Spruch:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.
Zur Entscheidung über die Berufung und die Beschwerde werden die Akten dem Oberlandesgericht Innsbruck zugeleitet.
Dem Angeklagten fallen die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Gründe:
Giorgi L***** wurde mit Urteil des Landesgerichtes Innsbruck vom 28. Februar 2005 (ON 41) des Verbrechens des Raubes nach § 142 Abs 1 StGB und der Vergehen der Sachbeschädigung nach § 125 StGB sowie des Diebstahls nach § 127 StGB schuldig erkannt. Er wurde hiefür nach § 142 Abs 1 StGB, jedoch ohne Anwendung des § 5 Z 4 JGG oder des § 36 StGB zu einer Freiheitsstrafe verurteilt. Das Schöffengericht ging dabei davon aus, dass der - nach eigenen Behauptungen und den Annahmen in der Anklage am 5. Jänner 1987 geborene - Beschwerdeführer zum Tatzeitpunkt 13. November 2004 tatsächlich bereits älter als 21 Jahre war.
Dieses Urteil wurde vom Obersten Gerichtshof zu AZ 15 Os 51/05x infolge unzureichender Begründung der Altersannahmen im Strafausspruch aufgehoben und zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht verwiesen.
Mit dem angefochtenen Urteil wurde der Angeklagte im zweiten Rechtsgang erneut nach § 142 Abs 1 StGB ohne Anwendung des § 5 Z 4 JGG oder des § 36 StGB zu einer fünfjährigen Freiheitsstrafe verurteilt. Auch diesmal nahmen die Tatrichter ein zur Tatzeit 21 Jahre übersteigendes Alter als gegeben an.
Rechtliche Beurteilung
Gegen diesen Strafausspruch richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 11 iVm Z 5 und Z 5a StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten; sie schlägt fehl.
Der Sanktionsrüge (Z 11 iVm Z 5) zuwider hat das Schöffengericht seine die Strafbefugnisgrenze betreffenden Feststellungen nunmehr weder offenbar unzureichend begründet noch eine bloße Scheinbegründung hiefür angeführt. Die Tatrichter stützten ihre Annahme, der Angeklagte sei zum Tatzeitpunkt bereits älter als 21 Jahre gewesen, vielmehr - ohne Verstoß gegen die Kriterien folgerichtigen Denkens und grundlegende menschliche Erfahrungen - auf den in der Hauptverhandlung gewonnenen persönlichen Eindruck, den sie mit dem - bereits aus Lichtbildern vom 13. Mai 2004 ersichtlichen - fortgeschrittenen Haarausfall des Angeklagten, den deutlich sichtbaren und tiefen Stirnfalten, den gesamten Gesichtszügen, dem Auftreten, sowie der Art, sich zu bewegen, zu sprechen und sich auszudrücken, konkretisierten (US 6). Darüber hinaus besitze der Angeklagte keinerlei Dokumente, aus denen seine Identität hervorgehe, und habe überdies seine Mitwirkung an der für die Erstellung eines Sachverständigengutachtens notwendigen Röntgenuntersuchung aus für nicht glaubhaft erachteten Gründen verweigert (US 6 f). Soweit die Beschwerde vermeint, aus dem Umstand, dass 17-Jährige in der Regel keinen Haarausfall aufwiesen, ließe sich kein das Alter des Angeklagten betreffender Schluss ziehen, vernachlässigt sie, dass nicht nur zwingende, sondern auch Wahrscheinlichkeitsschlüsse das Gericht nach dem Grundsatz der freien Beweiswürdigung zu Tatsachenfeststellungen berechtigen. Auf die Behauptung, dass aus den vorliegenden Umständen auch andere Schlüsse gezogen werden könnten und die des Urteils nicht zwingend seien, kann der Nichtigkeitsgrund der Z 5 daher nicht gestützt werden (vgl Ratz, WK-StPO § 281 Rz 449; Mayerhofer StPO5 § 281 Z 5 E 145, 148).
Die Tatrichter durften ihren persönlichen Eindruck auch auf das Auftreten, die Sprache, die Ausdrucksweise und die Bewegungen des Angeklagten stützen, ohne diese Verhaltensweisen näher zu beschreiben. Denn der persönliche Eindruck lässt sich nicht immer erschöpfend in Worte kleiden und muss daher im Urteil nicht in allen Einzelheiten wiedergegeben werden (vgl Danek, WK-StPO § 270 Rz 39 [in Druck]).
Entgegen der Beschwerde war schließlich - zur Frage des (nicht für die Schuld, sondern lediglich die Sanktionsbefugnisgrenze relevanten) Alters des Angeklagten - auch die beweiswürdigende Verwertung der Weigerung des Angeklagten, sich zum Zweck der Erstellung eines Sachverständigengutachtens über sein Alter einer Röntgenuntersuchung zu unterziehen, in der vorliegenden Form zulässig.
Der Angeklagte war zwar aufgrund des aus dem Fairnessgebot des Art 6 MRK abzuleitenden Verbots der Ausübung von Zwang zur Selbstbelastung (nemo-tenetur-Prinzip) und des Selbstbestimmungsrechtes über seinen Körper (Recht auf körperliche Unversehrtheit, Art 8 MRK) berechtigt, seine Zustimmung zu einem körperlichen Eingriff, wozu auch eine Röntgenuntersuchung zählt (Birklbauer, WK-StPO Nach § 149 Rz 73), ungeachtet dessen zu verweigern (WK-StPO Nach § 149 Rz 6 ff, 84), dass diese keine die Schuldfrage, sondern eine sein Alter, somit einen Teil seiner Identität betreffende Beweisaufnahme betraf. Denn die geltende StPO kennt keine Verpflichtung zur Duldung einer Röntgenuntersuchung und im konkreten Fall bestand - mangels Vorliegens eines der Kriterien des § 65 Abs 1 bis 3 SPG - auch keine Verpflichtung zur Mitwirkung (§ 65 Abs 4 SPG) an einer erkennungsdienstlichen Maßnahme in Form eines - infolge der demonstrativen Aufzählung in § 64 Abs 2 SPG in diesem Rahmen prinzipiell möglichen - körperlichen Eingriffs. Diese Untersuchung durfte demnach auch nicht zwangsweise vorgenommen werden (§ 78 SPG; vgl Achammer, WK-StPO § 38 Rz 23, 28).
Dennoch wurden durch die beweiswürdigende Verwertung der Weigerung des Angeklagten im vorliegenden Fall seine Rechte nicht verletzt. Zum einen handelte es sich hiebei nicht um eine die Schuldfrage, sondern eine die vom Angeklagten für sich reklamierte privilegierende Strafbefugnisgrenze betreffende Annahme der Tatrichter, zum anderen erfolgte die Weigerung des Angeklagten nicht in Zusammenhang mit seinem Schweigen zu diesem Thema, sondern mit seinen konkreten Angaben, die von den Tatrichtern aufgrund der angeführten Verfahrensergebnisse als unglaubwürdig angesehen worden sind, durch die Einholung eines Sachverständigengutachtens, für welches die Zustimmung des Angeklagten zur Röntgenuntersuchung Voraussetzung gewesen wäre, aber überprüft und gegebenenfalls verifiziert werden hätten können.
Nach der Judikatur des EGMR und des OGH ist sogar die beweiswürdigende Wertung des Schweigens des Angeklagten zur Schuldfrage (§ 245 Abs 2 StPO) nicht unter allen Umständen ausgeschlossen. Unvereinbar mit dem Recht zu schweigen wäre es lediglich, eine Verurteilung ausschließlich oder hauptsächlich auf das Schweigen des Angeklagten oder auf die Weigerung, Fragen zu beantworten oder gegen sich selbst auszusagen, zu stützen. Voraussetzung für die Zulässigkeit von Schlussfolgerungen aus dem Schweigen des Angeklagten ist, dass die belastenden Beweise nach einer Erklärung durch den Angeklagten „rufen" (vgl Kirchbacher, WK-StPO § 245 Rz 47 mit entsprechenden Judikaturnachweisen). Dies gilt umso mehr auch für die vorliegende - nicht zum Nachweis der Schuld, sondern des für die Strafbemessung bedeutsamen Alters des Angeklagten erfolgte - Verwertung der Weigerung, sich einer Röntgenuntersuchung zu unterziehen. Diese wurde vom Schöffengericht weder ausschließlich noch hauptsächlich als Begründung für die Altersannahme herangezogen, vielmehr riefen die vorliegenden (vom Vorsitzenden im zweiten Rechtsgang mit dem Angeklagten eingehend erörterten; ON 57, 66) Verfahrensergebnisse (US 5 ff) geradezu danach, dass der Angeklagte zur Überprüfung seiner Behauptung einer Röntgenuntersuchung zustimmt.
Ungeachtet dessen - und des Umstands, dass es für ihn um eine Reduktion der Strafbefugnisgrenze auf die Hälfte und demgemäß auch um eine ganz massive Reduktion der konkret zu erwartenden Strafe ging (bereits im ersten Rechtsgang war er mit einer fünfjährigen Freiheitsstrafe konfrontiert gewesen) - behauptete er, die Untersuchung aus gesundheitlichen Gründen abzulehnen, weil er im letzten Jahr bereits dreimal geröntgt worden sei. Die Tatrichter waren somit berechtigt, diese Begründung einer beweiswürdigenden Erörterung zu unterziehen und dabei - in Einklang mit den Kriterien folgerichtigen Denkens und grundlegenden Erfahrungssätzen - zu einem für den Angeklagten nachteiligen Ergebnis zu kommen, obwohl der Schluss auf die Intention des Angeklagten, sein wahres Alter zu verschleiern, nicht der einzig mögliche war.
Soweit die Beschwerde (Z 11 iVm Z 5a) versucht, mit dem bloßen Verweis auf die Ausführungen der Mängelrüge erhebliche Bedenken des Obersten Gerichtshofs gegen die Richtigkeit der dem Ausspruch über die Schuld zugrunde gelegten Tatsachen zu erwecken, schlägt sie ebenso fehl. Die Kritik an den Schlussfolgerungen aus den vorliegenden Lichtbildern übersieht, dass die Tatrichter jene nicht isoliert, sondern im Zusammenhang mit ihrem vom Angeklagten gewonnenen persönlichen Eindruck gewertet haben.
Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher als offenbar unbegründet bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 Z 2 StPO), woraus die Kompetenz des Gerichtshofs zweiter Instanz zur Entscheidung über die Berufung und die (implizierte) Beschwerde folgt (§§ 285i, 498 Abs 3 StPO).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.
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