OGH 15Os52/11b

OGH15Os52/11b17.8.2011

Der Oberste Gerichtshof hat am 17. August 2011 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Danek als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. T. Solé und Mag. Lendl sowie die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner-Foregger und Dr. Michel-Kwapinski als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Böhm als Schriftführer in der Strafsache gegen Aleksandar B***** wegen des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten und die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz als Schöffengericht vom 10. November 2010, GZ 16 Hv 90/10y-44, und die Beschwerde des Angeklagten gegen den unter einem gefassten Beschluss gemäß § 494a Abs 1 Z 4 StPO nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufungen und die Beschwerde werden die Akten dem Oberlandesgericht Graz zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Aleksandar B***** des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 StGB (1./) und der Vergehen der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 1 und 2 StGB (2./a./), der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 1 StGB (2./b./), der Nötigung nach § 105 Abs 1 StGB (3./a./) und der Nötigung nach §§ 15, 105 Abs 1 StGB (3./b./) schuldig erkannt.

Danach hat er hat am 27. April 2010 in Graz Carmen J*****

1./ teils durch Gewalt, nämlich durch das wiederholte Führen von Schlägen und Tritten gegen ihren Körper und durch Ausnützen der dadurch bewirkten Einschüchterung, teils durch Entziehung der persönlichen Freiheit, indem er die Wohnungstür von innen versperrte und die Schlüssel einsteckte, sowie teils auch durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben (§ 89 StGB), indem er ihr die Spitze einer Schere gegen den Hals hielt und darüber hinaus auch äußerte, er könnte ihr mit dem Zigarettenstummel Brandverletzungen am gesamten Körper zufügen, zur Duldung des Beischlafs genötigt, indem er sie aufforderte, sich auszuziehen, sich auf der Couch auf den Bauch zu legen, wobei er sie an den Haaren und am ganzen Körper riss sowie mit kräftigem Griff am Körper und den Oberarmen erfasste und in der Folge mit ihr den Geschlechtsverkehr vollzog;

2./ durch nachangeführte Äußerungen, gefährlich teils mit Verletzungen am Körper, teils mit auffallenden Verunstaltungen bedroht, um sie in Furcht und Unruhe zu versetzen, und zwar

a./ durch die Äußerung, er habe kranke Phantasien, er könne sich vorstellen, sie einfach zu fesseln und ihr mit einem Messer das Gesicht und die Brust zu zerschneiden,

b./ durch die Äußerung, dass er kein Problem damit hätte, 15 oder 20 Jahre ins Gefängnis zu gehen; wenn er sie umbringen würde, dann wäre das nur ein kurzer Spaß für ihn, wenn er mit ihr zusammen bleibe, könne er sie mehr fertig machen;

3./ durch nachangeführte gefährliche Drohungen zumindest mit Verletzungen am Körper zu der nachangeführten Handlung und Unterlassung genötigt, und zwar

a./ durch die Androhung von weiteren Schlägen mit der Faust zur fernmündlichen Mitteilung gegenüber Manuel S*****, dass alles in Ordnung sei,

b./ durch die Äußerung, er würde sie umbringen und alles was in der F*****straße passiert ist, würde ein Spaziergang sein, sollte sie zur Polizei gehen oder irgendjemandem von den Vorfällen an diesem Tag erzählen, zur Abstandnahme der Anzeigenerstattung gegen ihn bzw zur Unterlassung, jemandem von der Vergewaltigung Mitteilung zu machen (wobei es aber beim Versuch blieb; US 9 f).

Dagegen richtet sich die auf Z 4, 5 und 5a des § 281 Abs 1 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten; sie verfehlt ihr Ziel.

Rechtliche Beurteilung

Die gegen das Urteil allgemein vorgebrachten Ausführungen nehmen zum Teil zwar einzelne Beschwerdeeinwände vorweg, erschöpfen sich aber im Wesentlichen in der Darstellung von Verfahrensergebnissen aus Sicht des Angeklagten. Solcherart sind sie keinem bestimmten Anfechtungspunkt zuzuordnen und daher unbeachtlich (vgl 14 Os 92/03).

In seiner Verfahrensrüge (Z 4) kritisiert der Beschwerdeführer die Abweisung seiner Anträge auf Ladung der Zeugin Jenny Bu***** und der Beischaffung von Videoaufnahmen des Lokals „N***** L*****“ zum Beweis dafür, dass er und die Zeugin „normal und zärtlich miteinander umgegangen sind und in der Folge sich in dieser Zeit auch ständig geküsst und liebkost haben“, sie gemeinsam das Lokal verlassen hätten und die Zeugin Carmen J***** mit Selbstmord gedroht habe (S 10 in ON 27, S 31 in ON 43). Der Antrag ließ jedoch eine Begründung zur Eignung des Beweismittels vermissen, die behauptete Tatsache einer nicht stattgefundenen Vergewaltigung unter Beweis zu stellen (vgl Ratz, WK-StPO § 281 Rz 327).

Der Beschwerdeführer beantragte ferner die Einholung eines Sachverständigengutachtens aus dem Fachgebiet der Neurologie und Psychiatrie zum Beweis dafür, „dass die Angaben des Angeklagten glaubhaft sind und auf Grund seiner Persönlichkeitsstruktur ihm eine Vergewaltigung nicht zuzutrauen ist bzw unwahrscheinlich erscheint“ (S 10 f in ON 27), zur Frage, ob es vom psychiatrischen Standpunkt erklärbar ist, dass das Opfer freiwillig einige Stunden nach einer Vergewaltigung gemeinsam mit dem Täter und offensichtlich in Harmonie längere Zeit in einem Lokal verbringe und anschließend mit ihm gemeinsam nächtige (S 11 f in ON 27), sowie ergänzend zum Beweis dafür, „dass nicht nur die Angaben des Angeklagten glaubhaft sind, sondern auch die nunmehrige Aussage der Zeugin Carmen J*****, nämlich hinsichtlich des Widerrufs ihrer ursprünglichen Anschuldigungen“ (S 31 f in ON 43). Auch dieses Begehren verfiel zu Recht der Ablehnung, weil die Beurteilung der Glaubwürdigkeit des Angeklagten oder eines Zeugen Aufgabe des erkennenden Gerichts ist und die Hilfestellung durch einen Sachverständigen dabei nur in jenen Ausnahmefällen in Betracht kommt, in denen objektive Anhaltspunkte für eine psychische Erkrankung, Entwicklungsstörung oder einen sonstigen Defekt vorhanden sind, wobei die Störungen erheblich sein und dem Grad des § 11 StGB nahekommen müssen oder gegen die allgemeine Wahrnehmungs- oder Wiedergabefähigkeit oder gegen die Aussageehrlichkeit des Zeugen schlechthin sprechen (RIS-Justiz RS0097733, RS0120634; Hinterhofer, WK-StPO § 126 Rz 8). Solche Umstände indizierende Anhaltspunkte, die im Übrigen aus den Akten auch nicht ersichtlich sind, hat der Beschwerdeführer nicht dargetan.

Anträge auf Ladung und Vernehmung der Staatsanwältin Mag. P***** als Zeugin zum Beweis einer Vorsprache des Tatopfers am 5. Juni 2010 (S 11 in ON 27, S 31 in ON 43) und - ebenfalls zum Beweis einer Vorsprache, bei der sie den Vorwurf einer Vergewaltigung mit eingehender Begründung widerrufen habe - des Zeugen Dr. Gunther Le***** (S 3 in ON 43) wurden zu Recht abgewiesen, weil eine Beweisaufnahme zu unterbleiben hat, wenn - wie hier - das Beweisthema als erwiesen gelten kann (§ 55 Abs 2 Z 3 StPO; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 342). Das Gericht ging nämlich ohnedies von erfolgten Vorsprachen bei der Staatsanwältin (vgl US 10) und bei Dr. Le***** (vgl S 7 in ON 43) zwecks Widerrufs der bisherigen Angaben aus.

Keine entscheidende Tatsache (vgl Ratz, WK-StPO § 281 Rz 398 ff) betrifft das Beweisthema, welche Verletzungen durch Schläge mit einem Elektrokabel in Einklang zu bringen seien, weil der Eintritt von Verletzungen beim Verbrechen der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 StGB nicht tatbestandsmäßig ist. Somit durfte auch der weitere Antrag auf Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens zu dieser Frage (S 11 in ON 27) ohne Beeinträchtigung von Verteidigungsrechten abgelehnt werden. Im Übrigen hat das Gericht konkrete, auf Schläge mit einem Kabel zurückzuführende Verletzungen gar nicht festgestellt (US 6 f).

Die in der Beschwerde zur Fundierung der Anträge nachgetragenen Erwägungen sind prozessual verspätet und somit unbeachtlich, weil die Berechtigung eines Antrags stets auf den Antragszeitpunkt bezogen zu prüfen ist (RIS-Justiz RS0099618; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 325).

Die Mängelrüge (Z 5) vermisst beweiswürdigende Erwägungen zu angeblichen Widersprüchen zwischen den Angaben der Zeugin Melissa K***** und der Zeugin Carmen J*****. Dem Vorwurf der Unvollständigkeit (Z 5 zweiter Fall) zuwider war das Gericht jedoch nicht verhalten, auf die Angaben der Zeugin K***** gesondert einzugehen, stehen diese im Ergebnis doch weder den getroffenen Feststellungen noch den Angaben J*****s entgegen (vgl Ratz, WK-StPO § 281 Rz 428). Auch lassen sich aus ihrer Bekundung, das Tatopfer sei ihrem Eindruck nach nicht böse auf den Angeklagten, sondern nur traurig gewesen (S 10 in ON 34), Rückschlüsse auf den Wahrheitsgehalt der ursprünglich belastenden Angaben der Zeugin J***** nicht ziehen. Schließlich sagte die Zeugin K***** ohnedies aus, sich gedacht zu haben, dass der Vorwurf der Vergewaltigung stimme (S 9 ff in ON 34 iVm S 29 in ON 43). Im Ergebnis versucht der Beschwerdeführer lediglich, mit eigenen Beweiswerterwägungen zur Aussage dieser Zeugin und zu dem vom Gericht als unglaubwürdig erachteten Widerruf der belastenden Angaben der Zeugin J***** nach Art einer Schuldberufung - im kollegialgerichtlichen Verfahren jedoch unzulässig - die tatrichterliche Beweiswürdigung zu bekämpfen.

Gleichermaßen gilt dies für die Ausführungen des Beschwerdeführers zu den für die Kontaktaufnahme mit dem Angeklagten im Lokal „N***** L*****“ maßgeblichen Beweggründen des Tatopfers (US 9 f), ist das Gericht doch ohnedies umfänglich auf die divergierenden Angaben der Zeugin J***** eingegangen (US 11 ff), die in der kontradiktorischen Vernehmung vom 14. Juni 2010 ihren Anruf beim Beschwerdeführer im Sinne der Urteilsannahmen begründete (vgl insbesondere S 35 f, S 45 in ON 18). Der Nichtigkeitswerber unternimmt bloß den - wiederum unzulässigen - Versuch, im Wege eigenständiger Bewertung der Aussage der Zeugin J***** für ihn günstigere Schlüsse zu ziehen als das Erstgericht. Schließlich können die in diesem Zusammenhang getroffenen Feststellungen mit dem erhobenen Einwand der Aktenwidrigkeit (Z 5 letzter Fall) nicht bekämpft werden (RIS-Justiz RS0099492, RS0099431, RS0099524; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 393, 467).

Z 5a des § 281 Abs 1 StPO will als Tatsachenrüge nur geradezu unerträgliche Feststellungen zu entscheidenden Tatsachen (das sind schuld- oder subsumtionserhebliche Tatumstände, nicht aber im Urteil geschilderte Begleitumstände oder im Rahmen der Beweiswürdigung angestellte Erwägungen) und völlig lebensfremde Ergebnisse der Beweiswürdigung durch konkreten Verweis auf aktenkundige Beweismittel (bei gleichzeitiger Bedachtnahme auf die Gesamtheit der tatrichterlichen Beweiswerterwägungen) verhindern. Tatsachenrügen, die außerhalb dieser Sonderfälle auf eine Überprüfung der Beweiswürdigung abzielen, beantwortet der Oberste Gerichtshof ohne eingehende eigene Erwägungen, um über den Umfang seiner Eingriffsbefugnisse keine Missverständnisse aufkommen zu lassen (RIS-Justiz RS0118780).

Unter Wiederholung des zur Mängelrüge Vorgebrachten sowie mit Hinweisen auf die Unglaubwürdigkeit der später widerrufenen, belastenden Angaben der Zeugin J*****, das Verhalten des Tatopfers nach der Tat, den Zeitpunkt der Anzeigeerstattung und das Fehlen von Verletzungsspuren im Genitalbereich vermag der Beschwerdeführer keine erheblichen Bedenken gegen die Richtigkeit der dem Ausspruch über die Schuld zu Grunde liegenden entscheidenden Tatsachen zu begründen.

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bereits bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO), woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufungen und die Beschwerde folgt (§§ 285i, 498 Abs 3 StPO).

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 390a Abs 1 StPO.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte