OGH 14Os76/17h

OGH14Os76/17h3.10.2017

Der Oberste Gerichtshof hat am 3. Oktober 2017 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Philipp als Vorsitzenden, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger, die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer und Dr. Oshidari sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Mann in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Wukovits, LL.M., als Schriftführerin in der Strafsache gegen Adam A***** und Zulihan J***** wegen des Verbrechens der terroristischen Vereinigung nach § 278b Abs 2 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten Adam A***** sowie die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts Wiener Neustadt als Schöffengericht vom 3. Mai 2017, GZ 50 Hv 12/17t-116, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2017:0140OS00076.17H.1003.000

 

Spruch:

 

1/ Teils in Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten Adam A*****, teils aus deren Anlass wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, in den Schuldsprüchen II und IV, demgemäß auch in den Strafaussprüchen hinsichtlich beider Angeklagter (einschließlich der Vorhaftanrechnung), aufgehoben und die Sache in diesem Umfang zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht Wiener Neustadt verwiesen.

2/ Auf diese Entscheidung werden der Angeklagte Adam A***** mit seiner Nichtigkeitsbeschwerde, soweit sie sich gegen den Schuldspruch II richtet, und mit seiner Berufung sowie die Staatsanwaltschaft mit ihrer Berufung verwiesen.

3/ Im Übrigen wird die Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten Adam A***** zurückgewiesen.

4/ Dem Angeklagten Adam A***** fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

 

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurden – soweit im Verfahren über die Nichtigkeitsbeschwerden relevant – Adam A***** und Zulihan J***** der Verbrechen der terroristischen Vereinigung nach § 278b Abs 2 StGB (I/A und B) und der kriminellen Organisation nach § 278a StGB (II), Adam A***** überdies der Vergehen der Anleitung zur Begehung einer terroristischen Straftat nach § 278f Abs 2 StGB (III), der Aufforderung zu terroristischen Straftaten und Gutheißung terroristischer Straftaten nach § 282a Abs 2 StGB (IV) sowie des Diebstahls nach §§ 15, 127 StGB (V) schuldig erkannt.

Danach haben

I/ in B***** und an anderen Orten sich als Mitglied (§ 278 Abs 3 StGB) einer terroristischen Vereinigung, nämlich der Terrororganisation „IS – Islamic State“ (kurz: „IS“), jeweils in einer Weise und in dem Wissen beteiligt, dass sie dadurch die terroristische Vereinigung IS und deren strafbare Handlungen fördern, und zwar

A/ Adam A***** von Dezember 2014 bis 6. September 2016, indem er Propagandamaterial der Terrororganisation IS über Messengerdienste versandte, um Personen als Mitglieder des IS zu gewinnen, versuchte, über Georgien und die Türkei nach Syrien einzureisen, „um den IS zu unterstützen bzw. sich diesem anzuschließen“, sowie sich am 20. August 2016 bei einem Mitglied des IS nach einer sicheren Reiseroute nach Syrien erkundigte, wobei er um – auch finanzielle – Unterstützung ersuchte,

B/ Zulihan J***** von Dezember 2014 bis 26. Oktober 2016, indem sie sich wiederholt bis März 2015 in „Skype-Chats“ nach möglichen Reiserouten nach Syrien erkundigte, einem Mitglied des IS namens „Bajro“ gegenüber ihre Bereitschaft ausdrückte, Sprengstoffattentate zu begehen und Waffen für einen bewaffneten Kampf anzukaufen, Adam A***** aufforderte, mit ihr nach Syrien zu gehen und sein in diesem Sinn abgegebenes Versprechen einzuhalten, „um sich dem IS anzuschließen“, und ihn in seinem Entschluss, sich als Mitglied des IS zu betätigen, bis zuletzt bestärkte, sowie

2/ „Adam A***** von Februar 2015 bis 6. September 2016 zur Verwirklichung seines verbrecherischen Tatplanes Unterschlupf an ihrer Wohnstätte gewährte“;

II/ Adam A***** sich durch die zu I/A genannten Handlungen, Zulihan J***** sich durch die zu I/B genannten Handlungen jeweils an einer auf längere Zeit angelegten unternehmensähnlichen Verbindung einer größeren Zahl von Personen, die, wenn auch nicht ausschließlich, auf die wiederkehrende und geplante Begehung schwerwiegender strafbarer Handlungen, die das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die Freiheit oder das Vermögen bedrohen, oder schwerwiegender strafbarer Handlungen im Bereich der sexuellen Ausbeutung von Menschen, der Schlepperei oder des unerlaubten Verkehrs mit Kampfmitteln oder Suchtmitteln ausgerichtet ist, die dadurch eine Bereicherung in großem Umfang anstrebt und die andere zu korrumpieren oder einzuschüchtern oder sich auf besondere Weise gegen Strafverfolgungsmaßnahmen abzuschirmen sucht, als Mitglied beteiligt (§ 278 Abs 3 StGB);

III/ Adam A***** sich im Sommer 2016 in B***** und an anderen Orten Informationen aus dem Internet zur Begehung einer terroristischen Straftat (§ 278c Abs 1 Z 1 bis 9 oder 10 StGB) mit den im § 278e StGB genannten Mitteln verschafft, um eine terroristische Straftat zu begehen, indem er über die „Messengerdienste Telegram und Zello, die insbesondere von Mitgliedern des IS verwendet werden“, durch Suchen, Herunterladen und aktives Abspeichern von Dateien unter anderem Kenntnisse über die Herstellung von und den Umgang mit Molotowcocktails und von Sprengstoff („Das ABC des Hausterrorismus“ und „Make a bomb in the kitchen of Your Mom – The AQ Chef“) erlangte;

IV/ Adam A***** ab einem nicht festgestellten Zeitpunkt bis 6. September 2016 in B***** und an anderen Orten sonst öffentlich auf eine Weise, dass es vielen Menschen zugänglich wird, eine terroristische Straftat (§ 278c Abs 1 Z 1 bis 9 oder Z 10 StGB) in einer Art gutgeheißen, die geeignet ist, die Gefahr der Begehung einer oder mehrerer solcher Straftaten herbeizuführen, indem er „als Profilbild beim Messengerdienst Telegram ein Bild eines eine IS-Fahne tragenden Dschihadisten und als Profilbild bei Zello unter seinem Zello-Account 'Sayfullah' eine mit Superheld-Pose anmutende Person, die im Brustbereich des T‑Shirts eine IS-Flagge trägt, verwendete“;

V/ Adam A***** am 1. September 2016 in V***** fremde bewegliche Sachen, nämlich Kleidungsstücke, Verfügungsberechtigten des Unternehmens P***** mit auf unrechtmäßige Bereicherung gerichtetem Vorsatz wegzunehmen versucht.

Rechtliche Beurteilung

Der dagegen aus den Gründen der Z 5 und 9 lit a des § 281 Abs 1 StPO ergriffenen Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten Adam A***** kommt teilweise Berechtigung zu.

Im Ergebnis zutreffend kritisiert die zum Schuldspruch IV ausgeführte Rechtsrüge (Z 9 lit a), dass das konstatierte Verwenden der IS-Flagge (teils auf dem Leibchen einer „Person in Superheld-Pose“ [US 12]) auf Profilbildern der vom Beschwerdeführer verwendeten Messenger-Dienste ohne weitere Feststellungen zum dadurch ausgedrückten Bedeutungsinhalt für sich allein keine ausreichende Sachverhaltsgrundlage für die (rechtliche) Annahme eines Gutheißens (vgl dazu Plöchl in WK 2 StGB § 282a Rz 8) zumindest einer konkreten terroristischen Straftat im Sinn des § 278c Abs 1 Z 1 bis 9 oder 10 StGB, sondern allenfalls (bloß) eine Sympathiekundgebung für die terroristische Vereinigung (§ 278b StGB) als solche darstellt. Inwieweit der Beschwerdeführer durch „seine täglichen Agitationen“ (gemeint offenbar in verschiedenen Chat-Foren) ein im Sinn des § 282a Abs 2 StGB tatbildliches Verhalten gesetzt habe (vgl US 11 f), wird ebenso wenig näher ausgeführt.

Aus Anlass der Nichtigkeitsbeschwerde überzeugte sich der Oberste Gerichtshof von einem weiteren Rechtsfehler (Z 9 lit a), den der Beschwerdeführer nicht (prozessordnungsgemäß) geltend macht und der daher zu seinen Gunsten und zu Gunsten der Mitangeklagten Zulihan J***** von Amts wegen aufzugreifen war (§ 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO):

Zum Schuldspruch II enthält das Urteil – in objektiver wie subjektiver Hinsicht – keine ausreichenden Feststellungen zu den kriminellen Zielsetzungen der Organisation (insbesondere § 278a Z 2 und 3 StGB), die kumulativ vorliegen müssen ( Plöchl in WK 2 § 278a Rz 8; vgl auch 12 Os 114/16f und 12 Os 22/16a). Selbst eine (allgemeine) Notorietät entbindet übrigens nicht von der Pflicht, diesen Sachverhalt durch Feststellungen zu klären (RIS‑Justiz RS0124169). Überdies bringt die Urteilspassage, die Angeklagten „handelten auch mit dem Wissen, dass es sich beim IS um eine auf längere Zeit angelegte unternehmensähnliche Verbindung einer größeren Zahl von Personen handelt, die wie im Urteilstenor unter Punkt II festgehalten, agiert und wollten sich dennoch daran beteiligen“, die bei – hier inkriminierter – Beteiligung auf andere Weise (§ 278a zweiter Fall iVm § 278 Abs 3 dritter Fall StGB) erforderliche Wissentlichkeit, gerade durch dieses Verhalten die kriminelle Organisation oder deren strafbare Handlungen zu fördern (vgl Plöchl in WK 2 StGB § 278a Rz 29), nicht hinreichend deutlich zum Ausdruck.

Die aufgezeigten Rechtsfehler erforderten die Aufhebung der Schuldsprüche II und IV, demgemäß auch der Strafaussprüche hinsichtlich beider Angeklagter (einschließlich der Vorhaftanrechnung, nicht jedoch des Konfiskationsausspruchs) bei der nichtöffentlichen Beratung (§ 285e, teils iVm § 290 StPO) samt Rückverweisung der Sache in diesem Umfang an das Erstgericht.

Darauf waren der Angeklagte Adam A***** mit seiner gegen den Schuldspruch II ausgeführten Nichtigkeitsbeschwerde und seiner Berufung ebenso wie die Staatsanwaltschaft mit ihrer Berufung zu verweisen.

Der Mängelrüge zum Schuldspruch III zuwider sind die Feststellungen dazu, welche terroristische Straftat der Beschwerdeführer mit den sich aus dem Internet verschafften Informationen begehen wollte, nicht undeutlich (Z 5 erster Fall). Neben den – von der Rüge allein angesprochenen (vgl RIS-Justiz RS0119370), mit Hilfe der verba legalia (US 10 und 13) getroffenen – Konstatierungen, geben die Entscheidungsgründe unmissverständlich Auskunft darüber, dass der Beschwerdeführer den „Einsatz von Sprengstoffen zur Begehung terroristischer Anschläge“ plante (US 10 f). Welcher „näheren Spezifizierung“ es für die Annahme der überschießenden Innentendenz im Sinn des § 278f Abs 2 StGB bedurft hätte (vgl Plöchl in WK 2 StGB § 278f Rz 17), erklärt die Rüge nicht.

Die zu diesem Schuldspruch ausgeführte Rechtsrüge (Z 9 lit a) verfehlt mit der Behauptung fehlender Feststellungen zur Absicht des Beschwerdeführers, (mit den verschafften Informationen) terroristische Straftaten zu begehen (vgl aber US 10), die gebotene Bezugnahme auf die Gesamtheit der Konstatierungen (RIS-Justiz RS0099810).

Die Rechtsrüge (Z 9 lit a) zum Schuldspruch I/A erklärt nicht, weshalb der (zweimal) gescheiterte Versuch des Beschwerdeführers, nach Syrien zu gelangen, um sich dort dem IS anzuschließen und dessen (im Urteil näher konkretisierte [US 8]) strafbare Handlungen zu fördern (US 9), bloß deshalb nicht nach § 278b Abs 2 StGB strafbar sein soll, weil Urteilsannahmen zu „einer konkreten Kontaktaufnahme und Kenntnis der Mitglieder des IS über alsbaldige Verstärkung“ fehlten. Derartiges ist auch der in der Rüge zitierten Entscheidung 12 Os 143/14t keineswegs zu entnehmen. Ebenso wenig wird dargelegt, warum das konstatierte Verschicken von „Propagandamaterial des IS, auch um weitere Personen als Mitglieder des IS zu gewinnen“ (US 9), keine im Sinn des § 278b Abs 2 (iVm § 278 Abs 3) StGB geeignete Beteiligungshandlung sein soll (vgl Plöchl in WK 2 StGB § 278 Rz 39 und 44 sowie § 278b Rz 14 [auch zur Strafbarkeit des Versuchs]).

Soweit die Nichtigkeitsbeschwerde das Urteil zur Gänze bekämpft, inhaltlich aber zum Schuldspruch V nicht argumentiert, war auf sie keine Rücksicht zu nehmen (§ 285 Abs 1 zweiter Satz StPO).

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher in diesem Umfang bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO).

Der Kostenausspruch beruht auf § 390a Abs 1 StPO. Die Ersatzpflicht erstreckt sich nicht auf die mit dem amtswegigen Vorgehen verbundenen Kosten ( Lendl , WK‑StPO § 390a Rz 12).

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