OGH 15Os30/14x

OGH15Os30/14x8.7.2014

Der Oberste Gerichtshof hat am 8. Juli 2014 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Danek als Vorsitzenden, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl sowie die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner‑Foregger, Dr. Michel‑Kwapinski und Mag. Fürnkranz als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Anscheringer als Schriftführer in der Medienrechtssache des Antragstellers Dr. Gerald M***** gegen den Antragsgegner Ö***** wegen § 10 MedienG, AZ 93 Hv 2/13i des Landesgerichts für Strafsachen Wien, über den Erneuerungsantrag gemäß § 363a StPO des Antragsgegners nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Antrag wird stattgegeben, die Urteile des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 14. Februar 2013 und des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 6. November 2013, AZ 17 Bs 169/13x (ON 16 der Hv‑Akten) werden aufgehoben und es wird die Sache zur Durchführung des erneuerten Verfahrens an das Landesgericht für Strafsachen Wien verwiesen.

Text

Gründe:

In der Medienrechtssache des Antragstellers Dr. Gerald M***** gegen den Antragsgegner Ö***** wegen § 10 MedienG, AZ 93 Hv 2/13i des Landesgerichts für Strafsachen Wien, wurde mit Urteil vom 14. Februar 2013 (ON 8) dem Antragsgegner als Medieninhaber des Rundfunkprogrammes ORF 2 (unter Abweisung eines Mehrbegehrens sowie unter Auferlegung näher bestimmter Verfahrenskosten) die Veröffentlichung nachstehender nachträglicher Mitteilung in dem genannten Rundfunkprogramm aufgetragen (I./):

„Sie haben am 28. April 2011 in Ihrer Fernsehsendung 'Zeit im Bild 2' Folgendes berichtet:

Was ist eine österreichische Staatsbürgerschaft wert? Knapp eineinhalb Millionen Euro, wenn es nach Gerald M*****, dem Chef der W*****, geht ‑ gegen den jetzt schwere Vorwürfe erhoben werden. Der [...] Museumsdirektor soll versucht haben, mehreren wohlhabenden Ausländern österreichische Pässe zu verschaffen ‑ gegen eine großzügige Spende an eine Stiftung.

Damals haben eine Inderin, eine Russin, ein Kasache und ein Kuwaiti der K***** 5,6 Millionen Euro Sponsorengeld geboten, sollte ihnen M***** dabei behilflich sein, die österreichische Staatsbürgerschaft zu erwerben. Was M***** auch getan hat: Sogar beim damaligen Bundeskanzler Alfred G***** ist er vorstellig geworden, um für die Einbürgerung der künftigen Mäzene zu werben.

Die Zentrale Staatsanwaltschaft zur Verfolgung von Wirtschaftsstrafsachen und Korruption (WKStA) hat das gegen Dr. Gerald M***** wegen des Verdachts der Verbotenen Intervention (§ 308 StGB) und der Untreue (§ 153 StGB) geführte Ermittlungsverfahren (Aktenzeichen 1 St 91/11x) nunmehr zur Gänze eingestellt. Das Ermittlungsverfahren hatte nämlich keine Hinweise für eine versuchte strafgesetzwidrige Einflussnahme auf einen Amtsträger gegen Forderung eines Vorteils ergeben, und zum Vorwurf der Untreue war aus den Ermittlungsergebnissen ein vom Schädigungsvorsatz getragener wissentlicher Befugnismissbrauch nicht ableitbar.“

Dabei beurteilte das Erstgericht ‑ soweit hier von Bedeutung ‑ einen vor Einlangen des Veröffentlichungsbegehrens am 7. Dezember 2012 im Rundfunkprogramm ORF 2 in der Sendung „Zeit im Bild 2“ ausgestrahlten Sendungsbeitrag des Inhalts:

„Die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsan-waltschaft hat das Verfahren gegen den früheren Direktor der W*****, Gerald M*****, eingestellt. Gegen M***** war wegen des Verdachts der Untreue und der verbotenen Intervention ermittelt worden.“

mangels erforderlicher Bezugnahme der Veröffentlichung auf die Primärberichterstattung nicht als gleichwertige redaktionelle Mitteilung im Sinn des (richtig:) § 11 Abs 1 Z 8 MedienG (US 15).

Der gegen dieses Urteil erhobenen Berufung des Antragsgegners wegen Nichtigkeit (§ 281 Abs 1 Z 9 lit a StPO iVm § 489 Abs 1 StPO und § 14 Abs 3 MedienG) sowie des Ausspruchs über die Schuld (und der Kostenbeschwerde des Antragstellers) gab das Oberlandesgericht Wien als Berufungsgericht mit Urteil vom 6. November 2013, AZ 17 Bs 169/13x (ON 16 des Hv‑Akts), nicht Folge.

Nach den hier relevanten Begründungserwägungen habe das Erstgericht das Vorliegen einer gleichwertigen redaktionellen Mitteilung im Sinn des § 11 Abs 1 Z 8 MedienG zu Recht verneint. Denn mit dem Begriff der „Gleichwertigkeit“ werde auf § 13 Abs 2 bis 7 MedienG verwiesen. Solcherart sei § 13 Abs 2 MedienG, wonach die nachträgliche Mitteilung auch einen Hinweis darauf zu enthalten habe, auf welche Nummer oder Sendung sie sich beziehe, ungeachtet des auf vom Betroffenen begehrte Veröffentlichungen abstellenden Wortlauts auch auf redaktionelle Mitteilungen anzuwenden. Durch diesen Hinweis solle diesfalls ein dem Medienkonsumenten erkennbarer ausdrücklicher und eindeutiger Bezug zu der der nachträglichen Mitteilung korrespondierenden Primärveröffentlichung hergestellt werden, sodass nicht nur dem Interesse des Betroffenen an Rehabilitation, sondern auch jenem der Öffentlichkeit an der Richtigkeit und Vollständigkeit der Berichterstattung entsprochen wird. Diesen Anforderungen habe die redaktionelle Mitteilung vom 7. Dezember 2012 nicht entsprochen, sodass die zur Wahrung dieser Informationsinteressen erfolgte erstgerichtliche Veröffentlichungsanordnung keinen unverhältnismäßigen Eingriff in das Grundrecht auf Freiheit der Meinungsäußerung (Art 10 Abs 2 MRK) bewirkt habe (S 8 ff der Berufungsentscheidung).

Rechtliche Beurteilung

Gegen die erwähnten Urteile des Landesgerichts für Strafsachen Wien und des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht richtet sich der auf die Behauptung einer Verletzung im Grundrecht auf Freiheit der Meinungsäußerung nach Art 10 MRK gestützte Antrag des Antragsgegners Ö***** auf Erneuerung des Verfahrens gemäß § 363a StPO per analogiam (RIS-Justiz RS0122228) iVm § 14 Abs 3 MedienG.

Dazu bringt der Antragsgegner im Wesentlichen vor, dass eine gesetzliche Eingriffsgrundlage im Sinn des Art 10 Abs 2 MRK für die ‑ auf die Verneinung einer gleichwertigen redaktionellen Mitteilung mangels gebotener Bezugnahme auf die Primärveröffentlichung gestützte ‑ gerichtliche Veröffentlichungsanordnung fehle, weil § 13 Abs 2 MedienG sich dem Wortlaut nach nur auf vom Betroffenen begehrte Veröffentlichungen, nicht aber auch auf redaktionelle Mitteilungen beziehe und daher als Maßstab der Gleichwertigkeit (§ 11 Abs 1 Z 8 MedienG) nicht heranzuziehen sei. Auch sei der Eingriff in das Grundrecht auf Freiheit der Meinungsäußerung unverhältnismäßig (Art 10 Abs 2 MRK), weil dem von den befasst gewesenen Gerichten geforderten Hinweis auf die Primärveröffentlichung kein Informationswert für den angesprochenen Rezipientenkreis zukomme.

Der Oberste Gerichtshof hat dazu erwogen:

Die Pflicht zur Veröffentlichung einer nachträglichen Mitteilung besteht nicht, wenn vor Einlangen eines darauf gerichteten Veröffentlichungsbegehrens bereits eine gleichwertige redaktionelle Mitteilung veröffentlicht worden ist (15 Os 70/13b, 71/13z, 19/14d, 20/14a mwN). Der Begriff der Gleichwertigkeit wird im Gesetz weder ausdrücklich noch durch Verweis auf andere Normen definiert. Gemeint ist damit die Herstellung einer publizistischen Gleichwertigkeit (Rami in WK² MedienG § 11 Rz 32). Diese ist (bei der nachträglichen Mitteilung) erzielt, wenn der wesentliche Inhalt des Veröffentlichungsbegehrens mit gleichem Veröffentlichungswert dem gleichen Leserkreis zur Kenntnis gebracht wird (Höhne in Berka/Heindl/Höhne/Noll, MedienG³ § 11 Rz 17).

Die vom Oberlandesgericht (und der Generalprokuratur) vertretene Ansicht, mit dem Begriff der Gleichwertigkeit werde generell auf § 13 Abs 2 bis 7 MedienG verwiesen (S 8 f der Berufungsentscheidung), ist in dieser Allgemeinheit schon deshalb unzutreffend, weil sich der erste Satz des § 13 Abs 2 MedienG eindeutig nur auf eine „Gegendarstellung“ oder „Nachträgliche Mitteilung“ aufgrund eines Veröffentlichungsbegehrens beziehen kann.

Bei einer am Zweck der Norm (vgl auch § 10 Abs 2 MedienG) orientierten Auslegung des in Rede stehenden Begriffs ist zu beachten, dass dem Anspruch nach § 10 MedienG weder Tadels- noch Übelsfunktion zukommt, sondern er lediglich auf die Rehabilitation des Betroffenen sowie die Komplettheit der Berichterstattung gerichtet ist (RIS-Justiz RS0123459 [T1]; Höhne in Berka/Höhne/Noll/Polley, MedienG3 § 10 Rz 1; Brandstetter/Schmid, MedienG2 § 10 Rz 1). Im Gegensatz zur Gegendarstellung, zu der derjenige berechtigt ist, der von einer bereits im Zeitpunkt des Erscheinens unrichtigen oder unvollständigen Tatsachenmitteilung betroffen ist, dient die nachträgliche Mitteilung der Rehabilitation desjenigen, der Gegenstand eines richtigen Berichts über den Verdacht einer strafbaren Handlung oder die Einleitung eines Strafverfahrens geworden ist.

Da es bei der Gegendarstellung um die ‑ streng kontradiktorische (Rami in WK² MedienG § 9 Rz 20; Höhne in Berka/Höhne/Noll/Polley, MedienG3 § 9 Rz 28 ff) ‑ Replik auf eine konkrete Tatsachenmitteilung geht, die auch einem Korsett zeitlicher Befristungen unterliegt (vgl § 11 Abs 1 Z 10 MedienG), während eine nachträgliche Mitteilung auch noch Jahre nach der Primärveröffentlichung verlangt werden kann, hat bei ihr die Bezugnahme auf den ursprünglichen Bericht eine Informationsfunktion, ermöglicht sie dem Konsumenten doch ‑ zeitnah ‑ Vergleich und Beurteilung von These und Antithese.

Die Pflicht zur Veröffentlichung einer nachträglichen Mitteilung (§ 10 Abs 1 MedienG) wiederum kann durch die Veröffentlichung einer redaktionellen Mitteilung (§ 11 Abs 1 Z 8, § 12 Abs 2 MedienG) beseitigt werden, weil dem Rechtsschutzinteresse des Betroffenen besser gedient wird, wenn das Medium selbst berichtet, als wenn der Betroffene sich zu Wort meldet (743 BlgNR 15. GP, 8; Brandstetter/Schmid, MedienG2 § 12 Rz 14). Denn durch die journalistische Aufmachung und die (verpflichtende) Identifikation des Mediums mit der redaktionellen Mitteilung wird den Rehabilitierungsinteressen des Betroffenen völlig Rechnung getragen (Höhne in Berka/Höhne/Noll/Polley, MedienG3 § 11 Rz 17).

Diese unterschiedliche Zielrichtung der Rechtsinstitute im Auge behaltend zeigt sich, dass ‑ entgegen der Ansicht der Generalprokuratur ‑ eine sachliche Differenzierung zwischen Gegendarstellung und nachträglicher Mitteilung einerseits sowie nachträglicher und redaktioneller Mitteilung andererseits geboten ist. Demgemäß ist eine Bezugnahme auf die Primärveröffentlichung in der redaktionellen Mitteilung zur Erreichung des intendierten Rechtsschutzes nicht erforderlich. Sie dient nämlich weder der medialen Rehabilitation des Betroffenen, die bereits durch die ‑ die zur Information des Medienpublikums notwendigen Umstände enthaltende ‑ Mitteilung der Verfahrenseinstellung bzw des Freispruchs erzielt wird, noch der Komplettheit der Berichterstattung. Damit ist übrigens bloß gemeint, dass über einen medialen Sachverhalt (ein Strafverfahren) umfassend und vollständig berichtet werden soll, also nicht nur über die Einleitung des Verfahrens, sondern auch über dessen Abschluss. Die Angabe einer Bezugsveröffentlichung trägt dazu nichts bei, hat sie doch ‑ unabhängig davon, ob sich der Rezipient an die Erstveröffentlichung erinnern kann oder nicht ‑ für diesen keinerlei Informationswert.

Durch die von den befassten Gerichten geforderte ‑ gesetzlich nicht gebotene ‑ Bezugnahme auf die Primärveröffentlichung wurde daher unverhältnismäßig in die Gestaltungsfreiheit des Mediums und damit in das Recht des Antragsgegners auf freie Meinungsäußerung (Art 10 MRK; vgl RIS‑Justiz RS0123458) eingegriffen, weshalb die Urteile des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 14. Februar 2013 und des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 6. November 2013, AZ 17 Bs 169/13x (ON 16 der Hv‑Akten) ‑ entgegen der Stellungnahme der Generalprokuratur ‑ aufzuheben waren und die Verfahrenserneuerung anzuordnen war.

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