European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2018:0140OS00005.18V.0306.000
Spruch:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.
Zur Entscheidung über die Berufung und die Beschwerde gegen den Widerrufsbeschluss werden die Akten dem Oberlandesgericht Graz zugeleitet.
Der Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurde Jasmin P***** des Verbrechens des räuberischen Diebstahls nach §§ 15, 127, 131 erster Fall StGB schuldig erkannt.
Danach hat sie am 21. November 2016 in G***** Gewahrsamsträgern einer B*****-Filiale fremde bewegliche Sachen, nämlich Lebensmittel und (im Urteil näher bezeichnete) Gebrauchsgegenstände mit auf unrechtmäßige Bereicherung gerichtetem Vorsatz wegzunehmen versucht, wobei sie auf frischer Tat betreten Gewalt gegen eine andere Person anwendete, um sich die weggenommenen Sachen zu erhalten, indem sie Manuela L***** in die Hand biss, um mit den weggenommenen und in ihrer Handtasche versteckten Gegenständen zu flüchten, wobei es aufgrund des Herbeirufens der Polizei und des Verbleibens der Beute an Ort und Stelle beim Versuch blieb.
Rechtliche Beurteilung
Die dagegen aus § 281 Abs 1 Z 1, 4, 5 und 5a StPO ergriffene Nichtigkeitsbeschwerde ist nicht im Recht.
Zu Besetzungs- (Z 1) und Verfahrensrüge (Z 4, der Sache nach auch Z 3) bringt die Beschwerdeführerin Folgendes vor:
In der Hauptverhandlung habe der Vorsitzende des Schöffensenats Joachim R*****, der zwar als Zeuge geladen, jedoch bei Aufruf nicht erschienen sei, „telefonisch einvernommen“. Dieses Telefongespräch habe der Vorsitzende „für etwa die Hälfte“ der Gesprächszeit „über den Telefonhörer“ geführt, erst dann die „Lautsprechertaste des im Verhandlungssaal befindlichen Telefons“ betätigt, „sodass auch die übrigen Verfahrensbeteiligten die Einvernahme des Zeugen mitverfolgen konnten“. Den Verfahrensbeteiligten und den Schöffen sei solcherart mangels unmittelbarer eigener Wahrnehmung die Möglichkeit genommen worden, wesentlichen Teilen der Vernehmung zu folgen. Der Vorsitzende habe das Telefongespräch beendet ohne den Verfahrensbeteiligten und Schöffen die Möglichkeit zu geben, Fragen an den Zeugen zu richten.
Im Protokoll über die Hauptverhandlung ist zunächst das Nichterscheinen des Zeugen festgehalten, weiters sind dessen telefonisch gegenüber dem Vorsitzenden getätigte Angaben dahingehend wiedergegeben, dass der Zeuge zunächst sein Fernbleiben erklärt und klargestellt habe, er habe die Beschwerdeführerin erst drei Tage nach der Tat gesehen, sie zu dieser als Beschuldigte vernommen und dabei keinerlei Beeinträchtigung durch Alkohol oder Drogen wahrgenommen. Laut Protokoll wurde „dieser Inhalt des Telefongesprächs mit Lautsprecher im Verhandlungssaal übertragen“ (ON 16 S 5 ff).
Der Besetzungsrüge (Z 1) zuwider entspricht ein derartiger Vorgang nicht mangelnder Beiwohnung durch die Schöffen (vgl Ratz , WK-StPO § 281 Rz 119 f), die hier in der Hauptverhandlung anwesend waren und das dort Vorgefallene wahrnehmen konnten. Allenfalls gesetzwidrige Einführung des Ergebnisses einer vom Vorsitzenden allein durchgeführten Beweisaufnahme in die Hauptverhandlung ist nicht Gegenstand dieses Nichtigkeitsgrundes. Aus der von der Rüge zitierten Entscheidung 13 Os 151/08t ist für den vorliegenden Sachverhalt nichts zu gewinnen.
Soweit die Beschwerdeführerin der Sache nach eine aus Z 3 relevante Umgehung des Unmittelbarkeitsprinzips anspricht (11 Os 32/14m; Kirchbacher , WK-StPO § 252 Rz 30), unterlässt sie die gebotene Darlegung, ob und gegebenenfalls in welchem Ausmaß der Vorsitzende den im Hauptverhandlungsprotokoll festgehaltenen Gesprächsinhalt bloß allein wahrgenommen und in weiterer Folge den in der Hauptverhandlung Anwesenden referiert hat. Solcherart kann aber nicht beurteilt werden, ob sich der (als nicht für alle Anwesenden wahrnehmbar) kritisierte Teil des Gesprächs – unter dem Aspekt des Umgehungsverbots unbedenklich – bloß auf die Erklärung des Zeugen für sein Nichterscheinen bezog (vgl Ratz , WK-StPO § 281 Rz 359, vgl auch Rz 229 und 128).
Selbst unter der Prämisse eines Verstoßes gegen Z 3 (weil Teile der Aussage zum Beweisthema bloß referiert wurden) wäre – aus der insoweit maßgeblichen Sicht des Obersten Gerichtshofs ( Ratz , WK‑StPO § 281 Rz 740) – ein für die Angeklagte nachteiliger Einfluss hier auszuschließen (§ 281 Abs 3 StPO), weil Joachim R***** zur – in diesem Zusammenhang allein entscheidenden – Frage der Zurechnungsfähigkeit der Beschwerdeführerin im Tatzeitpunkt keine eigenen unmittelbaren Wahrnehmungen hatte, sie vielmehr erst drei Tage nach der Tat gesehen hat. Im Übrigen führen die Entscheidungsgründe im Zusammenhang mit dem (von den Tatrichtern bejahten) Erinnerungsvermögen der Beschwerdeführerin bloß den Inhalt des Protokolls über die (am 24. November 2016 durchgeführte) Beschuldigtenvernehmung, nicht aber (aus deren Anlass gemachte, ohnehin unerhebliche) Wahrnehmungen des vernehmenden Polizeibeamten ins Treffen (US 5).
Unter dem Aspekt der (nominell angesprochenen) Z 4 scheitert die Rüge schon am Fehlen eines Antrags oder substantiierten Widerspruchs der Beschwerdeführerin in der Hauptverhandlung ( Ratz , WK-StPO § 281 Rz 302). Das Vorliegen eines solchen wird (übrigens auch im Antrag auf Berichtigung des Hauptverhandlungsprotokolls) nicht behauptet.
Die Mängelrüge vermag keine Unvollständigkeit (Z 5 zweiter Fall) aufzuzeigen, denn die Tatrichter haben die Verantwortung der Angeklagten ohnehin erörtert (US 5 f). Zu einer Auseinandersetzung mit sämtlichen Aussagedetails waren sie mit Blick auf das Gebot zu gedrängter Darstellung der Entscheidungsgründe nicht verhalten (RIS-Justiz RS0106642).
Soweit die Tatsachenrüge (Z 5a) das Unterbleiben amtswegiger Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Frage der Zurechnungsfähigkeit der Beschwerdeführerin im Tatzeitpunkt kritisiert, vermag sie keinen (relevanten) Grund anzugeben, wodurch diese an einer darauf abzielenden Antragstellung in der Hauptverhandlung gehindert war (RIS‑Justiz RS0115823). Da Beweisanträge auch noch in den Schlussvorträgen gestellt werden können, genügt die Behauptung, durch den Schluss des Beweisverfahrens überrascht worden zu sein, diesen Anforderungen nicht (RIS‑Justiz RS0125245 [T3]).
Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO).
Damit ist auch die Beschwerde gegen die Abweisung des Protokollberichtigungsantrags, der sich auf keine für den Erfolg der Nichtigkeitsbeschwerde wesentlichen Umstände bezog, erledigt, ohne dass es einer inhaltlichen Antwort bedurfte (RIS-Justiz RS0126057 [T2], RS0120683).
Daraus folgt die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufung und die Beschwerde gegen den Widerrufsbeschluss (§§ 285i, 498 Abs 3 letzter Satz StPO).
Der Kostenausspruch beruht auf § 390a Abs 1 StPO.
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