European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2020:0140OS00086.20H.1103.000
Spruch:
Die ***** A***** mit Beschluss des Landesgerichts Korneuburg vom 30. Jänner 2018, AZ 821 BE 9/18i, gewährte bedingte Entlassung wird widerrufen.
Mit seiner Beschwerde wird der Angeklagte A***** auf diese Entscheidung verwiesen.
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurden die Angeklagten M***** und A***** jeweils dreier Verbrechen der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 StGB schuldig erkannt.
Danach haben sie von (US 4) Mitte Mai 2019 bis zum 21. Juni 2019 in W***** im bewussten und gewollten Zusammenwirken (§ 12 erster Fall StGB) ***** D***** in drei Angriffen mit Gewalt zur Duldung einer dem Beischlaf gleichzusetzenden geschlechtlichen Handlung genötigt, indem sie ihn festhielten und ihm einen Finger in den After einführten.
Dagegen richten sich die von M***** aus Z 9 lit a und von A***** aus Z 5 und 10 des § 281 Abs 1 StPO ergriffenen Nichtigkeitsbeschwerden, denen keine Berechtigung zukommt.
Rechtliche Beurteilung
Zur Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten M*****:
Die Rechtsrüge (Z 9 lit a) releviert das Fehlen von Feststellungen zu einem auf die Überwindung eines erwarteten oder begonnenen ernst gemeinten Widerstands des Opfers gerichteten Vorsatz, übergeht dabei aber die gerade dazu getroffenen Urteilskonstatierungen, nach denen die Angeklagten bei den – detailliert beschriebenen – Tathandlungen („hiebei“) „das einzige Ziel“ verfolgten, D***** „gewaltsam zur Duldung einer dem Beischlaf gleichzusetzenden geschlechtlichen Handlung zu nötigen“ (US 4) und (disloziert im Rahmen der rechtlichen Beurteilung) ihn „zur Duldung des zumindest dreimaligen Einführens des Fingers in den Anus [...] nötigen wollten“ (US 6; vgl RIS-Justiz RS0088835, RS0089034). Welcher darüber hinausgehenden Feststellungen zur subjektiven Tatseite es für die vorgenommene Subsumtion bedurft hätte, vermag die Beschwerde nicht darzutun.
Zur Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten A*****:
Der Mängelrüge (Z 5 zweiter Fall) zuwider hat sich das Erstgericht mit der Aussage des Zeugen ***** K*****, wonach er selbst das Eindringen des Fingers in den Anus des Opfers nie gesehen oder dies behauptet habe (ON 25 S 19) und jener des Zeugen ***** Kr*****, die Angeklagten seien dem Opfer mit den Fingern „so zwischen die Beine“, nicht aber „in den Hintern reingefahren“ (ON 25 S 21), auseinandergesetzt (US 5). Zu einer gesonderten Erörterung aller – von der Beschwerde relevierter – Details aus den Angaben der Genannten waren die Tatrichter nicht verpflichtet (RIS-Justiz RS0106642).
Ob sich das Opfer „damals in einer Ausnahmesituation befunden hat“, ist zum einen unerheblich und wird zum anderen ohne Nennung – solches indizierender – übergangener Verfahrensergebnisse bloß behauptet (RIS‑Justiz RS0118316 [T4, T5]; vgl im Übrigen US 4–6).
Soweit die Rüge (erneut Z 5 zweiter Fall) moniert, das Erstgericht habe die Aussage des Opfers unerörtert gelassen, wonach es nicht wisse, ob es sich um eine „reine Demütigungsgeste“ gehandelt habe oder ob die Taten einen sexuellen Hintergrund gehabt hätten, spricht sie keine entscheidende Tatsache (zum Begriff: Ratz , WK-StPO § 281 Rz 398 ff) an, weil der Tatbestand des § 201 Abs 1 StGB keine solche sexuelle Tätermotivation erfordert (vgl RIS‑Justiz RS0094905 [insb T13, T16, T19]). Ausgehend davon waren die diesbezüglichen Angaben des Opfers unter dem Aspekt einer Unvollständigkeit nicht erörterungsbedürftig ( Ratz , WK-StPO § 281 Rz 421; RIS‑Justiz RS0118316).
Mit dem bloßen Hinweis auf die – an der angegebenen Kommentarstelle ( Beyrer/Birklbauer/Sadoghi , StGB Praxiskommentar [2017] § 201 [richtig:] A.2.) angeführte – Definition einer dem Beischlaf gleichzusetzenden geschlechtlichen Handlung, legt die eine Unterstellung der Taten nach § 202 Abs 1 StGB anstrebende Subsumtionsrüge (Z 10) nicht dar, aus welchem Grund die Tatbestandsverwirklichung des § 201 Abs 1 StGB auch einen auf die Befriedigung des Geschlechtstriebs gerichteten Willen der Angeklagten erfordern soll.
Für die rechtliche Beurteilung einer Tathandlung als eine dem Beischlaf gleichzusetzende geschlechtliche Handlung ist vielmehr der objektive Sexualbezug der Manipulation entscheidend, auf den sich erkennbar auch die vom Angeklagten zitierte Kommentarstelle bezieht (s JAB StGNov 1989 [BGBl 1989/242], 927 BlgNR 17. GP 3; RIS‑Justiz RS0095201). Die Tat muss – nach einem objektiv individualisierenden Maßstab – geeignet sein, vom Opfer als entsprechend schwerer Eingriff in seine sexuelle Selbstbestimmung erlebt zu werden. Eine auf geschlechtliche Erregung oder Befriedigung gerichtete Tendenz des Täters verlangt der Tatbestand des § 201 Abs 1 StGB hingegen nicht (erneut RIS-Justiz RS0094905 [T13, T15, T16, T19 bis T22], vgl RIS-Justiz RS0113816; Philipp in WK 2 StGB § 201 Rz 23 mwN).
Ausgehend davon steht – dem Beschwerdevorbringen zuwider – die festgestellte (nicht sexualbezogene) Täterintention einer „Demütigung“ und „Verhöhnung“ des Opfers (US 4) der vorgenommenen Subsumtion nicht entgegen.
Die Nichtigkeitsbeschwerden waren daher – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – zu verwerfen.
Zur amtswegigen Maßnahme:
Aus Anlass der Nichtigkeitsbeschwerden überzeugte sich der Oberste Gerichtshof – gleichfalls in Übereinstimmung mit der Generalprokuratur – davon, dass dem Schuldspruch hinsichtlich beider Angeklagten nicht geltend gemachte materielle Nichtigkeit gemäß § 281 Abs 1 Z 10 StPO anhaftet, die zu deren Nachteil wirkt und daher von Amts wegen aufzugreifen war (§ 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO):
Das Erstgericht ging hinsichtlich der vom Schuldspruch erfassten Taten von Verbrechen der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 StGB idgF (BGBl I 2019/105) aus (vgl US 3 und 6), dies verbunden mit einem Strafrahmen von zwei bis zu zehn Jahren Freiheitsstrafe. Nach dem zur Tatzeit (Mai 2019 bis 21. Juni 2019) geltenden § 201 Abs 1 StGB idF BGBl I 2013/116 betrug die Strafdrohung bloß ein bis zu zehn Jahren Freiheitsstrafe.
Somit erweist sich das Tatzeitrecht in seiner Gesamtauswirkung als günstiger als das vom Erstgericht angewendete Urteilszeitrecht (§§ 1, 61 StGB; RIS-Justiz RS0112939).
Dieser Rechtsfehler führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils wie aus dem Spruch ersichtlich.
Im Umfang der Aufhebung war sogleich spruchgemäß in der Sache selbst zu erkennen (§ 288 Abs 2 Z 3 erster Satz StPO).
Bei der infolge Aufhebung der Strafaussprüche vorzunehmenden Strafneubemessung war unter Bedachtnahme auf § 28 Abs 1 StGB nach § 201 Abs 1 StGB idF BGBl I 2013/116 von einem Strafrahmen von einem bis zu zehn Jahren Freiheitsstrafe auszugehen.
Bei beiden Angeklagten war kein Umstand mildernd. Beim Angeklagten M***** waren das Zusammentreffen von drei Verbrechen (§ 33 Abs 1 Z 1 StGB) sowie zwei auf der gleichen schädlichen Neigung beruhende Verurteilungen (§ 33 Abs 1 Z 2 StGB) erschwerend. Beim Angeklagten A***** waren das Zusammentreffen von drei Verbrechen (§ 33 Abs 1 Z 1 StGB) sowie eine auf der gleichen schädlichen Neigung beruhende Verurteilung (§ 33 Abs 1 Z 2 StGB) und die Tatbegehung während einer offenen Probezeit (vgl RIS-Justiz RS0111324) erschwerend. Weiters war bei beiden Angeklagten im Rahmen des § 32 Abs 2 StGB die Tatbegehung während des Vollzugs einer Strafhaft an einem im selben Haftraum untergebrachten Mithäftling (vgl § 32 Abs 3 letzter Fall StGB) als aggravierend zu werten.
Ausgehend davon (§ 32 Abs 2 erster Satz StGB) erweisen sich auf der Grundlage der Schuld der Angeklagten (§ 32 Abs 1 StGB) die im Spruch genannten Freiheitsstrafen als angemessen.
Mit ihren Berufungen waren die Angeklagten auf die Strafneubemessung zu verweisen.
Die mit Beschluss des Landesgerichts Korneuburg vom 30. Jänner 2018, AZ 821 BE 9/18i, gewährte bedingte Entlassung des Angeklagten A***** war im Hinblick auf den raschen Rückfall aus spezialpräventiven Erwägungen zu widerrufen (§ 53 Abs 1 StGB, § 494a Abs 1 Z 4 StPO) und der genannte Angeklagte mit seiner Beschwerde auf diese Entscheidung zu verweisen.
Der Kostenausspruch, der die amtswegige Maßnahme nicht umfasst ( Lendl , WK-StPO § 390a Rz 12), beruht auf § 390a Abs 1 StPO.
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