Spruch:
Der Beschwerde wird nicht Folge gegeben.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen Beschluss wurde die Auslieferung der am 25. September 1968 geborenen deutschen Staatsangehörigen Corryna G***** zur Vollstreckung einer mit Beschluss des Amtsgerichtes Artern/BRD vom 5. August 1998, AZ 850 Js 51907/92 6 Ds, nachträglich hinsichtlich näher detaillierter, durchwegs Vermögensdelikte betreffender Entscheidungen erkannten Gesamtstrafe in der Höhe von einem Jahr und fünf Monaten (mit einer Einschränkung betreffend eine Verurteilung zu einer Geldstrafe von 40 Tagessätzen zu je 20 DM) nicht für unzulässig erklärt (vgl EvBl 2002/154 = JBl 2002, 670 mit Anm von Burgstaller, 13 Os 51/03, 13 Os 69/03).
Rechtliche Beurteilung
Wie der Oberste Gerichtshof in seiner Grundsatzentscheidung, AZ 13 Os 51/03, mit eingehender Begründung dargelegt hat, ist gegen einen Beschluss des Gerichtshofs zweiter Instanz, mit dem die Auslieferung nicht für unzulässig erklärt wird, in analoger Anwendung des GRBG eine Grundrechtsbeschwerde an den Obersten Gerichtshof zulässig, welche vorliegend auch rechtzeitig eingebracht wurde. In einer solchen ist anzugeben und zu begründen, worin der Beschwerdeführer die Verletzung eines bestimmt zu bezeichnenden, als Auslieferungshindernis in Betracht kommenden Grundrechts des Betroffenen - vgl § 19 Z 1 ARHG (Art 3 undArt 6 EMRK), § 20 ARHG (Art 1 6. ZPEMRK) und § 22 ARHG (Art 8 EMRK) - erblickt. Soweit die Beschwerdeführerin allerdings einen Verstoß gegen Art 3 des 2. ZPzEUAusliefÜb, BGBl 1983/297, geltend macht, weil in der bekämpften Entscheidung des Oberlandesgerichts Linz nicht angeführt sei, wie ihr der Beschluss des Amtsgerichts Haan.Münden/BRD vom 24. Jänner 2002, AZ 4 AR 11/00, auf Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung zugestellt worden sei, beruft sie sich auf kein Grundrecht und verkennt, dass die erwähnte Bestimmung nur bei Auslieferung einer Person zur Vollstreckung einer Strafe oder vorbeugenden Maßnahme, die gegen sie in einem Abwesenheitsurteil verhängt wurde, anzuwenden ist, nicht aber bei Widerruf einer bedingten Strafnachsicht. Dies steht auch mit dem - der erwähnten Regelung zugrundeliegenden - Art 6 Abs 1 EMRK im Einklang, der nach der Rechtsprechung der Konventionsorgane nur auf jene Phasen des Strafverfahrens Anwendung findet, in denen "über die Stichhaltigkeit der erhobenen strafrechtlichen Anklage entschieden wird" (Linke, Grundriss des Auslieferungsrechtes, 59). Die dem Urteil nachfolgenden Entscheidungen einschließlich des Widerrufs einer bedingten Strafnachsicht fallen nicht (mehr) in den Schutzbereich der zitierten Norm (Hrsg Golsong, Internationaler Kommentar zum Art 6 MRK RN 182, 183, 218; Guradze, Die europäische Menschenrechtskonvention, 95; RZ 1993/75).
Ebensowenig grundrechtsrelevant ist das Beschwerdevorbringen, wonach der vom deutschen Gericht erfolgte Widerruf der Strafaussetzung wegen einer in Österreich gerichtlich nicht strafbaren Handlung, nämlich wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis, erfolgt sei. Die Auszuliefernde übersieht dabei, dass er auch deshalb stattfand, weil sie nach Österreich verzogen war, ohne dies - entgegen der ihr erteilten Weisung (S 173 iVm S 117) - dem Gericht mitzuteilen (S 181, 339). Im Übrigen bezieht sich der Grundsatz der beiderseitigen Strafbarkeit nur auf die Straftaten, die Gegenstand der Strafverfolgung oder des zu vollstreckenden Urteils sind, nicht aber auf die ausschließlich nach dem Recht des ersuchenden Staates zu beurteilenden Widerrufsgründe (RZ 1993/75).
Mit bloßen Spekulationen über Zustellmängel wird Unfairness dem Auslieferungsersuchen zugrundeliegender Verfahren nicht geltend gemacht, schon gar nicht mit dem - die ordnungsgemäße Zustellung in Deutschland nicht in Abrede stellenden - Hinweis, dass deutsches Zustellrecht zur Anwendung gelangt sei. Warum durch eine nach deutschem Recht ordnungsgemäße Zustellung Art 6 EMRK verletzt worden sein soll, zeigt die Beschwerde nämlich nicht auf.
Ein aus Art 8 EMRK erfließendes Auslieferungshindernis ist den im Verhältnis zur Bundesrepublik Deutschland in Geltung stehenden Auslieferungsverträgen nicht bekannt. Deswegen hatte das Oberlandesgericht auch keine Veranlassung, auf dieses Grundrecht bezogene Sachverhaltsannahmen auszuführen. Dies umso weniger, als die Vorschriften des ARHG (hier § 22) zwischenstaatlichen Vereinbarungen gegenüber bloß subsidiär sind (§ 1 ARHG).
Mit Blick auf das Vorbringen der Corryna G***** und die im angefochtenen Beschluss dargelegten Umstände sieht der Oberste Gerichtshof keinen Anlass, gegen die Anwendung dieser Staatsverträge, insbesondere des EUAusliefÜb, aus dem Grunde der Verfassungswidrigkeit Bedenken zu hegen (Art 89 Abs 2 und4 B-VG). Die Auslieferung ist nicht nur gesetzlich vorgesehen, sondern fällt als Einschränkung familiärer Kontakte angesichts moderner Verkehrsverbindungen zum Häftlingsbesuch im Nachbarstaat unter Berücksichtigung der Schwere der dem Auslieferungsersuchen zugrundeliegenden Straftaten gegenüber einer nicht unerheblichen Beeinträchtigung der "Verteidigung der Ordnung und der Verhinderung von Straftaten" kaum ins Gewicht (Art 8 Abs 2 EMRK). Selbst bei Anwendung des § 22 ARHG wäre mangels der dort verlangten Unverhältnismäßigkeit für die Beschwerdeführerin nichts gewonnen. Wurde doch ihr achtjähriger Sohn problemlos bei der Schwester ihres Lebensgefährten untergebracht (S 31).
Im Übrigen steht das Instrumentarium einer Vollzugsortsänderung zur Verfügung.
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)