Spruch:
Das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 16. Jänner 2008, AZ 6 Bs 572/07d (GZ 23 Hv 98/07d-55 des Landesgerichts Innsbruck) verletzt insoweit, als darin der Schuldspruch nach § 127 StGB (I.) als nichtig aufgehoben und Ahmet M***** vom zu Grunde liegenden Vorwurf, er habe 2006 in Mittenwald/Deutschland zwei Mobiltelefone (unerhobenen Wertes) einem Gewahrsamsträger des Geschäfts E***** mit auf unrechtmäßige Bereicherung gerichtetem Vorsatz weggenommen, gemäß § 259 Z 3 StPO (mangels inländischer Gerichtsbarkeit) freigesprochen wurde, § 65 Abs 1 Z 2 StGB.
Text
Gründe:
Mit (auf ON 1 im einbezogenen Akt ON 15 angeheftetem) Schreiben vom 9. Mai 2007 ersuchte die Staatsanwaltschaft München II die Oberstaatsanwaltschaft Innsbruck um die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens gegen den in Scharnitz/Österreich wohnhaften bosnischen Staatsangehörigen Ahmet M***** wegen zwischen 28. Oktober und 16. November 2006 in Mittenwald/Deutschland begangener Diebstähle.
Die damit befasste Staatsanwaltschaft Innsbruck brachte ua wegen dieses Sachverhalts am 24. Mai 2007 den Strafantrag gegen den Genannten sowie einen Mittäter (ON 3 in ON 15) beim Landesgericht Innsbruck ein.
Mit Urteil dieses Gerichts vom 25. September 2007, GZ 23 Hv 98/07d-31, das auch einen Schuldspruch wegen des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB (II.) sowie einen Teilfreispruch enthält, wurde Ahmet M***** des Vergehens des Diebstahls nach § 127 StGB (I.) schuldig erkannt; danach hat er zwischen 28. Oktober und 16. November 2006 in Mittenwald/Deutschland fremde bewegliche Sachen, nämlich zwei Mobiltelefone (in einem 3.000 Euro nicht übersteigenden Wert), Verfügungsberechtigten des Geschäfts E***** mit dem Vorsatz, sich durch die Sachzueignung unrechtmäßig zu bereichern, weggenommen.
Aus Anlass der von der Staatsanwaltschaft gegen dieses Urteil erhobenen Berufung hob das Oberlandesgericht Innsbruck mit Urteil vom 16. Jänner 2008, AZ 6 Bs 572/07d (ON 55), ua den Schuldspruch nach § 127 StGB (I.) als nichtig auf und sprach Ahmet M***** vom zu Grunde liegenden Vorwurf, er habe 2006 in Mittenwald zwei Mobiltelefone (unerhobenen Werts) einem Gewahrsamsträger des Geschäfts E***** mit auf unrechtmäßige Bereicherung gerichtetem Vorsatz weggenommen, gemäß § 259 Z 3 StPO mangels inländischer Gerichtsbarkeit frei.
Zur Begründung führte das Oberlandesgericht aus:
Da Ahmet M***** bosnischer Staatsangehöriger ist und die beiden Mobiltelefone in Deutschland stahl, handelt es sich insoweit um Auslandstaten eines Ausländers. Die inländische Gerichtsbarkeit hätte daher gemäß § 65 Abs 1 Z 2 StGB zur Voraussetzung, dass der im Inland betretene Angeklagte „aus einem anderen Grund als wegen der Art und Eigenschaft seiner Tat nicht an das Ausland ausgeliefert werden kann" (vgl 11 Os 127/95; Höpfel/U. Kathrein in WK² § 65 [2007] Rz 4). Nur dieser Grund, nämlich die geringe Strafdrohung beim nicht qualifizierten Diebstahl zweier Mobiltelefone, könnte jedoch eine Auslieferung unzulässig machen. Dass die Staatsanwaltschaft München II (laut Note der Staatsanwaltschaft Innsbruck S 1 in ON 15) um Übernahme der Strafverfolgung ersuchte, kann die in den §§ 62 bis 65 StGB nicht normierte Geltung der österreichischen Strafgesetze für diese Auslandstaten eines Ausländers nicht begründen. Somit war eine Nichtigkeit im Sinne des § 281 Abs 1 Z 9 lit a StPO festzustellen und betreffend den Diebstahl der beiden Mobiltelefone ein Freispruch gemäß § 259 Z 3 StPO zu fällen (vgl 14 Os 16/04; Ratz in WK-StPO § 281 Rz 634).
Rechtliche Beurteilung
Wie die Generalprokuratur zutreffend in ihrer zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde ausführt, steht das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck mit dem Gesetz nicht im Einklang:
Die inländische Gerichtsbarkeit für die Bestrafung von anderen als den in §§ 63 und 64 StGB bezeichneten Auslandstaten hat nach § 65 StGB zunächst zur Voraussetzung, dass diese Taten auch nach den Gesetzen des Tatorts mit Strafe bedroht sind (vgl Fabrizy StGB9 § 65 Rz 1a). War der im Inland betretene Täter zur Zeit der Tat Ausländer, so wird die (stellvertretende) Strafgerichtsbarkeit gemäß § 65 Abs 1 Z 2 StGB nur dann in Anspruch genommen, wenn er aus einem anderen Grund als wegen der Art oder Eigenschaft seiner Tat nicht an das Ausland ausgeliefert werden kann. Dies ist etwa dann der Fall, wenn entweder die Auslieferung unzulässig ist (vgl § 14 ARHG), mit dem in Betracht kommenden ausländischen Staat überhaupt kein Auslieferungsverkehr besteht, auf die Auslieferung verzichtet wird oder - trotz österreichischen Anbots (vgl §§ 15 EU-JZG, § 28 ARHG) - von diesem Staat ein Auslieferungsersuchen nicht gestellt wird, die Bemühungen um die Auslieferung also erfolglos geblieben sind (vgl Fabrizy aaO Rz 2 sowie Höpfel/U. Kathrein in WK² § 65 [2007] Rz 4).
Fallbezogen ist davon auszugehen, dass die gegenständlichen Tathandlungen (Diebstahl von Mobiltelefonen) sowohl im Inland (§ 127 [österreichisches] StGB) als auch in der Bundesrepublik Deutschland (§ 242 [deutsches] StGB [dessen Abs 1 lautet: <it>Wer eine fremde bewegliche Sache einem anderen in der Absicht wegnimmt, die Sache sich oder einem Dritten rechtswidrig zuzueignen, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.]) mit Strafe bedroht sind; die Voraussetzung der beiderseitigen gerichtlichen Strafbarkeit iSd § 65 StGB (und des § 4 Abs 1 EU-JZG) ist sohin erfüllt.
Wenngleich dem Oberlandesgericht Innsbruck darin beizupflichten ist, dass es zur Begründung der inländischen Gerichtsbarkeit jedenfalls eines der in §§ 62 bis 65 StGB dargestellten Anknüpfungskriterien bedarf, übersieht es, dass gegenständlich die Voraussetzungen des § 65 Abs 1 Z 2 StGB für die strafgerichtliche Verfolgung des Ahmet M***** gar wohl vorlagen.
Denn zum einen wäre die (einer Auslieferung iSd § 65 Abs 1 Z 2 StGB gleichzuhaltende) Übergabe des Ahmet M***** an Deutschland (als Mitglied der Europäischen Union) zur Strafverfolgung auf Grund eines von den dort zuständigen Strafverfolgungsbehörden erlassenen Europäischen Haftbefehls (vgl den Rahmenbeschluss des Rates vom 13. Juni 2002 über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten) denkbar und zulässig gewesen. Im gegebenen Zusammenhang ist insbesondere darauf hinzuweisen, dass § 4 Abs 1 EU-JZG in Bezug auf die (Mindest-)Strafobergrenze einer Handlung, wegen der ein Europäischer Haftbefehl zur Strafverfolgung erlassen werden kann, nur - anders als etwa Art 2 Abs 1 Europäisches Auslieferungsübereinkommen und § 11 Abs 1 ARHG - auf das Recht des Ausstellungsstaats (hier: Deutschland) abstellt. Wegen der (nur) in Österreich geringen Strafdrohung beim (einfachen) Diebstahl, sohin wegen der Art (oder Eigenschaft) der Tat (vgl § 65 Abs 1 Z 2 StGB), wäre - der Ansicht des Oberlandesgerichts Innsbruck zuwider - die Auslieferung des Beschuldigten nach Deutschland demnach nicht unzulässig gewesen.
Andererseits kommt hinzu, dass Deutschland (als Tatortstaat) Österreich um Übernahme der Strafverfolgung des Ahmet M***** ersucht hat, was wiederum als konkludenter Verzicht auf dessen Auslieferung zu werten ist (vgl RIS-Justiz RS0092398).
Ahmet M***** konnte sohin aus einem anderen Grund als wegen der Art oder Eigenschaft seiner Tat tatsächlich nicht an das Ausland ausgeliefert werden.
Sohin zeigt sich, dass sämtliche in § 65 Abs 1 Z 2 StGB vorgegebenen Voraussetzungen für die stellvertretende Strafrechtspflege erfüllt waren, zumal auch sonst keine die Strafbarkeit ausschließenden Gründe (§ 65 Abs 4 StGB) vorlagen.
Da sich die aufgezeigte Gesetzesverletzung nicht zum Nachteil des Beschuldigten Ahmet M***** ausgewirkt hat, muss es mit ihrer Feststellung sein Bewenden haben.
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