OGH 14Os129/10t

OGH14Os129/10t25.1.2011

Der Oberste Gerichtshof hat am 25. Jänner 2011 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Philipp als Vorsitzenden, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Lässig, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger und Mag. Marek sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Bergmann als Schriftführerin in der Strafsache gegen Wolfgang M***** wegen des Verbrechens der Unzucht mit Unmündigen nach § 207 Abs 1 und Abs 2 StGB aF und anderer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts Leoben als Schöffengericht vom 15. März 2010, GZ 12 Hv 147/09t-33, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit der Vertreterin der Generalprokuratur, Generalanwältin Dr. Geymayer, des Angeklagten Wolfgang M***** und seiner Verteidigerin Dr. Pfeifer sowie der Privatbeteiligtenvertreterin Mag. Oberschlick zu Recht erkannt:

 

Spruch:

In Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, im Freispruch von der Anklage, Straftaten zum Nachteil der Heike R***** (nun Mag. A*****) begangen zu haben (A), sowie in der Verweisung dieser Privatbeteiligten auf den Zivilrechtsweg aufgehoben und im Umfang der Aufhebung in der Sache selbst erkannt:

Wolfgang M***** ist schuldig, er hat

(1) vom Jahr 1986 bis Anfang März 1991 in R***** und F***** in jeweils wiederholten Angriffen die am 22. September 1980 geborene, sohin damals unmündige Heike R***** auf andere Weise als durch Beischlaf zur Unzucht missbraucht, indem er

a) ihre Scheide mit seinen Fingern rieb und ihre Hand an seinen Penis legte, diese festhielt und mit ihr kreisende Bewegungen ausführte, sowie

b) einen Finger in ihre Scheide einführte, wobei

c) die zu 1/a und 1/b beschriebenen Taten eine schwere Körperverletzung der Heike R*****, nämlich eine schwere posttraumatische Belastungsstörung mit wiederholten Suizid-Versuchen und andauernder latenter Suizid-Gefährdung, zur Folge hatten, weiters

(2) durch das zu 1/a beschriebene Erfassen der Hand und Ausführen kreisender Bewegungen an seinem Penis Heike R***** außer den Fällen des § 201 StGB mit Gewalt zur Vornahme einer geschlechtlichen Handlung genötigt und

(3) durch die zu 1 und 2 beschriebenen Taten eine minderjährige Person, die seiner Aufsicht unterstand, unter Ausnützung seiner Stellung gegenüber dieser Person zur Unzucht missbraucht, hiedurch zu

1/a und 1/b jeweils mehrere Verbrechen der Unzucht mit Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB idF vor BGBl I 1998/153,

1/c das Verbrechen der Unzucht mit Unmündigen nach § 207 Abs 1 und Abs 2 erster Fall StGB idF vor BGBl I 1998/153,

(2) mehrere Vergehen der Nötigung zur Unzucht nach § 204 Abs 1 StGB idF vor BGBl 1989/242 und der geschlechtlichen Nötigung nach § 202 Abs 1 StGB idF vor BGBl I 2004/15 sowie

(3) mehrere Vergehen des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs 1 StGB idF vor BGBl I 2004/15

begangen und wird hiefür unter Anwendung des § 28 Abs 1 StGB nach dem ersten Strafsatz des § 207 Abs 2 StGB idF vor BGBl I 1998/153 zu einer

Freiheitsstrafe von 2 (zwei) Jahren

verurteilt.

Gemäß § 43a Abs 3 StGB wird ein Strafteil von sechzehn Monaten unter Bestimmung einer dreijährigen Probezeit bedingt nachgesehen.

Gemäß § 369 Abs 1 StPO ist Wolfgang M***** schuldig, der Privatbeteiligten Mag. Heike A***** einen Teilschmerzengeldbetrag von 10.000 Euro zu zahlen.

Darüber hinaus wird festgestellt, dass Wolfgang M***** für allfällige aus den dem Schuldspruch unterliegenden Taten resultierende Schäden haftet.

Mit ihren darüber hinausgehenden Ansprüchen wird Mag. Heike A***** gemäß § 366 Abs 2 StPO auf den Zivilrechtsweg verwiesen.

Gemäß §§ 389 Abs 1 und 2, 390a Abs 1 StPO fallen dem Angeklagten die den Schuldspruch betreffenden Kosten des Strafverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Wolfgang M***** - soweit im Verfahren über die Nichtigkeitsbeschwerde von Bedeutung - von der Anklage (ON 25) freigesprochen, er habe

(A) vom Jahr 1986 bis Anfang März 1991 in R***** und F***** hinsichtlich der am 22. September 1980 geborenen Heike R*****

1) in jeweils wiederholten Angriffen außer dem Fall des § 206 StGB an dieser geschlechtliche Handlungen vorgenommen und von ihr an sich vornehmen lassen, indem er ihre Scheide mit seinen Fingern rieb und ihre Hand erfasste, diese an seinen Penis legte und unter gleichzeitigem Festhalten kreisende Bewegungen ausführte, wobei die Taten eine schwere Körperverletzung der Heike R*****, nämlich eine schwere posttraumatische Belastungsstörung mit wiederholten Suizid-Versuchen und andauernder latenter Suizid-Gefährdung, zur Folge hatten,

2) in zahlreichen Angriffen diese auf andere Weise als durch Beischlaf zur Unzucht missbraucht, indem er einen Finger in ihre Scheide einführte,

3) außer den Fällen des § 201 StGB diese mit Gewalt zur Vornahme geschlechtlicher Handlungen genötigt, indem er ihre Hand an seinen Penis führte und mit dieser, während er sie festhielt, kreisende Bewegungen ausführte, sowie

4) durch die zu 1 bis 3 beschriebenen Taten mit einer minderjährigen Person, die seiner Aufsicht unterstand, unter Ausnützung seiner Stellung gegenüber dieser Person geschlechtliche Handlungen vorgenommen und von ihr an sich vornehmen lassen.

Rechtliche Beurteilung

Die dagegen aus Z 9 lit a des § 281 Abs 1 StPO erhobene Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft ist im Recht.

Das Erstgericht traf zur Sache folgende Feststellungen:

Heike R***** wuchs bei ihren Eltern in R***** auf, verbrachte aber bereits ab ihrer frühesten Kindheit, konkret in etwa ab ihrem ersten Lebensjahr, regelmäßig Zeit bei ihren Großeltern in R*****, übernachtete auch bei diesen und absolvierte die entsprechenden Besuche in etwa ab ihrem fünften Lebensjahr auch alleine. Ab einem heute nicht mehr näher feststellbaren Zeitpunkt im Jahr 1986 begann der Angeklagte sich an Heike R*****, die zu den entsprechenden Tatzeitpunkten jeweils seiner Aufsicht unterstand, sexuell zu vergehen. Er nützte dabei für seine Tathandlungen jegliche, sich ihm bietende, Gelegenheiten - etwa wenn seine Frau, respektive die Großmutter von Heike R*****, die Küche verließ - aus. So setzte er etwa das Kind auf die in der Küche befindliche Eckbank, kniete sich vor sie hin und gab ihr einen Zungenkuss. In weiterer Folge setzte er sie wieder auf, zog Heike R***** ihre Hose, die Strumpfhose und auch die Unterhose bis zu den Knien hinunter und rieb mit seiner Hand an ihrer Vagina. Weiters schlief Heike R***** regelmäßig gemeinsam mit dem Angeklagten und ihrer Großmutter in deren Bett, wobei der Angeklagte in diesen Fällen Heike R***** das Nachthemd hochzog, ihre Unterhose hinunterzog und wiederum mit seiner Hand an ihrer Scheide rieb. Teilweise führte er auch ihre Hand zu seinem Penis, hielt sie dort fest und führte kreisrunde Bewegungen mit ihrer Hand auf seinem Glied aus. Dieselben Tathandlungen beging der Angeklagte auch anlässlich von Besuchen im Haus von Verwandten der Maria M***** in F*****.

Im Zeitraum von 1986 bis ca Anfang März 1991, dh bis wenige Tage vor dem 14. März 1991, ereigneten sich im Zuge der Besuche von Heike R***** derartige Übergriffe des Angeklagten regelmäßig 1-2 Mal wöchentlich, wobei es so weit ging, dass der Angeklagte teilweise auch seinen Finger bis zum ersten Fingergelenk in die Scheide von Heike R***** einführte. Derartige, vom Modus der Tatbegehung her gleichgelagerte, Übergriffe des Angeklagten ereigneten sich aber nicht nur in der großelterlichen Küche bzw Wohnung, sondern mitunter auch im Zuge gemeinsamer Fahrten des Angeklagten mit Heike R***** und ihrer Großmutter zu deren Garten in R*****, wobei der Angeklagte bereits während der Autofahrt dorthin begann Heike R***** zwischen ihre Beine zu greifen und ihre Scheide über der Hose zu reiben. Im Garten selbst beging der Angeklagte sodann Tathandlungen nach der Art wie sie oben bereits für den Bereich der Wohnung dargestellt wurden. Im Anschluss an seine Übergriffe erhielt Heike R***** vom Angeklagten zur Belohnung auch Süßigkeiten.

Zu sämtlichen Tatzeitpunkten war dem Angeklagten als Stiefgroßvater naturgemäß auch das Alter von Heike R***** bekannt, was im Übrigen auch für seine andere Stiefenkeltochter, Karin A*****, gilt. Der Angeklagte beging die Tathandlungen darüber hinaus auch unter Ausnützung seiner Autorität und Stellung als Stiefgroßvater, indem er sie etwa entsprechend hinsetzte bzw ihr Anordnungen, wie zB zu ihm ins Bett zu kommen, erteilte, zu Heike R***** sagte, dass sie ihrer Großmutter nichts von den Übergriffen erzählen dürfe, weil sie ihre Großmutter sonst nicht wiedersehen dürfe, wodurch er nicht nur bisherige Tathandlungen verdeckte, sondern auch erreichte, weitere Tathandlungen setzen zu können. Auch vermittelte er ihr den Eindruck, dass derartige Vorfälle normal seien, um in derselben Weise weitermachen zu können.

Am 14. März 1991 wurde Heike R***** von ihrer Mutter gefragt, ob es seitens des Angeklagten zu sexuellen Übergriffen gekommen sei, was sie bejahte. Weil der Angeklagte nachfolgend von der Familie mit diesem Vorwurf konfrontiert wurde, kam es zu keinen weiteren Tathandlungen gegenüber Heike R*****.

Dem Angeklagten war somit sowohl betreffend Heike R*****, als auch Karin A***** im Zeitpunkt der jeweiligen Tathandlungen bewusst, dass er sexuelle, mithin geschlechtliche Handlungen an unmündigen Kindern vornahm, was er zumindest billigend in Kauf nahm; ebenso, dass derartige Tathandlungen mitunter jahre- und jahrzehntelang andauernde, massive psychische Traumatisierungen der Opfer zur Folge haben können.

Die Tathandlungen hatten bei Mag. Heike R***** eine schwere, posttraumatische Belastungsstörung mit wiederholten Suizidversuchen und andauernder, latenter Suizidgefährdung zur Folge, wobei konkret das Vollbild einer Depression gepaart mit latenter Suizidgefahr vorliegt. Nach wie vor bestehen Schlafstörungen und kommt es auch regelmäßig zu für Heike R***** äußerst belastenden Albträumen. Darüber hinaus bestehen auch Ein- und Durchschlafstörungen. Insgesamt liegt somit in psychiatrischer Hinsicht eine anhaltende psychische Erkrankung vor, welche sich insbesondere durch das wiederholte Erleben der Vorfälle, durch sich aufdrängende Erinnerungen („Flash-backs“), in Albträumen und Panikattacken manifestiert. Weil das gesamte Zustandsbild mit unausweichlichen Erinnerungen, Albträumen, Versagensängsten, Panikattacken und sexuellen Veränderungen schon seit nahezu zwei Jahrzehnten anhält, ist von einer chronifizierten Form auszugehen, die auch als andauernde Persönlichkeitsänderung nach Extrembelastung (F62.0) klassifiziert wird.

Den diesbezüglichen Freispruch gründete das Erstgericht auf die Annahme, es sei Verjährung der Strafbarkeit eingetreten, wobei es Folgendes festhielt:

Obgleich der Angeklagte somit insgesamt tatbestandsmäßig im Sinne der Anklageschrift gehandelt hat, ist eine Strafbarkeit im Sinne der zitierten Bestimmungen nicht (mehr) gegeben: Ausgehend von der 10-jährigen allgemeinen Verjährungsfrist (§ 57 Abs 3 StGB) des § 207 Abs 3 StGB idF BGBl I 1998/153 wäre zunächst bezüglich der Tathandlungen zum Nachteil von Heike R***** Anfang März 2001 Verjährung eingetreten.

Nach dem mit StRÄG 1998 novellierten, auf im Zeitpunkt des Inkrafttretens noch nicht verjährte Tathandlungen auch rückwirkend anzuwendenden, § 58 Abs 3 Z 3 StGB, wonach bei strafbaren Handlungen nach den §§ 201 ff leg cit die Zeit bis zum Erreichen der Volljährigkeit des Verletzten in die Verjährungsfrist nicht einzurechnen ist, trat die Verjährung der Tathandlungen zum Nachteil der am 22. September 1980 geborenen Heike R***** ab dem 22. September 2008 ein.

Grundsätzlich tritt allerdings, für den Fall, dass der Täter während der Verjährungsfrist neuerlich eine mit Strafe bedrohte Handlung begeht, die auf der gleichen schädlichen Neigung beruht, nach § 58 Abs 2 StGB die Verjährung nicht ein, bevor auch für diese Tat die Verjährungsfrist abgelaufen ist. Auch unter Berücksichtigung der (nach § 207 Abs 1 StGB idgF bzw idF BGBl 1974/60) mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren zu ahndenden Tathandlungen des Angeklagten zum Nachteil der am 18. Juni 1984 geborenen Karin A*****, welche - angesichts einer Verjährungsfrist von fünf Jahren (§ 57 Abs 3) sowie unter Anwendung des § 58 Abs 3 Z 3 StGB idF BGBl I 1998/153 - mit 18. Juni 2007 verjährten, trat somit - unbeschadet der zeitlich später erfolgten Tathandlungen zum Nachteil von Karin A*****, ab dem 22. September 2008 Verjährung hinsichtlich sämtlicher Tathandlungen ein (vgl E. Fuchs in WK² § 58 Rz 6), zumal der Angeklagte erstmalig am 5. Dezember 2008 als Beschuldigter vernommen wurde.

Nach amtswegiger Prüfung überzeugte sich der Oberste Gerichtshof, dass dem Ersturteil kein Begründungsmangel im Sinn der Z 5 und 5a des § 281 Abs 1 StPO anhaftet, womit die dort festgestellten Tatsachen dem Erkenntnis zu Grunde gelegt werden konnten (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 415).

Vorweg ist festzuhalten, dass die Frage der Verjährung nach ständiger Judikatur grundsätzlich nach dem im Entscheidungszeitpunkt geltenden Recht zu beurteilen ist, es sei denn, die Verjährung der Strafbarkeit wäre nach dem zur Tatzeit geltenden Recht innerhalb dessen Geltungsdauer bereits eingetreten (RIS-Justiz RS0116876; zuletzt 13 Os 14/08w, AnwBl 2009, 154). Dies folgt aus der Rechtsnatur der Verjährung, die nach hM einen Strafaufhebungsgrund darstellt (E. Fuchs in WK² Vorbem zu §§ 57 bis 60 Rz 1 bis 3), was bedeutet, dass die zunächst gegebene Strafbarkeit einer Tat zu einem darauf folgenden Zeitpunkt (durch Fristablauf) beseitigt wird. Demgemäß sind die Verjährungsbestimmungen - als potentiell den Entfall der Strafbarkeit bewirkende Normen (vgl 13 Os 25/03) - zwar prinzipiell in den Günstigkeitsvergleich (§§ 1, 61 StGB) einzubeziehen, vermögen die zu prüfende Rechtslage aber nur dann zu Gunsten des Täters zu beeinflussen, wenn das die Strafaufhebung (erst) aktualisierende Fristende auf einen Zeitpunkt fällt, zu dem die jeweilige Verjährungsnorm noch in Geltung ist.

Fallbezogen bedarf es insoweit keiner Prüfung hinsichtlich der Verjährungsfrist; diese beträgt - bei einer hier aktuellen Strafdrohung von einem bis zu zehn Jahren Freiheitsstrafe (erster Strafsatz des § 207 Abs 2 StGB idF vor BGBl I 1998/153) - sowohl nach geltendem Recht als auch nach der zur Tatzeit bestehenden Rechtslage zehn Jahre (§ 57 Abs 3 StGB).

§ 58 Abs 3 Z 3 StGB sagt in der geltenden Fassung, dass die Zeit bis zur Erreichung des 28. Lebensjahrs des Opfers einer strafbaren Handlung (ua) gegen die sexuelle Integrität und Selbstbestimmung in die Verjährungsfrist nicht eingerechnet wird, wenn das Opfer - wie hier - zur Zeit der Tatbegehung minderjährig war. Damit wird eine sogenannte Anlaufhemmung normiert, was bedeutet, dass die Fristen des § 57 Abs 3 StGB bis zum genannten Zeitpunkt nicht zu laufen beginnen (E. Fuchs in WK² § 58 Rz 3). Eine solche Regelung enthielt § 58 StGB idF vor BGBl I 1998/153 nicht, sodass nach damaliger Rechtslage grundsätzlich Anfang März 2001 die Verjährung der Strafbarkeit eingetreten wäre. Allerdings wurde durch Art I Z 1 des StRÄG 1998 BGBl I 1998/153 in § 58 Abs 3 StGB die Z 3 angefügt, wonach die Zeit bis zur Erreichung der Volljährigkeit des Verletzten einer strafbaren Handlung nach den §§ 201, 202, 205, 206, 207, 212 oder 213 StGB nicht in die Verjährungsfrist eingerechnet werden. Nach Art V Abs 1 StRÄG 1998 trat dieses Gesetz mit 1. Oktober 1998 in Kraft, wobei § 58 Abs 3 Z 3 StGB in der dadurch geänderten Fassung auch auf vor dem Inkrafttreten begangene Taten anzuwenden war, sofern die Strafbarkeit - wie hier - zu diesem Zeitpunkt nicht bereits erloschen war (Art V Abs 3 StRÄG 1998).

In diesem Zusammenhang zeigt die Beschwerdeführerin zutreffend auf, dass das Erstgericht zu Unrecht vom Eintritt der Volljährigkeit der Heike R***** mit Vollendung deren 18. Lebensjahres (22. September 1998) ausging. Zum damaligen Zeitpunkt bestimmte § 21 Abs 2 ABGB nämlich, dass Minderjährige Personen sind, die das 19. Lebensjahr noch nicht vollendet haben. Die Änderung dieser Bestimmung im Sinn des Eintritts der Volljährigkeit mit Vollendung des 18. Lebensjahres erfolgte durch Art I Z 1 des KindRÄG 2001 BGBl I 2000/135, das - soweit hier von Interesse - ebenso wie die korrespondierende Neufassung der Begriffsbestimmung des § 74 Abs 1 Z 3 StGB erst mit 1. Juli 2001 in Kraft trat (Art XVIII § 1 Abs 1 KindRÄG 2001, Art IV Abs 1 BGBl I 2001/19). Da § 58 Abs 3 Z 3 StGB auf einen konkreten Lebenssachverhalt, nämlich die Minderjährigkeit des Opfers abstellt und Rechtsänderungen auf bereits verwirklichte Sachverhalte - sofern das Gesetz (wie hier) nicht ausdrücklich Gegenteiliges bestimmt - nicht zurückwirken, bleibt die vor dem 1. Juli 2001 gegebene Minderjährigkeit der Heike R***** von der Gesetzesänderung unberührt, womit deren Volljährigkeit mit Vollendung des 19. Lebensjahres, also am 22. September 1999 eintrat (E. Fuchs in WK² § 58 Rz 32; 11 Os 35/05i; vgl auch RIS-Justiz RS0086020, RS0086063 und RS0102337). Demzufolge endete die Verjährungsfrist prinzipiell zehn Jahre nach diesem Zeitpunkt, also am 22. September 2009. Da aber der Angeklagte erstmals bereits am 5. Dezember 2008 als Beschuldigter vernommen wurde (US 13; ON 2 S 71), war ab diesem Zeitpunkt bis zur rechtskräftigen Beendigung des Verfahrens der Ablauf der Verjährungsfrist gehemmt (§ 58 Abs 3 Z 2 StGB). Demnach ist - wie auch die Generalprokuratur zutreffend ausführt - die Strafbarkeit nicht (durch Verjährung) erloschen.

Diesen Überlegungen folgend ist auch hinsichtlich der vom Herbst 1990 bis zum März 1991 zum Nachteil der Karin A***** gesetzten sexuellen Handlungen (US 3) Verjährung der Strafbarkeit nicht eingetreten (§ 58 Abs 2 StGB). Dies wird aber von der Beschwerde nicht aufgegriffen.

Zumal das Erstgericht - wie dargelegt - sowohl zur objektiven und zur subjektiven Tatseite (US 5 bis 7, 8 ff) als auch zur Beurteilung der Verjährungsfrage (US 12 f) alle erforderlichen Feststellungen traf, konnte eine Entscheidung des Obersten Gerichtshofs in der Sache selbst eintreten (§ 288 Abs 2 Z 3 StPO).

Beim dabei anzustellenden Günstigkeitsvergleich (§§ 1, 61 StGB) war von folgender Rechtslage auszugehen:

Das Reiben an der Scheide des Opfers sowie das Veranlassen des Opfers, den Penis des Täters zu berühren (1/a), sind nach geltendem Recht „geschlechtliche Handlungen“ (Philipp in WK² § 202 Rz 9 bis 14) und waren nach Tatzeit-Recht dem Begriff der Unzucht (Leukauf/Steininger, StGB³ § 207 Rz 4) sowie dem - schon damals teils synonym verwendeten - der „geschlechtlichen Handlung“ (Leukauf/Steininger, StGB³ § 202 Rz 5) zu unterstellen. Beide Arten von Tathandlungen sind daher nach den in Rede stehenden Gesetzesfassungen jeweils § 207 Abs 1 StGB zu subsumieren, wobei auch die Strafsätze (jeweils sechs Monate bis fünf Jahre Freiheitsstrafe) nicht differieren.

Das Einführen eines Fingers in die Scheide (1/b) ist derzeit als dem Beischlaf gleichzusetzende geschlechtliche Handlung § 206 Abs 1 StGB zu unterstellen (Philipp in WK² § 201 Rz 25), wogegen diese Tathandlung in der StGB-Fassung vor BGBl I 1998/153 ebenfalls § 207 Abs 1 StGB unterfiel.

Für die Erfolgsqualifikation der schweren Körperverletzung (1/c) sieht § 207 Abs 3 StGB in der geltenden Fassung einen Strafsatz von fünf bis zu fünfzehn Jahren Freiheitsstrafe vor, § 207 Abs 2 StGB idF vor BGBl I 1998/153 hingegen nur einen solchen von einem bis zu zehn Jahren Freiheitsstrafe.

Die geschlechtliche Nötigung (2) ist nach geltender Rechtslage mit einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren bedroht (§ 202 Abs 1 StGB), wogegen die vor BGBl 1989/242 (§ 204 Abs 1 StGB - Nötigung zur Unzucht) und vor BGBl I 2004/15 (§ 202 Abs 1 StGB) geltenden Gesetzesfassungen nur einen Strafsatz von bis zu drei Jahren Freiheitsstrafe enthielten.

In Bezug auf das idealkonkurrierend verwirklichte Vergehen des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses (§ 212 Abs 1 StGB) ist das Tatzeitrecht für den Angeklagten nicht günstiger als die geltende Gesetzeslage (3).

Anknüpfungspunkt des nach dem zweiten Satz des § 61 StGB vorzunehmenden Günstigkeitsvergleichs ist die Tat, also der im Urteil festgestellte Lebenssachverhalt (Ratz in WK² Vorbem zu §§ 28 bis 31 Rz 1). Dabei wird die Anordnung, zu prüfen, ob die Gesetze, die im Tatzeitpunkt gegolten haben, für den Täter „in ihrer Gesamtauswirkung“ nicht günstiger waren als die jeweils aktuellen, einhellig dahin verstanden, dass eine Kombination aus den in Rede stehenden Rechtsschichten unzulässig ist (Höpfel/U. Kathrein in WK² § 61 Rz 6, Triffterer SbgK § 61 Rz 23, jeweils mwN; vgl auch ErläutRV 30 BlgNR 13. GP 172). Dies hat zur Folge, dass auch im Fall der Idealkonkurrenz eine solche Kombination nicht möglich ist, somit der zu beurteilende Lebenssachverhalt - nach Maßgabe des § 61 zweiter Satz StGB - entweder dem Urteilszeit- oder dem Tatzeitrecht zu unterstellen ist (EvBl 1976/45; Fabrizy, StGB10 § 61 Rz 2).

Fallbezogen führt der Günstigkeitsvergleich zu den Punkten 1/b und 1/c ohne weitere Überlegungen zur Anwendung des Tatzeitrechts.

Zu 1/a des Schuldspruchs wäre bei isolierter Betrachtung von der geltenden Rechtslage auszugehen. Berücksichtigt man aber die dabei idealkonkurrierend verwirklichten Tatbestände (2), ist bei den diesbezüglichen Taten ebenfalls das zur Zeit deren Begehung geltende Recht anzuwenden, wobei auch auf die mit BGBl 1989/242 per 1. Juli 1989 geänderte Gesetzesfassung Bedacht zu nehmen war.

Demzufolge sind auch die durch sämtliche Taten idealkonkurrierend verwirklichten Vergehen des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses (3) dem zu den Tatzeiten in Geltung stehenden Tatbestand zu subsumieren.

Bei der Strafzumessung waren die Umstände, dass der Angeklagte mehrere strafbare Handlungen derselben und verschiedener Art begangen und diese über einen Zeitraum von rund fünf Jahren fortgesetzt hat (§ 33 Z 1 StGB), erschwerend, der bis dahin ordentliche Lebenswandel (§ 34 Abs 1 Z 2 StGB), die geständige Verantwortung (§ 34 Abs 1 Z 17 StGB) und der Umstand, dass er die Taten schon vor längerer Zeit begangen und sich seither wohlverhalten hat (§ 34 Abs 1 Z 18 StGB), mildernd.

Wenngleich der Angeklagte in der Hauptverhandlung (ON 32 S 4 bis 6) und am Gerichtstag vor dem Obersten Gerichtshof Reue zeigte, wird sein Geständnis dadurch relativiert, dass er die gegen ihn erhobenen Vorwürfe zunächst großteils abstritt (ON 2 S 75 f) und erst unter dem Eindruck der gegen ihn sprechenden Beweislage umfassend zugestand.

Demgegenüber wirkt der Grund des § 33 Z 1 StGB besonders schwer, weil er in beiden Varianten verwirklicht worden ist.

Ausgehend von diesen Strafbemessungsgründen erweist sich unter Bedachtnahme auf die sich in der über einen Zeitraum von rund fünf Jahren reichenden, repetitiven Kriminalität manifestierende gegenüber rechtlich geschützten Werten gleichgültige Einstellung des Angeklagten (§ 32 Abs 2 zweiter Satz StGB) und die erheblichen Auswirkungen der Taten auf die Psyche des Opfers (§ 32 Abs 3 StGB) bei einer Strafdrohung von einem bis zu zehn Jahren Freiheitsstrafe (zweiter Strafsatz des § 207 Abs 2 StGB idF vor BGBl I 1998/153) eine solche in der Dauer von zwei Jahren als schuld- und tatangemessen.

Mit Blick auf das langjährige Wohlverhalten des Angeklagten nach den Taten konnte ein sechzehnmonatiger Teil dieser Strafe unter Bestimmung einer dreijährigen Probezeit bedingt nachgesehen werden (§ 43a Abs 3 StGB).

Die gänzliche bedingte Strafnachsicht (§ 43 Abs 1 StGB) und die Umwandlung des unbedingten Teils der Freiheitsstrafe in eine Geldstrafe (§ 43a Abs 2 StGB) verbieten sich im Hinblick auf die über etwa fünf Jahre reichenden, massiven Eingriffe in die sexuelle Integrität eines zu Beginn des Tatzeitraums erst sechsjährigen Mädchens aus generalpräventiven Gründen.

Zum Adhäsionserkenntnis ist vorweg festzuhalten, dass dieses definitionsgemäß einen zivilrechtlichen Anspruch zum Inhalt hat (§ 366 StPO), womit das Verbot der reformatio in peius - trotz (nicht mit Berufung anfechtbarer [§ 366 Abs 3 StPO]) Verweisung auf den Zivilrechtsweg gemäß § 366 Abs 1 StPO durch das Erstgericht - einem Zuspruch an die Privatbeteiligte durch den Obersten Gerichtshof nicht entgegensteht.

Nach dem im Gerichtstag vorgetragenen (ON 7 S 55 der Os-Akten) Gutachten des Sachverständigen Univ.-Prof. Dr. W***** (ON 15 der Hv-Akten) hatten die Tathandlungen eine schwere posttraumatische Belastungsstörung zur Folge, deren Symptome auch im Zeitpunkt der Gutachtenserstellung (3. Juli 2009) noch anhielten. Ausgehend von der zivilrechtlichen Judikatur zur Höhe des Schmerzengeldes (Hartl, Schmerzengeldsätze in Österreich, RZ 2010, 65; Danzl in KBB, § 1325 Rz 30) konnte demnach ein Teilschmerzengeldbetrag von 10.000 Euro ohne weitere Erhebungen zugesprochen werden.

Zudem kam auch dem Feststellungsbegehren Berechtigung zu (§ 69 Abs 1 erster Satz StPO; Spenling, WK-StPO § 371 Rz 1a).

Die Entscheidungsgrundlagen für die Beurteilung der darüber hinausgehenden Ansprüche der Privatbeteiligten konnten ohne erheblich verzögernde Beweisaufnahmen nicht ermittelt werden, womit insoweit eine Verweisung auf den Zivilrechtsweg zu erfolgen hatte (§ 366 Abs 2 zweiter Satz StPO).

Der Kostenausspruch beruht auf §§ 389 Abs 1 und 2, 390a Abs 1 StPO.

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