OGH 14Os97/04

OGH14Os97/0414.9.2004

Der Oberste Gerichtshof hat am 14. September 2004 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Mag. Strieder als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Zehetner, Hon. Prof. Dr. Ratz, Dr. Philipp und Dr. Danek als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin MMag. Sengstschmid als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Herbert Z***** wegen des Verbrechens des Mordes nach § 75 StGB und einer weiteren strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten sowie über die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Geschworenengerichtes beim Landesgericht Steyr vom 14. Mai 2004, GZ 12 Hv 2/04p-188, nach Anhörung des Generalprokurators in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Nichtigkeitsbeschwerde wird Folge gegeben; es werden der Wahrspruch der Geschworenen und das darauf beruhende angefochtene Urteil aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung an ein Geschworenengericht beim Landesgericht Wels verwiesen.

Mit ihren Berufungen werden der Angeklagte und die Staatsanwaltschaft auf diese Entscheidung verwiesen.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen, auf dem Wahrspruch der Geschworenen beruhenden Urteil wurde Herbert Z***** (im zweiten Rechtsgang) des Verbrechens des Mordes nach § 75 StGB (als unmittelbarer Täter) und des Vergehens nach § 50 Abs 1 Z 1 WaffG schuldig erkannt.

Danach hat er am 4. Oktober 2002 in Bad Hall

1. Ing. Walter B***** durch zwei Schüsse in den Kopf mit einer Pistole Kaliber 7,65 mm getötet;

2. eine genehmigungspflichtige Schusswaffe, nämlich eine Pistole unbekannter Type mit dem Kaliber 7, 65 mm, geführt. Die Geschworenen hatten (im zweiten Rechtsgang nach Aussetzung der Entscheidung aufgrund des die diesbezüglichen Hauptfragen verneinenden Wahrspruchs der Laienrichter vom 23. Oktober 2003 gemäß § 334 Abs 1 StPO) die anklagekonforme Hauptfrage 1 nach dem Verbrechen des Mordes als unmittelbarer Täter bejaht und demgemäß die Eventualfrage 2 nach Bestimmung eines Unbekannten zum Mord (§§ 12 zweiter Fall, 75 StGB) unbeantwortet gelassen. Die Hauptfrage 3 nach dem Vergehen nach § 50 Abs 1 Z 1 WaffG hatten sie ebenfalls bejaht.

Rechtliche Beurteilung

Der Angeklagte Herbert Z***** bekämpft das Urteil mit einer auf § 345 Abs 1 Z 4, 6 und 10a StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde, der Berechtigung zukommt.

Die Tatsachenrüge (Z 10a) releviert aktenkundige Beweisergebnisse, die erhebliche Zweifel an der Richtigkeit der im Wahrspruch festgestellten entscheidenden Tatsachen bewirken.

Nach den Verfahrensergebnissen soll der Angeklagte am 4. Oktober 2002 zwischen 14:00 und 14:30 Uhr etwa 20 Straßenkilometer (Beilage I und Schaublätter zur ON 187; S 139/I) vom Tatort entfernt beim Golfspielen beobachtet worden sein (S 83 ff, 86 ff/VIII). Nach seiner Verantwortung und nach der mehrfach wechselnden Aussage seiner Lebensgefährtin soll er sich vor 15:30 Uhr in seiner "ca. 27 km" (S 139/I) vom Tatort entfernten Wohnung aufgehalten haben (S 277 ff, insbesondere S 278, 286, 289/VIII). Um 16:27 Uhr hat er nachweislich in Wohnungsnähe eingekauft (S 397 ff/II, S 271 f/VIII). Die für die Strecke vom Golfplatz zum Tatort und von diesem zur Wohnadresse des Angeklagten erhobene (reine) Fahrzeit variiert nach den aktenkundigen Messungen (am Dienstag-, Mittwoch- bzw Donnerstagvormittag) zwischen etwa 49 Minuten und 55 Sekunden (bei Befahren einer dem Angeklagten nach seiner Verantwortung allerdings nicht bekannten Abkürzung: etwa 48 Minuten und 35 Sekunden - vgl Beilage I zur ON 187; S 129/VIII) und etwa 61 Minuten (S 97/VIII), jeweils unter Berücksichtigung einer (offenbar errechneten) Wegzeit vom Tatort zur Wohnadresse des Angeklagten von "etwa" 31 Minuten (S 139/I).

Zur Tatzeit (Eintritt des Todes nach Meinung des gerichtsmedizinischen Sachverständigen in den Nachmittagsstunden des 4. Oktober 2002) ergibt sich aus den Akten, dass eine Zeugin das Opfer am 4. Oktober 2002 um 14:45 Uhr beobachtet (S 119 ff/VIII) und ein Zeuge "um 15:00 Uhr herum" unweit des Tatortes zwei Pistolenschüsse in einer Aufeinanderfolge von "etwa 2 Minuten, 3 Minuten" wahrgenommen hat (S 112 ff/VIII). Laut medizinischem Gutachten lagen zwischen dem ersten und zweiten Schuss mehrere bis viele Minuten (S 61, 65/V; S 58, 64/VIII). Ein Computer im Bürogebäude des Ing. Walter B***** wurde am selben Tag um 14:58 Uhr (ohne Berücksichtigung einer Abweichung der Systemzeit von der Realzeit - S 147/VIII) heruntergefahren.

Aussagen unmittelbarer Tatzeugen gibt es ebenso wenig wie sonstige objektive Spuren, die Rückschlüsse auf den Täter zulassen würden. Die Tatwaffe konnte nicht sichergestellt werden.

In der gemäß § 331 Abs 3 StPO verfassten Niederschrift hielten die Laienrichter als Begründung für ihren Schuldspruch fest: "Motiv und Möglichkeit zur Ausführung der Tat sprechen gegen den Angeklagten". Der Oberste Gerichtshof verkennt nicht, dass die von den Zeugen, welche den Nichtigkeitswerber am Golfplatz gesehen haben, gemachten Angaben zu den Zeitpunkten ihrer Beobachtungen nicht präzise und im Laufe des Verfahrens teilweise auch nicht einheitlich waren (vgl Aussagen des Zeugen H***** S 351 II: ca 14 Uhr; ON 102: maximal 14:15 Uhr; S 158 in ON 159: 14:15 Uhr stimmt; in der Hauptverhandlung S 89 VIII: 14:30 Uhr).

Berücksichtigt man jedoch alle von den Zeugen geschilderten Abläufe auf dem Golfplatz, die von ihnen zuletzt angegebene Position des Angeklagten auf diesem (laut der im Band IV erliegenen Broschüre 510.000 m² umfassenden) Platz, die Wegstrecke zu dem am Parkplatz abgestellten Auto, die Fahrzeit (an einem Freitagnachmittag) vom Golfplatz zum Tatort und von dort in die Wohnung des Angeklagten, so ergeben sich für den Obersten Gerichtshof aus den geschilderten aktenkundigen Beweisergebnissen zu den Zeit-Weg-Berechnungen erhebliche Bedenken gegen die Feststellung, Herbert Z***** habe als unmittelbarer Täter den Ing. Walter B***** durch zwei Schüsse getötet.

Diese Zweifel vermag fallbezogen auch das - ausgehend von (wie die Rüge einwendet, erneut zeitrelevanten) tatortverändernden Aktivitäten durch den Täter - unter anderem auf eine starke Täter-Opfer-Beziehung sowie Tatortkenntnis des Mörders und insgesamt auf ein "Bereicherungstötungsdelikt nach dem CCM, Klassifikationsnummer 100 mit der Unterklassifizierung eines Insurance Inheritance-Related Death, Klassifikationsnummer 107" schließende kriminalpsychologische Gutachten (ON 131; S 130 ff/VIII) nicht auszuräumen, zumal die dieser Expertise zugrundegelegten Prämissen der Aktenlage teilweise widersprechen oder teilweise gar nicht gesichert sind. So wurde etwa Brigitta B***** nach ihren Schilderungen bei Betreten des Raumes, in welchem sie den Getöteten auffand, nicht durch einen "versperrend abgestellten Reinigungsmopp" (S 159/VI; S 137, 140/VIII) behindert (S 161 f, 164/VIII). Die auf "Reinigungshandlungen" durch den Täter zurückgeführte "Wischspur" (S 135 ff/VIII) wurden vom gerichtsmedizinischen Sachverständigen mit selbstständigen Bewegungen des nach dem ersten Schuss noch handlungsfähigen Opfers erklärt (S 61 f, 136/VIII). Dieser Experte konnte auch nicht definitiv beurteilen, ob für eine Verletzung am Kopf des Opfers (S 167/VI, S 133/VIII) ein Schlag oder ein Sturz kausal war (S 55 f/VIII).

Zur rechtlich gleichwertigen Bestimmungstäterschaft durch den Angeklagten (Eventualfrage) mussten die Geschworenen im Hinblick auf die Bejahung der Hauptfrage nach unmittelbarer Täterschaft im Verdikt nicht Stellung nehmen. Die bisherige Aktenlage bietet Anhaltspunkte für und gegen beide Täterschaftsformen. Soll die allein den Laienrichtern zukommende Wertung der Beweisergebnisse (im dritten Rechtsgang) ein tatsächlich und rechtlich einwandfreies Ergebnis bringen, ist die Kenntnis von allen relevanten Beweistatsachen erforderlich. Die derzeit gegen die unmittelbare Täterschaft bestehenden erheblichen Bedenken erstrecken sich daher auch auf die Bestimmungstäterschaft.

Demzufolge waren - in Übereinstimmung mit der Stellungnahme des Generalprokurators - der Wahrspruch und das darauf beruhende angefochtene Urteil in nichtöffentlicher Sitzung sofort aufzuheben (§§ 285e, 344 StPO). Damit erübrigt sich ein Eingehen auf die weiteren vom Beschwerdeführer geltend gemachten Nichtigkeitsgründe.

Dennoch sei hiezu angemerkt:

Entgegen der Verfahrensrüge (Z 4) wurde Dr. Bernd I***** nicht über das ihm in seiner Eigenschaft als Rechtsanwalt des Angeklagten bekannt Gewordene (§ 152 Abs 1 Z 4 StPO) vernommen (S 189 ff/VIII). Die Anwesenheit eines Zeugen im Verhandlungsaal außerhalb seiner Vernehmung ist nicht mit Nichtigkeit bedroht (§ 248 StPO). Die Verlesung des Protokolls betreffend die kriminalpolizeiliche Vernehmung des Roland H***** erfolgte über ausdrücklichen Antrag der Verteidigung auf Feststellung von dessen Inhalt (S 266 f/VIII). Die Formulierung der Hauptfrage nach Mord entspricht dem in § 312 Abs 1 StPO statuierten Gebot der Verdeutlichung der Tat, die deren verwechslungsfreie Bezeichnung (Individualisierung), nicht aber - wie die Rüge (Z 6) moniert - die Anführung aller Einzelheiten (Konkretisierung) voraussetzt (14 Os 48/99, 14 Os 56/92 uva). Aufgrund der kassatorischen Entscheidung war die Strafsache an ein Geschworenengericht beim Landesgericht Wels zu neuer Verhandlung und Entscheidung zu verweisen.

Im erneuerten Verfahren wird insbesondere das für eine unmittelbare Täterschaft entscheidende Alibi des Angeklagten durch Erstellung einer ergänzten Zeit-Weg-Rechnung zu überprüfen sein. Dabei werden vor allem die zurückgelegten Wegstrecken am Golfplatz und eine allenfalls vorhandene andere Verkehrsfrequenz an einem Freitagnachmittag zu berücksichtigen sein. Für den Fall der neuerlichen Beiziehung des Kriminalpsychologen wird dessen Gutachten unter Berücksichtigung der aktenkundigen Beweisergebnisse und damit des Wegfalls der vom Experten angenommenen Voraussetzungen zu ergänzen sein. Zudem wird das Gericht zu beachten haben, dass Dr. Bernd I***** auch den Angeklagten als Rechtsanwalt vertreten hat, sodass im Fall seiner abermaligen Vernehmung bei entsprechender Fragestellung allenfalls eine Belehrung iSd § 152 Abs 1 StPO erforderlich sein wird.

Mit ihren Berufungen waren der Angeklagte und die Staatsanwaltschaft auf diese Entscheidung zu verweisen.

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