European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:1992:E31419
Rechtsgebiet: Strafrecht
Spruch:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.
Der Berufung wird dahin Folge gegeben, daß die über den Angeklagten verhängte Freiheitsstrafe unter Bedachtnahme gemäß §§ 31, 40 StGB auf das Urteil des Landesgerichtes Linz vom 31. Juli 1990, GZ 28 E Vr 1008/90‑7, auf 5 (fünf) Jahre und 5 (fünf) Monate als Zusatzstrafe herabgesetzt wird; im übrigen wird der Berufung nicht Folge gegeben.
Gemäß § 390a StPO fallen dem Angeklagten auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurde Johann L* auf Grund des Wahrspruchs der Geschworenen der Verbrechen (1.) der Vergewaltigung nach § 201 Abs. 2 StGB und (2.) des Beischlafes mit Unmündigen nach § 206 Abs. 1 und Abs. 2 zweiter Fall StGB schuldig erkannt.
Nach dem Inhalt des Schuldspruchs hat er in A*
zu 1) „in der kritischen Zeit vom 16. Dezember 1989 bis 17. April 1990 dadurch, daß er die am 16.Dezember 1976 geborene Martina S* an den Armen erfaßte, sie zu Boden drückte, ihr die Über‑ und Unterhose bis zu den Knien hinunterriß und mit ihr den Geschlechtsverkehr durchführte, eine Person mit Gewalt zur Duldung des Beischlafes genötigt“, und
zu 2) „in der kritischen Zeit vom 16. Dezember 1989 bis 17. April 1990 dadurch, daß er mit der am 16. Dezember 1976 geborenen Martina S* einen Geschlechtsverkehr durchführte, mit einer unmündigen Person den außerehelichen Beischlaf unternommen, wobei die Tat eine Schwangerschaft der unmündigen Person zur Folge hatte“.
Die Geschworenen hatten die beiden anklagekonform gestellten Hauptfragen, die vom Schwurgerichtshof hinsichtlich der in der Anklageschrift enthaltenen Tatzeit „im März 1990“ mit Rücksicht auf die insoweit zwischen Jänner bis März 1990 schwankenden Angaben der Martina S* – ersichtlich vom Entbindungstermin (des von ihr am 14.Oktober 1990 geborenen Kindes) ausgehend – (weiter als in der Anklage) als „in der kritischen Zeit vom 16. Dezember 1989 bis 17. April 1990“ gelegen modifiziert worden war, in Ansehung der Vergewaltigung im Stimmenverhältnis 5 : 3 und hinsichtlich des Beischlafes mit Unmündigen stimmeneinhellig bejaht; weitere Fragen waren nicht gestellt worden.
Rechtliche Beurteilung
Der auf Z 6, 7 und 10 a des § 345 Abs. 1 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten gegen diesen Schuldspruch kommt keine Berechtigung zu.
Zu Unrecht erblickt der Beschwerdeführer eine Verletzung von Vorschriften über die Fragestellung (Z 6) in dem Umstand, daß in der ersten Hauptfrage lautend auf das Verbrechen der Vergewaltigung der vorerst anklagekonform mit „im März 1990“ angegebene Tatzeitraum „kurz vor Schluß des Beweisverfahrens“ auf „in der kritischen Zeit vom 16. Dezember 1989 bis 17. April 1990“ abgeändert wurde. Hiedurch sei dem Gebot einer ausreichenden Individualisierung und Konkretisierung der Tat nach Meinung der Beschwerde nicht entsprochen worden, weil anstatt einer möglichen konkreten Eingrenzung des Tatzeitpunktes um den 23. Jänner 1990 herum (+/- zehn Tage) lediglich die zivilrechtliche Vaterschaftsvermutungsfrist im Sinn des § 155 (gemeint wohl § 163 Abs. 1) ABGB angeführt werde. Demzufolge hätten die Geschworenen nicht die Möglichkeit gehabt, Widersprüche in den Zeitangaben zu problematisieren und die daraus resultierenden Bedenken bei der Beantwortung der Hauptfrage 1 zu berücksichtigen.
Entgegen der Behauptung der Beschwerde hat der Schwurgerichtshof – abgesehen davon, daß dem Angeklagten in der Anklage nur die Begehung einer Tat, in der allerdings die Merkmale zweier Verbrechen zusammentreffen vorgeworfen wird, und daß der Schwurgerichtshof den Tatzeitraum auch in Ansehung der zweiten Hauptfrage in der selben Art abgeändert hat, ohne daß dies auch insoweit als nichtig bekämpft würde – bei Stellung der beiden Hauptfragen dem Gebot der Individualisierung der Tat und der Konkretisierung der Tatbestands‑ und der Qualifikationsmerkmale (iSd in der Beschwerdeschrift zitierten Entscheidung EvBl. 1985/97) ohnedies ausreichend entsprochen. Die Argumentation des Beschwerdeführers läßt nämlich insbesondere außer acht, daß die Begehungszeit einer Straftat nicht zu den wesentlichen, ihre Eindeutigkeit bestimmenden Merkmalen gehört, sofern – was vorliegend der Fall ist – die betreffende Tat ausreichend und verwechslungssicher umschrieben ist (Mayerhofer‑Rieder StPO3 E 6 zu § 312, E 32 zu § 260, E 31 zu § 262).
Vorliegend war Gegenstand der Anklage (die ausdrücklich nicht der Verantwortung des Angeklagten folgte, wonach er mit Martina S* zwischen März und Juni 1990 mit deren Einverständnis ca. 20 mal den Beischlaf vollzogen habe), daß die bei der am 16. Dezember 1976 geborenen Martina S* nach der im Juli 1990 erfolgten Anzeigeerstattung festgestellte Schwangerschaft auf einen einzigen vom Angeklagten mit Gewalt gegen den Willen der Unmündigen vorgenommenen Geschlechtsverkehr zurückzuführen ist. Ob die Tatzeit, wie von Martina S* bei ihrer ersten Gendarmerieaussage angegeben und demzufolge auch von der Anklage angenommen wurde, in den Monat März 1990 oder rückgerechnet vom Entbindungstermin 14. Oktober 1990 auf einen nicht näher bestimmbaren Tag eines anderen Monats innerhalb der (zivilrechtlichen) Vaterschaftsvermutungsfrist (16. Dezember 1989 bis 17. April 1990) fällt, ist eine hier rechtlich unerhebliche Modalität der Tat. Wird diese als erwiesen angenommen, ist Strafbarkeit nicht nur wegen des vom Angeklagten zugestandenen Beischlafs mit der Unmündigen, sondern auch wegen Vergewaltigung des Mädchens unabhängig vom genauen Tatzeitpunkt gegeben, zumal das Tatgeschehen nach Lage des Falles auch ohne Anführung eines genauen Tatzeitpunktes bei Stellung der beiden Hauptfragen ausreichend und verwechslungssicher individualisiert ist.
Damit ist auch den in diesem Zusammenhang auf den Nichtigkeitsgrund der Z 7 des § 345 Abs. 1 StPO gestützten Beschwerdeeinwendungen der Boden entzogen. Dem Einwand, das Gericht habe durch die zuvor angeführte Vorgangsweise „die in § 267 StPO geforderte Identität von Anklage‑ und Urteilsfaktum nicht hergestellt“, genügt es zu erwidern, daß das Gericht an die Anklage bloß insoweit gebunden war, als es nur nach einer von der Anklage erfaßten Tat fragen durfte, ohne dabei aber an der in der Anklage angeführten Tatzeit starr festhalten zu müssen. Anklagegegenstand (und damit Tat im Sinn des § 267 StPO) war nämlich der unter gesetzwidriger Überwindung des Widerstandes herbeigeführte und zu einer Schwangerschaft führende geschlechtliche Mißbrauch der unmündigen Martina S*. Dieses Ereignis war Gegenstand der Anklage, welche – wie bereits dargelegt wurde – (nur) insofern eine bindende Wirkung entfaltete, als das Gericht nicht über einen anderen Vorfall absprechen durfte.
Als unbegründet erweist sich schließlich auch die Tatsachenrüge (Z 10 a). Zunächst verkennt die Beschwerde, daß es dabei nicht auf die Stichhältigkeit der von den Geschworenen in ihrer Niederschrift angeführten Erwägungen (§ 331 Abs. 3 StPO) ankommt, die nicht Gegenstand des Verdikts sind und deren Mangelhaftigkeit daher keine Nichtigkeit zu begründen vermag (Mayerhofer‑Rieder aaO E 14 zu § 331); entscheidend ist vielmehr, ob sich aus den mit einer derartigen Rüge relevierten Verfahrensergebnissen selbst erhebliche Zweifel gegen die Richtigkeit der im Verdikt festgestellten entscheidenden Tatsachen ergeben (15 Os 141/88, 14 Os 94/90 ua), was vorliegend nicht der Fall ist. Da von der Tat bis zu der Ende Juli 1990 erfolgten Gendarmerieanzeige mehrere Monate und bis zur Hauptverhandlung sogar ca. zwei Jahre vergangen waren, können weder aus den zwischen Jänner bis März 1990 schwankenden Angaben der Martina S* zur Tatzeit noch aus den vom Angeklagten behaupteten, wegen der geringfügigen Entfernungsunterschiede tatsächlich nicht gegebenen Unsicherheiten der Genannten über die genaue Lage jener Stelle im Stall (Ecke des Stalls bzw. Mitte des Stalls), an der die von ihr angegebene Vergewaltigung stattgefunden hat, erhebliche Bedenken gegen die Richtigkeit des Wahrspruchs der Geschworenen, die sich bei der eingehenden Befragung des Tatopfers und des Angeklagten ein ausreichendes Urteil über die Glaubwürdigkeit beider Personen bilden konnten, abgeleitet werden. Im Verfahren AZ C 479/90 g des Bezirksgerichtes Aigen (wegen Feststellung der Vaterschaft des Angeklagten) hingegen war Martina S* nicht Partei. Es kommt daher dem Umstand, daß in der mündlichen Verhandlung vom 13. Dezember 1990 außer Streit gestellt wurde, daß es in der „kritischen Zeit“ mehrmals zu einem (auch ungeschützten) Geschlechtsverkehr zwischen dem Angeklagten und der Unmündigen gekommen sei, keine Bedeutung zu; zudem hat Martina S* unmittelbar nach dieser prozessualen Erklärung als Zeugin abermals die Durchführung eines einzigen Geschlechtsverkehrs mit dem Angeklagten bestätigt (S 18 f im angeschlossenen bezirksgerichtlichen Akt), wozu noch kommt, daß die seinerzeitige Klagevertreterin Maria K* (diplomierte Sozialarbeiterin der Bezirkshauptmannschaft Rohrbach, Jugendwohlfahrt‑Außenstelle Aigen) in der Hauptverhandlung als Zeugin angab, die bezügliche Außerstreitstellung sei seitens des nunmehrigen Beschwerdeführers (nach anfänglichem Bestreiten des Klagevorbringens) erfolgt (S 337).
Auch mit dem weiteren, das Gutachten des kinderpsychiatrischen Sachverständigen Dr. Gerstl sowie die Glaubwürdigkeit der Zeugin Martina S* betreffenden Vorbringen werden weder schwerwiegende, unter Außerachtlassung der Pflicht zur amtswegigen Wahrheitsforschung zustandegekommene Mängel in der Sachverhaltsermittlung aufgezeigt noch auf aktenkundige Beweisergebnisse verwiesen, die nach den Denkgesetzen oder nach allgemeiner menschlicher Erfahrung erhebliche Zweifel gegen die Richtigkeit der von den Geschworenen in freier Beweiswürdigung festgestellten entscheidungswesentlichen Tatsachen aufkommen ließen.
Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher zu verwerfen.
Das Geschworenengericht verurteilte den Angeklagten nach §§ 28, 206 Abs. 2 erster Strafsatz StGB zu einer Freiheitsstrafe von sieben Jahren.
Dabei wertete es das Zusammentreffen von zwei Verbrechen als erschwerend, hingegen das teilweise Geständnis und das lange Zurückliegen der Tat als mildernd.
Mit seiner Berufung strebt der Angeklagte eine Herabsetzung der Freiheitsstrafe (unter Anwendung der außerordentlichen Strafmilderung nach § 41 StGB) und deren (teil‑)bedingte Nachsicht an.
Der Berufung kommt teilweise Berechtigung zu.
Daß der Angeklagte "bei den Folgen seiner Tat um Wiedergutmachung in jedem ihm möglichen Ausmaß bemüht" sei, zumal er den ihm für das Kind vorgeschriebenen Unterhalt leiste und auch die (vorläufig mit 1.000 S bezifferten) Privatbeteiligtenansprüche des Tatopfers"in vollem Umfang anerkannt" habe, vermag den reklamierten (weiteren) Milderungsgrund nach § 34 Z 15 StGB nicht herzustellen. Andererseits bedürfen die vom Erstgericht festgestellten Strafzumessungsgründe insofern einer Korrektur, als von einem Wohlverhalten durch längere Zeit hindurch nur dann gesprochen werden kann, wenn der Zeitraum etwa der Rückfallsverjährungsfrist nach § 39 Abs. 2 StGB (von fünf Jahren) entspricht (Leukauf‑Steininger Komm3 § 34 RN 27). Nicht übersehen werden darf jedoch, daß dem umfassenden – mehrfachen Geschlechtsverkehr mit der Unmündigen behauptenden – Geständnis des Angeklagten besonderes Gewicht zukommt. Außerdem geht aus der vom Obersten Gerichtshof eingeholten Strafregisterauskunft hervor, daß der Angeklagte mit rechtskräftigem Urteil des Landesgerichtes Linz vom 31. Juli 1990, GZ 28 E Vr 1008/90‑7, wegen des Vergehens des schweren Eingriffs in fremdes Jagd‑ oder Fischereirecht nach §§ 137, 138 Z 2 StGB zu vier Wochen Freiheitsstrafe verurteilt wurde. Im Hinblick auf die nunmehr aktuelle Tatzeit (16. Dezember 1989 bis 17. April 1990) ist auf diese Verurteilung gemäß §§ 31, 40 StGB Bedacht zu nehmen.
Bei Wertung der für die Strafbemessung beachtlichen Umstände und unter Berücksichtigung des Umstandes, daß das körperlich gut entwickelte Mädchen zur Tatzeit bereits 13 1/2 Jahre alt war, wurde die vom Geschworenengericht festgesetzte Freiheitsstrafe zu hoch bemessen. Die Strafe (als Zusatzstrafe) war auf das aus dem Spruch ersichtliche Maß herabzusetzen.
Damit ist dem Begehren des Angeklagten auf Anwendung der außerordentlichen Strafmilderung nach § 41 StGB – angesichts des bereits belasteten Vorlebens des Berufungswerbers und des Fehlens von Kriterien für die Beurteilung der hier aktuellen Verbrechen als bloß „atypisch leichten Fall“ (Leukauf‑Steininger aaO § 41 RN 4) – ebenso der Boden entzogen wie dem Antrag, die verhängte Freiheitsstrafe (teil‑)bedingt nachzusehen (§§ 43 Abs. 1, 43 a Abs. 4 StGB).
Über die Rechtsmittel des Angeklagten war demnach spruchgemäß zu erkennen.
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