OGH 14Os40/14k

OGH14Os40/14k6.5.2014

Der Oberste Gerichtshof hat am 6. Mai 2014 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Philipp als Vorsitzenden, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger und Mag. Marek sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer und Dr. Oshidari in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Fellner als Schriftführer in der Strafsache gegen Alexander H***** und einen anderen Angeklagten wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall, Abs 2 Z 3 SMG und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten Boris S***** sowie die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 17. September 2013, GZ 044 Hv 108/12s‑194, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

In teilweiser Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde, aus deren Anlass und zufolge verfügter Wiederaufnahme des Strafverfahrens im außerordentlichen Weg wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, in den Schuldsprüchen

‑ A/I/2/a und b, A/II/2/a und b sowie in der zu A/I/2 und A/II/2 gebildeten Subsumtionseinheit,

‑ A/III/1 und 2 sowie

‑ B/II

und demgemäß auch in den Strafaussprüchen (einschließlich der Vorhaftanrechnungen) sowie in den Aussprüchen über privatrechtliche Ansprüche aufgehoben, insoweit eine neue Hauptverhandlung angeordnet und die Sache dazu an das Erstgericht verwiesen.

Mit dem gegen die Schuldsprüche B/II gerichteten Teil der Nichtigkeitsbeschwerde und seiner Berufung wird der Angeklagte Boris S*****, mit ihrer Berufung die Staatsanwaltschaft auf diese Entscheidung verwiesen.

Die Nichtigkeitsbeschwerde im Übrigen wird zurückgewiesen.

Boris S***** fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen durch Beschluss vom 27. Februar 2014 (ON 207) berichtigten Urteil wurden Alexander H***** des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall, Abs 2 Z 3 SMG (A/I/1) sowie der Vergehen des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs 1 Z 1 fünfter und sechster Fall SMG (A/II/1), der Vorbereitung von Suchtgifthandel nach § 28 Abs 1 erster, zweiter und dritter Fall SMG (A/III/1) und nach § 28 Abs 1 erster und zweiter Fall SMG (A/III/2) sowie des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs 1 Z 1 erster und zweiter Fall, Abs 2 SMG (C) und Boris S***** der Verbrechen des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall, Abs 4 Z 3 SMG (A/I/2) und nach § 28a Abs 1 zweiter und dritter Fall, Abs 4 Z 3 SMG (A/II/2) sowie der Vergehen des Widerstands gegen die Staatsgewalt nach §§ 15, 269 Abs 1 erster Fall StGB (B/I), der schweren Körperverletzung nach §§ 83 Abs 1, 84 Abs 2 Z 4 StGB (B/II) und der Sachbeschädigung nach § 125 StGB (B/III) schuldig erkannt.

Soweit im Verfahren über die Nichtigkeitsbeschwerde relevant, haben in W***** und an anderen Orten

„A./ vorschriftswidrig Suchtgift, nämlich Pico (Wirkstoffgehalt ca 50 %, Metamphetamin.HCl) und Marihuana (nur betreffend Alexander H*****, A./I./1./e. ‑ Wirkstoffgehalt 13,1 +-, 0,32% Delta‑9‑THC);

I./ in einer die Grenzmenge des § 28b SMG um das 15‑fache (betreffend Alexander H*****, wobei dieser an Suchtmittel gewöhnt ist und die Straftaten vorwiegend deshalb begangen hat, um sich für seinen persönlichen Gebrauch Suchtmittel zu verschaffen) bzw. um das 25‑fache (betreffend Boris S*****) übersteigenden Menge anderen durch überwiegend gewinnbringenden Verkauf überlassen, und zwar

1./ Alexander H*****

a.) im Zeitraum von November 2011 bis 9. Februar 2012 60 Gramm Pico dem abgesondert verurteilten Imer B*****;

b.) ab einem nicht mehr festzustellenden Zeitpunkt im Jahr 2011 bis 25. April 2012 etwa 31,2 Gramm Pico der abgesondert verurteilten Katarina D*****;

c.) im Zeitraum von etwa November 2011 bis 25. April 2012 zumindest 60 Gramm Pico dem abgesondert verfolgten Stanislav Ho*****;

d.) im Zeitraum von November 2011 bis 25. April 2012 zumindest 30 Gramm Pico dem Georg St*****;

e.) ab einem nicht mehr feststellbaren Zeitpunkt im Jahr 2011 bis 22. April 2012 eine zumindest 100 Gramm betragende Menge Marihuana unbekannt gebliebenen Suchtgiftkonsumenten;

f.) im Jahr 2011 bis 22. April 2012 eine Menge von zumindest 20 Gramm Pico der Jasmin L*****;

g.) ab einem nicht mehr feststellbaren Zeitpunkt Anfang 2012 bis 21. April 2012 136 Gramm Pico den abgesondert verfolgten Patrick P***** und Daniela G*****;

h.) ab einem nicht mehr feststellbaren Zeitpunkt im Jahr 2011 bis 22. April 2012 eine zumindest 72 Gramm betragende Menge Pico den unbekannt gebliebenen Abnehmern 'Filip, Babsi, Lukas, Samuel, Engin' und weiteren unbekannt gebliebenen Abnehmern;

i.) ab einem nicht mehr feststellbaren Zeitpunkt Anfang Mai 2013 dem abgesondert verfolgten Ivica Z***** 10,5 Gramm Pico durch unentgeltliche Weitergabe überlassen;

j.) im bewussten und gewollten Zusammenwirken mit der abgesondert verfolgten und diesbezüglich bereits rechtskräftig verurteilten Diana Bi***** zu nicht mehr feststellbaren Zeitpunkten Anfang Mai 2013 10 Gramm Pico an den abgesondert verfolgten Stanislav Ho***** und weitere unbekannt gebliebene Abnehmer;

k.) Anfang Mai 2013 einer nicht mehr auszuforschenden Abnehmerin zwei Gramm Pico im Austausch gegen 23 Kapseln Substitol á 120 mg;

2./ Boris S*****

a.) zu einem nicht mehr feststellbaren Zeitpunkt im Jahr 2011 oder 2012 bis 25. April 2012 in H*****, K***** und J***** eine nicht mehr genau feststellbare, jedoch zumindest 409,2 Gramm umfassende Menge Pico dem Alexander H*****;

b.) zu einem nicht mehr feststellbaren Zeitpunkt Mitte April 2012 in F***** zumindest 170,2 Gramm Pico (Wirkstoffgehalt ca. 73 %) dem Alexander H*****;

c.) im Zeitraum von 26. April 2012 bis 28. Mai 2012 in K***** in zwei Angriffen eine Menge von zumindest 22,5 Gramm Pico dem abgesondert verfolgten Georg St*****;

d.) im Zeitraum von 26. April 2012 bis 28. Mai 2012 eine Menge von zumindest 36 Gramm Pico der abgesondert verurteilten Katarina D*****;

II./ aus der Slowakei ausgeführt und nach Österreich eingeführt, indem sie das Suchtgift über die Staatsgrenze schmuggelten, und zwar

1./ Alexander H***** zu nicht mehr feststellbaren Zeitpunkten im Jahr 2011 oder 2012 eine nicht mehr genau festzustellende, jedenfalls die Grenzmenge des § 28b SMG (= 20 Gramm Pico bei 50 % Wirkstoffgehalt) nicht übersteigende Menge;

2./ Boris S***** in mehreren Angriffen in einer die Grenzmenge des § 28b SMG um das 25‑fache übersteigenden Menge, nämlich

a.) zu einem nicht mehr feststellbaren Zeitpunkt im Jahr 2011 oder 2012 eine Menge von 389,2 Gramm Pico;

b.) zu einem nicht mehr feststellbaren Zeitpunkt Mitte April 2012 eine Menge von 170,2 Gramm Pico (Wirkstoffgehalt ca. 73 %);

c.) zu nicht mehr feststellbaren Zeitpunkten im Zeitraum von 26. April 2012 bis 28. Mai 2012 in zwei Angriffen eine Menge von zumindest 22,5 Gramm Pico;

d.) zu nicht mehr feststellbaren Zeitpunkten im Jahr 2011 bis 28. Mai 2012 eine Menge von zumindest 36 Gramm Pico;

III./ Alexander H*****

1./ ab einem nicht mehr festzustellenden Zeitpunkt im April 2012 bis 22. April 2012 in W***** und F***** teils im bewussten und gewollten Zusammenwirken mit der abgesondert verfolgten Jasmin L***** als Mittäterin (§ 12 StGB) in einer die Grenzmenge des § 28b SMG übersteigenden Menge mit dem Vorsatz erworben, besessen und befördert, dass es in Verkehr gesetzt werde, und zwar 170,2 Gramm Pico (Wirkstoffgehalt 73 %), die er in F***** von Boris S***** übernahm, nach W***** transportier[t]e und gemeinsam mit der abgesondert verfolgten Jasmin L***** in der Bunker‑Wohnung in W***** in einem Safe aufbewahrte, wo das Suchtgift bei einer Hausdurchsuchung aufgefunden werden konnte;

2./ am 11. Mai 2013 alleine 73,71 Gramm Pico, 18,81 Gramm Amphetamin und 23 Kapseln Substitol 120 á mg erworben und besessen;

B./ Boris S***** am 29. 5. 2012

I./ versucht (§ 15 StGB), nachgenannte Beamte mit Gewalt, nämlich durch die nachstehend angeführten Tätlichkeiten, an einer Amtshandlung, nämlich der Aufrechterhaltung seiner vorläufigen Verwahrung, zu hindern, und zwar

1.) Rev.Insp. Markus P***** [richtig: Br*****] durch gewaltsames Ausdrehen aus einem Handgelenkshebel, wobei er die rechte Hand des Rev.Insp. Markus P***** gegen eine Wand schlug;

2.) Gr.Insp. Ernst F***** durch Versetzen eines Faustschlages in dessen Gesicht;

II./ die unter Punkt B./I./1.) und 2.) des Anklagetenors genannten Beamten während der Vollziehung ihrer Aufgaben vorsätzlich am Körper verletzt, und zwar

1.) Rev.Insp. Markus P***** [richtig: Br*****] durch die unter Punkt B./I./1.) genannte strafbare Handlung, die eine Rötung im Bereich des linken Jochbeines zur Folge hatte;

2.) Gr.Insp. Ernst F***** durch die unter Punkt B./I./2.) genannte strafbare Handlung, die eine leichte Hautabschürfung sowie eine Schwellung an den 3. bis 5. Grundfingerknochen der rechten Hand zur Folge hatte;

III./ dadurch, dass er einen Bürodrehstuhl gegen das geschlossene ebenerdige Fenster und das Mauerwerk der Polizeiinspektion K***** warf, fremde Sachen, nämlich die innere Scheibe des vorgenannten Fensters (Verzerrscheibe) und den Bürodrehstuhl in nicht mehr feststellbarem Wert beschädigt;

C./ Alexander H***** im Jahr 2013 den bestehenden Vorschriften zuwider ein Suchtgift, nämlich Pico ausschließlich für den persönlichen Gebrauch, erworben und besessen.“

Rechtliche Beurteilung

Dagegen richtet sich die aus Z 3, 5 und 9 lit a des § 281 Abs 1 StPO ergriffene Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten Boris S*****.

Bei der vorläufigen Beratung über die Nichtigkeitsbeschwerde ergaben sich für den Obersten Gerichtshof erhebliche Bedenken gegen die Richtigkeit der den Schuldsprüchen B/II (§§ 83 Abs 1, 84 Abs 2 Z 4 StGB) zugrunde gelegten Tatsachen.

Nach den Urteilskonstatierungen hat der Angeklagte Boris S***** die rechte Hand des Markus Br***** gegen die Wand geschlagen. Mit einer solchen Tathandlung verbundene Verletzungen hat das Erstgericht in Betreff dieses Zeugen aber nicht konstatiert, sondern eine Rötung des linken Jochbeins. Demgegenüber ging der Schöffensenat bezüglich Ernst F***** von einer Hautabschürfung samt Schwellung an den 3. bis 5. Grundfingerknochen der rechten Hand aus, obwohl der Angeklagte nach dem Urteilssachverhalt diesem Tatopfer einen Faustschlag ins Gesicht versetzt hatte (US 14). Mit Blick auf diese Konstatierungen und den Akteninhalt (vgl ON 85 S 7 f, ON 6 in ON 30) ist naheliegend, dass die Tatrichter die Tatfolgen ‑ ebenso wie die Staatsanwaltschaft in ihrer Anklageschrift (ON 65) ‑ verfehlt dem jeweils anderen Zeugen zugeordnet haben.

Insoweit war daher die Wiederaufnahme des Strafverfahrens im außerordentlichen Weg zu verfügen (§ 362 Abs 1 Z 1 StPO).

Soweit auf sie nach dem Gesagten noch einzugehen ist, ist die Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten Boris S***** ‑ in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur ‑ teilweise im Recht.

Zutreffend wendet der Beschwerdeführer zu A/I/2/a und b sowie A/II/2/a und b (der Sache nach) unvollständige und offenbar unzureichende Begründung (Z 5 zweiter und vierter Fall) ein.

Während der Schmuggel von 389,2 Gramm „Pico“ (A/II/2/a) zur Gänze unbegründet blieb, begnügte sich das Erstgericht in Betreff der Übergabe von 409,2 Gramm „Pico“ an Alexander H***** (A/I/2/a) mit einer diese Menge gar nicht entsprechenden und teilweise diesen Abnehmer nicht betreffenden Aufschlüsselung samt der unsubstantiierten Behauptung, dass der Angeklagte eine Teilmenge „laut Telefonüberwachung“ zu verantworten habe (US 16 f).

Betreffend die rechtswidrige Aus‑ und Einfuhr sowie die Übergabe von 170,2 Gramm „Pico“ an Alexander H***** (A/I/2/b, A/II/2/b) gab der Schöffensenat die seiner Ansicht nach hiefür maßgeblichen „belastenden Zeugenaussagen“ nicht bekannt und ließ Beweisergebnisse, die der konstatierten Anwesenheit der Zeugin Jasmin L***** bei der Suchtgiftübergabe entgegenstehen (ON 193 S 33 iVm ON 4 S 57), unerörtert.

Im Übrigen schlägt die Nichtigkeitsbeschwerde jedoch fehl.

Die gegen das Erkenntnis (§ 260 Abs 1 Z 1 StPO) A/II/2 gerichtete Verfahrensrüge (Z 3) macht nicht deutlich, weshalb eine „nähere Präzisierung“ der Grenzübertrittsstelle zur Individualisierung der Tat erforderlich sein soll (vgl Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 290; RIS‑Justiz RS0117498). Im Übrigen streiten diesbezügliche Zweifel ohnedies für das Vorliegen eines ne bis in idem‑Verbots (Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 268 mwN).

Zu A/I/2/c und d sowie A/II/2/c und d haben die Tatrichter die Einlassung des Angeklagten Boris S***** und die Aussagen der Zeugen Katarina D***** sowie Georg St***** ohnedies berücksichtigt (US 17 f). Der Mängelrüge (Z 5 zweiter Fall) zuwider waren sie ‑ dem Gebot zu gedrängter Darstellung der Entscheidungsgründe folgend (§ 270 Abs 2 Z 5 StPO) ‑ jedoch nicht zur Erörterung sämtlicher Aussagedetails verpflichtet.

Aus Anlass der Nichtigkeitsbeschwerde überzeugte sich der Oberste Gerichtshof weiters ‑ in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur ‑ von nicht geltend gemachter Nichtigkeit (Z 10) betreffend die Schuldsprüche A/III/1 und 2 des Angeklagten Alexander H***** (§ 290 Abs 1 zweiter Satz StPO), weil das Urteil keine Konstatierungen zu einem auf Inverkehrsetzen des Suchtgifts gerichteten Vorsatz enthält (vgl US 12 f). Die bloße Erwähnung dieses Tatbildmerkmals im Urteilsspruch vermag eine fehlende Feststellung in den Entscheidungsgründen nicht zu ersetzen (Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 580).

Die aufgezeigten Begründungsfehler sowie Feststellungsdefizite erfordern teilweise Urteilskassation (§ 285e, § 362 Abs 4 iVm § 358 Abs 1 StPO) wie im Spruch ersichtlich. Darauf waren der Angeklagte Boris S***** mit seinem gegen die Schuldsprüche B/II gerichteten Teil seiner Nichtigkeitsbeschwerde und seiner Berufung sowie die Staatsanwaltschaft mit ihrer Alexander H***** betreffenden Berufung zu verweisen.

Im zweiten Rechtsgang wird das Erstgericht (zu B/II) durch geeignete Feststellungen zu klären haben, ob es sich bei den von den Zeugen Br***** und F***** erlittenen Tatfolgen (vgl ON 85 S 8) um solche im Sinn des § 83 Abs 1 StGB oder um bloße Bagatellverletzungen handelt (vgl dazu Burgstaller/Fabrizy in WK2 StGB § 83 Rz 6 ff).

Der die amtswegige Maßnahmen nicht betreffende (Lendl, WK‑StPO § 390a Rz 12) Kostenausspruch beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

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