Spruch:
In teilweiser Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, in den Schuldsprüchen A./1./a./ bis c./ und A./2./a./, in der zu A./ gebildeten Subsumtionseinheit und demgemäß auch im Strafausspruch sowie aus deren Anlass im Verfallserkenntnis aufgehoben und die Sache in diesem Umfang zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht für Strafsachen Graz verwiesen.
Im Übrigen wird die Nichtigkeitsbeschwerde zurückgewiesen.
Mit seiner Berufung wird der Angeklagte auf die kassatorische Entscheidung verwiesen.
Ihm fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurde Alexander M***** „des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 zweiter, dritter und fünfter Fall, Abs 4 Z 3 SMG“ (A./), des Verbrechens der Vorbereitung von Suchtgifthandel nach § 28 Abs 1 (erster Satz) und Abs 2 SMG (B./) und des Vergehens des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs 1 Z 1 erster und zweiter Fall SMG (C./) schuldig erkannt.
Danach hat er in G***** und anderen Orten vorschriftswidrig Suchtgift
„A./ nämlich Kokain mit einem Reinheitsgehalt von durchschnittlich 90 % in einer das 25-fache der Grenzmenge (§ 28b SMG) übersteigenden Menge
1./ ein- und ausgeführt, indem er von Jänner 2011 bis Juni 2011 bei insgesamt drei Flügen aus Südamerika insgesamt ca 5.780 Gramm Kokain über Spanien und Italien nach Wien schmuggelte, und zwar
a./ im Jänner bzw Februar 2011 ca 1.700 Gramm Kokain im Reisegepäck und weitere 100 Gramm Kokain in Form von sogenannten Bodypacks von Chile über Mailand nach Wien;
b./ im März 2011 ca 2.000 Gramm von San Jose/Costa Rica über Madrid nach Wien;
c./ im Mai bzw Juni 2011 ca 2.000 Gramm Kokain von San Jose/Costa Rica über Mailand nach Wien;
d./ zu einem unbekannten Zeitpunkt vor dem 5. September 2012 ca 1.959,10 Gramm Kokain (1.208 +/‑ 17,2 Gramm Cocain Base, 2 Pakete, Reinheitsgehalt 70,6 +/‑ 1,1 und 67,7 +/‑ 1,0 %) mit dem PKW von Spanien durch Frankreich und Italien nach Österreich transportierte;
2./ als Bestimmungstäter (§ 12 zweiter Fall StGB) ein- und ausgeführt, indem er die nachgenannten unmittelbaren Täter zum Schmuggel der unten angeführten Mengen von Kokain dadurch bestimmte, dass er ihre Reisekosten übernahm, die Reiseroute festlegte, sämtliche Formalitäten im Zusammenhang mit der Reiseroute und ihrer Unterbringung vor Ort organisierte, das Kokain beim Lieferanten abholte und in die jeweiligen Quartiere brachte, die Zubereitung des Kokains für den Weitertransport übernahm, die Transportgefäße in Form von Plastikflaschen befüllte und den Transport zum Flugzeug und die Bewachung der jeweiligen Drogenkuriere teils selbst übernahm, teils organisierte, und zwar:
a./ von Jänner 2011 bis Juni 2011 Annamaria N***** zum Schmuggel von insgesamt ca 5.780 Gramm Kokain bei insgesamt drei Schmuggelflügen und zwar
(1) im Jänner bzw Februar 2011 ca 1.700 Gramm Kokain im Reisegepäck und weitere 80 Gramm Kokain in Form von sogenannten Bodypacks von Chile über Mailand nach Wien;
(2) im März 2011 ca 2.000 Gramm von San Jose/Costa Rica über Madrid nach Wien;
(3) im Mai bzw Juni 2011 ca 2.000 Gramm Kokain von San Jose/Costa Rica über Mailand nach Wien;
b./ Franz G***** zum Schmuggel von insgesamt ca 4.286 Gramm Kokain, und zwar
(1) am 5. Dezember 2011 ca 2.000 Gramm Kokain von Costa Rica nach Barcelona;
(2) am 29. Dezember 2011 ca 2.286 Gramm Kokain, wobei die Tatvollendung jedoch aufgrund der Festnahme von Franz G***** am Flughafen von Costa Rica scheiterte;
c./ am 21. August 2011 Daniel Na***** zum Schmuggel von zumindest 1.000 Gramm Kokain von Costa Rica über Spanien und Deutschland nach Wien;
3./ andern überlassen, indem er im Frühjahr/Sommer 2011 ca 250 Gramm Kokain mit einem Reinheitsgehalt von ca 40 % an den abgesondert verfolgten Josef S***** zum Preis von 10.000 Euro verkaufte;
B./ in einer das Fünfzehnfache der Grenzmenge (§ 28b SMG) übersteigenden Menge mit dem Vorsatz erworben, besessen und befördert, dass es in Verkehr gesetzt werde, indem er am 5. September 2012 ca 2.200 Gramm Kokain (1.208 +/‑ 17,2 Gramm Cocain Base) in seinem Auto transportierte, um es in Wien zu verkaufen;
C./ erworben und besessen, indem er im Zeitraum von zumindest 27. März 2009 bis 5. September 2012 unbekannte Mengen hochprozentiges Kokain konsumierte.“
Dieses Urteil bekämpft der Angeklagte mit einer auf § 281 Abs 1 Z 3, 4, 5, 10 und 11 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde.
Rechtliche Beurteilung
Die Verfahrensrüge (Z 3) kritisiert im Ergebnis zutreffend einen durch Verlesung der Aussage der Zeugin Annamaria N***** (ON 230 S 15; US 18 zweiter Absatz) erfolgten Verstoß gegen § 252 Abs 1 Z 1 StPO.
Die Beurteilung der Frage, wann die Suche nach einem Zeugen aufgegeben, sein Aufenthalt als unbekannt angesehen und sein persönliches Erscheinen füglich nicht bewerkstelligt werden kann, und damit die Verlesung seiner früheren (nicht kontradiktorisch zustande gekommenen) Aussagen zulässig ist (§ 252 Abs 1 Z 1 StPO), hat nach Lage des konkreten Einzelfalls zu erfolgen. Die Voraussetzungen für die Verlesung sind um so restriktiver zu handhaben, je wichtiger der fragliche Zeugenbeweis für die Wahrheitsfindung ist und je schwerer der dem Angeklagten zur Last liegende Vorwurf wiegt (RIS‑Justiz RS0108361; Kirchbacher, WK‑StPO § 252 Rz 61).
Fallbezogen haben die Tatrichter die Annahme, die Zeugin Annamaria N***** sei unbekannten Aufenthalts, mit dem Ergebnis einer negativen „ZMR‑Anfrage“ in Verbindung mit Hinweisen auf (jeweils nicht aktenkundige) polizeiliche Ermittlungen sowie einen gegen die Genannte erlassenen „Haftbefehl“ begründet (ON 230 S 15; US 18 zweiter Absatz). Aus dem Akteninhalt (ON 1 S 54 unten) ergibt sich, dass sich die gerichtlichen Anstrengungen zur Ausforschung des Aufenthalts der Zeugin auf die Einholung einer Abfrage aus dem Zentralen Melderegister (ON 226), aus dem VJ‑Register (AZ 82 Hv 94/13p des Landesgerichts für Strafsachen Wien) und die Befragung des Angeklagten und des Zeugen F***** (ON 230 S 5 und 12) beschränkt haben. In Anbetracht des erheblichen Gewichts der von Annamaria N***** erhobenen Vorwürfe und des Fehlens anderer Beweismittel wäre das Erstgericht für die Annahme tatsächlicher Unerreichbarkeit der Zeugin verpflichtet gewesen, weitergehende Versuche zu ihrer Ausforschung ‑ insbesondere durch tatsächliche Erhebungen der Sicherheitsbehörden zu ihrem Aufenthalt ‑ zu unternehmen.
Soweit Annamaria N***** in dem gegen sie anhängigen Verfahren AZ 82 Hv 94/13p des Landesgerichts für Strafsachen Wien dem Registerstand (VJ) zufolge mit Verfügung vom 25. Juni 2013 zur Verhaftung ausgeschrieben und das genannte Verfahren gemäß § 197 Abs 1 StPO abgebrochen wurde, bleibt anzumerken, dass ‑ mit Blick auf den nur kurzen Zeitablauf und fehlende polizeiliche Berichterstattung über allfällige Vollzugsversuche ‑ allein daraus ein unbekannter Aufenthalt der Zeugin noch nicht abgeleitet werden kann (RIS‑Justiz RS0108361 und RS0101349 [T1]).
Das Fehlen hinreichender Anstrengungen zur Ausforschung und Ladung der Zeugin Annamaria N***** war für den Angeklagten zweifellos nachteilig (§ 281 Abs 3 erster Satz StPO), weil sich die Tatrichter zur Begründung der Schuldsprüche A./1./a./ bis c./ und A./2./a./ wesentlich auf ihre den Angeklagten belastende Aussage vor der Polizei (ON 174 S 37 ff) gestützt haben (US 18 f). Da bereits dieser im Ergebnis zutreffend aufgezeigte Verfahrensmangel zur Aufhebung der genannten Schuldsprüche zwingt, erübrigt sich insoweit ein Eingehen auf das weitere Vorbringen.
Der (die Schuldsprüche A./2./b./ und c./ betreffenden) Verfahrensrüge (Z 4) zuwider wurde der in der Hauptverhandlung vom 16. Juli 2013 gestellte Antrag auf „Beiziehung eines Sachverständigen aus dem Gebiet des Flughafenkontrollwesens zum Beweis für den Umstand, dass der Schmuggel von mehr als einem Kilogramm Kokain im Zuge der heutigen Flughafenkontrollen auf internationalen Flughäfen in Europa unmöglich ist“ (ON 229 S 9, ON 230 S 13), zu Recht abgewiesen, weil er auf einer bloß spekulativen Behauptung des Angeklagten beruht.
Dem Antrag auf Vernehmung der Zeugen Michael R*****, Csilla D*****, Josef Z*****, Johann H*****, Julian B*****, Klothilde O***** und Josef M***** (ON 229 S 9 ff iVm ON 230 S 14) ist nicht zu entnehmen, welche konkreten, für die Schuld‑ oder Subsumtionsfrage relevanten Beweisergebnisse die beantragten Beweisaufnahmen jeweils erwarten lassen (vgl RIS-Justiz RS0118123, RS0099453 und RS0107040), sodass insoweit bloß unzulässige Erkundungsbeweisführung begehrt wird. Die Fragen, ob Michael R***** „unmittelbar im Zusammenhang mit den Suchtmittelgeschäften des Angeklagten“ steht, „ob von Seiten des Angeklagten Druck auf Daniel Na***** ausgeübt wurde“ und ob „der Angeklagte in der Wohnung ein Suchtmitteldepot eingerichtet“ hat (ON 230 S 14), betreffen keine für die Entscheidung relevanten Tatsachen. Die zur Antragsbegründung im Rechtsmittel nachgetragenen Argumente sind prozessual verspätet und somit nicht beachtlich (RIS‑Justiz RS0099618).
Zur begehrten Ladung des Zeugen Franz G***** bleibt anzumerken, dass mit Blick auf dessen Verbüßung einer mehrjährigen Haftstrafe in Costa Rica (ON 230 S 7 Mitte und 15 oben) nicht zu überblicken ist, ob diese überhaupt und in absehbarer Zeit möglich ist. Aussichtslose und undurchführbare Beweise sind aber nicht aufzunehmen (§ 55 Abs 2 erster Satz StPO; RIS‑Justiz RS0099502; Kirchbacher, WK‑StPO § 246 Rz 31). Insgesamt konnte der Antrag daher ohne Verletzung von Verteidigungsrechten abgewiesen werden.
Keine entscheidende Tatsache betrifft der Einwand der Mängelrüge, mangels zureichender Begründung (Z 5 vierter Fall) sei es unzulässig gewesen, den Schuldsprüchen A./1./a./ bis c./ und 2./a./ bis c./ einen Reinheitsgehalt des Suchtgifts von 90 % zugrunde zu legen, weil allein die A./1./d./ zugrunde liegenden 1.208 Gramm Cocain Base die Grenzmenge (§ 28b SMG) um rund das 80‑fache übersteigen und selbst die Annahme des geringsten vom Beschwerdeführer reklamierten Reinheitsgehalts von 40 % jeweils ein Überschreiten des Fünfundzwanzigfachen der Grenzmenge (§ 28b SMG) Kokain ergäbe, sodass sich an der von den Tatrichtern angenommenen Verwirklichung des Verbrechens nach § 28a Abs 1 zweiter und dritter Fall, Abs 4 Z 3 SMG nichts ändern würde (RIS‑Justiz RS0120681). Gleiches gilt für die Differenz von 200 Gramm zwischen dem Referat der entscheidenden Tatsachen (§ 260 Abs 1 Z 1 StPO) zu A./1./a./ (1.800 Gramm) und den dazu getroffenen Konstatierungen in den Gründen (2.000 Gramm; US 8).
Auch der auf die die Differenzierung zwischen Vollendung und Versuch der Taten (A./1./d./ und B./) gerichtete Einwand der Undeutlichkeit (Z 5 erster Fall) bezieht sich auf keine entscheidenden Tatsachen (RIS‑Justiz RS0122137).
Das ‑ die entgegen § 64 Abs 1 iVm § 444 Abs 1 StPO nicht am Verfahren beteiligten Zoltan K***** und Laszlo Me***** betreffende ‑ Verfallserkenntnis ist mit Nichtigkeit (§ 281 Abs 1 Z 11 erster Fall StPO) behaftet, weil dem Urteil keinerlei Entscheidungsgrundlagen zu dieser vermögensrechtlichen Anordnung zu entnehmen sind (US 23 letzter Satz; RIS‑Justiz RS0114233 [T4]).
Im aufgezeigten Umfang war das angefochtene Urteil daher aufzuheben und Verfahrenserneuerung anzuordnen. Im Übrigen war die Nichtigkeitsbeschwerde bereits bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO).
Mit seiner Berufung war der Angeklagte auf die kassatorische Entscheidung zu verweisen.
Der Kostenausspruch gründet sich auf § 390a Abs 1 StPO.
Rechtlich bleibt klarzustellen, dass sich nur gleichartige Verbrechen zu einer Subsumtionseinheit nach § 28a Abs 4 Z 3 SMG zusammenfassen lassen, also solche desselben Tatbilds, nicht aber solche verschiedener Tatbilder, wie Aus‑ und Einfuhr einerseits und Überlassung andererseits. Die vom Erstgericht zu A./ vorgenommene rechtsirrige Zusammenfassung der dort genannten Taten bringt daher in Wahrheit Schuldsprüche wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 zweiter und dritter Fall, Abs 4 Z 3 SMG und wegen Verbrechen des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall SMG zum Ausdruck (11 Os 44/11x). Die dafür erforderlichen Tatsachengrundlagen sind der Gesamtheit der Entscheidungsgründe mit noch hinreichender Deutlichkeit zu entnehmen (US 10 bis US 12, 17 und 21; Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 19).
Die kumulative Annahme von Bestimmungstäterschaft und unmittelbarer Täterschaft in Ansehung der Aus‑ und Einfuhr derselben Suchtgiftmengen (A./1./a./ bis c./ und A./2./a./) ist ‑ wie auch die Rüge zutreffend ausführt ‑ rechtlich verfehlt, weil Bestimmung hinter unmittelbare Täterschaft als materiell subsidiär zurück tritt (RIS‑Justiz RS0113616 [T1]).
Nach den Feststellungen zu A./1./d./ (US 14, 19 und 21 zweiter Absatz) ist diese strafbare Handlung durch die bereits erfolgte Einfuhr des Suchtgifts nach Österreich bereits vollendet, weshalb für die Annahme eines Versuchs (US 3, 23) kein Raum bleibt.
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