OGH 15Os117/01

OGH15Os117/0125.10.2001

Der Oberste Gerichtshof hat am 25. Oktober 2001 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Markel als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag. Strieder, Dr. Zehetner, Dr. Philipp und Dr. Danek als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Emsenhuber als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Gerald H***** wegen des Vergehens der Sachbeschädigung nach § 125 StGB und anderer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichtes Ried im Innkreis als Schöffengericht vom 21. Mai 2001, GZ 10 Vr 109/01-15, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Tiegs, und des Angeklagten, jedoch in Abwesenheit desVerteidigers zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Nichtigkeitsbeschwerde wird teilweise Folge gegeben, das angefochtene Urteil, das im Übrigen (Punkte I. und IV. des Freispruchs) unberührt bleibt, in den Punkten II. und III. des Freispruchs (von der Anklage wegen der Vergehen der Körperverletzung nach § 83 Abs l StGB und der geschlechtlichen Nötigung nach § 202 Abs l StGB) sowie aus deren Anlass auch gemäß § 290 Abs 1 StPO im Schuldspruch (wegen des Vergehens der Sachbeschädigung nach § 125 StGB) und demgemäß auch im Strafausspruch aufgehoben und die Sache im Umfang der Aufhebung zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht verwiesen.

Im Übrigen wird die Nichtigkeitsbeschwerde verworfen.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde der Angeklagte Gerald H***** des Vergehens der Sachbeschädigung nach § 125 StGB schuldig erkannt, weil er am 19. Dezember 2000 in Ried im Innkreis zunächst die WC-Tür und sodann die Wohnungstür der Christine B***** aufgebrochen und dadurch fremde Sachen beschädigt hat, wobei der Gesamtschaden 4.768,80 S betrug.

Von der weiters wider ihn erhobenen Anklage, er habe am 19. Dezember 2000 in Ried im Innkreis Christine B*****

I./ mit Gewalt zu einer Handlung, nämlich zum Aufsuchen ihrer Wohnung genötigt, indem er sie am rechten Arm packte und in ihre Wohnung zurückzerrte;

II./ vorsätzlich am Körper verletzt, indem er ihre Beine gegen den Türstock schleuderte, wobei sie eine Prellung und einen Bluterguss am linken Knie erlitt;

III./ außer den Fällen des § 201 StGB mit Gewalt zur Duldung einer geschlechtlichen Handlung genötigt, indem er sie trotz heftiger Gegenwehr vollständig entkleidete, zur Couch zog, sich auf ihren Rücken legte, mit seiner linken Hand ihren Mund und ihre Nase zuhielt, mit seiner rechten Hand ihre beiden Hände festhielt und mit seinem Penis an ihrem Gesäß bis zur Ejakulation onanierte sowie

IV./ durch gefährliche Drohung zu einer Handlung zu nötigen versucht, indem er zu ihr sagte: "Wenn du mir nicht jeden Tag ein SMS schickst, beauftrage ich jemanden, der dich umbringt",

wurde er hingegen gemäß § 259 Z 3 StPO freigesprochen.

Nach den Feststellungen des Erstgerichtes unterhielt der Angeklagte zu Christine B***** bis Anfang November 2000 eine Beziehung und hatte auch nach deren Beendigung sowohl mit der Genannten als auch mit ihrer Familie weiter Kontakt. In den frühen Morgenstunden des 19. Dezembers 2000 brachte er nach einem Lokalbesuch die stark alkoholisierte Christine B***** in deren Wohnung. Dort suchte diese das WC auf, bekam - unbegründet - Angst vor dem Angeklagten und flüchtete durch das WC-Fenster ins Freie. Dieser folgte ihr auf die Straße, nachdem er zuvor die WC- sowie die Wohnungstür gewaltsam aufgebrochen hatte. Der durch die (bedingt vorsätzliche) Beschädigung der Türen herbeigeführte Schaden betrug 4.768,80 S. In der Folge gelang es dem Angeklagten, Christine B***** ohne Gewaltanwendung zur Rückkehr in die Wohnung zu überreden. Sie wurde von ihm weder auf der Straße noch in der Wohnung verletzt. Das Erstgericht stellte weiter fest, dass ihr der Angeklagte nach der Rückkehr in die Wohnung sexuelle Anträge machte und sie entkleidete. Zur Konstatierung, ob er in der Folge mit seinem erigierten Penis in der Gesäßspalte der Zeugin bis zum Samenerguss beischlafähnliche Bewegungen durchführte oder bis zum Samenerguss auf dem Rücken der Zeugin onanierte, waren die Tatrichter nicht in der Lage, hielten aber ausdrücklich fest, dass der Beschwerdeführer dabei weder Gewalt anwandte noch die Zeugin bedrohte und auch seiner beim Verlassen der Wohnung der Christine B***** geäußerten Aufforderung, diese möge ihm bis 22.00 Uhr ein SMS schicken, widrigenfalls er sie gegen 23.30 Uhr aufsuchen werde, weder durch Gewalt noch durch Drohungen Nachdruck verlieh.

Die Anklagebehörde bekämpft den Freispruch mit einer auf § 281 Abs 1 Z 4 und 5 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde.

Rechtliche Beurteilung

Die (gegen den gesamten Freispruch gerichtete) Verfahrensrüge (Z 4) schlägt fehl. Denn die Tatrichter haben den Beweisantrag auf Vernehmung des Zeugen Norman B***** - wenngleich gesetzwidrig (§ 238 StPO) erst im Urteil begründet - im Ergebnis zu Recht abgewiesen. In Hinblick auf die Angaben der Christine B*****, wonach sie dem Genannten (der kein Tatzeuge war) den Vorfall nicht im Detail geschildert habe (S 101), hätte der Vertreter der Anklagebehörde bei der Antragstellung dartun müssen, aus welchen Gründen dennoch zur Aufklärung des Sachverhalts dienliche Angaben dieses Zeugen "vom Hörensagen" zu erwarten gewesen wären (vgl Mayerhofer StPO4 § 281 Z 4 E 19). Mangels zureichender Begründung - deren Nachholung in der Beschwerde verspätet ist (Mayerhofer aaO E 41) - lag somit ein unzulässiger Erkundungsbeweis vor.

Im Recht ist die Anklagebehörde allerdings, soweit sie Begründungsmängel (Z 5) zu den Freispruchfakten II./ und III./ aufzeigt. Zu Punkt II./ des Freispruchs stellten die Tatrichter lediglich den - wie sie selbst einräumten, konkreten und detaillierten - Vorwürfen, welche die Zeugin Christine B***** vor der Gendarmerie (ON 2) und vor dem Untersuchungsrichter (ON 5) gegen den Angeklagten erhoben hatte, jene "relativierenden" Angaben gegenüber, welche sie "nach eingehender Befragung" in der Hauptverhandlung machte und die (unter Behauptung von Erinnerungslücken bzw. unter Eingeständnis einer Fehlinterpretation der damaligen Situation durch die Zeugin) ihnen im Ergebnis geeignet schienen, den Angeklagten zu exkulpieren. Sie begründeten ihre Entscheidung letztlich allein damit, dass aufgrund "der ... Erinnerungslücken und der zugestandenen Mutmaßungen der Zeugin B***** ... nicht zweifelsfrei festgestellt werden" konnte, "dass die objektiv erlittenen Verletzungen durch den Angeklagten zugefügt wurden", weil "diese doch auch aus einem Sturz der alkoholisierten Zeugin B***** resultieren" könnten (US 5 f). Damit ist das Schöffengericht aber seiner Verpflichtung nicht nachgekommen, im Urteil alle vorgekommenen entscheidenden Beweise zu würdigen und zu erörtern, wie sie über ihren Feststellungen entgegenstehende Beweisergebnisse hinweggekommen sind (Mayerhofer aaO, § 281 Z 5 E 57). Hat doch das Erstgericht die aus der Verletzungsanzeige (S 25) ersichtlichen Anschuldigungen der Zeugin gegenüber dem behandelnden Arzt, von ihrem Ex-Freund geschlagen und sexuell misshandelt worden zu sein, ebenso mit Stillschweigen übergangen wie die Angaben, mit denen sie in der Hauptverhandlung zunächst ihre den Angeklagten belastenden Depositionen bestätigte (S 94).

Hat aber das Gericht im Beweisverfahren hervorgekommene Umstände in den Gründen nicht erörtert und ist - wie im vorliegenden Fall - nicht auszuschließen, dass es bei deren Würdigung zu anderen Feststellungen gelangt wäre, so ist ein Ausspruch über eine entscheidende Tatsache unvollständig (Mayerhofer aaO § 281 Z 5 E 63).

Gleiches gilt für das Freispruchsfaktum III./. Denn auch hier unterließ der Schöffensenat die Erörterung des Umstandes, dass die Zeugin (vorerst) auch noch in der Hauptverhandlung den Anklagevorwurf der sexuellen Nötigung durch ihre Schilderung des Tatherganges bestätigte (S 96) und sich erst nach Befragen durch den beisitzenden Richter und den Verteidiger immer weniger daran zu erinnern und schließlich nur anzugeben vermochte, dass (sie keine geschlechtlichen Handlungen mit ihm wollte und) der Angeklagte ''vielleicht ... Gewalt angewendet hat" (S 99), sowie dass sie nicht mehr genau wisse, wie es war, und konkret dazu keine Erinnerungen habe (S 101).

Als zutreffend erweist sich auch der Beschwerdeeinwand, das Urteil enthalte keine Gründe dafür, warum das Erstgericht einerseits den Angaben der Zeugin Christine B***** über die vom Angeklagten vorgenommenen sexuellen Handlungen gefolgt ist, andererseits aber die von ihr wiederholt behauptete Gewaltanwendung als nicht erweislich angesehen hat.

Die aufgezeigten Begründungsmängel machen die Aufhebung des Urteils im Freispruch von den Anklagefakten II./ und III./ zwecks Verfahrenserneuerung unumgänglich.

Überdies ist das Ersturteil in seinem schuldig sprechenden Teil mit dem - nicht geltend gemachten, aber zum Nachteil des Angeklagten wirkenden und daher gemäß § 290 Abs 1 StPO von Amts wegen wahrzunehmenden - Nichtigkeitsgrund des § 281 Abs 1 Z 10a StPO behaftet. Denn das dem Schuldspruch des (unbescholtenen) Angeklagten zu Grunde liegende Tatsachensubstrat einer (nicht weiter qualifizierten) Sachbeschädigung (§ 125 StGB) wäre - bei isolierter Betrachtung - geeignet, ein Vorgehen des Gerichtes nach dem Hauptstück IXa der Strafprozessordnung zu indizieren. Die Anwendung diversioneller Maßnahmen im vorliegenden Fall wird aber im Hinblick auf das geforderte Fehlen präventiver Bedenken (§ 90a Abs l StPO) entscheidend vom Gesamtausgang des erneuerten Verfahrens abhängen.

Es waren daher auch der Schuldspruch und demgemäß der Strafausspruch aufzuheben und die Sache im Umfang der Aufhebung an das Erstgericht zur neuen Verhandlung und Entscheidung zu verweisen.

Die Abwesenheit des Verteidigers hinderte die Durchführung des Gerichtstages nicht, weil auch durch das StRÄG 1993 an § 41 Abs 1 Z 4 StPO inhaltlich keine Änderung eingetreten ist (vgl RV 924 BlgNR 18. GP 18).

Die Zustellung der Ladung zum Gerichtstag an den Verteidiger ist nachgewiesen (RSb bei ON 5), der Angeklagte gab am Gerichtstag bekannt, dass das Vollmachtsverhältnis aufrecht besteht. Der Verteidiger hat ihm mitgeteilt, er werde nicht zum Gerichtstag erscheinen.

Die Bestimmungen über die notwendige Verteidigung vor dem Obersten Gerichtshof sind dahin zu verstehen, dass der Angeklagte im Zeitpunkt des Gerichtstages zwar einen Verteidiger haben, nicht aber auch dass dieser tatsächlich erscheinen muss (Mayerhofer StPO §§ 286 E 4; 287 E 3; zuletzt EvBl 1999/215 = JBl 2000, 742).

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