OGH 15Os163/11a

OGH15Os163/11a29.2.2012

Der Oberste Gerichtshof hat am 29. Februar 2012 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Danek als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. T. Solé und Mag. Lendl sowie die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner-Foregger und Dr. Michel-Kwapinski als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin MMag. Linzner als Schriftführerin in der Strafsache gegen Paul S***** wegen des Verbrechens nach § 3g VerbotsG über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Geschworenengericht vom 9. September 2011, GZ 604 Hv 4/10m-40, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen, auf dem Wahrspruch der Geschworenen beruhenden Urteil, das auch einen in Rechtskraft erwachsenen Freispruch enthält, wurde Paul S***** des Verbrechens nach § 3g VerbotsG schuldig erkannt, weil er sich am 15. Mai 2010 in Wien dadurch auf andere als die in §§ 3a bis 3f VerbotsG bezeichnete Weise im nationalsozialistischen Sinn betätigt hat, dass er in der Öffentlichkeit den rechten Arm zum Parteigruß der NSDAP ausstreckte und ihm unbekannte Personen, nämlich Marc B*****, Clemens O*****, Christoph Ba*****, Martin D***** und Christian H***** aufforderte, ebenfalls „die Hand zum deutschen Gruß zu erheben“, und dadurch ein einseitig verherrlichendes, dessen Verantwortung für die NS-Verbrechen gänzlich negierendes Bekenntnis zur Person Adolf Hitlers abgab.

Nach Bejahung der in Richtung Begehung des Verbrechens nach § 3g VerbotsG gestellten Hauptfrage 2./ verneinten die Geschworenen die Zusatzfrage nach Zurechnungsunfähigkeit des Angeklagten. Die Eventualfrage 1./ nach Begehung einer mit Strafe bedrohten Handlung im Zustand voller Berauschung blieb demnach unbeantwortet.

Rechtliche Beurteilung

Dieses Urteil bekämpft der Angeklagte mit einer auf § 345 Abs 1 Z 4, 6, 8, 9, 10a und 11 lit a StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde; sie verfehlt ihr Ziel.

Der Verfahrensrüge (Z 4) zuwider geht aus dem im Protokoll über die Hauptverhandlung am 9. September 2011 enthaltenen Passus „Einverständlich verlesen wird das Hv-Protokoll ON 29“ eindeutig hervor, dass die Verfahrensbeteiligten mit der - nach der gemäß § 276a StPO beschlossenen Neudurchführung der Verhandlung wegen Zeitablaufs vorgenommenen - Verlesung der Ergebnisse der vorangegangenen Hauptverhandlung tatsächlich einverstanden waren (ON 39 S 3). Die Verlesung war damit gemäß § 252 Abs 1 Z 4 StPO auch zulässig. Die ebenfalls protokollierte Zustimmung der Verfahrensbeteiligten, vor Schluss des Beweisverfahrens gemäß § 252 Abs 2a StPO die Verlesung einzelner Aktenstücke, darunter des Hv-Protokolls ON 29, durch einen Vortrag des Vorsitzenden über deren erheblichen Inhalt zu ersetzen, lässt keinen anderen Schluss zu (ON 39 S 61; vgl Kirchbacher, WK-StPO § 252 Rz 141).

Die Fragenrüge (Z 6) behauptet eine Verletzung des § 312 StPO, weil es der Schwurgerichtshof unterlassen hätte, den Geschworenen „alternativ“ die - durch die Aussage eines Zeugen indizierte - Frage zu stellen, „ob der Angeklagte die Hand offen ausgestreckt erhob oder zwei (oder mehrere) Finger abgewinkelt waren“, weil „ein Gruß mit ausgestrecktem rechtem Arm unter Ausstreckung von drei Fingern den Parteigruß der NSDAP, den sogenannten Hitlergruß, nicht verwirklichen“ würde.

Gemäß § 312 Abs 1 zweiter Satz StPO sind in jede anklagekonform zu stellende Hauptfrage die gesetzlichen Merkmale der strafbaren Handlung aufzunehmen und die besonderen Umstände der Tat nach Ort, Zeit und Gegenstand soweit beizufügen, als es (ua) zur deutlichen Bezeichnung der Tat notwendig ist.

Neben der der Ausschaltung der Gefahr der neuerlichen Verfolgung und Verurteilung wegen derselben Tat dienenden Individualisierung der Tat (nach Ort, Zeit, Gegenstand und dergleichen) ist demnach auch deren Konkretisierung durch Aufnahme der den einzelnen Deliktsmerkmalen entsprechenden tatsächlichen Gegebenheiten, die die Subsumtion des von den Geschworenen im Wahrspruch zu Grunde gelegten Sachverhalts überhaupt erst ermöglicht, notwendig (Schindler, WK-StPO § 312 Rz 24).

Wie weit diese Konkretisierung zu gehen hat, inwieweit also hiezu verwendete Begriffe einer weiteren Auflösung bedürfen, um eine Überforderung der Geschworenen hintanzuhalten, ist eine Wertungsfrage (vgl Ratz, WK-StPO § 345 Rz 27, 28).

Mit seinem Vorbringen legt der Nichtigkeitswerber aber nicht dar, inwiefern es fallbezogen für das Verständnis der Geschworenen unbedingt erforderlich gewesen wäre, das dem Angeklagten vorgeworfene Verhalten, nämlich in der Öffentlichkeit den rechten Arm zum Parteigruß der NSDAP ausgestreckt zu haben, in der betreffenden Hauptfrage (noch) genauer zu beschreiben. Bei der Entscheidung, ob sich der Angeklagte tatsächlich einer solchen Geste bedient und andere aufgefordert hat, es ihm gleichzutun, oder nicht, handelt es sich demgegenüber um die allein von den Geschworenen zu beantwortende, lediglich im Rahmen der Tatsachenrüge (Z 10a) überprüfbare Tatfrage.

Unter diesem Aspekt wäre die - von der Beschwerde ins Treffen geführte - mangelnde Erinnerung eines Zeugen daran, ob der Angeklagte auch die Fingerkuppen und alle Finger der erhobenen Hand ausgestreckt hatte, im Übrigen ohnehin nicht geeignet, erhebliche Bedenken gegen die Richtigkeit der Tatsachenfeststellungen im Wahrspruch zu wecken.

Die Instruktionsrüge (Z 8) verkennt, dass Gegenstand der Rechtsbelehrung nach § 321 StPO ausschließlich abstrakte rechtliche Umstände, nicht aber auch solche tatsächlicher Natur sein können, die sich fallbezogen aus dem Beweisverfahren ergeben. Ihr (faktischer) Zusammenhang mit der Anklagetat (und Urteilstat) konnte nur Gegenstand der im Anschluß an die Rechtsbelehrung von der Vorsitzenden vorzunehmenden Besprechung (§ 323 Abs 2 StPO) sein, deren inhaltliche Bekämpfung unter Z 8 des § 345 Abs 1 StPO nicht zulässig ist (vgl RIS-Justiz RS0079810, RS0100764; Philipp, WK-StPO § 321 Rz 16).

Der Einwand, die schriftliche Rechtsbelehrung wäre unvollständig, weil sie nicht dargelegt habe, dass ein Gruß mit ausgestrecktem Arm unter Ausstreckung von nur drei Fingern den Parteigruß der NSDAP (also den Hitlergruß) nicht darstelle, verfehlt daher von vornherein die Ausrichtung am Gesetz.

Ebenso ins Leere geht auch der unter Z 9 erhobene Vorwurf, der eine entsprechende Differenzierung nicht enthaltende Wahrspruch der Geschworenen wäre undeutlich.

Schließlich vermag die Beschwerde (Z 8) nicht methodengerecht aus dem Gesetz abzuleiten, weshalb lediglich der „kumulative Gebrauch“ mehrerer nationalsozialistischer Symbole den Tatbestand nach § 3g VerbotsG verwirklichen sollte, nicht jedoch die mit der an andere gerichteten Aufforderung, ebenfalls „die Hand zum deutschen Gruß zu erheben“, verbundene Verwendung des Hitlergrußes allein, und den Geschworenen daher eine entsprechende Rechtsbelehrung (§ 321 Abs 1 StPO) hätte erteilt werden müssen.

Die Berufung auf die (richtig:) in EvBl 1994/84 veröffentlichte Entscheidung des Obersten Gerichtshofs (15 Os 155/93) greift schon deshalb zu kurz, weil in diesem Fall zwar der Einsatz mehrerer typisch nationalsozialistischer Symbole, wie des Hakenkreuzes und des Hitlergrußes, dem Tatbestand des § 3g VerbotsG unterstellt, aber keineswegs ausgesprochen wurde, dass es zur Tatbestandsverwirklichung jedenfalls der Verwendung einer Mehrzahl solcher Symbole bedürfte. Die Rüge verfehlt solcherart die gesetzlichen Anforderungen (vgl Ratz, WK-StPO § 345 Rz 65).

Gleiches gilt für die Rechtsrüge (nominell auch Z 10a, der Sache nach nur Z 11 lit a), die mit dem inhaltsgleichen Argument einen Rechtsfehler mangels Feststellungen behauptet.

Entgegen der Tatsachenrüge (Z 10a) ergeben sich aus der - im Übrigen ohne Angabe der Fundstelle in den Akten ins Treffen geführten (vgl RIS-Justiz RS0124172) - Beobachtung des Franz S***** zu einer vor dem Verhandlungssaal von einem Zeugen gegenüber anderen Zeugen getätigten Äußerung über die - seiner Ansicht nach - für einen Schuldspruch erforderliche Absprache von Zeugen keine erheblichen Bedenken gegen die Richtigkeit der im Wahrspruch der Geschworenen festgestellten entscheidenden Tatsachen.

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§§ 285d Abs 1, 344 StPO), woraus sich die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufung ergibt (§§ 285i, 344 StPO).

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 390a Abs 1 StPO.

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