OGH 15Os143/21z

OGH15Os143/21z9.3.2022

Der Oberste Gerichtshof hat am 9. März 2022 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Kirchbacher als Vorsitzenden sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel‑Kwapinski, Mag. Fürnkranz und Dr. Mann in der Strafsache gegen * K* und einen weiteren Angeklagten wegen des Vergehens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 zweiter und dritter Fall, Abs 3 erster Fall SMG und weiterer strafbarer Handlungen, über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten * T* gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 8. September 2021, GZ 71 Hv 75/21z‑76, sowie über die Beschwerde des Genannten gegen den Beschluss des Vorsitzenden des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 6. Dezember 2021, (ON 110), nach Anhörung der Generalprokuratur (§ 62 Abs 1 zweiter Satz OGH‑Geo 2019) zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0150OS00143.21Z.0309.000

 

Spruch:

 

Der Beschwerde wird nicht Folge gegeben.

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Aus deren Anlass wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, im Schuldspruch F./, demgemäß auch im den Angeklagten * T* betreffenden Strafausspruch (einschließlich der Vorhaftanrechnung) aufgehoben und die Sache in diesem Umfang zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht für Strafsachen Wien verwiesen.

Mit seiner Berufung wird der Angeklagte T*auf diese Entscheidung verwiesen.

Ihm fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

 

Gründe:

[1] Soweit im Verfahren über die Nichtigkeitsbeschwerde relevant, wurde mit dem angefochtenen Urteil * T* jeweils eines Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 zweiter und dritter Fall, Abs 4 Z 3 SMG teilweise als Beteiligter nach § 12 zweiter Fall StGB (A./I./ und A./III./) und nach § 28a Abs 1 fünfter Fall, Abs 2 Z 3 SMG (B./), der Vergehen des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs 1 Z 1 erster und zweiter Fall, Abs 2 SMG (D./II./), des Verbrechens des schweren Raubes nach §§ 142 Abs 1, 143 Abs 1 zweiter Fall StGB (E./) und des Vergehens des Diebstahls nach § 127 StGB (F./) schuldig erkannt.

[2] Danach hat er in W* und andernorts

A./I./ vorschriftswidrig Suchtgift, nämlich Crystal Meth (auch genannt: Piko) mit dem Wirkstoff Methamphetamin, in einer das Fünfundzwanzigfache der Grenzmenge (§ 28b SMG) übersteigenden Menge aus der Türkei aus‑ und nach Österreich eingeführt, indem er es in seinem Gepäck und seiner Kleidung verborgen auf dem Luftweg von Istanbul nach W* transportierte, und zwar

1./ am 3. Mai 2021 sieben Säckchen mit insgesamt 101 Gramm mit einer Reinsubstanz von zumindest 78 Gramm Methamphetamin;

2./ zwischen 1. Dezember 2020 und Ende März 2021 in einer nicht mehr feststellbaren Zahl von Angriffen insgesamt mindestens 300 Gramm mit einer Reinsubstanz von zumindest 231 Gramm Methamphetamin (US 12);

III./ Ende März 2021 (US 10) * K* dazu bestimmt, am 3. April 2021 vorschriftswidrig Suchtgift, nämlich drei Säckchen mit insgesamt 73,5 Gramm Crystal Meth mit einer Reinsubstanz von zumindest 57,59 Gramm Methamphetamin, in ihrem Körper verborgen auf dem Luftweg von Istanbul nach W* aus der Türkei aus- und nach Österreich einzuführen;

B./ zu einem nicht mehr feststellbaren Zeitpunkt vor dem 1. Dezember 2020 bis 3. Mai 2021 vorschriftswidrig Suchtgift in einer das Fünfzehnfache der Grenzmenge (§ 28b SMG) übersteigenden Menge, nämlich insgesamt zumindest 400 Gramm Crystal Meth mit einer Reinsubstanz von zumindest 231 Gramm Methamphetamin, in zahlreichen Angriffen den im Urteil angeführten Personen zum Preis von durchschnittlich 80 Euro pro Gramm überlassen;

D./II./ seit einem nicht mehr feststellbaren Zeitpunkt bis 3. Mai 2021 vorschriftswidrig Crystal Meth mit dem Wirkstoff Methamphetamin ausschließlich zum persönlichen Gebrauch erworben und besessen;

E./ zu einem nicht mehr feststellbaren Zeitpunkt im Februar oder März 2021 durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben (§ 89 StGB) unter Verwendung einer Waffe * V* zirka 30 Gramm Crystal Meth im Wert von etwa 2.400 Euro sowie ein Mobiltelefon mit dem Vorsatz weggenommen, durch deren Zueignung sich oder einen Dritten unrechtmäßig zu bereichern, indem er von der Rückbank eines Autos aus V* eine Schreckschuss‑ oder CO2‑Pistole an die linke Wange hielt und Suchtgift sowie das Handy von diesem forderte (US 14) und an sich nahm;

F./ am 6. Mai 2013 * M* 100 Euro mit dem Vorsatz weggenommen, sich durch deren Zueignung unrechtmäßig zu bereichern.

Rechtliche Beurteilung

[3] Dagegen richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 3, 5 und 10 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten.

[4] Die darüber hinaus erhobene Beschwerde des Genannten richtet sich gegen den Beschluss des Vorsitzenden des Schöffengerichts vom 6. Dezember 2021, mit dem das Hauptverhandlungsprotokoll von Amts wegen berichtigt wurde (ON 110).

[5] Der zuletzt genannten Beschwerde kommt keine Berechtigung zu. Sie bekämpft die von Amts wegen erfolgte Ergänzung des Hauptverhandlungsprotokolls um die – von der Verfahrensrüge (Z 3) in Abrede gestellten – Förmlichkeiten des Aufrufs der Sache nach Verhandlungsunterbrechungen sowie vor der Urteilsverkündung zunächst mit dem rechtlich nicht relevanten Argument, der Beschluss zitiere § 270 Abs 3 StPO anstelle von § 271 Abs 7 StPO. Die Kritik, der Vorsitzende habe vor der Ergänzung des Protokolls keine Erhebungen durchgeführt, erklärt wiederum nicht, welche im konkreten Fall erforderlich gewesen wären (vgl § 271 Abs 7 zweiter Satz StPO). Mit der Behauptung, der Aufruf der Sache sei drei Mal nicht protokolliert worden, was keinen anderen Schluss zulasse, als dass dieser nicht stattgefunden habe, werden die von der Berichtigung betroffenen Umstände lediglich unsubstantiiert in Abrede gestellt. Auch nach umfassender Prüfung besteht für den Obersten Gerichtshof kein Anlass zur Annahme, die angefochtene Protokollergänzung sei rechtlich verfehlt erfolgt oder sachlich unrichtig.

[6] Die Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten verfehlt ihr Ziel.

[7] Der von der Verfahrensrüge (Z 3) behauptete Verstoß gegen § 228 Abs 1 StPO liegt nicht vor. Denn nach dem Ergebnis der gemäß § 285f StPO eingeholten Aufklärung durch den Obersten Gerichtshof sowie dem (ergänzten) Hauptverhandlungsprotokoll erfolgte – entgegen den Beschwerdebehauptungen – sowohl nach den beiden Unterbrechungen der Hauptverhandlung um 12:37 Uhr und um 13:45 Uhr (ON 75 S 37 und 57) als auch vor der Urteilsverkündung jeweils neuerlich ein Aufruf der Sache über das Mikrofon. Dadurch wurden hinreichende Vorkehrungen zur Wahrung der Öffentlichkeit in der Hauptverhandlung getroffen und lag ein faktischer Ausschluss derselben (vgl dazu RIS‑Justiz RS0117048; Danek/Mann, WK‑StPO § 229 Rz 10, § 239 Rz 8/1 und § 273 Rz 12) zu keinem in der Beschwerde aufgegriffenen Zeitpunkt vor.

[8] Der Einwand der Mängelrüge (Z 5 vierter Fall), die vom Erstgericht zur Urteilsbegründung herangezogenen Aktenstücke ON 14, 37, 45, 71 und 72 sowie ON 44 in ON 53 seien in der Hauptverhandlung mangels Vortrags derselben nicht vorgekommen, steht im Widerspruch zum (in diesem Umfang ungerügt gebliebenen und aus Sicht des Obersten Gerichtshofs unbedenklichen) Hauptverhandlungsprotokoll. Diesem zufolge wurde gemäß § 252 Abs 2a StPO der gesamte Akteninhalt mit Zustimmung der Verfahrensbeteiligten zusammengefasst vorgetragen sowie (unter anderem) der einbezogene Strafakt ON 53 verlesen (ON 75 S 61). Dass einige Aktenteile durch Benennung ihrer Ordnungsnummern zusätzlich (arg „insbesonders“, „und die darin befindlichen ON ...“) aufgezählt werden, berechtigt nicht zu dem von der Beschwerde gezogenen Schluss, die übrigen Aktenstücke wären nicht vorgekommen. Eine erfolgreiche Geltendmachung von Begründungsmängeln aufgrund des Nichtvorkommens von Aktenteilen scheidet daher gegenständlich von vornherein aus.

[9] Entgegen der zu A./I./2./ erhobenen Rüge (Z 5 vierter Fall) blieben weder die Feststellungen zur Menge des insgesamt nach Österreich eingeführten Suchtgifts noch zu dessen Reinheitsgehalt offenbar unzureichend begründet. Erstere stützte das Schöffengericht auf Aussagen der Mitangeklagten K*, die am 3. Mai 2021 beim Angeklagten vorgenommene Sicherstellung von Suchtgift sowie auf eine Aufstellung von Fluggastdatensätzen (US 19 ff), letztere auf Auswertungen der am 3. April und 3. Mai 2021 sichergestellten Suchtgifte (US 23). Dass das Gericht dabei aus den Beweisergebnissen auch – der Logik und Empirie nicht widersprechende – Wahrscheinlichkeitsschlüsse gezogen hat, ist – der bloße Mutmaßungen und Unterstellungen des Gerichts behauptenden Beschwerde zuwider – unter dem Blickwinkel der Begründungstauglichkeit nicht zu beanstanden (RIS‑Justiz RS0098362).

[10] Die zu E./ getroffenen Feststellungen zur Verwendung einer Schreckschuss- oder CO2‑Pistole bei der Begehung des Raubes (US 14) hat das Erstgericht auf die Angaben der Zeugen V*, * G* und der Mitangeklagten K* gestützt (US 28 ff); das behauptete Begründungsdefizit (Z 5 vierter Fall) liegt daher nicht vor.

[11] Warum diese Feststellungen die Subsumtion nach § 143 Abs 1 zweiter Fall StGB nicht tragen (vgl aber RIS‑Justiz RS0094112, RS0094098 zu Gaspistolen sowie RS0081899 zu Schreckschusspistolen), macht die Rüge (Z 10) nicht klar.

[12] Weshalb Feststellungen erforderlich gewesen wären, „ob“ die Tatwaffe unter den Waffenbegriff des § 45 Z 3 WaffG fällt, leitet die Beschwerde durch Verweis auf die (diese Behauptung nicht tragende) Entscheidung 15 Os 46/11w nicht methodengerecht (RIS‑Justiz RS0128393) aus dem Gesetz ab (vgl zum funktionalen Waffenbegriff des § 143 StGB im Übrigen RIS‑Justiz RS0093928, RS0094048).

[13] Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bereits bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO).

[14] Aus deren Anlass überzeugte sich der Oberste Gerichtshof, dass dem Urteil im Schuldspruch F./ nicht geltend gemachte Nichtigkeit (§ 281 Abs 1 Z 9 lit b StPO) zum Nachteil des Angeklagten anhaftet.

[15] Nach den Feststellungen hat der Angeklagte T* die als Vergehen des Diebstahls nach § 127 StGB subsumierte Tat am 6. Mai 2013 begangen (US 15). Mit Blick auf die maßgebliche Verjährungsfrist von einem Jahr (§ 57 Abs 3 letzter Fall StGB) macht das Fehlen von Konstatierungen zu den Ablauf oder den Fortlauf der Verjährung hemmenden Umständen (§ 58 Abs 2 und 3 StGB) die (implizite) rechtliche Beurteilung, die Strafbarkeit des in Rede stehenden Diebstahls sei nicht verjährt, unschlüssig (RIS‑Justiz RS0122332 [T1, T6, T7, T11], RS0091794 [T4]).

[16] Dieser Rechtsfehler mangels Feststellungen erforderte – bei der nichtöffentlichen Beratung (§ 285e iVm § 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO) – die Aufhebung des Urteils im Schuldspruch F./ und demzufolge auch im Strafausspruch (einschließlich der Vorhaftanrechnung). In diesem Umfang war die Strafsache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zu verweisen.

[17] Mit seiner Berufung war der Angeklagte auf die Kassation zu verweisen.

[18] Die Kostenentscheidung, die sich nicht auf die amtswegige Maßnahme bezieht (Lendl, WK‑StPO § 390a Rz 12), beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

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