European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:0120OS00022.16A.0512.000
Spruch:
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil, das auch einen ‑ allerdings wirkungslosen ‑ Verfolgungsvorbehalt „gemäß § 263 Abs 2 StPO“ enthält, wurde Ismail A***** des Verbrechens der terroristischen Vereinigung nach § 278b Abs 2 StGB schuldig erkannt.
Danach hat er sich von März bis etwa Oktober/November 2014 als Mitglied (§ 278 Abs 3 StGB) an der terroristischen Vereinigung Islamischer Staat (ISIS/ISIL bzw IS), eines auf längere Zeit angelegten Zusammenschlusses von mehr als zwei Personen, der darauf ausgerichtet war und ist, dass von einem oder mehreren Mitgliedern dieser Vereinigung eine oder mehrere terroristische Straftaten (§ 278c StGB) ausgeführt werden, beteiligt, indem er auf dem Landweg von Österreich (A*****) aus über Ungarn, Rumänien, Bulgarien und die Türkei nach Syrien reiste, sich dort anderen Mitgliedern der genannten terroristischen Vereinigung anschloss, sich zumindest zur Ausbildung für bewaffnete Einsätze zur Verfügung stellte und logistische Hilfs‑ und Unterstützungstätigkeiten leistete, wobei er sich im Rahmen der kriminellen Ausrichtung der terroristischen Vereinigung in dem Wissen beteiligte, dass er dadurch die Vereinigung und deren strafbare Handlungen fördert.
Rechtliche Beurteilung
Zur Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten:
Indem die Rüge ‑ ohne zwischen den geltend gemachten Nichtigkeitsgründen der Z 5 und der Z 5a zu unterscheiden (vgl RIS‑Justiz RS0115902) ‑ die insbesondere aus einer Gesamtbetrachtung der Angaben der anonym aussagenden Zeugin, eines den Angeklagten in posierender Haltung vor Flaggen der Terrormiliz IS darstellenden Fotos sowie der Verantwortung und der Reisebewegungen des Angeklagten gezogenen (US 12 ff) Schlussfolgerungen der Tatrichter als „reine Spekulation“ jenseits „jeglicher nur denkbarer Verwertungsobjektivität der vorliegenden Beweisergebnisse“ und als bloße, auf keinen „einzigen Hinweis im gesamten Beweisverfahren“ gestützte Mutmaßungen, die in den Bereich „abenteuerlicher Erzählungen“ gehören, bezeichnet, sie weiters vorbringt, dass die Urteilsannahmen „im Widerspruch zur Aktenlage“ stünden, und schließlich erklärt, welche Feststellungen das Erstgericht „bei richtiger Würdigung der konkreten Beweislage“ zu treffen gehabt hätte, zeigt sie weder einen Begründungsmangel (Z 5) noch erhebliche Bedenken gegen die dem Schuldspruch zu Grunde liegenden entscheidenden Tatsachen (Z 5a) auf, sondern übt ‑ nach Art einer im schöffengerichtlichen Verfahren unzulässigen Schuldberufung ‑ allein Kritik an der Beweiswürdigung des Erstgerichts (RIS‑Justiz RS0098471 [T1]; RS0099602; RS0119583).
Der Vorwurf, die Tatrichter hätten sich mit den Feststellungen zum Zeitraum des Aufenthalts des Angeklagten in Syrien entgegenstehenden Zeitangaben der anonymen Zeugin nicht auseinandergesetzt (inhaltlich Z 5 zweiter Fall), verfehlt den gesetzlichen Bezugspunkt, weil die Tatzeit (hier wie in aller Regel) keine entscheidende Tatsache betrifft und die unkonkreten, lediglich in der polizeilichen Niederschrift enthaltenen Angaben der Zeugin zu diesem ‑ entgegen der ausdrücklichen Behauptung in der Rüge mit ihr in der Hauptverhandlung nicht einmal mehr angesprochenen ‑ Thema (ON 5 S 17; vgl ON 57 S 32 ff) demnach nicht gesondert zu erörtern waren (vgl RIS‑Justiz RS0098557). Im Übrigen missachtet die Rüge in diesem Zusammenhang prozessordnungswidrig das Gebot der exakten Bezeichnung ihrer Argumentationsbasis, weil die hiezu angeführte Fundstelle „ON 4“ weder eine Aussage der genannten Zeugin noch ein Protokoll der Hauptverhandlung enthält (RIS‑Justiz RS0124172).
Weshalb die vom Erstgericht getroffenen Feststellungen undeutlich sein sollten (Z 5 erster Fall), lässt die Rüge offen und entzieht diesen Vorwurf solcherart einer inhaltlichen Erwiderung.
Zur Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft:
Die Staatsanwaltschaft strebt eine Unterstellung der dem Schuldspruch zu Grunde liegenden Tat auch unter § 278a StGB an (Z 10). Hiezu behauptet sie, dass der festgestellte Urteilssachverhalt die Tatbestandsmerkmale des § 278a Z 1 und Z 3 StGB bereits erfülle, und macht davon ausgehend (lediglich) einen Feststellungsmangel hinsichtlich (ihrer Ansicht nach) indizierter Konstatierungen zum Bestreben des IS, eine Bereicherung in großem Umfang zu erzielen (Z 2 leg cit), geltend.
Dabei übergeht sie jedoch, dass die Tatrichter ‑ wenngleich im Rahmen der Begründung des (wie von der Staatsanwaltschaft zutreffend aufgezeigt) aufgrund vorliegender Tateinheit (vgl US 3; ON 57 S 73: „durch die zu Punkt A./ genannte Handlung“) rechtlich verfehlten und solcherart unbeachtlichen Verfolgungsvorbehalts (vgl § 263 Abs 1 und 2 StPO; vgl Lewisch, WK‑StPO § 263 Rz 99) ‑ ausdrücklich festhielten, dass für die Annahme einer kriminellen Organisation „weitere Feststellungs‑ und Beweisaufnahmeerfordernisse“ bestünden, aber „weder die diesbezüglich äußerst vage gehaltenen kriminalpolizeilichen Erhebungen noch die amtswegigen Recherchen des Vorsitzenden zu Organisation und Entwicklung von ISIS/ISIL bzw IS“ klare Rückschlüsse darauf zuließen, „ob und inwieweit die Vereinigung im Tatzeitraum März bis Oktober/November 2014 die Voraussetzungen einer kriminellen Organisation, insbesondere hinsichtlich einer im großen Umfang angestrebten Bereicherung und eines unternehmensähnlichen Aufbaus, erfüllt hat“ (US 26).
Indem die Rüge die solcherart (auch zum Organisationsgrad; Plöchl in WK² StGB § 278a Rz 6) getroffenen ‑ der Geltendmachung eines Feststellungsmangels entgegenstehenden ‑ Negativfeststellungen zu den erwähnten objektiven Tatbestandselementen des § 278a StGB übergeht, orientiert sie sich jedoch nicht am Urteilssachverhalt und verfehlt schon damit die prozessordnungsgemäße Darstellung einer materiellen Nichtigkeit (RIS‑Justiz RS0099810). Die in diesem Zusammenhang vorgebrachte Argumentation, aufgrund der medialen Berichterstattung sei die finanzielle Ausstattung und Tätigkeit der Terrormiliz IS gerichtsnotorisch, weshalb es auch auf der Hand liege, dass diese eine Bereicherung in großem Umfang anstrebe, wendet sich nur gegen einen Teil dieser Feststellungen, spricht jedoch selbst dazu keinen Begründungsmangel an (Z 5) und reduziert sich damit lediglich auf eine ‑ im kollegialgerichtlichen Verfahren unzulässige ‑ Beweiswürdigungskritik.
Schließlich übergeht die Staatsanwaltschaft, dass die Tatrichter in Ansehung der Unternehmensähnlichkeit der betreffenden Verbindung und deren Streben nach Bereicherung in großem Umfang erkennbar ‑ ebenfalls nicht mittels Mängelrüge (Z 5) bekämpfte ‑ Negativfeststellungen (US 27 f), hinsichtlich eines auf § 278a Z 3 StGB bezogenen Vorsatzes hingegen keinerlei Konstatierungen trafen.
Die Nichtigkeitsbeschwerden des Angeklagten und der Staatsanwaltschaft waren daher ‑ in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur ‑ bereits bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d StPO). Über die Berufungen wird das Oberlandesgericht zu entscheiden haben (§ 285i StPO).
Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 390a Abs 1 StPO.
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