OGH 14Os104/15y

OGH14Os104/15y17.11.2015

Der Oberste Gerichtshof hat am 17. November 2015 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Philipp als Vorsitzenden, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger, die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer und Dr. Oshidari sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Mann in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Wüstner als Schriftführer in der Strafsache gegen Mario P***** wegen des Verbrechens des schweren Diebstahls durch Einbruch nach §§ 127, 128 Abs 1 Z 4, 129 Z 1 und Z 2 StGB, AZ 143 Hv 63/12a des Landesgerichts für Strafsachen Wien, über die von der Generalprokuratur gegen den Beschluss dieses Gerichts vom 23. Juli 2013, GZ 143 Hv 63/12a‑57, erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit der Vertreterin der Generalprokuratur, Generalanwältin Prof. Dr. Aicher, zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2015:0140OS00104.15Y.1117.000

 

Spruch:

In der Strafsache AZ 143 Hv 63/12a des Landesgerichts für Strafsachen Wien verletzt der Beschluss dieses Gerichts vom 23. Juli 2013 (ON 57) § 53 Abs 2 StGB idgF sowie § 53 Abs 2 zweiter Satz StGB iVm § 53 Abs 1 zweiter Satz StGB, jeweils idF vor BGBl I 2013/116.

Der Beschluss wird aufgehoben und der Antrag der Staatsanwaltschaft Wien auf Widerruf der Mario P***** mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 22. Juni 2012, GZ 143 Hv 63/12a-32, gewährten bedingten Strafnachsicht wird abgewiesen.

Mit seiner Beschwerde wird der Verurteilte auf diese Entscheidung verwiesen.

Gründe:

Mit gekürzt ausgefertigtem Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 22. Juni 2012, GZ 143 Hv 63/12a‑32, wurde Mario P***** des Verbrechens des schweren Diebstahls durch Einbruch nach §§ 127, 128 Abs 1 Z 4, 129 Z 1 und Z 2 StGB schuldig erkannt und hiefür zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von 15 Monaten verurteilt, von der das erkennende Gericht einen Teil von 10 Monaten unter Bestimmung einer dreijährigen Probezeit bedingt nachsah.

Mit zugleich ergangenem Beschluss (§ 494 Abs 1 StPO) wurde Bewährungshilfe (§ 52 StGB) angeordnet (ON 32 S 5).

Zufolge Entschließung des Bundespräsidenten vom 22. August 2012 wurde dem Verurteilten der zu diesem Zeitpunkt noch nicht vollstreckte Rest des unbedingten Strafteils mit den Wirkungen der bedingten Strafnachsicht unter Bestimmung einer Probezeit von fünf Jahren mit Wirkung vom 11. September 2012 erlassen und der Genannte an diesem Tag mit einem Strafrest von 15 Tagen aus der Strafhaft entlassen (ON 41, ON 55).

Mit Beschluss vom 23. Juli 2013 (ON 57) widerrief das Landesgericht für Strafsachen Wien über Antrag der Staatsanwaltschaft Wien vom 26. April 2013 (ON 47) „die mit hg Urteil vom 22. Juni 2012 zu GZ 143 Hv 63/12a‑32 Mario P***** gemäß § 43 Abs 1 StGB bedingt nachgesehene Freiheitsstrafe in der Dauer von 5 Monaten gemäß § 53 Abs 2 StGB“ mit der Begründung, der Verurteilte habe sich beharrlich dem Einfluss des Bewährungshelfers entzogen (§ 53 Abs 2 erster Satz StGB). Dabei ging die Einzelrichterin aktenwidrig davon aus, dass mit dem bezeichneten Urteil die bedingte Strafnachsicht hinsichtlich eines fünfmonatigen Teils der verhängten fünfzehnmonatigen Freiheitsstrafe gewährt worden sei.

Über den allfälligen Widerruf der bedingten Begnadigung wurde nicht entschieden.

Der Widerrufsbeschluss wurde dem Verurteilten am 9. Juni 2015 durch Hinterlegung zugestellt (RS zu ON 67, ON 70). Über seine dagegen am 29. Juni 2015 ‑ somit verspätet ‑ erhobene Beschwerde (ON 73) hat das Oberlandesgericht noch nicht entschieden.

Rechtliche Beurteilung

Wie die Generalprokuratur in ihrer gemäß § 23 StPO erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes zutreffend ausführt, steht der genannte Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 23. Juli 2013 (ON 57) mit dem Gesetz nicht im Einklang:

1. Der Widerrruf nur eines Teils einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe ist im Gesetz nicht vorgesehen. Der auf aktenwidriger Entscheidungsgrundlage angeordnete Widerruf bloß eines fünfmonatigen Teils der mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 22. Juni 2012 zu GZ 143 Hv 63/12a‑32, gemäß § 43a Abs 3 StGB hinsichtlich eines zehnmonatigen Strafteils gewährten bedingten Strafnachsicht verstößt damit gegen § 53 Abs 2 StGB.

2. Nach § 53 Abs 1 zweiter Satz StGB in der im Entscheidungszeitpunkt (23. Juli 2013) geltenden Fassung vor dem Sexualstrafrechtsänderungsgesetz 2013 BGBl I 2013/116 konnten die bedingte Nachsicht des Teils einer Freiheitsstrafe und die bedingte Entlassung (auch in Form der gnadenweisen Nachsicht; vgl Jerabek in WK² StGB § 53 Rz 20; Birklbauer , WK-StPO § 16 Rz 43) aus dem nicht bedingt nachgesehenen Strafteil nur gemeinsam widerrufen werden. Gemäß § 53 Abs 2 zweiter Satz StGB idF vor BGBl I 2013/116 galt diese Regelung entsprechend auch für den Fall des Widerrufs einer bedingten Strafnachsicht oder einer bedingten Entlassung wegen mutwilliger Nichtbefolgung einer Weisung oder beharrlicher Entziehung aus dem Einfluss des Bewährungshelfers.

Der mit dem angefochtenen Beschluss ausgesprochene bloß partielle Widerruf von Rechtswohltaten ein- und derselben Sanktion widerspricht somit dem im Entscheidungszeitpunkt gesetzlich vorgesehenen Ausschluss der eigenständigen Behandlung von (bedingt nachgesehenem) Strafteil und (nach bedingter Entlassung verbliebenem) Strafrest (RIS-Justiz RS0125448; Jerabek in WK² StGB § 53 Rz 4a [8. Lieferung 2010]; Fabrizy , StGB 10 § 53 Rz 14).

Da der vom Landesgericht für Strafsachen Wien angenommene Widerrufsgrund fallbezogen nur den bedingt nachgesehenen Strafteil (nicht also die bedingte Begnadigung) betraf, kam der ‑ nach der im Entscheidungszeitpunkt geltenden Rechtslage (wie dargelegt) nur gemeinsam mögliche ‑ Widerruf somit hier keinesfalls in Betracht (für viele: 13 Os 37/14m; 14 Os 82/13k), aus welchem Grund sich der Oberste Gerichtshof veranlasst sah, die Feststellung der zu 2. dargestellten Gesetzesverletzung durch sofortige Entscheidung in der Sache selbst mit konkreter Wirkung zu verknüpfen (§ 292 letzter Satz StPO).

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