European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:0140OS00017.21P.0427.000
Spruch:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.
Gründe:
[1] Mit dem angefochtenen Urteil wurden – soweit hier von Bedeutung – ***** N***** und ***** S***** von der Anklage freigesprochen, sie hätten am 10. März 2015 in L***** als Beamte mit dem Vorsatz, (zu ergänzen: dadurch) die bei den Wahlen zum Gemeinderat der Marktgemeinde L***** antretenden Parteien an ihrem Recht auf „ordnungsgemäße Durchführung allgemeiner Wahlen zum Gemeinderat (§ 67 Abs 2 zweiter Satz VfGG)“ sowie die betroffenen Wähler an ihrem Recht auf Ausübung ihres aktiven Wahlrechts zu schädigen, ihre Befugnis, im Namen der Gemeinde L***** als deren Organe in Vollziehung der Gesetze Amtsgeschäfte vorzunehmen, nämlich Wahlkarten für Wahlberechtigte auszustellen und auszufolgen, wissentlich missbraucht, und zwar
1./ ***** N***** als „Leiter der Gemeindewahlbehörde“ (richtig: Bürgermeister), indem er ***** S*****, die für die Ausstellung von Wahlkarten zuständig gewesen sei, angewiesen habe, Wahlkarten für 32 Bewohner des Senioren- und Pflegewohnhauses L***** ohne Vorliegen eines (zu ergänzen: gemäß § 39 Abs 1 GWO erforderlichen) Antrags auszustellen und an die Leiterin des Senioren- und Pflegewohnhauses zu übergeben;
2./ ***** S***** indem sie die zu 1./ genannten Wahlkarten ausgestellt und an die Leiterin des Senioren- und Pflegewohnhauses übergeben habe.
Rechtliche Beurteilung
[2] Die dagegen aus § 281 Abs 1 Z 5 und 9 lit a StPO ergriffene Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft ist nicht im Recht.
[3] Das Erstgericht ging – soweit hier von Relevanz – von folgendem Sachverhalt aus (US 4 f):
[4] Im Vorfeld der Gemeinderatswahl besprach N***** anlässlich eines Besuchs des Senioren- und Pflegewohnhauses mit dessen Leiterin die – aus seiner Sicht – umständliche Einrichtung einer „fliegenden Wahlkommission“ und die aus Mobilitätsgründen bestehenden Schwierigkeiten einer persönlichen Wahl für den Großteil der Bewohner. Zu diesem Zeitpunkt lagen bereits einige Anträge auf Ausstellung von Wahlkarten vor.
[5] Unmittelbar nach diesem Gespräch wies N***** S***** an, 32 Wahlkarten für die Bewohner des Senioren- und Pflegewohnhauses auszustellen und diese noch am selben Tag zu übergeben. Die dafür erforderlichen Anträge lagen den Angeklagten nicht vor. Die Angeklagten übergaben die Wahlkarten der Leiterin des Senioren‑ und Pflegewohnhauses zusammen mit einer Sammelantragsliste und den auf die Wahlberechtigten lautenden Übernahmebestätigungen. S***** wies darauf hin, dass sie Anträge auf Ausstellung der Wahlkarten benötige; sie ging davon aus, dass die vollständig ausgefüllten Wahlkartenanträge zeitnah im Bürgerservice der Gemeinde abgegeben werden.
[6] In weiterer Folge suchte die Leiterin des Senioren‑ und Pflegewohnhauses die Bewohner auf, von denen elf die Entgegennahme einer Wahlkarte verweigerten, worauf sie von der Sammelantragsliste gestrichen wurden.
[7] Einen auf die Schädigung des aktiven Wahlrechts der Wähler oder des Rechts der Wählergruppen auf „ordnungsgemäße Durchführung allgemeiner Wahlen zum Gemeinderat“ konnten die Tatrichter ebenso wenig feststellen wie eine von den Angeklagten intendierte Vereitelung des Schutzzwecks der verletzten Vorschriften. Zudem verneinten sie in Bezug auf den Befugnismissbrauch die Wissentlichkeit (US 6 und US 17 f).
[8] Indem die Beschwerde die Negativfeststellung zum Schädigungsvorsatz betreffend das aktive Wahlrecht der Wahlberechtigten als undeutlich kritisiert (nominell Z 5 erster Fall), dazu aber begründend ausführt, das Vertrauen auf eine alsbaldige Sanierung der missbräuchlich geschaffenen Situation schließe den Schädigungsvorsatz nicht aus, zieht sie lediglich eigene Schlussfolgerungen aus der Verantwortung der Angeklagten. Somit bekämpft sie nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren nicht vorgesehenen Schuldberufung die tatrichterliche Beweiswürdigung (§ 283 Abs 1 StPO; RIS‑Justiz RS0114524).
[9] Die Tatrichter stützten die Feststellung, wonach der Vorsatz der Angeklagten die Schädigung der Wahlberechtigten an ihrem aktiven Wahlrecht nicht umfasste, auf die als glaubwürdig erachtete Verantwortung der Angeklagten. Demnach hätten beide darauf vertraut, dass die Heimbewohner die erforderlichen Anträge rechtzeitig stellen werden (US 11, 15 und 17), und habe N***** den Wahlberechtigten zur Wahrung deren Interessen den Erhalt von Wahlkarten erleichtern wollen (US 11). Nach den daraus gezogenen Schlussfolgerungen der Tatrichter gingen die Angeklagten davon aus, dass nur jene Bewohner „den gesetzlichen Bestimmungen entsprechend“ mit Wahlkarte wählen werden, die dazu ihr Einverständnis erklärten, weshalb sich ihr Vorsatz nicht auf die Schädigung des aktiven Wahlrechts bezog (US 18). Dass diese Erwägungen gegen die Kriterien folgerichtigen Denkens oder grundlegende Erfahrungssätze verstoßen (vgl RIS‑Justiz RS0118317), vermag die Mängelrüge (Z 5 vierter Fall) nicht aufzuzeigen.
[10] Das in diesem Zusammenhang von der Beschwerde angesprochene Recht der Wählergruppen auf ordnungsgemäße Durchführung allgemeiner Wahlen zum Gemeinderat reicht – vom Erstgericht richtig erkannt (US 17) – als Bezugspunkt des Schädigungsvorsatzes nach ständiger Rechtsprechung nicht aus, weil es sich (zirkulär) im Anspruch auf Einhaltung jener Vorschriften erschöpft, deren Verletzung vom Tatbestandsmerkmal des Befugnismissbrauchs erfasst ist (RIS‑Justiz RS0096270 [T10, T12, T14, T16, T18] und im gegebenen Zusammenhang 14 Os 73/18v). Die – dennoch getroffene – diesbezügliche Negativfeststellung (US 6) ist demnach nicht entscheidend und solcherart kein Gegenstand der Mängelrüge (RIS‑Justiz RS0117499).
[11] Die – demgegenüber relevanten – Negativfeststellungen zu einem auf Vereitelung des (hier) im Ausschluss der Missbrauchs‑ und Manipulationsgefahr gelegenen Schutzzwecks der verletzten Vorschriften (vgl VfGH W I 3/2015, va Punkt 2.7.1., VfSlg 20.019) und auf Schädigung der Wählergruppen an ihrem darauf bezogenen (aus § 67 Abs 2 zweiter Satz VfGG ableitbaren [vgl Nordmeyer in WK 2 StGB § 302 Rz 152 ff]) subjektiven Recht (US 17) gerichteten Vorsatz der Angeklagten, die die Tatrichter im Übrigen mängelfrei auf deren Verantwortung stützten (US 11 und 17 f), werden von der Beschwerde nicht deutlich und bestimmt beanstandet.
[12] Da somit bereits die Bekämpfung der – einem Schuldspruch entgegenstehenden – Negativfeststellung zur entscheidenden Tatsache des Schädigungsvorsatzes scheitert, erübrigt sich eine Erörterung des weiteren Beschwerdevorbringens (Z 5) zur Wissentlichkeit des Befugnismissbrauchs sowie des Vorbringens der Rechtsrüge (Z 9 lit a).
[13] Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – bereits bei der nichtöffentlichen Beratung gemäß § 285d Abs 1 StPO sofort zurückzuweisen.
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