OGH 14Os23/10d

OGH14Os23/10d13.4.2010

Der Oberste Gerichtshof hat am 13. April 2010 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Philipp als Vorsitzenden, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Lässig, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer und Mag. Hautz in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Klein als Schriftführerin in der Strafsache gegen Emil H***** und einen anderen Angeklagten wegen Verbrechen des Mordes nach §§ 75, 15 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerden und die Berufungen des Angeklagten Emil H***** und der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Geschworenengericht vom 27. November 2009, GZ 430 Hv 1/09i-133, sowie deren Beschwerden gegen den Beschluss gemäß § 494a Abs 1 Z 2, Abs 6 StPO nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerden werden zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufungen und die Beschwerden werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.

Dem Angeklagten Emil H***** fallen die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurden Emil H***** der Verbrechen des Mordes nach § 75 StGB (I) und nach §§ 15, 75 StGB (II) schuldig erkannt und Anton H***** von der wider ihn erhobenen Anklage, er habe zu den unter I und II geschilderten strafbaren Handlungen des Angeklagten Emil H***** durch im Urteil näher beschriebene Handlungen beigetragen, gemäß § 336 StPO freigesprochen.

Danach hat Emil H***** am 18. August 2008 in Wien vorsätzlich

(I) Helmut O***** durch Versetzen von drei Messerstichen in die Brust, die einen Herzdurchstich sowie Stichbeschädigungen der Lungen- und Körperhauptschlagader, des linken Lungenflügels und der Leber mit ausgedehnter Blutung in den Herzbeutel und in die linke Brust- sowie in die Bauchhöhle zur Folge hatten, getötet;

(II) Ion C***** durch Versetzen eines Messerstichs in die linke Schulterregion, der eine stark blutende, ca drei cm lange Stichwunde zur Folge hatte, zu töten versucht.

Die Geschworenen bejahten die Hauptfrage 1 nach Mord und die Hauptfrage 6 nach versuchtem Mord und verneinten die Zusatzfrage zur Hauptfrage 1 nach Notwehr (4), worauf die Beantwortung der Eventualfragen nach absichtlicher schwerer Körperverletzung gemäß § 87 Abs 1 und 2 zweiter Fall StGB (2) bzw § 87 Abs 1 StGB (7), nach Körperverletzung mit tödlichem Ausgang gemäß §§ 83 Abs 1, 86 StGB (3) und nach schwerer Körperverletzung gemäß §§ 83 Abs 1, 84 Abs 2 Z 1 StGB (8) sowie nach Notwehrüberschreitung aus asthenischem Effekt (5) folgerichtig unterblieb.

Gegen den Schuldspruch richtet sich die auf Z 5, 6 und 10a des § 345 Abs 1 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten Emil H*****, gegen den Freispruch die aus § 345 Abs 1 Z 8 StPO erhobene Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft.

Rechtliche Beurteilung

Zur Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft:

Die Instruktionsrüge moniert mit der Behauptung, der Angeklagte Anton H***** habe schon durch das Überbringen der Tatwaffe zum Tatort eine Gefahr im Sinne des Ingerenzprinzips geschaffen, welche ihn in weiterer Folge auch zur Gefahrenabwehr verpflichtet hätte, das Unterbleiben von Ausführungen zur Begehung durch Unterlassen (§ 2 StGB) in der Rechtsbelehrung. Diese kann allerdings lediglich insofern angefochten werden, als sie Fragen betrifft, die den Geschworenen tatsächlich gestellt wurden (RIS-Justiz RS0101085; Philipp, WK-StPO § 321 Rz 19 mwN; Ratz, WK-StPO § 345 Rz 63). Die begehrte Belehrung hätte demnach hier eine (Haupt-)Frage nach unmittelbarer Täterschaft (§ 12 erster Fall StGB) durch Unterlassen vorausgesetzt. Demgegenüber wurde dem Angeklagten Anton H***** in der Anklageschrift Beitragstäterschaft (§ 12 dritter Fall StGB) zum Mord und zum Mordversuch durch ein Tun, und zwar das Überbringen des als Tatwaffe verwendeten Messers über Aufforderung des Emil H***** an diesen und (zum Mordversuch) auch der Angriff auf Ion C***** unmittelbar nach seinem Eintreffen am Tatort mit einem Pfefferspray zur Herabsetzung von dessen Verteidigungsfähigkeit vorgeworfen, sodass der Rechtsbegriff der Begehung durch Unterlassen nach dem Inhalt der anklagekonform gestellten Hauptfragen gar nicht aktuell wurde und demnach nicht zu erörtern war (vgl 10 Os 163/85).

Zur Nichtigkeitsbeschwerde des Emil H*****:

Soweit sich die Verfahrensrüge (Z 5) auf die Protokolle vom 15. April 2009 (ON 93) und vom 15. Juni 2009 (ON 106) bezieht, fehlt es ihr schon am Grunderfordernis im Rahmen der Hauptverhandlung erfolgter Antragstellung, weil die Verhandlung am 31. August 2009 gemäß § 276a zweiter Satz StPO wiederholt worden ist (ON 120 S 5), womit an vorangegangenen Verhandlungstagen gestellte Anträge ihre Gültigkeit verloren haben (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 310). Der Umstand, dass hinsichtlich der im Zeitpunkt der Wiederholung bereits vorgelegenen Verfahrensergebnisse auf die neuerliche unmittelbare Beweisaufnahme verzichtet wurde und hierauf die diesbezüglichen Protokolle einverständlich verlesen wurden (§ 252 Abs 1 Z 4 StPO), vermag daran ebenso wenig zu ändern wie die am 20. Oktober 2009 (ON 125 S 41) abgegebene Erklärung, alle „bisher gestellten Beweisanträge“ aufrecht zu halten (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 310, 313).

Als verfehlt erweist sich die Kritik an der Abweisung des Antrags auf Beischaffung der Tonbandaufzeichnungen des Polizeinotrufs 133 betreffend den Zeitraum zwischen 19:00 Uhr und 22:00 Uhr des 18. August 2008 (ON 120 S 33 und 35) zum Beweis dafür, dass der Angeklagte aufgrund der massiven Bedrohungen und Attacken durch den getöteten O***** im Rahmen eines Anrufs beim Polizeinotruf um Hilfe ersuchte, was mit dem dem Angeklagten unterstellten Mordvorsatz nicht in Einklang zu bringen ist, weil der Beweisantrag nicht erkennen lässt, warum der angebliche Hilferuf aufgrund behaupteter Attacken der Annahme vorsätzlicher Tötung entgegenstehen soll. Soweit der Antrag auf den Nachweis dessen gerichtet ist, dass der Angeklagte während des Notrufs sein Mobiltelefon zu O***** richtete, damit dieser mitbekomme, dass er die Polizei anrufe und von seinen Attacken Abstand nimmt, was dieser jedoch nur mit weiteren Drohungen unter anderem auch solchen mit dem Umbringen quittierte, die auf dem Tonband zu hören sein müssten, dies sowohl für die behauptete Notwehr als auch für das Vorliegen einer Affektsituation relevant sei, zielt er schon nach seiner Formulierung (hörbar sein müsste) auf eine im Erkenntnisverfahren unzulässige Erkundungsbeweisführung. Im Übrigen wurde vom Angeklagten Emil H***** niemals behauptet, das Mobiltelefon während des Telefonats in Richtung des Opfers gehalten zu haben.

Der Verteidiger des Anton H***** beantragte während der Vernehmung des Rene Ho***** den Ausschluss der Öffentlichkeit während dessen (ergänzender) Vernehmung mit der (zusammengefassten) Begründung, dass er schon mehrfach deponiert habe, Angst zu haben, und er „vielleicht“ noch zusätzliche Informationen habe, „die er in diesem Rahmen nicht sagen kann, weil er sich fürchtet“ (ON 125 S 31 und 33). Der Verteidiger des Emil H***** schloss sich diesem Begehren an (ON 125 S 33). Da dieser Antrag nicht erkennen lässt, dass er einen für die Schuld- oder die Subsumtionsfrage erheblichen Umstand betrifft, ist er aus Z 5 unbeachtlich (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 321).

Auch der Antrag auf Ausforschung und Ladung des Zeugen mit dem Spitznamen bzw Vornamen „Edi“ (ON 125 S 37, ON 131 S 35) verfiel zu Recht der Abweisung, weil er kein Beweisthema enthielt. Der Vollständigkeit halber sei festgehalten, dass Rene Ho*****, nach dessen Auskunft der genannte Zeuge die Tat beobachtet haben soll (ON 125 S 27), lediglich den Spitznamen „Edi“ und den Umstand, dass dieser lange Haare habe, zu nennen vermochte. Sonstige Hinweise, nach denen eine Ausforschung des Zeugen möglich wäre, wurden im Antrag nicht bekannt gegeben (vgl RIS-Justiz RS0099399). Die vom Verteidiger vorgebrachte, der Aussage des Rene Ho***** entnommene, nähere Personenbeschreibung (ON 131 S 35: grelle Haare, 25 Jahre alt, Punkszene, vermutlich Türke) betrifft nicht den beantragten Zeugen, sondern den angeblich unbekannten Täter (ON 125 S 25).

Der Antrag auf neuerliche Vernehmung der Samantha K***** zum Beweis dafür, dass Helmut O***** nicht vom Angeklagten, sondern von einer dritten Person erstochen wurde (ON 125 S 37, ON 131 S 35), legt nicht dar, weshalb diese Zeugin von ihrer bisherigen Aussage (ON 93 S 107 ff und ON 106 S 17 ff) abweichen sollte, sodass auch dieser auf eine im Erkenntnisverfahren unzulässige Erkundungsbeweisführung abzielte (RIS-Justiz RS0117928; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 331).

Das erst in der Beschwerde erstattete Vorbringen zu den begehrten Beweisaufnahmen ist wegen des Neuerungsverbots im Nichtigkeitsverfahren unbeachtlich (RIS-Justiz RS0099618).

Indem die Fragenrüge (Z 6) Fragestellungen an die Geschworenen nach Putativnotwehr (§ 8 StGB) und Totschlag (§ 76 StGB) einfordert, ohne - durch genaue Angabe der Fundstelle (§§ 344 zweiter Satz, 285 Abs 1 zweiter SatzStPO) - einen aktenmäßigen Bezug zu in der Hauptverhandlung vorgekommenen Verfahrensergebnissen herzustellen, verfehlt sie die prozessordnungskonforme Darstellung des herangezogenen Nichtigkeitsgrundes (13 Os 83/08t).

Entsprechendes gilt für den Ansatz, Indizien für Fragen nach Zurechnungsfähigkeit (§ 11 StGB) und Begehung einer mit Strafe bedrohten Handlung im Zustand voller Berauschung (§ 287 Abs 1 StGB) aus der Begründung eines Beschlusses des Schwurgerichtshofs auf Abweisung eines Beweisantrags (ON 93 S 123) abzuleiten, weil der Inhalt von prozessleitenden Verfügungen kein Tatsachensubstrat im Sinn der §§ 313, 314 Abs 1 und 316 StPO begründet (Ratz, WK-StPO § 345 Rz 42). Abgesehen vom Hinweis auf die angeführte Protokollspassage bezieht sich auch das auf §§ 11 und 287 Abs 1 StGB zielende Vorbringen nicht auf konkrete Akteninhalte.

Soweit die Tatsachenrüge (Z 10a) unter Erörterung des Gutachtens des gerichtsmedizinischen Sachverständigen Univ.-Prof. Dr. Daniele R***** verbunden mit eigenen beweiswürdigenden - auf das Privatgutachten des Univ.-Prof. Dr. L***** gestützten - Überlegungen zum Zustandekommen der tödlichen Verletzungen des Helmut O***** die Schlüssigkeit der Expertise Dris. R*****, der eine Stichführung mit einem zweischneidigen Messer, wie es der Angeklagte verwendet haben soll, keineswegs ausschloss, in Zweifel zu ziehen und damit sowie mit dem Hinweis auf Widersprüche in den - ursprünglich schwer belastenden - Aussagen der Zeuginnen Samanta K***** und Ingeborg Kr***** (früher M*****) sowie die Aussage des Rene Ho***** die Täterschaft des Beschwerdeführers insgesamt in Frage zu stellen versucht, wendet sie sich nach Art einer (bei einzelrichterlichen Urteilen vorgesehenen) Schuldberufung gegen die Beweiswürdigung der Geschworenen. Eine solche Anfechtungsmöglichkeit eröffnet der herangezogene Nichtigkeitsgrund aber gerade nicht. Das Urteil eines Geschworenengerichts ist in Bezug auf die Beweiswürdigung vielmehr nur dann nichtig aus Z 10a, wenn die Geschworenen das ihnen nach § 258 Abs 2 zweiter Satz StPO gesetzlich zustehende Ermessen in einer Weise gebraucht haben, die - aus Sicht des Obersten Gerichtshofs - im Tatsächlichen schlechterdings unerträglich ist (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 470, 490), wovon im gegenständlichen Fall keine Rede sein kann.

Sofern das Vorbringen, dass „es in einem Mordfall völlig unplausibel und nicht nachvollziehbar ist, aus welchen Gründen die vorhandenen Blutspuren nicht einem entsprechendem Test, insbesondere einer DNA-Analyse unterzogen wurden“ und dass „das Gericht im Sinne der Verpflichtung zur amtswegigen Wahrheitserforschung verpflichtet gewesen wäre, einen weiteren gerichtsmedizinischen Sachverständigen zu bestellen“, als Aufklärungsrüge angelegt ist, lässt es eine Darlegung vermissen, wodurch der Angeklagte an der Ausübung seines Rechts, die Beweisaufnahmen in der Hauptverhandlung sachgerecht zu beantragen, gehindert war (RIS-Justiz RS0115823, RS0114036; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 480).

Die Nichtigkeitsbeschwerden waren daher gemäß §§ 344, 285d Abs 1 StPO schon bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen.

Die Entscheidung über die Berufungen und die Beschwerden kommt somit dem Oberlandesgericht zu (§§ 344, 285i; 498 Abs 3 letzter Satz StPO).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

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