Spruch:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.
Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Innsbruck zugeleitet.
Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurde Evans D***** - abweichend von der wegen §§ 15, 142 Abs 1 StGB erhobenen Anklage (ON 13) - des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB schuldig erkannt. Danach hat er am 28. August 2005 in Innsbruck den Gerhard T***** vorsätzlich am Körper verletzt, indem er ihn am Kopf erfasste und gegen die Wand einer Hofeinfahrt stieß, wodurch der Genannte eine Prellung an der rechten Hand sowie Abschürfungen im Brustbereich und am Kopf erlitt.
Die dagegen vom Angeklagten undifferenziert aus den Gründen der Z 8 und Z 10a des § 281 Abs 1 StPO erhobene Nichtigkeitsbeschwerde, mit der er ausschließlich die Unterlassung einer nach seiner Ansicht gemäߧ 262 StPO gebotenen Anhörung zu geänderten rechtlichen Gesichtspunkten rügt, verfehlt ihr Ziel.
Rechtliche Beurteilung
Im vorliegenden Fall ging die Anklagebehörde davon aus, der Beschwerdeführer hätte durch die in der Anklageschrift beschriebenen Tätlichkeiten versucht, Gerhard T***** unter Anwendung nicht unerheblicher, zu den vom Schuldspruch erfassten Verletzungen führender Gewalt, eine Tasche mit Bargeld mit auf unrechtmäßige Bereicherung gerichtetem Vorsatz wegzunehmen, weshalb eine Anführung des § 83 Abs 1 oder Abs 2 StGB in der Anklage (§ 207 Abs 2 Z 2 StPO) zu Recht unterblieb. Denn bei allen Delikten, bei denen der Eintritt schwerer Verletzungsfolgen zu einem höheren Strafsatz führt (hier § 143 zweiter Satz StGB), tritt die Zufügung einer leichten Körperverletzung nicht echt idealkonkurrierend als zusätzliche Deliktsverwirklichung nach § 83 Abs 1 oder Abs 2 StGB hinzu, sondern wird infolge scheinbarer Idealkonkurrenz (Konsumtion) verdrängt (Fabrizy, StGB9 § 83 Rz 5; Ratz in WK² Vorbem zu §§ 28 - 31 Rz 61). Indem das Erstgericht für die Unterstellung unter § 142 StGB erforderliche Feststellungen nicht zu treffen vermochte, eine vorsätzliche Verletzung des Tatopfers durch den Angeklagten jedoch für erwiesen ansah, erfolgte der Schuldspruch (wegen des bei anklagekonformer Verurteilung verdrängten Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB) nicht wegen einer gegenüber der Anklage anderen Tat im materiellen Sinn.
Zur Darstellung des Nichtigkeitsgrundes der Z 8 hätte es daher nach gefestigter Judikatur des Obersten Gerichtshofes weitergehenden Vorbringens bedurft, das plausibel gemacht hätte, weshalb dem Beschwerdeführer durch die unterlassene Anhörung die Möglichkeit genommen worden sein soll, sich dazu näher oder anders zu verantworten und entsprechende Fragen oder Anträge zu formulieren, dass also mit Blick auf den veränderten rechtlichen Gesichtspunkt die Verteidigung eine andere gewesen wäre.
Dem Einwand, das Erstgericht „hätte ... die Möglichkeit einer Diversion erörtern müssen..." und dem Angeklagten sei die Gelegenheit genommen worden, „der Staatsanwaltschaft ein Diversionsangebot zu machen oder anzunehmen", genügt es zu erwidern, dass das Gesetz ein „Diversionsangebot seitens des Angeklagten" nicht vorsieht. Weitergehendes Vorbringen im aufgezeigten Sinn ist für die erfolgreiche Geltendmachung des Nichtigkeitsgrundes der Z 8 nur dann entbehrlich, wenn das erkennende Gericht den Angeklagten - wenngleich ohne Abgehen von dem der Anklage (als Gesamtheit) zugrunde liegenden Sachverhalt, also der Tat im prozessualen Sinn - statt der im Anklagetenor genannten Tat einer anderen (im materiellen Sinne) schuldig erkennt und zuvor mit Blick auf die Fairness des Verfahrens dem Schutzzweck des § 262 StPO nicht entsprochen hat (vgl dazu grundsätzlich 14 Os 34/00, EvBl 2000/221; 13 Os 61/00; 14 Os 67/04; 14 Os 76/056s; 14 Os 17/06s; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 542 ff). Auch die Entscheidungen des EGMR in den Sachen Pelissier und Sassi gegen Frankreich vom 25. März 1999, BNr 25444/94 (ÖJZ 1999/34 [MRK], 905), und zuletzt Ilhan Hulku ua gegen Österreich vom 20. April 2006, BNr 42780/98 (ÖJZ 2006/19 [MRK], 865), lassen erkennen, dass es dem EGMR gerade um den Schutzzweck des Art 6 Abs 3 lit a und lit b MRK zu tun ist, also darum, die Verteidigung des Angeklagten nicht zu behindern. Von eben dieser Zielsetzung geleitet und parallel zur Entscheidung Pelissier und Sassi gegen Frankreich (vgl Messner, Zur Weiterentwicklung des Nichtigkeitsgrundes des § 281 Abs 1 Z 8 StPO, ÖJZ 2006, 582) hat der Oberste Gerichtshof bereits im Jahr 2000 (14 Os 34/00) eine Weiterentwicklung des bis dahin nur auf die Identität von Anklage- und Urteilssachverhalt bezogenen Nichtigkeitsgrundes dahin eingeleitet, dass nunmehr auch Abweichungen in der rechtlichen Beurteilung des von der Anklage erfassten Sachverhalts als Nichtbeachtung des § 262 StPO aus Z 8 releviert werden können. Stets dann, wenn - ungeachtet der Identität von Anklage- und Urteilsfaktum im prozessualen Sinn - der Angeklagte einer gegenüber dem inkriminierten Sachverhalt anderen Tat (auch bloß) im materiellen Sinn schuldig erkannt wird, liegt nach dieser grundrechtskonformen Auslegung der Z 8 des § 281 Abs 1 StPO der Nichtigkeitsgrund vor. Ist mit anderen Worten das Tatbild (die äußere Tatseite) der dem Schuldspruch zugrundeliegenden Tat (§ 260 Abs 1 Z 1 StPO) von jenem des Anklagetenors (§ 207 Abs 2 Z 2 StPO) derart verschieden, dass sich die jeweils angenommenen Tatbilder nicht überdecken (vgl zum Begriff der Tateinheit Ratz in WK² Vorbem §§ 28-31 Rz 11 f), unterstellt der Oberste Gerichtshof ohne weiteres das Erfordernis einer dem § 262 StPO entsprechenden Belehrung, ohne welche dem Grundrechtsgebot des Art 6 Abs 3 lit a oder lit b MRK nicht entsprochen wird.
Geht es aber um Abweichungen geringerer Relevanz, ist es Sache des Beschwerdeführers, im Rechtsmittel das Belehrungserfordernis (wenigstens einigermaßen) plausibel zu machen, um unnötige Rechtsgänge zu vermeiden. Diese ziehen nämlich in aller Regel eine Verschlechterung der zur Verfügung stehenden Beweismittel nach sich und können überdies ein Spannungsverhältnis mit dem gleichfalls beachtlichen Grundrechtsgebot auf Verfahrensbeendigung binnen angemessener Frist (Art 6 Abs 1 erster Satz MRK) bewirken. Dass der Oberste Gerichtshof nur bei Verschiedenheit der Tatbilder Nichtigkeit aus Z 8 ohne weiteres Vorbringen bejaht, war dem Beschwerdeführer nicht unzugänglich, zumal die Leitentscheidung mehrfach repräsentativ veröffentlich und besprochen wurde
(Jus-Extra-OGH-St 2914 = ÖJZ-LSK 2000/239 = ÖJZ-LSK 2000/240 = EvBl
2000/221 S 909 = ecolex 2000, 905 [Koch], WK-StPO § 281 Rz 542 bis
545; Steininger, Handbuch der Nichtigkeitsgründe³ § 281 Abs 1 Z 8 Rz 11 ff; Hager/Meller/Eichenseder, Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung, 63 f; IntKommEMRK (Vogler) Art 6 Rz 472 ff; zuletzt eingehend Messner, Zur Weiterentwicklung des Nichtigkeitsgrundes des § 281 Abs 1 Z 8 StPO, ÖJZ 2006, 582), sodass ein derartiges Vorbringen auch vorliegend verlangt werden kann.
Da das Gesetz nur eine Ausführung der Nichtigkeitsbeschwerde kennt, bietet die gemäß § 35 Abs 2 StPO vom Verteidiger zur Stellungnahme des Generalprokurators zur Nichtigkeitsbeschwerde abgegebene Äußerung keine Grundlage für eine prozessual beachtliche Nachholung eines in der Rechtsmittelausführung unterlassenen Vorbringens (RIS-Justiz RS0097055).
Unter dem Aspekt der Z 10a des § 281 Abs 1 StPO scheitert die Nichtigkeitsbeschwerde am Mangel einer am Verfahrensrecht ausgerichteten Darstellung des reklamierten Nichtigkeitsgrundes. Gegenstand der Z 10a ist - neben einem hier nicht behaupteten Feststellungsmangel in Bezug auf in der Hauptverhandlung hervorgekommene Umstände, die für die positive Beurteilung der diversionellen Voraussetzungen den Ausschlag gäben - die rechtsfehlerhafte Beurteilung der tatsächlichen Urteilsannahmen, nicht aber deren einwandfreie Ermittlung (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 581, 659 ff); ein Urteil ist demnach - unter dem hier interessierenden Aspekt - dann nichtig iSd Z 10a, wenn die darin enthaltenen Feststellungen die Nichtanwendung der Diversion nicht zu tragen vermögen.
Indem der Rechtsmittelwerber bloß die ihm nicht eröffnete Möglichkeit der Stellung oder Annahme eines „Diversionsangebotes" kritisiert und auf seine bisherige Unbescholtenheit sowie das Eingeständnis einer verbalen Auseinandersetzung mit dem Zeugen T***** hinweist, leitet er die angestrebte rechtliche Konsequenz nicht methodisch vertretbar aus dem Gesetz ab, was zur Zurückweisung des Rechtsmittels bereits in einer nicht öffentlichen Beratung führt (§ 285d Abs 1 Z 1 StPO). Daraus folgt die Kompetenz des Gerichtshofs zweiter Instanz zur Entscheidung über die Berufungen (§ 285i StPO).
Bleibt anzumerken, dass unter dem Aspekt spezialpräventiver Notwendigkeit einer Bestrafung vorliegend die gänzlich leugnende Verantwortung des Angeklagten durchaus beachtlich ist und bei der Frage nach schwerer Schuld neben dem Gesinnungsunwert und den Strafzumessungsgründen der §§ 32 ff StGB auch das vom Täter verwirklichte Handlungs- und Erfolgsunrecht ins Gewicht fällt (Schroll, WK-StPO § 90a Rz 16), welche Kriterien angesichts eines - nach den Urteilsannahmen - grundlosen brutalen Angriffs gegen ein dem Angeklagten völlig unbekanntes Opfer auf offener Straße insgesamt zu Ungunsten des Beschwerdeführers ausschlagen, sodass sich die vom Schuldspruch umfasste Tat nicht für eine diversionelle Erledigung eignet.
Die Kostenentscheidung gründet auf § 390a Abs 1 StPO.
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