Spruch:
Der Nichtigkeitsbeschwerde wird teilweise Folge gegeben und das angefochtene Urteil, nicht aber der diesem zugrunde liegende Wahrspruch aufgehoben und die Sache im Umfang der Aufhebung an das Geschworenengericht beim Landesgericht St. Pölten verwiesen, dem aufgetragen wird, den unberührt gebliebenen Wahrspruch der Entscheidung mit zugrunde zu legen.
Im übrigen wird die Nichtigkeitsbeschwerde verworfen.
Mit seiner Berufung wird der Angeklagte auf diese Entscheidung verwiesen.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen, auf dem Wahrspruch der Geschworenen beruhenden Urteil wurde Friedrich M***** des Verbrechens des versuchten Mordes nach §§ 15, 75 StGB schuldig erkannt, wonach er am 21. Mai 1998 in Obergrafendorf (seinen damals 88-jährigen Onkel) "Johannes" (Johann) M***** dadurch, daß er ihn niederstieß, gewaltsam zu Boden drückte und ihm ein Taschentuch auf Mund und Nase preßte, um ihn zu ersticken, vorsätzlich zu töten versucht hat.
Die Geschworenen haben die Hauptfrage nach Mordversuch einhellig bejaht und demgemäß die Eventualfrage nach schwerer Körperverletzung (§§ 83 Abs 1, 84 Abs 1 StGB) unbeantwortet gelassen. Weitere Fragen sind nicht gestellt worden.
Der Angeklagte bekämpft den Schuldspruch mit einer auf die Z 4, 6, 8 und 11 lit a des § 345 Abs 1 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde, der nur teilweise Berechtigung zukommt.
Rechtliche Beurteilung
Die der eigentlichen "Anfechtung" vorangestellten "Vorbemerkungen", in denen der Beschwerdeführer (teils unter Vorwegnahme nachfolgend detailliert dargestellter Einwände) einerseits die gemäß Art 91 Abs 2 B-VG ausschließlich den Geschworenen zugewiesene Beweiswürdigung - insbesondere in bezug auf die in der Niederschrift der Aussage des Zeugen Johann M***** attestierte Glaubwürdigkeit und die dort dargelegten Annahmen zur subjektiven Tatseite - kritisiert, andererseits bei Bekämpfung eines geschworenengerichtlichen Urteils nicht relevierbare Begründungsmängel behauptet, sind einer - ersichtlich gar nicht erwarteten - sachbezogenen Erwiderung nicht zugänglich.
In der Verfahrensrüge (Z 4) wird die Zulässigkeit der Vernehmung des Zeugen Johann M***** in der Hauptverhandlung bestritten, weil diesem auf Grund seiner Leibes- und Gemütsbeschaffenheit die Aussagefähigkeit gefehlt habe.
Das ins Treffen geführte Vernehmungsverbot (§ 151 Abs 1 Z 3 StPO) setzt jedoch voraus, daß der Zeuge - wie ein offensichtlich völlig Geisteskranker - erwiesenermaßen gänzlich unfähig ist, die Wahrheit anzugeben (Mayerhofer StPO4 § 151 E 39 und § 281 Z 3 E 16). Bestehen Zweifel an der Fähigkeit des zu Vernehmenden zur Wahrnehmung, Erinnerung und Wiedergabe des Wahrgenommenen, so muß es dem Gericht vorbehalten bleiben, auf Grund des gewonnenen persönlichen Eindrucks unter Abwägung aller maßgebenden Umstände zu beurteilen, ob und inwieweit er als Zeuge befragt werden darf (Mayerhofer aaO § 151 E 41).
Vorliegend hat der Schwurgerichtshof ersichtlich keine Hinweise gefunden, daß Johann M***** wegen physischer oder psychischer Mängel zur Ablegung eines Zeugnisses außerstande sein könnte. Derartige Anhaltspunkte vermag auch die Beschwerde nicht substantiiert aufzuzeigen. Abgesehen davon, daß die erstmals im Rechtsmittel vorgebrachten Tatsachen - hochgradige Schwerhörigkeit sowie das Erinnerungsvermögen nachhaltig beeinflussende "Verwirrung" - gar keine absolute Zeugnisunfähigkeit zum Ausdruck bringen und zudem aus den Akten nicht zu ersehen sind, somit eine unzulässige und im Nichtigkeitsverfahren unüberprüfbare (Mayerhofer aaO § 151 E 50) Neuerung darstellen, läßt der Beschwerdeführer die für die Vernehmungstauglichkeit des Johann M***** sprechenden (aktenkundigen) objektiven Umstände - selbständige telefonische Herbeiholung behördlicher Hilfe unmittelbar nach dem Vorfall (S 21/I); wiederholte (im Kern jeweils gleichlautende) detaillierte Schilderung des relevanten Sachverhalts (bei sachgerechter Beantwortung zielgerichteter Fragen) gegenüber den intervenierenden Gendarmeriebeamten (S 27 f/I), gegenüber dem Untersuchungsrichter unter persönlicher (aktiver) Mitwirkung an der Tatrekonstruktion (ON 8; ON 25 iVm ON 32), im Rahmen der gerichtsärztlichen Untersuchung (ON 35) und (unter Kontrolle des Verteidigers) in der Hauptverhandlung (S 223 ff/II), wobei keiner der mit der Vernehmung befaßten (forensisch erfahrenen) Personen der Ablegung eines Zeugnisses entgegenstehende körperliche oder seelische Gebrechen des Befragten auffielen - außer acht.
Aus dieser Sicht erschöpft sich das Vorbringen in einer im kollegialgerichtlichen Verfahren unzulässigen Bekämpfung der Beweiswürdigung; denn die Frage, ob ein Zeuge zu verläßlichen Wahrnehmungen imstande war, sowie ob und in welchem Umfang er nunmehr zu deren richtiger Wiedergabe im Einzelfall willens und in der Lage ist, betrifft nicht die Zeugnisfähigkeit, sondern den (allein von den Geschworenen zu beurteilenden) Beweiswert seiner Aussage (§ 258 Abs 2 StPO; Mayerhofer aaO § 151 E 39 aE). Die vom Nichtigkeitswerber behaupteten Divergenzen in den Angaben des Zeugen rechtfertigen die Annahme einer gänzlichen Vernehmungsuntauglichkeit ebensowenig wie die ins Treffen geführte Pflegebedürftigkeit und das hohe Alter desselben (Mayerhofer aaO § 151 E 45).
Soweit der Beschwerdeführer in diesem Zusammenhang die Begutachtung des Johann M***** durch ärztliche Sachverständige begehrt, genügt der Hinweis, daß derartige Beweisführungen im Verfahren über eine Nichtigkeitsbeschwerde unzulässig sind. Dies gilt auch für einen angebotenen Urkundenbeweis durch ein angeblich von einer Zuhörerin angefertigtes "Gedächtnisprotokoll" über den Verlauf der Vernehmung des Johann M***** in der Hauptverhandlung.
Da sich die Rechtsbelehrung nach § 321 Abs 2 StPO inhaltlich regelmäßig an den jeweils den Geschworenen vorgelegten Fragen zu orientieren hat (Mayerhofer aaO § 345 Z 8 E 20, dazu insb 14 Os 156/98 und 14 Os 94/98 = JUS 1998/2573), erweist sich auch die Instruktionsrüge (Z 8) als nicht zielführend, soweit sie (in Anlehnung an die zum Unterbleiben der Zusatzfrage nach Rücktritt vom Versuch vorgebrachten Argumente) ein Eingehen auf die Regelung des § 16 StGB vermißt. Im übrigen entspricht die bemängelte Unterweisung über die Kriterien eines relativ untauglichen Versuchs herrschender Rechtsprechung und Lehre (Leukauf/Steininger aaO RN 35; Mayerhofer/Rieder StGB4 E 64; Foregger/Kodek StGB6 Anm VIII, je zu § 15), sodaß der Vorwurf der Ergänzungsbedürftigkeit der Instruktion über den (grundsätzlich auch für juristische Laien leicht faßbaren) gesetzlichen Versuchsbegriff versagt.
Die Rechtsrüge (Z 11 lit a) entbehrt der prozeßordnungsgemäßen Darstellung, weil der Angeklagte der Sache nach unter Rückgriff auf die gegen die Formulierung der Hauptfrage vorgetragene unbegründete Kritik (Z 6) nach § 345 Abs 1 StPO nicht aufgreifbare Feststellungsmängel des Wahrspruchs (Mayerhofer aaO § 345 E 4a; § 345 Z 11 lit a E 14) in bezug auf einzelne Modalitäten der Tathandlung behauptet. Eine Verpflichtung der Geschworenen zur Konstatierung eines konkreten Sachverhalts unter Anführung aller Einzelheiten besteht nämlich nach dem Gesetz nicht. Die Erörterung sämtlicher aus den Verfahrensergebnissen resultierender Rechtsfragen ist vielmehr allein durch die Vorschriften über die Fragestellung sichergestellt, während der geltend gemachte materielle Nichtigkeitsgrund nur die Möglichkeit einer Bekämpfung der rechtlichen Beurteilung durch Vergleich der im Verdikt festgestellten Tatsachen mit dem darauf anzuwendenden Gesetz eröffnet. Die Einstufung des durch Bejahung der Tatfrage konstatierten Verhaltens des Beschwerdeführers (vom Tötungsvorsatz getragenes Pressen eines Taschentuchs auf Mund und Nase des gewaltsam zu Boden gedrückten Opfers) als "taugliches" Tötungsmittel und damit die Subsumtion des in die Ausführungsphase getretenen Sachverhalts unter die Bestimmungen der §§ 15, 75 StGB erweist sich aber als rechtlich einwandfrei.
Dem auf die Hauptfrage nach Mordversuch bezogenen Einwand (Z 6) zuwider trägt die Fragenformulierung dem in § 312 Abs 1 StPO statuierten Gebot der Verdeutlichung der Tat, die lediglich deren verwechslungsfreie Beschreibung (Individualisierung), nicht aber - wie der Beschwerdeführer vermeint - die Anführung aller Einzelheiten (Konkretisierung) voraussetzt (Foregger/Kodek StPO7 Erl II; Mayerhofer aaO E 30 ff, jeweils zu § 312), hinreichend Rechnung, weil der unter Anklage gestellte Tatbestand durch Aufnahme von Tatzeit, Tatort, Name des Opfers und Begehungsart sowie durch die ausdrückliche Anführung der (kraft Gesetzes ohnehin subintellegierten) Schuldform der Vorsätzlichkeit (Mayerhofer aaO § 312 E 21) eindeutig umschrieben wird. Einer darüber hinausgehenden Anführung der in der Beschwerde bezeichneten Modalitäten (Dauer des Angriffes oder dessen Folgen) bedurfte es daher nicht.
Es ist aber auch die vermißte Eventualfrage (§ 314 StPO) nach Totschlag (§ 76 StGB) zu Recht unterblieben:
Die ein Tötungsvorhaben durchwegs in Abrede stellende Einlassung des Beschwerdeführers läßt im Zusammenhalt mit den von ihm angegebenen tatauslösenden Faktoren (Zorn über die von Johann M***** beabsichtigte testamentarische "Neuverteilung" seiner Vermögenswerte; Vermeidung von Aufsehen; S 205 f/II) und den übrigen Tatmodalitäten eine rechtliche Beurteilung der aktuellen Affektursachen als allgemein begreiflich - wie es der Tatbestand des Totschlages erfordert - nicht zu. Allgemeine Begreiflichkeit kommt nur in Betracht, wenn unter Anlegung eines objektiv-normativen Maßstabes der für den Tatentschluß kausale tiefgreifende Affekt auf Ursachen basiert, die es für einen durchschnittlich rechtstreuen Menschen vorstellbar machen, in der betreffenden Situation ebenfalls in einen derartigen psychischen Ausnahmezustand zu geraten. Ist die Affektlage hingegen im abnormen Charakter, in Stimmungslabilität, leichter Erregbarkeit, mangelnder Beherrschung oder sonstigen verwerflichen Neigungen des Täters begründet, scheidet allgemeine Begreiflichkeit aus (Leukauf/Steininger aaO RN 11 ff; Kienapfel BT I4 RN 26 ff; Moos im WK Rz 29 ff, jeweils zu § 76). Selbst unter Zugrundelegung einer heftigen Gemütsbewegung des Angeklagten zur Tatzeit wäre der psychische Ausnahmezustand im Verhältnis zu seinem Anlaß sittlich vorwerfbar, sodaß die vermeintliche Indikation der begehrten eventuellen Schuldfrage nicht gegeben ist.
In diesem Umfang war die Nichtigkeitsbeschwerde daher zu verwerfen.
Hingegen wurde durch die Unterlassung einer Zusatzfrage nach Rücktritt vom (Mord-)Versuch (§ 16 Abs 1 StGB) die Vorschrift des § 313 StPO verletzt (Z 6). Zwar bietet die jeglichen Angriff leugnende Verantwortung des Angeklagten allein keinen Anlaß zu dieser Zusatzfrage; in Verbindung mit der Tatsache, daß Johann M***** mit dem Leben davongekommen ist, ergibt sich aber daraus zwingend, daß der Angeklagte von seinem Opfer zu einem Zeitpunkt abgelassen haben muß, als ihm die Vollendung des Mordes an dem - nach dessen Darstellung - Bewußtlosen noch möglich gewesen wäre. Ob der Angeklagte solcherart die Ausführung des Mordes allerdings freiwillig aufgegeben hat, ist primär von der allein von den Geschworenen zu lösenden Beweisfrage abhängig, ob er zu diesem Zeitpunkt angenommen hat, das Opfer sei noch am Leben, oder ob er - wie dies die Anklage behauptet - der (irrigen) Meinung war, es sei bereits tot. Nur in ersterem Falle käme freiwillige und daher strafbefreiende Abstandnahme von der Tatausführung überhaupt in Betracht, während dies im anderen Fall ausgeschlossen wäre.
Für den Fall der Bejahung der im zweiten Rechtsgang zu stellenden Zusatzfrage nach Rücktritt vom (qualifizierten) Versuch, werden auch noch Eventualfragen nach absichtlicher schwerer Körperverletzung (§ 87 Abs 1 StGB) und nach schwerer Körperverletzung (§ 84 Abs 1 StGB) zu stellen sein.
Da der Wahrspruch über den Mordversuch des Angeklagten vom geltend gemachten Nichtigkeitsgrund - wie weiter oben dargestellt - nicht betroffen ist, war nur das darauf beruhende Urteil aufzuheben und dem Gericht, an das die Sache verwiesen wird, aufzutragen, den unberührt gebliebenen Wahrspruch der Entscheidung mit zugrund zu legen (§ 349 Abs 2 StPO).
Mit seiner Berufung war der Angeklagte auf diese Entscheidung zu verweisen.
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