European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2015:0150OS00040.15V.0610.000
Spruch:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.
Zur Entscheidung über die Berufungen werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.
Dem Angeklagten fallen die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen, auf dem Wahrspruch der Geschworenen beruhenden Urteil wurde Leon M***** der Verbrechen nach § 3g VerbotsG (I.) sowie der Vergehen der Verhetzung nach § 283 Abs 2 StGB (II.) und der Herabwürdigung religiöser Lehren nach § 188 StGB (III.) schuldig erkannt.
Danach hat er in Wien
I. sich auf andere als die in den §§ 3a bis 3f VerbotsG bezeichnete Weise im nationalsozialistischen Sinn betätigt, indem er
A. am 23. Juni 2013 auf dem Facebook‑Account „Leon M*****“ einen Link zur Website „nasjonalsamling.blogspot.de“ mit einem historischen Flugblatt und der Überschrift „Ein Ort für Neonazis“ veröffentlichte und hiezu postete: „Hier geht es weiter zu den revolutionären Inhalten“;
B. am 4. August 2013 auf der Website „nasjonalsamling.blogspot.co.at“ unter seinem Pseudonym „Leon R*****“ mehrere historische Fotos, Flugblätter sowie den Slogan „Gib Nazis eine Chance“ veröffentlichte, zu welchen er unter der Überschrift „Ein Ort für Neonazis“ und „Wir woll'n das Wort nicht brechen, nicht Buben werden gleich, wolln predigen und sprechen vom heil'gen Deutschen Reich“ schrieb: „Wenn der Faschismus wiederkehrt, dann wird er nicht sagen: Ich bin der Faschismus. Nein, er wird sagen, ich bin der Antifaschismus, wir aber wählen die Freiheit!“;
C. zu einem nicht mehr festzustellenden Zeitpunkt im Jahr 2013 auf seinem Facebook-Account „Leon R*****“ das Foto einer hellhäutigen und einer dunkelhäutigen Frau sowie eines dunkelhäutigen Mannes veröffentlichte, neben das er auf Dänisch schrieb: „Die Alternative zum nationalen Sozialismus. Sieg Heil!“;
II. jeweils für eine breite Öffentlichkeit wahrnehmbar gegen eine nach den Kriterien der Religion, der Rasse, der Hautfarbe bzw der Abstammung definierte Gruppe von Personen gehetzt oder sie in einer die Menschenwürde verletzenden Weise beschimpft und dadurch verächtlich zu machen gesucht, und zwar
A. am 19. April 2013 gegen Personen muslimischen Glaubens, indem er auf dem Facebook-Account „Leon M*****“ öffentlich einsehbar nachstehendes Posting veröffentlichte:
„Die den Russen wegen des dort von ihnen geforderten Blutzolls wohlbekannten Tschetschenenterroristen bauten bei ihrem letzten Anschlag im VS‑amerikanischen Boston ihren Sprengstoff in Schnellkochtöpfen ein, um optimale Splitterwirkung zu erzeugen. Unter ihren Blutopfern befand sich ua ein 8‑jähriges Kind. Diejenige, die glauben, bemerkt zu haben, dass in den Tagen danach ihre lokalen Mohammedaner plötzlich froher erblickten und überheblicher wurden, haben recht. Die Mohammedaner, die unter uns leben und von uns gefüttert und gepflegt werden, befürworten diese Tat so wie jeden anderen schrecklichen Terrorakt, der auf Kosten dieser Friedensapostel geht. Jedesmal, wenn wieder ein Junge tot getreten oder ein Mädchen derart brutal verstümmelt wird, dass sie nie mehr Kinder gebären kann, grinsen sie heimlich in ihren Schlupflöchern. Der Feind ist unter uns! Wir wissen nie, wer von ihnen die nächste Bombe unter den umfangreichen Gewändern bereithält. Niemand kann sicher sein, solange sie auf unseren Straßen frei herumlaufen und herumfahren und unsere öffentlichen Verkehrsmittel frei benutzen können. Wachen wir endlich auf und entfernen wir dieses Krebsgeschwür von unserem Volkskörper!“;
B. im Jahr 2013 gegen Personen türkischer Abstammung bzw „negroider Rasse“, indem er auf der Facebook‑Seite des Werner K***** unter seinem Pseudonym „Leon R*****“ folgendes Posting veröffentlichte: „Könnte man auf unterschiedlicher Weise tun. Ich würde persönlich dafür plädieren, Angehörige der weißen Rasse als grundsätzlich einbürgerungsfähig anzusehen. Man könnte auch versuchen, kleinere Einteilungen zu machen (dann käme man meiner Ansicht nach zu Einteilungen nach Menschentypen statt nach Menschenrassen), zB um eine bestimmte Haar- oder Augenfarbe, die in einem bestimmten Land vorherrscht, so zu bewahren. Wichtiger wäre es meines Erachtens erstmals das Einsickern primitiver Rassen wie die Negerrasse und die Trägerrasse des Türken‑ und Mohammedanertums zu verhindern bzw diejenige Neger und Mohammedaner, die durch unverantwortliche Politik ins Abendland eingeführt wurden, zu entfernen. Besonders im Falle von Türken und anderen Mohammedanern kommt die negative Auswirkungen ihrer primitiven Kultur hinzu. ... oder gar gewaltbereit. Wer weiß? Feind liest mit!“;
C. im Jahr 2013 gegen Personen „negroider Abstammung“, indem er auf dem Facebook-Account „Leon M*****“ eine Weltkarte veröffentlichte, auf welcher insbesondere afrikanische Staaten dunkel gekennzeichnet sind und er daneben postete: „Durchschnittlicher IQ nach Land. In den rotgefärbten Ländern herrscht im Durchschnitt mentale Retardierung (IQ kleiner 70). Wie man sieht ist dies also in fast allen Ländern mit einer hauptsächlich negroiden Bevölkerung der Fall“.
III. am 20. Juni 2012 öffentlich eine Person, die den Gegenstand der Verehrung einer im Inland bestehenden Kirche oder Religionsgesellschaft bildet, unter Umständen herabgewürdigt und verspottet, unter denen sein Verhalten geeignet ist, berechtigtes Ärgernis zu erregen, indem er auf dem Facebook‑Account „Leon M*****“ das Foto eines Schweins veröffentlichte und daneben postete: „Das heilige Tier der Mohammedaner. Manche behaupten, es sei die Reinkarnation des Propheten“.
Die Geschworenen haben die den Schuldsprüchen zugrundeliegenden Hauptfragen bejaht, Zusatz‑ oder Eventualfragen wurden nicht gestellt.
Rechtliche Beurteilung
Dieses Urteil bekämpft der Angeklagte mit einer auf Z 6, 8, 11 lit a, 11 lit b und 12 des § 345 Abs 1 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde, die ihr Ziel verfehlt.
Soweit die Fragenrüge (Z 6) bemängelt, in den Hauptfragen 3, 4 und 6 (Schuldsprüche I.A. ‑ C.) sei der „Vorsatz einer nationalsozialistischen Betätigung in Österreich“ nicht in die Fragestellung aufgenommen worden, übergeht sie, dass in diesen Fragen jeweils ausdrücklich Wien als Tatort, somit als Ort der nationalsozialistischen Betätigung bezeichnet wird. Mit dem Vorbringen, der (bedingte) Vorsatz (der im Übrigen nicht in die Fragestellung aufzunehmen ist; § 7 Abs 1 StGB; RIS-Justiz RS0113270) auf Tatbegehung im Bundesgebiet sei „zu hinterfragen“, wird kein Sachverhaltssubstrat bezeichnet, welches eine (andere oder zusätzliche) Frage indizieren würde (RIS-Justiz RS0101087).
Auch mit der Berufung auf das Recht auf Meinungsfreiheit nach Art 19 Abs 2 des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte (CCPR), der im Übrigen in Österreich nicht im Verfassungsrang ratifiziert wurde ( Walter/Mayer/Kucsko-Stadelmayer Bundes-verfrassungsrecht 10 Rz 1322; Adamovich/Funk/ Holzinger/Frank , Österreichisches Staatsrecht Bd3² Rz 41.030), wird kein solches Verfahrensergebnis dargetan (Z 6). Soweit damit der Sache nach (Z 11 lit a) Straflosigkeit wegen der Ausübung des Rechts auf freie Meinungsäußerung (Art 10 MRK) behauptet werden sollte, legt das Vorbringen nicht aus der ‑ hier einschlägigen ‑ im Verfassungsrang stehenden und ausdrücklich einen Gesetzesvorbehalt vorsehenden Bestimmung des Art 10 Abs 2 MRK abgeleitet dar, weshalb Einschränkungen der Meinungsäußerungsfreiheit ‑ wie durch § 3g VerbotsG angeordnet ‑ nicht zum Schutz der in Art 10 Abs 2 MRK angeführten Interessen in einer demokratischen Gesellschaft zulässig sein sollten (vgl 15 Os 142/13s, 143/13p; vgl Lässig in WK² VerbotsG § 3g Rz 2).
Die die Stellung einer Zusatzfrage nach nicht vorwerfbarem Rechtsirrtum (§ 9 Abs 1 StGB) vermissende weitere Fragenrüge (Z 6) verfehlt mit der bloßen Behauptung, der Angeklagte sei kein österreichischer Staatsbürger, weshalb ihm ein in einem Nebengesetz dargelegtes Verbot nicht bekannt sei, mangels Bezeichnung eines die angesprochene Zusatzfrage indizierenden Beweisergebnisses die Ausrichtung an der Verfahrensordnung (vgl dazu die Einlassung des Angeklagten, wonach er die Bestimmung des § 3g VerbotsG gekannt habe [ON 14 S 103, ON 84 S 6]).
Auch mit dem Vorbringen, es sei in der Hauptverhandlung nicht hervorgekommen, dass er die Taten in Wien begangen habe, wird kein die Stellung einer Zusatzfrage indizierendes Tatsachensubstrat genannt.
Die Instruktionsrüge (Z 8) bemängelt ein Fehlen der Belehrung über die von der Anklage dem § 3g VerbotsG subsumierten Straftaten „als abstraktes Gefährdungsdelikt“, übergeht dabei aber die entsprechende Passage der Rechtsbelehrung S 26 (vgl im Übrigen Lässig in WK² VerbotsG § 3g Rz 8). Die weitere Kritik, die Belehrung zum indirekten Verbotsirrtum (§ 9 Abs 1 StGB) auf S 29, das Verbot nationalsozialistischer Betätigung sei grundsätzlich jedem erwachsenen Österreicher bekannt, sei nicht hinreichend, weil der Angeklagte seinen Lebensmittelpunkt erst vor kurzem nach Österreich verlegt habe, vernachlässigt die umfassenden Ausführungen im Allgemeinen Teil der Rechtsbelehrung zur Frage der Vorwerfbarkeit eines Rechtsirrtums (S 8 ff; insbesondere S 11, wonach sich ein Redakteur bei einschlägiger politischer Tendenz eines Textes mit dem VerbotsG vertraut zu machen hat).
Die Kritik der Rechtsrüge (Z 11 lit a) zu I. erschöpft sich in den (rechtspolitischen) Behauptungen, § 3g VerbotsG ziele nicht darauf ab, einen in Österreich lebenden dänischen Studenten zu kriminalisieren, es müsse eine Anpassung der Normadressaten des VerbotsG an die Gegenwart erfolgen und der Begriff der Betätigung im nationalsozialistischen Sinn sei zu unbestimmt (vgl dazu aber Lässig in WK² VerbotsG § 3g Rz 8), hält aber nicht ‑ wie dies bei Geltendmachung materiell‑rechtlicher Nichtigkeit erforderlich wäre ‑ an den im Wahrspruch festgestellten entscheidenden Tatsachen fest.
Auch das ‑ aus dem Argument, der Angeklagte sei dänischer Staatsangehöriger, abgeleitete ‑ Vorbringen eines nicht vorwerfbaren Rechtsirrtums (§ 9 Abs 1 StGB) ist nicht prozessordnungsgemäß ausgeführt, ist ein solches Tatsachensubstrat doch dem Wahrspruch nicht zu entnehmen (vgl 15 Os 142/13s, 143/13p).
Weshalb das Urteil zu II.A. und II.C. gegen den Grundsatz „nulla poena sine lege“ verstoßen sollte, wird von der jeglichen Bezug zum Schuldspruch und zum Gesetz vernachlässigenden Rechtsrüge (Z 11 lit b) nicht gesagt.
Das Vorbringen zu II.C., der Angeklagte habe nur wissenschaftliche Studien ohne eigene Wertung zitiert, hält ebenso nicht am Wahrspruch in objektiver und subjektiver Hinsicht fest („gehetzt“, „beschimpft“) wie die Überlegungen zu III., der Blasphemie‑Tatbestand (§ 188 StGB) sei generell zu hinterfragen und im konkreten Fall sei eindeutig der satirische Aspekt des Beitrags im Vordergrund gestanden.
Mit der These, das Gesetz definiere den Begriff „nationalsozialistisch“ nicht, verlässt auch die Subsumtionsrüge (Z 12) den gesetzlichen Anfechtungsrahmen, weil sie nicht einmal jenen gerichtlichen Straftatbestand bezeichnet, dem der Urteilssachverhalt hätte unterstellt werden sollen (RIS‑Justiz RS0099938).
Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bereits bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§§ 344, 285d Abs 1 StPO), woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufungen folgt (§§ 344, 285i StPO).
Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 390a Abs 1 StPO.
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