OGH 14Os27/23m

OGH14Os27/23m6.9.2023

Der Oberste Gerichtshof hat am 6. September 2023 durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger als Vorsitzende, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Nordmeyer, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Mann und Dr. Setz‑Hummel LL.M. sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Haslwanter LL.M. in Gegenwart der Schriftführerin Mag. Maringer in der Strafsache gegen DDr. * T* und andere Beschuldigte sowie belangte Verbände wegen des Verbrechens des schweren Betrugs nach §§ 12 zweiter Fall, 146, 147 Abs 1 Z 1 und Abs 3 StGB und weiterer strafbarer Handlungen, AZ 333 HR 151/19d des Landesgerichts für Strafsachen Wien, über den Antrag des DDr. T* auf Erneuerung des Strafverfahrens gemäß § 363a StPO nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0140OS00027.23M.0906.000

Rechtsgebiet: Strafrecht

Fachgebiet: Grundrechte

 

Spruch:

Der Antrag wird zurückgewiesen.

 

Gründe:

[1] Die Zentrale Staatsanwaltschaft zur Verfolgung von Wirtschaftsstrafsachen und Korruption führt zu AZ 62 St 1/19x gegen DDr. * T* und andere Beschuldigte sowie mehrere belangte Verbände ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts dem Verbrechen des schweren Betrugs nach §§ 12 zweiter Fall, 146, 147 Abs 1 Z 1 und Abs 3 StGB und weiteren strafbaren Handlungen subsumierter Taten. In diesem beantragte der Beschuldigte DDr. T* am 21. April 2021 die Gewährung von Einsicht in von der Staatsanwaltschaft sichergestellte (vgl ON 545) Unterlagen und Daten des Amts der Burgenländischen Landesregierung sowie die vorrangige Auswertung derselben (ON 1358), und am 28. April 2021 die Sicherstellung weiterer im Antrag umschriebener Unterlagen beim genannten Amt (ON 1372).

[2] Mit Note vom 5. Juli 2021 (ON 1 S 715 ff) verständigte die Staatsanwaltschaft den Antragsteller, dass Akteneinsicht in die noch nicht vollständig auf Verfahrensrelevanz gesichteten Unterlagen nicht gewährt werde, für eine vorrangige Auswertung derselben keine nachvollziehbaren Umstände vorgebracht worden seien und den gestellten Beweisanträgen (vorerst) nicht „näher getreten“ werde.

[3] Den dagegen erhobenen Einspruch wegen Rechtsverletzung des Beschuldigten DDr. T* (ON 1505) wies das Landesgericht für Strafsachen Wien mit Beschluss vom 11. November 2021, AZ 333 HR 151/19d, ab (ON 1670). Einer dagegen erhobenen Beschwerde desGenannten (ON 1683) gab das Oberlandesgericht Wien mit Beschluss vom 29. November 2022, AZ 21 Bs 363/21t, nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

[4] Gegen den zuletzt genannten Beschluss richtet sich der – nicht auf ein Erkenntnis des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte gestützte – Antrag des Beschuldigten DDr. T* auf Erneuerung des Verfahrens gemäß § 363a StPO, in dem er (ausschließlich) eine Verletzung in seinem Recht auf ein faires Verfahren nach Art 6 MRK behauptet. Konkret verstoße die Verweigerung der Einsicht in sichergestellte, aber noch nicht ausgewertete Daten und Unterlagen gegen den Grundsatz der Waffengleichheit nach Art 6 Abs 1 MRK sowie das Recht auf effektive Verteidigung nach Art 6 Abs 3 lit a und lit b MRK, die Verweigerung einer vorrangigen Auswertung „besonders relevanter (…) Unterlagen“ gegen das Recht „auf ein zügiges Verfahren“ sowie gegen den Grundsatz der Waffengleichheit (Art 6 Abs 1 MRK) und die „mit einer widersprüchlichen, undeutlichen und damit willkürlichen Begründung“ erfolgte Ablehnnung der Beischaffung von Unterlagen abermals gegen Art 6 Abs 1 MRK.

[5] Bei einem nicht auf ein Urteil des EGMR gestützten Erneuerungsantrags handelt es sich um einen subsidiären Rechtsbehelf, bei dem alle gegenüber dem EGMR normierten Zulässigkeitsvoraussetzungen der Art 34 und 35 MRK sinngemäß gelten (RIS‑Justiz RS0122737).

[6] Vorliegend fehlt es dem Beschuldigten an der Opfereigenschaft im Sinn des Art 34 MRK. Denn der Erneuerungsantrag behauptet die Verletzung von Beschuldigtenrechten im Rahmen der Beweisgewinnung im Ermittlungsverfahren, bezieht sich aber ausschließlich auf Konventionsgarantien, welche auf die Entscheidung über eine strafrechtliche Anklage, also über Schuld oder Nichtschuld eines Angeklagten, zielen (vgl Grabenwarter/Pabel, EMRK7 § 24 Rz 27) und die demgemäß in einer Hauptverhandlung (§ 238 StPO) oder im Rahmen einer Urteilsanfechtung (§ 281 Abs 1 StPO) wirksam im Sinn des Art 13 MRK durchgesetzt werden können (RIS‑Justiz RS0126370). Die längere Dauer bis zu einem allfälligen Erfolg dieses Vorgehens alleine stellt die Effektivität der zu ergreifenden Rechtsbehelfe im Übrigen nicht in Frage (vgl 15 Os 157/12w, RIS‑Justiz RS0126370 [T5]).

[7] Weshalb der Erneuerungswerber dennoch bereits im Ermittlungsverfahren – im Rahmen der Überprüfung behaupteter Verletzungen des Beschuldigten in subjektiven Rechten (§§ 106 f StPO) – in den durch Art 6 MRK gewährleisteten Garantien verletzt worden sein soll, oder warum durch die behauptete Verkürzung von Rechten im Ermittlungsverfahren das reklamierte Grundrechtsziel eines zur Entscheidung über eine strafrechtliche Anklage führenden fairen Verfahrens endgültig vereitelt worden wäre, legt er nicht substantiiert und schlüssig dar (siehe aber RIS‑Justiz RS0122737 [T17]; Grabenwarter/Pabel, EMRK7 § 13 Rz 16).

[8] Der Erneuerungsantrag war daher bereits bei der nichtöffentlichen Beratung in sinngemäßer Anwendung des Art 35 Abs 3 MRK zurückzuweisen (§ 363b Abs 2 StPO).

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