OGH 14Os184/13k

OGH14Os184/13k28.1.2014

Der Oberste Gerichtshof hat am 28. Jänner 2014 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Philipp als Vorsitzenden, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger und Mag. Marek sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer und Dr. Oshidari in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Mascha als Schriftführer in der Strafsache gegen Mehmed H***** wegen Vergehen der Körperverletzung nach §§ 83 Abs 1, 15 StGB und einer weiteren strafbaren Handlung, AZ 28 U 258/12p des Bezirksgerichts Salzburg, über die von der Generalprokuratur gegen das Urteil dieses Gerichts vom 8. November 2012 (ON 13) und einen Vorgang erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Mag. Leitner, zu Recht erkannt:

 

Spruch:

In der Strafsache AZ 28 U 258/12p des Bezirksgerichts Salzburg verletzen

1) der in der Hauptverhandlung vom 8. November 2012 erfolgte Vortrag des erheblichen Inhalts

a) der Protokolle über die Vernehmungen der Zeugin Renate K***** (ON 2 S 39 ff) sowie des Mehmedalija H***** (ON 2 S 31 ff), des Amtsvermerks vom 20. März 2012, in dem dessen ergänzende Aussage festgehalten wurde (ON 2 S 103 f) sowie des polizeilichen Berichts über die Angaben des Zeugen Husein O***** (ON 2 S 97) § 252 Abs 1 und Abs 2a StPO iVm §§ 447, 458 zweiter Satz StPO;

b) des Aktes AZ 36 Hv 135/09m des Landesgerichts Salzburg und der gekürzten Urteilsausfertigung des Landesgerichts Salzburg vom 19. Mai 2011, AZ 31 Hv 38/11p (ON 7), sohin gegen den Angeklagten früher ergangener Straferkenntnisse, der Berichte des Stadtpolizeikommandos Salzburg über dessen Erhebungen (ON 2, 3 und 5), der Strafregisterauskunft des Angeklagten (ON 11) sowie des ärztlichen Attests über die Verletzungen des Tatopfers (ON 5 S 9) § 252 Abs 2 und Abs 2a StPO iVm §§ 447, 458 zweiter Satz StPO;

c) der in den genannten polizeilichen Berichten enthaltenen Protokolle über die Vernehmungen des Angeklagten (ON 2 S 65 ff) und mehrerer (auch in der Hauptverhandlung vernommener) Zeugen (ON 2 S 45 ff und S 73 ff) § 252 Abs 2a StPO iVm §§ 447, 458 zweiter Satz StPO;

2. das Urteil vom 8. November 2012 (ON 13) §§ 28 Abs 1, 83 Abs 1 StGB.

Dieses Urteil wird aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Bezirksgericht Salzburg verwiesen.

Die Staatsanwaltschaft wird mit ihrer Berufung auf diese Entscheidung verwiesen.

Text

Gründe:

In dem zum AZ 28 U 258/12p des Bezirksgerichts Salzburg gegen Mehmed H***** anhängigen Verfahren wurde die Hauptverhandlung am 8. November 2012 in Abwesenheit des Angeklagten durchgeführt, der ‑ ebenso wie der Zeuge Mehmedalija H***** ‑ trotz ausgewiesener Zustellung der Ladung nicht erschienen war (ON 12 S 2).

Nach Vernehmung mehrerer Zeugen wurden ‑ ohne Bezugnahme auf eine Gesetzesstelle ‑ die Berichte des Stadtpolizeikommandos Salzburg vom 22. April 2012 (ON 2), 15. Juni 2012 (ON 3) und 27. Juli 2012 (ON 5) über die polizeilichen Erhebungen „dargetan“, die auch Protokolle über die Vernehmungen mehrerer in der Hauptverhandlung neuerlich befragter Zeugen, die sich dabei auf ihre früheren Angaben beriefen (ON 2 S 45 ff und 73 ff; vgl RIS‑Justiz RS0110150), der ‑ zur Hauptverhandlung nicht geladenen ‑ Zeugin Renate K***** (ON 2 S 39 ff), des Angeklagten (damals ebenfalls als Zeuge; ON 2 S 65 ff) sowie seines Bruders Mehmedalija H***** (damals als Beschuldigter; ON 2 S 31 ff), weiters einen Amtsvermerk, in dem dessen ergänzende Aussage festgehalten worden war (ON 2 S 103 f), schriftliche Erklärungen der beiden Letztgenannten über die nunmehrige Inanspruchnahme ihres Aussageverweigerungsrechts (ON 3 S 23 f), den Bericht über die Angaben des ‑ ebenfalls nicht zur Hauptverhandlung geladenen ‑ Zeugen Husein O***** (ON 2 S 97) und ein „ärztliches Gesundheitszeugnis“ des Hausarztes des Tatopfers Manuel M***** über dessen Verletzungen (ON 5 S 9) enthalten. Ebenso verfuhr der Bezirksrichter mit der Strafregisterauskunft des Angeklagten (ON 11), der gekürzten Urteilsausfertigung des Landesgerichts Salzburg vom 19. Mai 2011, AZ 31 Hv 38/11p (ON 7) sowie „dem Beiakt AZ 36 Hv 135/09m“ desselben Gerichts (ON 12 S 6).

Mit Abwesenheitsurteil vom selben Tage (ON 13) wurde Mehmed H***** sodann wegen zweier Vergehen der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB (1/a und 2), zu 1/a auch nach § 15 StGB, sowie des Vergehens der Sachbeschädigung nach § 125 StGB (1/b) zu einer Geldstrafe verurteilt.

Nach dem Inhalt des Schuldspruchs hat er am 20. November 2011 in Salzburg

(1) eine Glasflasche und einen Werbeständer in Richtung des Manuel M***** geworfen und dadurch

a) den Genannten zu verletzen versucht, sowie

b) fremde bewegliche Sachen, nämlich eine Glasscheibe und den erwähnten Werbeständer, beschädigt;

(2) Manuel M***** am Körper verletzt, indem er ihn unmittelbar danach zu Boden warf, wodurch er eine Verletzung der langen Bizepssehne links erlitt.

Zu den Schuldsprüchen 1/a und 2 stellte das Bezirksgericht ‑ soweit hier wesentlich ‑ fest, dass der Angeklagte Manuel M***** zunächst verbal und dann ‑ jeweils mit Verletzungsvorsatz ‑ körperlich attackierte, indem er in kurzer zeitlicher Abfolge mehrere Flaschen, einen Werbeständer (und einen Blumentopf) in dessen Richtung warf, ihn dabei aber verfehlte, und ihn sodann an den Beinen zu Boden riss, wodurch der Genannte die im Spruch angeführte Verletzung erlitt (US 3 f).

Die Urteilsannahmen zum objektiven Sachverhalt leitete das erkennende Gericht resümierend aus der „Gesamtheit der Aussagen“ (US 9) sowie den Ergebnissen der polizeilichen Erhebungen ab, stützte sich dabei insbesonders auf die Angaben im Urteil namentlich genannter ‑ in der Hauptverhandlung vernommener ‑ Zeugen (US 7 ff) und verwies zur Begründung der unterbliebenen unmittelbaren Befragung des Zeugen Mehmedalija H***** auf dessen der Polizei übermittelte schriftliche Erklärung, von seinem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch zu machen (US 7).

Über die gegen den Ausspruch über die Strafe gerichtete Berufung der Staatsanwaltschaft (ON 15) wurde bisher nicht entschieden.

Rechtliche Beurteilung

Wie die Generalprokuratur in ihrer Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes zutreffend aufzeigt, stehen die beschriebene Vorgangsweise des Bezirksgerichts Salzburg sowie das Urteil vom 8. November 2012 (ON 13) mit dem Gesetz nicht im Einklang:

Vorauszuschicken ist, dass die Bestimmungen des 14. Hauptstücks der StPO, also jene über die Hauptverhandlung und das Urteil im schöffengerichtlichen Verfahren, auch für die Verhandlung vor dem Bezirksgericht gelten, soweit das Gesetz nichts anderes bestimmt (§§ 447, 458 zweiter Satz StPO).

1. Aus dem Protokoll über die Hauptverhandlung am 8. November 2012 ist mit Blick auf die Formulierung „dargetan“ ersichtlich, dass die oben genannten Aktenteile vom Richter zusammenfassend vorgetragen wurden.

Nach § 252 Abs 1 StPO dürfen ‑ soweit hier wesentlich ‑ Protokolle über die Vernehmung von Mitbeschuldigten und Zeugen sowie amtliche Schriftstücke, in denen Aussagen von Zeugen oder Mitbeschuldigten festgehalten worden sind, in der Hauptverhandlung nur in den in § 252 Abs 1 Z 1 bis 4 StPO genannten Fällen verlesen oder vorgeführt werden.

Gegen den Angeklagten früher ergangene Straferkenntnisse, Anzeigen und Berichte der Polizei über ihre Erhebungen (RIS‑Justiz RS0098456) sowie Urkunden und Schriftstücke anderer Art, die für die Sache von Bedeutung sind, müssen demgegenüber nach § 252 Abs 2 StPO in der Hauptverhandlung vorgelesen werden.

In Bezug auf die Aussagen der Zeugen Renate K***** und Husein O***** sowie des Mehmedalija H***** steht eine Vorführermächtigung nach § 252 Abs 1 Z 2, 2a und 3 StPO (mangels deren Vernehmung in der Hauptverhandlung) nicht in Rede. Die Voraussetzungen der Z 1 dieser Bestimmung liegen ‑ weil die beiden Erstgenannten gar nicht zur Hauptverhandlung geladen (ON 1 S 3) und über eine einmalige Ladung (ON 1 S 3) hinausgehende Versuche, den Letztgenannten stellig zu machen, nicht unternommen wurden - ebenso wenig vor wie aus dem Nichterscheinen des Angeklagten zur Hauptverhandlung dessen Einverständnis mit einer diesbezüglichen Verlesung oder Vorführung im Sinn der Z 4 abzuleiten ist.

Die durch § 252 Abs 2a StPO ermöglichte Abstandnahme von der Vorlesung oder Vorführung von Aktenstücken nach § 252 Abs 1 und Abs 2 StPO (vgl § 258 Abs 1 StPO) zugunsten eines zusammenfassenden Vortrags ihres Inhalts durch den die Verhandlung leitenden Richter ist (unter anderem) ebenso an die Zustimmung auch des Angeklagten gebunden, die in dessen Fernbleiben von der Hauptverhandlung gleichfalls nicht erblickt werden kann (vgl zum Ganzen RIS-Justiz RS0117012; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 234; Bauer/Jerabek; WK‑StPO § 427 Rz 13, Kirchbacher, WK-StPO § 252 Rz 103, 134; ErläutRV 679 BlgNR 22. GP 13 f).

Demnach entsprach es nicht dem Gesetz (§ 252 Abs 1 Z 4 und Abs 2a iVm §§ 447, 458 zweiter Satz StPO), das Protokoll über die Vernehmung der Renate K***** und des Mehmedalija H***** sowie den Bericht über die Angaben des Zeugen Husein O***** (ON 2 S 97) zu verlesen und von deren Verlesung und jener der übrigen oben genannten Aktenstücke zugunsten einer resümierenden Darstellung abzusehen.

2. Die ‑ wie hier zu 1/a und 2 (US 1 und 5) ‑ wiederholte Verwirklichung des gleichen Tatbestands in kurzer zeitlicher Abfolge, also unter nur quantitativer Steigerung (einheitliches Unrecht) bei einheitlicher Motivationslage (einheitliche Schuld), ist als tatbestandliche Handlungseinheit aufzufassen. Durch ein solches, gegen ein Opfer gerichtetes (vgl RIS‑Justiz RS0112161) Vorgehen verwirklicht der Täter den betreffenden Tatbestand aber nur einmal (RIS-Justiz RS0120233 [T2]; RS0127374; Ratz in WK² StGB Vor §§ 28‑31 Rz 89), womit die hier erfolgte Annahme zweier Vergehen der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB (zu 1/a auch nach § 15 StGB) rechtlich verfehlt ist und ebenfalls dem Gesetz widerspricht.

Eine für den Verurteilten nachteilige Wirkung der aufgezeigten Gesetzesverletzungen war nicht auszuschließen, weshalb sich der Oberste Gerichtshof veranlasst sah (§ 292 letzter Satz StPO), deren Feststellung auf die im Spruch ersichtliche Weise mit konkreter Wirkung zu verknüpfen.

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