European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:E133350
Rechtsgebiet: Strafrecht
Spruch:
Die im Beschluss des Oberlandesgerichts Wien vom 10. Juli 2020, AZ 21 Bs 284/19x ua (ON 922 des Ermittlungsakts), geäußerte Rechtsansicht, wonach das dem Wohnungsgemeinnützigkeitsgesetz (WGG) inhärente Vermögensbindungsprinzip dem Vermögensschutz des wirtschaftlich Berechtigten diene und die Einwilligung der Anteilseigner einer gemeinnützigen Bauvereinigung der Annahme eines Befugnismissbrauchs nicht entgegenstehe, verletzt § 153 Abs 1 und Abs 2 StGB.
Gründe:
[1] Die Zentrale Staatsanwaltschaft zur Verfolgung von Wirtschaftsstrafsachen und Korruption führt zu AZ 62 St 1/19x gegen DDr. * T* und andere Beschuldigte, darunter Dr. * S*, sowie gegen mehrere belangte Verbände ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts des Verbrechens des schweren Betrugs nach §§ 146, 147 Abs 1 Z 1 und Abs 3 StGB und weiterer strafbarer Handlungen.
[2] Mit Beschlüssen vom 5. und 7. Juni 2019, AZ 333 HR 151/19d, bewilligte das Landesgericht für Strafsachen Wien die Anordnungen der Staatsanwaltschaft zur Durchsuchung von Wohnsitzen des Dr. S* sowie der Geschäftsräume der Sa* Rechtsanwälte OG (ON 154, 155, 188, 189 des Ermittlungsakts).
[3] Den dagegen gerichteten Beschwerden sowie damit verbundenen, gegen die Anordnung und Durchführung der Durchsuchungen gerichteten Einsprüchen wegen Rechtsverletzung des Beschuldigten Dr. S* (ON 345) gab das Oberlandesgericht Wien mit Beschluss vom 10. Juli 2020, AZ 21 Bs 284/19x ua, nicht Folge (ON 922).
[4] Das Rechtsmittelgericht erachtete Dr. S* dringend verdächtig (ON 922 S 52), die Verbrechen der Untreue nach §§ 12 dritter Fall, 153 Abs 1 und Abs 3 zweiter Fall StGB sowie des schweren Betrugs nach §§ 146, 147 Abs 1 Z 1, Abs 3 StGB begangen zu haben (ON 922 S 60 ff, 67 ff, 141).
[5] Im Rahmen der Begründung des Tatverdachts führte das Beschwerdegericht – neben allgemeinen Erwägungen zum Tatbestand des § 153 StGB und zum „dem WGG inhärenten Vermögensbindungsprinzip“ (ON 922 S 53 ff, 143 ff) – unter anderem aus (ON 922 S 151 ff), dass die Einwilligung der Anteilseigner der P* GmbH*in deren Vermögensschädigung den Befugnismissbrauch oder den Eintritt einer Vermögensschädigung eines „anderen“ nicht beseitige. „Bei Untreuesachverhalten betreffend die Organuntreue“ seien die Gesellschafter nämlich nicht selbst Vermögensinhaber, sondern sei „die Gesellschaft selbst“ Vermögensträgerin. „Die einzige (eindeutige) Ausnahme“ stelle „der Fall der Ein-Personen-GmbH“ dar, bei dem die für die GmbH nachteilige Tathandlung des geschäftsführenden Alleingesellschafters keine Vermögensschädigung eines „anderen“ bewirke. Für den Obersten Gerichtshof (AZ 12 Os 117/12s, 118/12p) folge aus der Rechtssubjektivität der Aktiengesellschaft die Trennung der Vermögensmassen der Aktionäre und der Aktiengesellschaft selbst, wobei der Vorstand mangels Weisungsbefugnis der Aktionäre nicht von der gegenüber der Gesellschaft bestehenden Treuepflicht dispensiert werden könne. Zwar sei dies mit Blick auf die umfassende Weisungsbefugnis der Gesellschafter für eine GmbH „allenfalls differenziert zu betrachten“, das „Prinzip, dass angesichts der Trennung der Vermögensmassen die Zustimmung der Aktionäre (hier: der Gesellschafter) in eine vermögensschädigende und gegen das Unternehmensinteresse verstoßende Maßnahme die Organe letztlich nicht von der gegenüber der Gesellschaft bestehenden Treuepflicht dispensiert“, müsse aber unabhängig von ihrer Rechtsform als GmbH umso mehr für eine gemeinnützige Bauvereinigung und deren Anteilseigner gelten. Letztere seien nach den spezifischen Vorgaben des WGG nämlich über ihren (lediglich einen geringen Prozentsatz des Gesamtvermögens einer gemeinnützigen Wohnbaugesellschaft darstellenden) Anteil hinaus aufgrund des Vermögensbindungsprinzips (ähnlich dem für die AG geltenden Prinzip der Kapitalerhaltung) im Innenverhältnis gerade nicht uneingeschränkt dispositionsfähig und somit nicht die allein wirtschaftlich Berechtigten der Gesellschaft und könnten daher nicht wirksam in die Schädigung deren – getrennt zubetrachtenden – Vermögensmasse einwilligen. Hinzu komme, dass das Vermögensbindungsprinzip – anders als die bloß dem Gläubigerschutz dienenden aktienrechtlichen Kapital-erhaltungsvorschriften – auch dem Erhalt der Gesellschaft an sich diene, sodass für das Beschwerdegericht „kein Zweifel“ daran bestand, dass „der Verstoß dagegen vom Schutzzweck des Tatbestands der Untreue umfasst“ sei.
Rechtliche Beurteilung
[6] Gegen die in der Begründung des Beschlusses des Beschwerdegerichts vertretene Rechtsansicht, wonach das „dem WGG inhärente Vermögensbindungsprinzip“ (ON 922 S 147) dem Vermögensschutz des wirtschaftlich Berechtigten diene (ON 922 S 9) und die Einwilligung der Anteilseigner einer (hier in Form einer GmbH organisierten) gemeinnützigen Bauvereinigung der Annahme eines Befugnismissbrauchs nicht entgegenstehe (ON 922 S 151), richtet sich die von der Generalprokuratur erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes. Sie führt zutreffend aus, dass die Rechtsansicht des Oberlandesgerichts Wien mit dem Gesetz nicht im Einklang steht:
[7] § 153 StGB schützt (wie – mit Blick auf die dem österreichischen Vermögensstrafrecht immanente wirtschaftliche Betrachtungsweise – bereits vor BGBl I 2015/112 [vgl dazu Kirchbacher/Sadoghi in WK2 StGB § 153 Rz 2/9 ff]) ausschließlich das Vermögen des – bei einer natürlichen Person mit dem Machtgeber identen, bei einer juristischen Person grundsätzlich hinter dieser stehenden – wirtschaftlich Berechtigten vor Angriffen durch unvertretbares rechtliches Handeln des Machthabers. Außenstehende Dritte und deren Vermögensinteressen (etwa Gläubiger, Geschäftspartner, aber auch die Öffentlichkeit) sind durch § 153 StGB hingegen nicht geschützt.
[8] Ist der Machtgeber eine GmbH, sind die wirtschaftlich Berechtigten die Gesellschafter der juristischen Person als deren Anteilseigner und damit diejenigen, von deren Willen der Bestand (und die Interessenverfolgung) der Gesellschaft abhängt, während der Kapitalgesellschaft als solcher – bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise – kein eigenständiges und durch § 153 StGB geschütztes Vermögensinteresse zukommt (vgl zu allem Kirchbacher/Sadoghi in WK2 StGB § 153 Rz 1, 2/1, 29/1, 30/1 f; Lewisch, Befugnismissbrauch und „wirtschaftlich Berechtigter“ bei der Untreue, Jahrbuch Wirtschaftsstrafrecht und Organverantwortlichkeit 2020, 177 [185 f]; Lewisch, Grundsatzfragen der Untreue [neu], in Kodek, Untreue NEU 111 f; Fuchs, Die Reform der Untreue durch das StRÄG 2015 in Lewisch [Hrsg], Jahrbuch Wirtschaftsstrafrecht und Organverantwortlichkeit 2015, 345 [354 ff]; McAllister in Preuschl/Wess, Wirtschaftsstrafrecht § 153 Rz 39; N. Huber, Die Organuntreue zu Lasten von Kapitalgesellschaften, 168 f; Kienapfel/Schmoller BT II2 § 153 Rz 12, 61 ff; Bertel/Schwaighofer/Venier BT I15 § 153 Rz 4; Leukauf/Steininger/Flora StGB4 § 153 Rz 2 und 10; 728 BlgNR 25. GP , 5 f, 10; aM Kert/Komenda, Untreue neu nach dem Strafrechtsänderungsgesetz 2015, ÖZW 2015, 141 [143], die jedoch entgegen § 153 Abs 2 StGB den Machtgeber mit dem wirtschaftlich Berechtigten gleichsetzen).
[9] Untreue erfordert (unter anderem) einen (vorsätzlichen) Fehlgebrauch der dem Machthaber zukommenden Befugnis, über das Vermögen des Machtgebers zu verfügen. Ein solcher liegt vor, wenn der Machthaber zwar nach außen wirksame Vertretungshandlungen setzt, dabei aber bewusst gegen das interne (rechtliche) Dürfen verstößt (vgl RIS‑Justiz RS0094545; 13 Os 128/18z; Kienapfel/Schmoller BT II2 § 153 Rz 57). Eine rechtswirksame und mängelfreie, ihrerseits nicht missbräuchliche – und im Tatzeitpunkt gegebene – Einwilligung des Machtgebers zu einer Vertretungshandlung schließt daher Befugnisfehlgebrauch aus (17 Os 15/17k; 11 Os 52/15d; Fuchs/Reindl‑Krauskopf, BT I7 239 f; vgl auch N. Huber, Tatbestandsstruktur der Untreue im österreichischen Strafrecht in Kert/Kodek [Hrsg] Handbuch Wirtschaftsstrafrecht, 4.40 ff; vgl RIS‑Justiz RS0131818, RS0094764, RS0094782).
[10] Ist der Machtgeber (wie hier) eine GmbH, kann ein die Tatbestandsverwirklichung ausschließendes Einverständnis (auch nach der Rechtslage vor BGBl I 2015/112) von den Gesellschaftern (als Rechtsgutträgern und demnach wirtschaftlich Berechtigten) gegeben werden (RIS‑Justiz RS0132027; Lewisch, Gesellschaftsrecht und Strafrecht nach „Libro“, in Lewisch [Hrsg], Jahrbuch Wirtschaftsstrafrecht und Organverantwortlichkeit 2014, 19 [22 f]; N. Huber, Die Organuntreue zu Lasten von Kapitalgesellschaften, 180 ff; vgl auch JAB 728 BlgNR 25. GP , 11; 11 Os 126/16p, 127/16k; Hinterhofer, Voraussetzungen und Grenzen strafbefreiender Zustimmung der Gesellschafter bei der Untreue, in Hinterhofer [Hrsg], Praxishandbuch Untreue, 123 [129 ff]; Kiehl/Lindtner, Update: Untreue, ecolex 2018, 987 ff).
[11] Diese Grundsätze gelten auch für eine privatrechtlich organisierte gemeinnützige Bauvereinigung nach dem WGG, die (hier:) in der Rechtsform der GmbH geführt wird. Denn die im WGG normierten (vermögensbezogenen) Pflichten der Gesellschaft zur Kapitalerhaltungbezwecken (nur) die Absicherungdem Gemeinwohl dienender Aufgaben des Wohnungs- und Siedlungswesens (§ 1 Abs 2 und 3 WGG) und sollen einen diesen Interessen zuwiderlaufenden Abfluss von Gesellschaftsvermögen verhindern (vgl zum Grundsatz der Vermögensbindung insb §§ 1, 10, 10a und 11 WGG; Holoubek/Hanslik‑Schneider in Illedits/Reich‑Rohrwig, Wohnrecht3 § 1 WGG Rz 2, § 10 WGG Rz 1 ff, § 10a WGG Rz 1; Prader/Pittl, WGG1.02 § 10 Rz 1 und WGG1.04 § 10a Rz 1; Schopper/Walch, Gesellschaftsrechtliche Fragen des Wohnungsgemeinnützigkeitsgesetzes, ZRB 2017, 90 [108]). Sie dienen daher ebenso wenig dem (untreuerelevanten) Vermögensschutz der (hier:) Gesellschafter (als wirtschaftlich Berechtigten) wie das in § 29 WGG normierte Aufsichtsrecht der Landesregierung über die gesamte Geschäftsführung der gemeinnützigen Bauvereinigung.
[12] Die Regelungen des WGG lassen im Übrigen auch die vermögensrechtlichen Beziehungen zwischen der Gesellschaft (Machtgeber) und deren Vertretungsorganen (Machthaber) sowie die Position der Anteilseigner als wirtschaftlich Berechtigte unverändert. Sie führen daher weder dazu, dass Verwaltungsbehörden oder Dritte neben den Gesellschaftern (hier: einer GmbH) zu wirtschaftlich Berechtigten werden, noch dazu, dass die Anteilseigner ihre Position als (allein) wirtschaftlich Berechtigte verlieren oder die Gesellschaft selbst zur wirtschaftlich Berechtigten wird (vgl zu allem Lewisch, Befugnismissbrauch und „wirtschaftlich Berechtigter“ bei der Untreue, Jahrbuch Wirtschaftsstrafrecht und Organverantwortlichkeit 2020, 177 [187 ff, 192]).
[13] Mit Blick auf die Erwägungen des Oberlandesgerichts bleibt anzumerken, dass der Vermögensschutz der Gesellschaft um ihrer selbst willen (auch) aus dem WGG nicht argumentierbar ist, weil die juristische Person durch die genannten Bestimmungen kein eigenes Bestandrecht erhält, sondern es den Gesellschaftern frei steht, die Gesellschaft aufzulösen, wenngleich (diesfalls) die Verteilung des Vermögens speziellen Regeln (§ 11 WGG) unterworfen ist (vgl dazu Holoubek/Hanslik‑Schneider in Illedits/Reich‑Rohrwig, Wohnrecht3 § 11 WGG Rz 1 f).
[14] Da das WGG demnach keine (vom Schutzzweck des § 153 StGB umfassten) Regeln zum Vermögensschutz der wirtschaftlich Berechtigten einer (als gemeinnützige Bauvereinigung anerkannten) Gesellschaft (hier: der Anteilseigner einer GmbH) trifft und der Grundsatz, dass eine (wirksame) Zustimmung der Gesellschafter zu einer Verringerung des Vermögens der Gesellschaft einen Befugnisfehlgebrauch iSd § 153 StGB ausschließt, auch in der vom Oberlandesgericht thematisierten Konstellation unberührt bleibt, verletzt die (von der Generalprokuratur wie aus dem Spruch ersichtlich aufgegriffene) Rechtsansicht des Oberlandesgerichts Wien § 153 Abs 1 und Abs 2 StGB.
[15] Das Beschwerdegericht hat im Übrigen „letztlich“ das Vorliegen einer wirksamen Zustimmung sämtlicher Gesellschafter der P* GmbH zu einer vermögensschädigenden Verfügung auch aus einem anderen Grund verneint (ON 922 S 153).
[16] Weiters bleibt anzumerken, dass das Oberlandesgericht bei Dr. S* einen dringenden Tatverdacht auch in Richtung des Verbrechens des schweren Betrugs nach §§ 12 dritter Fall, 146, 147 Abs 1 Z 1 und Abs 3 StGB (ON 922 insb S 20 und 141) bejaht hat.
[17] Die Gesetzesverletzung im angesprochenen Rechtsmittelverfahren gereichte Dr. S* daher nicht zum Nachteil. Ihr Ausspruch war nicht mit konkreter Wirkung zu verbinden (§ 292 letzter Satz StPO).
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