European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0140OS00118.23V.0109.000
Rechtsgebiet: Strafrecht
Spruch:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.
Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.
Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Gründe:
[1] Mit dem angefochtenen, auf dem Wahrspruch der Geschworenen beruhenden Urteil wurde * M* des Verbrechens des Mordes nach §§ 15, 75 StGB schuldig erkannt.
[2] Danach hat er am 19. März 2023 in W* * G* zu töten versucht, indem er dem auf dem Bauch Liegenden mit einem Messer mit einer Klingenlänge von zumindest sieben Zentimetern zunächst einen Stich in den Rücken und nach einer Drehbewegung desselben einen Stich in den rechten Oberschenkel versetzte, wodurch der Genannte eine zwölf Zentimeter breite Stich-Schnittwunde in der mittleren Rückenregion, die mit einem rund sieben Zentimeter in die Tiefe reichenden Stichkanal einherging, sowie eine etwa zwei Zentimeter breite Stichwunde an der Vorderseite des rechten Oberschenkels mit einem etwa zwei Zentimeter tiefen Stichkanal, sohin eine an sich schwere Verletzung, erlitt.
[3] Die Geschworenen haben die anklagekonforme Hauptfrage nach dem Verbrechen des Mordes nach §§ 15, 75 StGB bejaht, weitere Fragen wurden nicht gestellt.
Rechtliche Beurteilung
[4] Die auf § 345 Abs 1 Z 5, 6 und 10a StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten verfehlt ihr Ziel.
[5] Entgegen der Verfahrensrüge (Z 5) wurden durch die Abweisung (ON 45.1, 29) des in der Hauptverhandlung gestellten Antrags des Beschwerdeführers (ON 45.1, 28) auf Vernehmung „der Polizeibeamten, die den erkennungsdienstliche(n) Akt vorgenommen haben, Revlnsp * N* (...) bzw. die Beamten, die die Einvernahme beim Opfer in der Wohnung durchgeführt haben“, sowie des Polizeibeamten * J* Verteidigungsrechte nicht verletzt. Der Antrag wurde zum Beweis gestellt, dass dem Opfer drei Mal verschiedene Lichtbilder vorgelegt worden seien, „jedoch auf jeder Lichtbildbeilage immer nur auch der Angeklagte zu sehen ist und beim letzten Mal nur der Angeklagte gezeigt worden ist“, wodurch die Identifikation des Angeklagten durch das Opfer suggeriert werde, welches den Angeklagten zuerst nicht und dann zwei Personen als mögliche Täter erkannt habe. Der Antrag ließ nämlich nicht erkennen, inwiefern das Beweisthema mit Blick auf die im Antragszeitpunkt bereits vorliegenden Beweisergebnisse, insbesondere das Gutachten über spurenkundliche Untersuchungen sowie die Angaben der Zeugen G* (zum Ablauf der Identifizierung vgl ON 45.1, 16 ff) und des Polizeibeamten * S*, aber auch unter Berücksichtigung der (teils entlastenden) Aussage des Zeugen * Ö*, geeignet sein könnte, die zur Feststellung entscheidender Tatsachen (vor allem der Täterschaft des Angeklagten) anzustellende Beweiswürdigung maßgeblich zu beeinflussen (RIS‑Justiz RS0116987, RS0107445 [T1]).
[6] Die Fragenrüge (Z 6) kritisiert das Unterbleiben der Stellung (richtig [zum Grundsatz der Totalabstimmung vgl RIS‑Justiz RS0102740]:) einer Zusatzfrage nach den Strafausschließungsgründen der Notwehr (§ 3 Abs 1 StGB) und der Putativnotwehr (§ 8 StGB). Sie verweist dabei auf die Aussage des Angeklagten, wonach er plötzlich von hinten Schläge gegen den Kopf, den Körper sowie sein Knie bekommen habe, auf den Boden geworfen worden, unter Schock gestanden sei und Angst um sein Leben gehabt habe, weiters auf eine dokumentierte Knieverletzung beim Angeklagten und die Angaben des Zeugen G*, er habe das Gefühl gehabt, der Angeklagte wolle ihn angreifen, woraufhin er ihm mit seinem Fuß zweimal am linken Oberschenkel getroffen habe.
[7] Die Beschwerde vernachlässigt, dass der Nachweis der geltend gemachten Nichtigkeit nicht bloß auf Grundlage einzelner, nicht im Kontext betrachteter Beweisergebnisse geführt werden kann, sondern die für die vermisste Fragestellung ins Treffen geführten Verfahrensergebnisse in ihrer Gesamtheit – und damit im inneren Sinnzusammenhang – in den Blick zu nehmen sind (RIS‑Justiz RS0120766 [T2, T4, T6]). Nach Maßgabe dieser Prämissen verantwortete sich der Angeklagte dahingehend, dass er nach einer Attacke von mehreren Personen, welche ihm Schläge gegen den Kopf, den Körper und das Knie versetzt hätten, wodurch er eine Schürfwunde am Knie erlitten habe, aus Panik und Angst weggelaufen sei, mit dem gegen das Opfer geführten Angriff hingegen nichts zu tun und in seinem Leben noch nie ein Messer mitgeführt habe (ON 45.1, 3 ff). Der Zeuge G* wiederum gab an, dass der Angeklagte nach den (in der Fragenrüge thematisierten) Fußtritten durch das Opfer „Komm, komm.“ gesagt habe, beide einen Zebrastreifen überquert hätten, dann der Angeklagte „schon ein Messer in der Hand“ gehabt, seine Jacke ausgezogen und gesagt habe, dass er das Opfer „fertig mache“ (ON 45.1, 11). Die Beschwerde zeigt daher keine Verfahrensergebnisse auf, die das Vorliegen einer (auch nur Putativ‑)Notwehrsituation zum Tatzeitpunkt – und damit die begehrte Zusatzfragestellung – nach gesicherter allgemeiner Lebenserfahrung ernsthaft indizieren würden (RIS‑Justiz RS0100860 [T1], RS0132634).
[8] Die weitere Rüge (Z 6) moniert das Unterbleiben der Stellung von Eventualfragen nach jeweils dem Verbrechen der absichtlichen schweren Körperverletzung nach § 87 Abs 1 StGB und der schweren Körperverletzung nach § 84 Abs 4 StGB sowie jeweils dem Vergehen der schweren Körperverletzung nach § 84 Abs 1 StGB und der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 „Abs 4 iVm Abs 1“ StGB. Begründend führt sie betreffend alle Fragen aus, dass nach dem medizinischen Sachverständigengutachten „objektiv nur eine schwere Körperverletzung“ vorliege. In Betreff der reklamierten Eventualfrage nach dem Vergehen der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 „Abs 4 iVm Abs 1“ StGB wird zusätzlich behauptet, aus der „nur“ schweren Verletzung beim Opfer sowie der Verantwortung des Angeklagten, er sei Musik hörend und mit seinem Mobiltelefon beschäftigt auf der Straße gegangen, habe einen Joint geraucht und zwei Jägermeister getrunken, als er plötzlich von mehreren Personen von hinten attackiert worden sei, wobei er aus Panik und Angst weggelaufen sei und sich an nichts erinnern könne, wäre abzuleiten, dass der Angeklagte weder mit Mord- noch mit Körperverletzungsvorsatz gehandelt habe.
[9] Auch Eventualfragen sind nur zu stellen, soweit sie durch erhebliche Verfahrensergebnisse indiziert sind, wenn also in der Hauptverhandlung Tatsachen vorgebracht worden sind, die im Fall der Erweislichkeit dem durch die (korrespondierende) Hauptfrage erfassten Sachverhalt eine andere juristische Gestaltung verleihen. Der Umstand, dass die Tat nicht zum Tod eines Menschen, sondern zu einer schweren Verletzung des Opfers am Körper geführt hat, lässt zwar eine Schlussfolgerung in Richtung eines bloßen Verletzungsvorsatzes denkbar erscheinen, begründet aber für sich allein grundsätzlich kein Indiz für Fragestellungen nachKörperverletzungsdelikten (vgl RIS‑Justiz RS0101087 [T7, T9]). Weshalb daher das von der Rüge bezeichnete Verfahrensergebnis isoliert betrachtet nach gesicherter allgemeiner Lebenserfahrung ein ernst zu nehmendes Indiz für das Vorliegen (bloß) eines Körperverletzungsvorsatzes oder eines (objektiv und subjektiv) sorgfaltswidrigen Verhaltens des Angeklagten iSd § 88 Abs 1 und Abs 4 erster Satz StGB sein soll, ist der Fragenrüge nicht zu entnehmen.
[10] Zum Verweis auf die Verantwortung des Angeklagten bleibt ergänzend anzumerken, dass der Schluss von einem Verfahrensergebnis auf die verlangte Eventualfrage den – hier nicht gegebenen – Kriterien der Logik und Empirie entsprechen muss (RIS‑Justiz RS0133257).
[11] Die Tatsachenrüge (Z 10a) weckt mit dem Hinweis darauf, dass der Zeuge Ö* den Angeklagten nicht als Täter identifizieren konnte (ON 45.1, 24 f), keine erheblichen Bedenken gegen die Richtigkeit der im Wahrspruch der Geschworenen zum Ausdruck kommenden Feststellungen zu entscheidenden Tatsachen (RIS‑Justiz RS0119583 [T5], RS0118780 [insb T16 und T17]). Gleiches gilt für den Verweis einerseits auf Divergenzen in den Aussagen der Zeugen Ö* (ON 4.7, 4) und G* (ON 45.1, 19) zum Aussehen der vom Täter getragenen Schuhe und andererseits auf Lichtbilder zu jenen Schuhen, welche der Angeklagte seinen eigenen Angaben zufolge am Vorfallstag getragen habe (ON 4.14, 1 ff).
[12] Soweit der Vorgang derIdentifikation des Angeklagten als Täter durch das Opfer thematisiert und behauptet wird, Letzteres habe den Angeklagten „unrichtigerweise“ erkannt, weil ihm dessen Lichtbilder „wiederholt auf suggestive Art und Weise“ vorgehalten worden seien, was „sein Entscheidungsverhalten bei der Identifikation unbewusst (…) beeinflusst“ habe, bekämpft die Rüge die Beweiswürdigung der Geschworenen außerhalb der Anfechtungskriterien der Z 10a nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren nicht zulässigen Schuldberufung (RIS‑Justiz RS0100555 [insb T16]).
[13] Ebenso in unzulässiger Form Beweiswürdigungskritik wird mit den Überlegungen geübt, wonach den Schilderungen des Opfers zum Tathergang nicht zu entnehmen sei, wie die Knieverletzung des Angeklagten zustande gekommen sein soll, weshalb nahe liege, dass die Angaben des Opfers nicht, jene des Angeklagten hingegen schon der Wahrheit entsprechen würden. Gleiches gilt für Zweifel an der Aussagekraft des toxikologischen Gutachtens und der Glaubwürdigkeit des Opfers.
[14] Die Aussage des Zeugen * K* über seine Eindrücke zur Verfassung des Angeklagten nach dem Vorfall ist nicht Gegenstand eines Zeugenbeweises (vgl RIS‑Justiz RS0097573) und scheidet daher als Bezugspunkt der Tatsachenrüge aus.
[15] Letzterer sind nur in der Hauptverhandlung vorgekommene Verfahrensergebnisse (§ 258 Abs 1 StPO iVm § 302 Abs 1 StPO), weshalb der auf die Niederschrift der Geschworenen zurückgreifende Einwand, die Geschworenen hätten trotz objektivierter Knieverletzung des Angeklagten in der Niederschrift festgehalten, dass „keine Spuren des 'Angriffs' auf den Täter“ bestünden (ON 45.1.0, 1), versagt (vgl RIS‑Justiz RS0115549).
[16] Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bereits bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1, § 344 StPO), woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufung folgt (§§ 285i, 344 StPO).
[17] Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO).
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