OGH 14Os82/13k

OGH14Os82/13k11.6.2013

Der Oberste Gerichtshof hat am 11. Juni 2013 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Philipp als Vorsitzenden, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger und Mag. Marek, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer und die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Fürnkranz in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Bitsakos als Schriftführer in der Strafvollzugssache des Imer M***** wegen bedingter Entlassung aus einer Freiheitsstrafe, AZ 182 BE 54/12k des Landesgerichts für Strafsachen Wien, über die von der Generalprokuratur erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes gegen die Beschlüsse dieses Gerichts als Vollzugsgericht vom 27. April 2012 und vom 7. Dezember 2012, GZ 182 BE 54/12k-8 und 17, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit der Vertreterin der Generalprokuratur, Generalanwältin Dr. Brenner, zu Recht erkannt:

 

Spruch:

In der Strafvollzugssache AZ 182 BE 54/12k des Landesgerichts für Strafsachen Wien verletzen die Beschlüsse dieses Gerichts als Vollzugsgericht

1. vom 27. April 2012 (ON 8) § 46 Abs 1 StGB,

2. vom 7. Dezember 2012 (ON 17) § 53 Abs 2 zweiter Satz StGB iVm § 53 Abs 1 zweiter Satz StGB.

Der letztgenannte Beschluss wird aufgehoben und der Antrag der Staatsanwaltschaft Wien auf Widerruf der bedingten Entlassung abgewiesen.

Text

Gründe:

Mit gekürzt ausgefertigtem Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 3. April 2012, AZ 152 Hv 19/12x, wurde der am 8. April 1990 geborene Imer M***** des ‑ am 2. September 2011, sohin nach Vollendung des 21. Lebensjahres begangenen ‑ Verbrechens des Raubes nach § 142 Abs 1 und Abs 2 StGB und mehrerer Vergehen schuldig erkannt und hiefür unter Anwendung des § 28 Abs 1 StGB nach § 142 Abs 2 StGB zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von 15 Monaten verurteilt. Gemäß § 43a Abs 3 StGB wurde der Vollzug eines zwölfmonatigen Teils dieser Freiheitsstrafe unter Bestimmung einer dreijährigen Probezeit bedingt nachgesehen.

Mit unangefochten in Rechtskraft erwachsenem Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Vollzugsgericht vom 27. April 2012, GZ 182 BE 54/12k-8, wurde Imer M***** bei einem Strafrest von insgesamt 18 Tagen aus dem Vollzug des insgesamt nur dreimonatigen unbedingten Teils der Freiheitsstrafe „gemäß § 46 Abs 1 StGB i.V.m. § 152 Abs 1 Z 2 StGB“ unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren am selben Tag bedingt entlassen. Für die Dauer der Probezeit wurde Bewährungshilfe angeordnet und dem Genannten die Weisung erteilt, binnen eines Monats nach Haftentlassung „eine Arbeitsbestätigung sowie eine aufrechte ZMR-Auskunft“ vorzulegen.

Über Antrag der Staatsanwaltschaft Wien (ON 15 S 49 und 50) wurde die bedingte Entlassung mit Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Vollzugsgericht vom 7. Dezember 2012, GZ 182 BE 54/12k-17, (zufolge unbekannten Aufenthalts des Verurteilten ohne vorangegangene förmliche Mahnung [ON 16; vgl dazu Jerabek in WK² StGB § 53 Rz 10]) wegen Nichterfüllung dieser Weisung widerrufen. Die Entscheidung erwuchs am 11. Februar 2013 in Rechtskraft (RS bei ON 21).

Rechtliche Beurteilung

Wie die Generalprokuratur in ihrer zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zutreffend ausführt, stehen diese beiden Beschlüsse mit dem Gesetz nicht im Einklang.

1. Für die bedingte Entlassung aus einer Freiheitsstrafe sieht § 46 StGB zwingend eine bestimmte Mindestdauer des Freiheitsentzugs vor: Der Rechtsbrecher muss die Hälfte (Abs 1) oder ‑ als Bedingung des Entfalls generalpräventiver Erwägungen ‑ zwei Drittel (Abs 2) des nicht bedingt nachgesehenen Teils der im Urteil festgesetzten Strafe, mindestens aber drei Monate verbüßt haben (Abs 1). Diese Mindestzeit beträgt ‑ soweit hier wesentlich ‑ nach Abs 3 dieser Bestimmung nur einen Monat, wenn die bedingte Entlassung aus einer wegen einer vor Vollendung des 21. Lebensjahres begangenen Straftat verhängten Freiheitsstrafe erfolgt ( Jerabek in WK 2 StGB § 46 Rz 5 ff).

Fallbezogen lagen bloß dem Schuldspruch I/1 und 4 (wegen Vergehen der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB) vor Vollendung des 21. Lebensjahres gesetzte Taten zugrunde, während die übrigen vom Schuldspruch erfassten strafbaren Handlungen nach Vollendung des 21. Lebensjahres begangen wurden. Die Strafbemessung erfolgte unter Anwendung des § 28 Abs 1 StGB innerhalb des strengsten Strafsatzes (zum Begriff Ratz in WK² StGB Vor §§ 23-31 Rz 1, § 28 Rz 2), sohin nach § 142 Abs 2 StGB (zufolge Begehung des Raubes am 2. September 2011 zu Recht ohne Anwendung des § 36 StGB; vgl dazu Schroll in WK² JGG § 5 Rz 2 ff). Die Ausnahmebestimmung des § 46 Abs 3 StGB kommt, weil demgemäß nach § 28 Abs 1 StGB eine nach Vollendung des 21. Lebensjahres begangene Raubtat strafbestimmend war, nicht zum Tragen.

2. Nach dem durch das Strafrechts-änderungsgesetz 2008, BGBl I 2007/109, eingefügten zweiten Satz des § 53 Abs 1

StGB können die bedingte Nachsicht eines Teils einer Freiheitsstrafe und die bedingte Entlassung aus dem nicht bedingt nachgesehenen Strafteil nur gemeinsam widerrufen werden. Gemäß § 53 Abs 2 zweiter Satz StGB gilt diese Regelung entsprechend auch für den Fall des Widerrufs einer bedingten Strafnachsicht oder bedingten Entlassung aus einer Freiheitsstrafe wegen mutwilliger Nichtbefolgung einer Weisung oder beharrlicher Entziehung aus dem Einfluss des Bewährungshelfers.

Der mit Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 7. Dezember 2012, GZ 182 BE 54/12k‑17, ausgesprochene, bloß partielle Widerruf von Rechtswohltaten ein- und derselben Sanktion widerspricht somit dem gesetzlich vorgesehenen Ausschluss der eigenständigen Behandlung von (bedingt nachgesehenem) Strafteil und (nach bedingter Entlassung verbliebenem) Strafrest ( Jerabek in WK² § 53 Rz 4a; RIS-Justiz RS0125448).

Während sich die zu 1. aufgezeigte Gesetzesverletzung (einer entgegen § 46 Abs 1 StGB vor dem zwingend vorgesehenen Vollzug von zumindest drei Monaten Freiheitsstrafe angeordneten bedingten Entlassung mit einem Strafrest von 18 Tagen) zum Vorteil des Verurteilten auswirkte, weshalb es mit ihrer Feststellung sein Bewenden hat (§ 292 vorletzter Satz StPO), sah sich der Oberste Gerichtshof veranlasst (§ 292 letzter Satz StPO), die Feststellung der zu 2. dargestellten fehlerhaften Gesetzesanwendung zufolge deren nachteiliger Wirkung auf die im Spruch ersichtliche Weise mit konkreter Wirkung zu verknüpfen.

Betrifft der Widerrufsgrund nämlich (wie hier, aber anders als in 12 Os 26/10f, EvBl-LS 2010/146) ausschließlich einen der beiden Strafteile, kommt der von § 53 Abs 1 zweiter Satz StGB verlangte, stets bloß gemeinsame Widerruf von bedingter Nachsicht eines Teils einer Freiheitsstrafe und bedingter Entlassung aus dem nicht bedingt nachgesehenen Teil nicht in Frage (14 Os 138/10s, EvBl-LS 2011/48; 11 Os 171/10k).

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