European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2014:0150OS00123.14Y.1203.000
Spruch:
In Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde wird das angefochtene Urteil aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht Innsbruck verwiesen.
Mit seiner Berufung wird der Angeklagte auf diese Entscheidung verwiesen.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurde Philipp W***** des Verbrechens der Brandstiftung nach § 169 Abs 1 StGB schuldig erkannt.
Danach hat er am 17. März 2014 in H***** an einer fremden Sache, nämlich dem Haus seiner Großeltern Maria und Stefan W***** ohne deren Einwilligung dadurch, dass er im Gästezimmer einen von ihm vorher mit einem Brandbeschleuniger getränkten Fleckerlteppich anzündete, woraufhin sich ein Brand entwickelte, der den gesamten ersten Stock des genannten Gebäudes zerstörte, eine Feuersbrunst verursacht.
Rechtliche Beurteilung
Die dagegen vom Angeklagten erhobene, auf Z 3 und 5 des § 281 Abs 1 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde ist berechtigt.
In der Hauptverhandlung referierte die Vorsitzende (ohne Zustimmung der Parteien) „den wesentlichen Inhalt des Aktes“ ..., wobei „auf wörtliche Verlesung des Aktes bzw Teilen desselben ausdrücklich verzichtet“ wurde (ON 9 S 17; vgl jedoch RIS‑Justiz RS0110681; Kirchbacher, WK‑StPO § 252 Rz 136). Diesbezüglich zeigt die Verfahrensrüge (Z 3) zutreffend auf, dass der Amtsvermerk über die Angaben der Schwester des Angeklagten Melanie W***** als Auskunftsperson gegenüber der Polizei (ON 4 S 5 und S 135 f), auf welche sich das Schöffengericht in der Beweiswürdigung auch stützte (US 7; § 281 Abs 3 erster Satz StPO), nicht vorgetragen werden hätte dürfen. Protokolle über die Vernehmung von Zeugen sowie Amtsvermerke und andere amtliche Schriftstücke, in denen Aussagen von Zeugen festgehalten worden sind, dürfen bei sonstiger Nichtigkeit nur in den in § 252 Abs 1 StPO normierten Ausnahmefällen verlesen oder vorgeführt werden. Der Vortrag des Vorsitzenden darf die Verlesung oder Vorführung nur ersetzen, soweit die Beteiligten des Verfahrens auf die tatsächliche Verlesung verzichten und zustimmen. Die Anforderungen an dieses Einverständnis sind wie im Fall des § 252 Abs 1 Z 4 StPO zu beurteilen (Kirchbacher, WK‑StPO § 252 Rz 134). Eine Zustimmung zum Vortrag des gesamten Akteninhalts gemäß § 252 Abs 2a StPO beinhaltet das Einverständnis gemäß Abs 1 Z 4 leg cit, dass die vom Vortrag umfassten Aktenstücke in der Hauptverhandlung vorkommen (RIS‑Justiz RS0127712). Nach gefestigter Rechtsprechung reicht jedoch das widerspruchslose Hinnehmen einer nach § 252 Abs 1 Z 1 bis 3 StPO grundsätzlich unzulässigen Verlesung oder eines Vortrags im Sinn des § 252 Abs 2a StPO allein selbst bei einem anwaltlich vertretenen Angeklagten in der Regel nicht aus, ein stillschweigendes Einverständnis zu dieser Prozesshandlung anzunehmen. Um von einer konkludenten Zustimmung ausgehen zu können, ist erforderlich, dass über das bloße Unterbleiben eines Widerspruchs hinaus den Akten noch weitere konkrete Anhaltspunkte zu entnehmen sind, die unzweifelhaft auf das vom Gesetz geforderte Einverständnis schließen lassen (RIS‑Justiz RS0099242; Kirchbacher, WK‑StPO § 252 Rz 102 f, 134). An derartigen Anhaltspunkten fehlt es ‑ ungeachtet des protokollierten Verzichts „auf wörtliche Verlesung des Aktes bzw Teilen desselben“ (vgl 15 Os 29/07i) ‑ fallaktuell. Der Vortrag des gesamten Akteninhalts in der Hauptverhandlung widerspricht, soweit er auch einen Amtsvermerk über Angaben der Zeugin Melanie W***** (ON 4 S 5 und S 135 f) umfasst, dem Gesetz.
Schon dieser Verfahrensfehler erfordert die Aufhebung des Urteils, sodass auf das weitere Vorbringen der Nichtigkeitsbeschwerde nicht einzugehen ist.
Mit seiner Berufung war der Angeklagte auf die kassatorische Entscheidung zu verweisen.
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