European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:0140OS00059.16G.1020.000
Spruch:
In Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde und aus deren Anlass wird das angefochtene Urteil aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht für Strafsachen Graz verwiesen.
Mit seiner Berufung wird der Angeklagte auf diese Entscheidung verwiesen.
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurde Rudolf F***** des Vergehens der pornographischen Darstellungen mit Unmündigen nach § 207a Abs 1 Z 1 StGB „idF BGBl I 2002/134“ (I), mehrerer Vergehen der pornographischen Darstellungen Minderjähriger nach § 207a Abs 1 (richtig:) Z 1, Abs 4 Z 3 lit b StGB (II), des Verbrechens des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 erster Fall StGB (III/1) und des Vergehens des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs 1 „Z 2“ StGB (III/2) schuldig erkannt
, zu einer Freiheitsstrafe verurteilt und nach § 21 Abs 2 StGB seine Einweisung in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher angeordnet.
Danach hat er in S***** und an anderen Orten Österreichs
(I) Anfang 2002 eine bildliche Darstellung einer geschlechtlichen Handlung an einer unmündigen Person, deren Betrachtung nach den Umständen den Eindruck vermittelt, dass es bei ihrer Herstellung zu einer solchen geschlechtlichen Handlung gekommen ist, hergestellt, indem er ein Foto von seiner am 12. Jänner 2001 geborenen Enkelin Natascha Z***** anfertigte, auf welchem die Genannte nackt mit gespreizten Beinen auf dem Rücken liegt und er ihre nackte Vagina betastet und spreizt;
(II) von 1. Mai 2004 bis September 2013 pornographische Darstellungen minderjähriger Personen, nämlich wirklichkeitsnahe Abbildungen der Genitalien und der Schamgegend Minderjähriger hergestellt, wobei es sich um reißerisch verzerrte, auf sich selbst reduzierte und von anderen Lebensäußerungen losgelöste Abbildungen handelte, die der sexuellen Erregung des Betrachters dienten, indem er in zahlreichen Angriffen Fotografien von nackten Kleinkindern bei alltäglichen, nicht sexuellen Handlungen anfertigte, diese Bilddateien insofern nachbearbeitete, als er den Genitalbereich der Kleinkinder vergrößerte und bildschirmfüllend abspeicherte sowie mit diesen so aufbereiteten Bilddateien Bildershows erstellte und auf DVD brannte;
(III) Anfang 2002
1) außer dem Fall des § 206 StGB eine geschlechtliche Handlung an einer unmündigen Person vorgenommen, indem er anlässlich der zu I geschilderten Tathandlung die nackte Vagina der dort genannten Unmündigen betastete und zwecks Anfertigung einer entsprechenden Nahaufnahme spreizte, und
2) durch die zu 1 geschilderte Tathandlung mit einer minderjährigen Person, die seiner Aufsicht unterstand, unter Ausnützung seiner Stellung gegenüber dieser Person eine geschlechtliche Handlung vorgenommen.
Rechtliche Beurteilung
Dagegen richtet sich die aus den Gründen der Z 5, 9 lit a und 11 des § 281 Abs 1 StPO erhobene Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten, der Berechtigung zukommt.
Vorauszuschicken ist, dass das Erstgericht den Schuldspruch I zwar rechtsrichtig nicht nach der im Urteilszeitpunkt geltenden Rechtslage fällte, weil das im Tatzeitpunkt in Geltung stehende Recht (schon wegen der geringeren Strafdrohung von bis zwei Jahren) in seiner Gesamtauswirkung für den Angeklagten günstiger war als die aktuelle Bestimmung des § 207a StGB (§ 61 zweiter Satz StGB). Mit Blick auf den Tatzeitpunkt (Anfang 2002) wäre aber § 207a Abs 1 Z 1 StGB idF BGBl 1996/762 (und nicht in der – erst am 1. Oktober 2002 in Kraft getretenen, wenn auch nahezu gleichlautenden – Fassung BGBl I 2002/134) anzuwenden gewesen, worauf die Beschwerde (der Sache nach Z 10) mit Recht verweist.
Gleichfalls zutreffend zeigt sie aber zudem auf, dass die Tatrichter das diesem Schuldspruch zugrunde liegende Täterverhalten auch dem – idealkonkurrierend verwirklichten – (höher bestraften) Verbrechen des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 erster Fall StGB (Schuldspruch III/1) sowie dem – gleichfalls in Idealkonkurrenz begangenen und höher bestraften – Vergehen des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs 1 „Z 2“ StGB (III/2) unterstellt haben. Die strafbare Handlung nach § 207a Abs 1 StGB idF BGBl 1996/762 wird damit zufolge – in Abs 4 dieser Bestimmung (wie übrigens auch in der vom Erstgericht angewendeten Fassung BGBl I 2002/134) normierter – ausdrücklicher Subsidiarität verdrängt.
Zum Schuldspruch II fehlen – wie die Rechtsrüge (Z 9 lit a) ebenfalls zutreffend kritisiert – jegliche Feststellungen zur subjektiven Tatseite.
Aufgrund der aufgezeigten Rechtsfehler (teils mangels Feststellungen) waren die Schuldsprüche I und II in Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde bei der nichtöffentlichen Beratung sofort aufzuheben (§ 285e StPO).
Zum Schuldspruch III/1 wegen § 207 Abs 1 erster Fall StGB haben die Tatrichter die Urteilsannahmen zur subjektiven Tatseite aus einer „lebensnahen und vernetzten Betrachtung sämtlicher Taten“ abgeleitet und damit auch aus der vom kassierten Schuldspruch II umfassten (ausdrücklich hervorgehobenen) Herstellung einer „Vielzahl … von Nacktfotos“ Schlüsse auf das Vorliegen von auf sexuellen Missbrauch der unmündigen Natascha Z***** gerichteten Vorsatz gezogen (US 4 f).
Mit Blick auf den solcherart gegebenen engen beweismäßigen Zusammenhang sah sich der Oberste Gerichtshof gemäß § 289 StPO auch zur Aufhebung dieses Schuldspruchs (III/1) veranlasst (RIS-Justiz RS0100072; Ratz , WK‑StPO § 289 Rz 3).
Aus Anlass der Nichtigkeitsbeschwerde überzeugte er sich darüber hinaus von nicht geltend gemachter Nichtigkeit (§ 281 Abs 1 Z 10 StPO) zum Nachteil des Angeklagten (§ 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO) in Betreff des Schuldspruchs III/2, die von Amts wegen wahrzunehmen war:
Nach den Urteilsfeststellungen war der Angeklagte der Großvater des Tatopfers Natascha Z***** (US 1, 4), womit die Tat nach geltender Rechtslage § 212 Abs 1 Z 1 (und nicht – wie hier rechtsirrig – Z 2; vgl zur materiellen Subsidiarität der Z 2 zu Z 1: RIS-Justiz
RS0129723) StGB zu subsumieren gewesen wäre. Der Täterkreis dieser strafbaren Handlung wurde erst mit dem Strafrechtsänderungsgesetz 2004 (BGBl I 2004/15) von den leiblichen Eltern auf die in aufsteigender Linie mit dem Minderjährigen verwandten Personen ausgedehnt. Nach der zum Tatzeitpunkt (Anfang 2002) in Geltung stehenden Bestimmung des § 212 Abs 1 StGB
idF BGBl 1974/60 war zur Tatbestandsverwirklichung durch einen Großelternteil die vom Vorsatz umfasste Ausnützung einer diesem gegenüber dem minderjährigen Enkelkind zukommenden Erziehungs-, Ausbildungs- oder Aufsichtsstellung erforderlich, was demgegenüber kein Tatbestandsmerkmal des § 212 Abs 1 Z 1 StGB idgF darstellt.
Zwar hat das Erstgericht – ausgehend von seiner verfehlten Subsumtion nach § 212 Abs 1 Z 2 StGB idgF – festgestellt, dass dem Angeklagten im Zeitpunkt des Übergriffs die Aufsicht über seine – zum frühestmöglichen Tatzeitpunkt Anfang 2002 noch nicht einjährige – Enkeltochter oblag und er diese Stellung bewusst ausnützte (US 4 f). Dabei wurde aber verkannt, dass ein Ausnützen einer Autoritätsstellung bei einem Säugling, somit – wie hier – einem Kind im ersten Lebensjahr, grundsätzlich nicht in Frage kommt, weil eine hiefür erforderliche Willensbildungsfähigkeit des Opfers nicht vorliegt ( Philipp in WK² StGB § 212 Rz 9 f; Hinterhofer SbgK §
212 Rz 47; Kienapfel/Schmoller StudB BT III² §§ 212–213).
Vom (konkreten) Urteilssachverhalt ausgehend (RIS‑Justiz RS0112939 [insbesondere T4]) erweist sich § 212 Abs 1 StGB in der zum Tatzeitpunkt geltenden Fassung in seiner Gesamtauswirkung für den Angeklagten günstiger als das im Urteilszeitpunkt in Geltung stehende Recht. Da Gleiches – wie oben ausgeführt – auf den Vorwurf idealkonkurrierender Verwirklichung eines Vergehens pornographischer Darstellungen Minderjähriger (zur Tatzeit von Unmündigen) zutrifft (vgl 14 Os 129/10t), hätte daher in Bezug auf diese Tat generell Tatzeitrecht zur Anwendung kommen müssen (§ 61 zweiter Satz StGB).
Das Urteil war daher schon bei der nichtöffentlichen Beratung zur Gänze aufzuheben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht für Strafsachen Graz zu verweisen.
Eine (im Sinn des § 288 Abs 2 Z 3 erster Fall [vgl auch § 285e] StPO der Aufhebung folgende) Entscheidung in der Sache war auch in Betreff des zuletzt erörterten Rechtsfehlers zum Schuldspruch III/2 nicht zu treffen, sondern lediglich klarzustellen, dass es mit der ersatzlosen Beseitigung der fehlerhaften Subsumtion sein Bewenden hat, weil die dafür erforderlichen Feststellungen auch in einem weiteren Rechtsgang nicht zu erwarten sind (vgl RIS Justiz RS0100239; Ratz , WK‑StPO § 288 Rz 21 und 24).
Letzteres gilt übrigens nicht in Bezug auf den Schuldspruch I, weil die Subsidiaritätsbestimmung des § 207a Abs 4 StGB idF BGBl 1996/762 nur für den Fall zum Tragen kommt, dass die Tatrichter des zweiten Rechtsgangs das Verbrechen nach § 207 Abs 1 erster Fall StGB (idF BGBl I 1998/153) als verwirklicht erachten.
Zufolge Kassation des Urteils zur Gänze bedurfte es eines Eingehens auf die weiteren Beschwerdeausführungen nicht.
Mit seiner Berufung war der Angeklagte auf diese Entscheidung zu verweisen.
Zur Vermeidung von Fehlern im zweiten Rechtsgang bleibt aber anzumerken:
1. Einweisung in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher nach § 21 Abs 2 StGB erfordert – bei sonstiger Nichtigkeit nach § 281 Abs 1 Z 11 erster Fall StPO – neben einem auf einer geistigen oder seelischen Abartigkeit höheren Grades beruhenden Zustand, dessen Einfluss auf die Anlasstat (RIS‑Justiz RS0115054 [T3]; Ratz in WK² StGB Vor §§ 21‑25 Rz 9; Murschetz , WK‑StPO § 433 Rz 16), wozu die angefochtene Entscheidung keine Feststellungen enthält. Die Beurteilung des Vorliegens der weiteren Einweisungsvoraussetzung einer Befürchtung (im Sinn hoher Wahrscheinlichkeit) von Prognosetaten, hat zudem sämtliche der vom Gesetz genannten Erkenntnisquellen (die Person des Rechtsbrechers, seinen Zustand, also seine Verfassung im Urteilszeitpunkt, sowie die Art der Anlasstat) zu berücksichtigen (RIS‑Justiz RS0118581 [insb T7]; Ratz in WK² StGB § 21 Rz 24). Entsprechende Erwägungen sind dem Urteil ebensowenig zu entnehmen (§ 281 Abs 1 Z 11 zweiter Fall StPO; Ratz , WK‑StPO § 281 Rz 715 ff; Murschetz , WK‑StPO § 433 Rz 18). Die Prognosetaten sind weiters in den Entscheidungsgründen zumindest ihrer Art nach näher zu umschreiben (
RIS‑Justiz RS0113980 [insb T8]; Ratz in WK² StGB § 21 Rz 26), welchen Anforderungen die Formulierung, es seien „weitere einschlägige strafbare Handlungen mit schweren Folgen“ zu erwarten, nicht gerecht wird (§ 281 Abs 1 Z 11 zweiter Fall StPO).
2. Zum Ausspruch über die Konfiskation fehlen die – zur Vermeidung von Nichtigkeit aus Z 11 erster Fall erforderlichen – Feststellungen dazu, ob der Angeklagte die konfiszierten Gegenstände zur Begehung einer (gegenständlich welcher) vorsätzlichen Straftat verwendet, sie dazu bestimmt oder hiedurch hervorgebracht hat, sowie dazu, ob sie zur Zeit der Entscheidung in seinem
Eigentum standen (§ 19a Abs 1 StGB).
3. Ein allfälliger neuerlicher Zuspruch an die Privatbeteiligte wird zudem zu begründen sein.
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