OGH 14Os17/06s

OGH14Os17/06s4.4.2006

Der Oberste Gerichtshof hat am 4. April 2006 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Holzweber als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Philipp, Hon. Prof. Dr. Schroll, Hon. Prof. Dr. Kirchbacher und Mag. Hetlinger als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Westermayer als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Marius D***** und andere Angeklagte wegen des Verbrechens der Hehlerei nach § 164 Abs 1 und Abs 4 dritter Fall StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten Ilija M***** gegen das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 30. November 2005, GZ 021 Hv 7/05h-99, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

In Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten Ilija M***** und aus deren Anlass (§ 290 Abs 1 StPO) wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, im Schuldspruch der Angeklagten Marius D*****, Ilija M***** und Dragan I***** aufgehoben und die Sache an das Erstgericht zu neuer Verhandlung und Entscheidung verwiesen.

Mit seiner Berufung wird der Angeklagte Ilija M***** auf diese Entscheidung verwiesen.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen, auch unbekämpft gebliebene Freisprüche enthaltenden Urteil wurden Marius D*****, Ilija M***** und Dragan I***** - jeweils abweichend von der schriftlichen Anklage wegen Verbrechens des gewerbsmäßig durch Einbruch verübten schweren Diebstahls im Rahmen einer kriminellen Vereinigung nach §§ 127, 128 Abs 2, 129 Z 1, 130 zweiter und vierter Fall StGB - des Verbrechens der Hehlerei nach § 164 Abs 1 und Abs 4 dritter Fall StGB schuldig erkannt.

Demnach haben sie am 5. Juli 2005 in Wien in bewusstem und gewolltem Zusammenwirken als Mittäter die Täter einer mit Strafe bedrohten Handlung gegen fremdes Vermögen nach der Tat dabei unterstützt, eine Sache, die diese durch die Tat erlangt hatten, zu verheimlichen, indem sie den von unbekannt gebliebenen Tätern zwischen 29. und 30. Juni 2005 in Oeynhausen zum Nachteil der Firma E***** durch Einbruch gestohlenen PKW Opel Vivaro im Wert von 24.000 Euro mit dem gleichzeitig widerrechtlich erlangten Schlüssel in Betrieb nahmen und an einen anderen Ort überstellen wollten, wobei sie wussten, dass es sich um ein durch Einbruch gestohlenes Fahrzeug handelte.

Rechtliche Beurteilung

Während Marius D***** und Dragan I***** das Urteil unbekämpft ließen, wendet sich Ilija M***** gegen seinen Schuldspruch mit einer auf § 281 Abs 1 Z 5, 8 und 9 lit a StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde, der Berechtigung zukommt.

Unter dem Nichtigkeitsgrund des § 281 Abs 1 Z 8 StPO macht der Beschwerdeführer geltend, dass ihn das Schöffengericht abweichend von der Anklageschrift des Verbrechens der Hehlerei schuldig erkannt hat, ohne ihn (vorher) iSd § 262 StPO über die geänderten Gesichtspunkte zu hören. Dadurch sei ihm die Möglichkeit genommen worden, seine Verteidigung auf eine andere Bewertung des unter Anklage gestellten Sachverhalts einzustellen, sich dazu zu verantworten und entsprechende Fragen und Anträge zu formulieren, weshalb gegen die Grundsätze eines fairen Verfahrens verstoßen worden sei. Gemäß § 262 StPO schöpft der Gerichtshof das Urteil nach seiner rechtlichen Überzeugung, ohne an die in der Anklageschrift enthaltene Bezeichnung der Tat gebunden zu sein. Erachtet der Gerichtshof allerdings, dass die der Anklage zugrundeliegenden Tatsachen an sich oder in Verbindung mit den erst in der Hauptverhandlung hervorgetretenen Umständen eine andere als die in der Anklage bezeichnete, nicht einem Gericht höherer Ordnung vorbehaltene strafbare Handlung begründen, so hat er die Parteien über den geänderten rechtlichen Gesichtspunkt zu hören und über einen allfälligen Vertagungsantrag zu entscheiden.

Zwar steht die strikte Einhaltung der von § 262 StPO beschriebenen Form als solche nicht unter der Nichtigkeitssanktion des § 281 Abs 1 Z 8 StPO. Auch wurde durch den Schuldspruch wegen des Verbrechens der Hehlerei die Anklage nicht überschritten, weil der im Tenor der Anklage genannte Vorwurf nach dem hier maßgeblichen prozessualen Tatbegriff (EvBl 2006/40) denselben Lebenssachverhalt betrifft. Nach mittlerweile gefestigter neuer Rechtsprechung (14 Os 34/00, EvBl 2000/221; 14 Os 67/04; 14 Os 76/05s, Ratz, WK-StPO § 281 Rz 542 ff) hat das erkennende Gericht, das den Angeklagten - wenngleich ohne Abgehen von dem der Anklage (als Gesamtheit) zugrundeliegenden Sachverhalt - statt der im Anklagetenor genannten Tat einer anderen (hier wegen § 164 Abs 1 und Abs 4 dritter Fall StGB) schuldig erkennt, mit Blick auf die Fairness des Verfahrens zuvor dem Schutzzweck des § 262 StPO zu entsprechen.

Die im Anklagetenor als (äußere) Tathandlung gesehene, im Rahmen einer kriminellen Vereinigung erfolgte gewerbsmäßige Zueignung eines Kraftfahrzeugs mit Hilfe eines durch Aufbrechen eines Schlüsseltresors erlangten Originalschlüssels ist in dieser Hinsicht verschieden von der letztlich zur Verurteilung gelangten Unterstützung unausgeforschter Täter beim Verheimlichen des von diesen durch Einbruch gestohlenen Wagens. Ungeachtet des identen Prozessgegenstandes wurde Ilija M***** daher einer anderen als der im Anklagetenor genannten Tat (im materiellen Sinn) schuldig erkannt. Da dem Schutzzweck des § 262 StPO, dem Angeklagten ausreichend Zeit und Gelegenheit zur Vorbereitung seiner Verteidigung zu schaffen (Art 6 Abs 3 lit b MRK) nicht entsprochen wurde, ist eine neue Hauptverhandlung nicht zu vermeiden (14 Os 34/00, EvBl 2002/221; 14 Os 67/04 ua).

Darüber hinaus vermisst die Mängelrüge (Z 5 vierter Fall) zutreffend eine nachvollziehbare Begründung der Feststellung, wonach dem Beschwerdeführer (und den Mitangeklagten, vgl § 290 Abs 1 zweiter Satz StPO) jene Umstände bekannt waren, die eine (gegenständlich) fünf Jahre erreichende Strafdrohung für den der Qualifikation der Hehlerei nach § 164 Abs 4 dritter Fall StGB zugrundeliegenden Diebstahl begründen. Der in diesem Zusammenhang von den Tatrichtern angeführte Umstand, aus der Verfügungsmacht der Angeklagten über einen Originalschlüssel wäre deren (rechtlich durchaus zureichender - vgl Kirchbacher/Presslauer in WK2 § 164 Rz 47) zumindest bedingter Vorsatz ableitbar, dass „dieser Schlüssel von den Vortätern widerrechtlich erlangt und mit dessen Verwendung der PKW gestohlen worden war" (US 7), reicht nicht aus; dies in Anbetracht der hier zB durchaus denkbaren Möglichkeit des Diebstahls eines (unversperrt) mit Originalschlüssel vorgefundenen Kraftfahrzeugs.

Mag sich auch D***** der Hehlerei schuldig bekannt haben (S 229/III), wozu er in der Folge erklärte, nach Übergabe der Handschuhe habe er gedacht, dass er ein gestohlenes Auto überstellen sollte, wobei auch „der Schlüssel gestohlen sein könnte" (S 247/III), so treffen die von M***** geltend gemachten Argumente hinsichtlich der Qualifikation der Hehlerei auch auf ihn, umso mehr aber auf den sich wie der Beschwerdeführer leugnend verantwortenden Mitangeklagten I***** zu, weshalb - teils als beneficium cohaesionis (§ 290 Abs 1 zweiter Satz StPO) - das Urteil bereits in nichtöffentlicher Sitzung im Schuldspruch aufzuheben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zu verweisen war.

Mit seiner Berufung war der Angeklagte Ilija M***** auf die kassatorische Entscheidung zu verweisen.

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