenden) Bestimmung des § 43 Abs 1 Z 3 StPO ausgeschlossen sind, ist – einzelfallbezogen unter Berücksichtigung des äußeren Anscheins – entscheidend, ob Umstände vorliegen, die objektiv gerechtfertigte Zweifel an der unvoreingenommenen und unparteilichen Dienstverrichtung wecken könnten. Solche Umstände können sich auch aus der Vorbefasstheit von Richtern eines Rechtsmittelgerichts in der Schuldfrage ergeben (vgl zum Ganzen Lässig, WK‑StPO § 43 Rz 13 ff und 31a mwN).
Im vorliegenden Fall gelangte das Oberlandesgericht Wien im ersten Rechtsgang im Rahmen seiner – noch ohne Befassung mit den vom Angeklagten geltend gemachten Berufungspunkten durchgeführten (ON 32 S 18 dritter Absatz) – amtswegigen Subsumtionskontrolle ohne jegliche eigenständige Bewertung der Verfahrensergebnisse zum Ergebnis eines der Unterstellung des vom Erstgericht konstatierten Sachverhalts unter § 269 Abs 1 erster Fall StGB entgegenstehenden Rechtsfehlers mangels Feststellungen (zum Begriff siehe RIS‑Justiz RS0119884) zum Bedeutungsinhalt der verfahrensgegenständlichen Äußerungen.
Eine Beurteilung der Tatfrage oder eine beweiswürdigende Stellungnahme in den Entscheidungsgründen (vgl 17 Os 4/16s, 5/16p, 11/16w) fand dabei gerade nicht statt, sodass – dem hier angefochtenen Beschluss zuwider – keine Gründe zu erblicken sind, die im Sinn des § 43 Abs 1 Z 3 StPO geeignet wären, die volle Unvoreingenommenheit und Unparteilichkeit des Senatspräsidenten des Oberlandesgerichts Wien Mag. Baumgartner sowie der Richterin Mag. Wilder (wie auch jene der mittlerweile nicht mehr beim Oberlandesgericht Wien tätigen Richterin Dr. Setz‑Hummel) im zweiten Rechtsgang in Zweifel zu setzen (vgl 12 Os 11/19p).
Da mit Blick auf dessen verfassungsrechtlich gewährleistetes Recht auf den gesetzlichen Richter ein Nachteil für den Angeklagten durch die solcherart vorliegende Verletzung des § 43 Abs 1 Z 3 StPO nicht ausgeschlossen werden kann (RIS‑Justiz RS0053573 [T1]), sah sich der Oberste Gerichtshof veranlasst, deren Feststellung gemäß § 292 letzter Satz StPO mit konkreter Wirkung zu verknüpfen.
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