Spruch:
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit S 4.243,80 (darin S 385,80 Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Der Kläger ist seit 4.Oktober 1952 bei der Beklagten beschäftigt. Seit 1.Oktober 1974 ist er Vorstand der Kommunal- und Kreditabteilung. Am 7.März 1980 beantragte er, daß gegen ihn ein Disziplinarverfahren eingeleitet werde. Auf Grund dieses Antrages und einer weiteren Disziplinaranzeige wurde gegen den Kläger wegen des Verdachtes von Unregelmäßigkeiten ein Disziplinarverfahren gemäß den §§ 42 ff des Kollektivvertrages für die Angestellten der Ö*** LANDES-H*** in der Fassung vom 28. Juli 1978 (KV 1978) eingeleitet, ein Untersuchungskommissär zur Durchführung der Voruntersuchung bestellt und der Kläger mit Verfügung vom 12.Juni 1980 bis auf weiteres vom Dienst suspendiert. Nachdem gegen den Kläger im selben Gegenstand auch ein strafgerichtliches Verfahren anhängig gemacht worden war, setzte der Vorsitzende der Disziplinarkommission mit Schreiben vom 13. Februar 1981 das gegen den Kläger laufende Disziplinarverfahren in sinngemäßer Anwendung des § 44 Abs 5 KV 1978 bis zum Abschluß des strafgerichtlichen Verfahrens aus. § 44 Abs 5 des KV 1978 lautete:
"Ist im gleichen Gegenstand auch ein strafgerichtliches Verfahren anhängig, so hat der Vorsitzende der Disziplinarkommission die Voruntersuchung bis längstens zum Abschluß des strafgerichtlichen Verfahrens auszusetzen."
Mit Wirkung ab 1.Jänner 1983 wurde der KV 1978 durch den Kollektivvertrag vom 18.November 1983 (KV 1983) außer Kraft gesetzt (§ 59 Abs 1 und 3 KV 1983). Dieser sieht in § 42 Abs 5 vor, daß der Vorsitzende der Disziplinarkommission das Disziplinarverfahren bis längstens zum Abschluß des strafgerichtlichen Verfahrens aussetzen kann, wenn im selben Gegenstand auch ein strafgerichtliches Verfahren anhängig ist. Auf Grund dieser geänderten Bestimmung und der Annahme, daß ein Abschluß des gerichtlichen Strafverfahrens in absehbarer Zeit nicht zu erwarten sei, faßte die Disziplinarkommission den Beschluß, das unterbrochene Disziplinarverfahren wieder aufzunehmen. Davon wurde der Kläger am 28. Jänner 1985 verständigt.
Mit der vorliegenden Klage begehrt der Kläger, die Beklagte schuldig zu erkennen,
1. die Fortsetzung des gegen ihn eingeleiteten Disziplinarverfahrens zu unterlassen, und
2. die seit der Aussetzung des Disziplinarverfahrens am 13. Februar 1981 aus der unzulässigen Fortführung desselben gewonnenen Verfahrensergebnisse nicht als Verfahrensergebnisse des gegen ihn eingeleiteten Disziplinarverfahrens zu verwerten. Die Fortsetzung des Disziplinarverfahrens sei nach dem zur Zeit der Einleitung des Verfahrens geltenden § 44 Abs 5 KV 1978 unzulässig. Daran habe auch die Neufassung des Kollektivvertrages nichts geändert, da eine Rückwirkung im KV 1983 nicht vorgesehen sei und strafrechtliche Normen nicht auf einen Sachverhalt angewendet werden dürften, der sich von ihren Wirksamkeitsbeginn ereignet habe. Die Beklagte beantragte, die Klagebegehren abzuweisen. Zufolge geänderter Verfahrensvorschriften stehe die Aussetzung des Disziplinarverfahrens nunmehr im Ermessen des Vorsitzenden der Disziplinarkommission. Dabei handle es sich lediglich um eine prozeßleitende Verfügung; von einer rückwirkenden Anwendung von Strafbestimmungen könne keine Rede sein.
Das Erstgericht wies die Klagebegehren ab, da die Fortsetzung des Disziplinarverfahrens gegen den Kläger nur ein verfahrensrechtlicher Schritt ohne Strafcharakter sei, welcher nicht Inhalt eines zulässigen Feststellungsbegehren sein könne. Das Berufungsgericht führte die Verhandlung gemäß § 25 Abs 1 Z 3 ArbGG neu durch und sprach aus, daß der Wert des Streitgegenstandes, über den es entschieden habe, S 30.000,-- übersteige. Es hielt aus dem KV 1983 noch zusätzlich fest, daß die Mitglieder der Disziplinarkommission in Ausübung ihrer Tätigkeit selbständig, an keine Weisungen gebunden und unabhängig seien (§ 36 Abs 3 KV 1983). Das Berufungsgericht vertrat die Rechtsauffassung, daß nur solche Verfügungen als Disziplinarmaßnahmen durch die Gerichte nachzuprüfen seien, denen der Charakter einer endgültigen Sanktion wegen eines bestimmten Verhaltens des Arbeitnehmers zukomme. Verfahrensrechtliche Schritte, wie etwa die Einleitung des Disziplinarverfahrens, seien aber keine Disziplinarmaßnahmen im Sinne des § 102 ArbVG. Im übrigen sei die Disziplinarkommission auch nach dem KV 1978 nicht verpflichtet gewesen, mit der Fortsetzung des Disziplinarverfahrens bis zum rechtkräftigen Abschluß des Strafverfahrens zuzuwarten, da sonst die Worte "....bis längstens zum Abschluß...." keinen Sinn ergäben. Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Klägers aus den Gründen der Mangelhaftigkeit des Verfahrens und der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung im Sinne einer Klagestattgebung abzuändern. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Die Beklagte beantragte in ihrer Revisionsbeantwortung, der Revision nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist nicht berechtigt.
Der Revisionsgrund der Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens liegt nicht vor (§ 510 Abs 3 ZPO). Ob sich der Vorsitzende der Disziplinarkommission die jederzeitige Aufnahme des Disziplinarverfahrens vorbehalten hat, ist rechtlich unerheblich. In seiner Rechtsrüge bezweifelt der Revisionswerber nicht, daß verfahrensrechtliche Schritte ohne Strafcharakter, die - wie die Einleitung und Durchführung eines Disziplinarverfahrens - nur der Klärung dienen, ob sich der Verdacht eines disziplinwidrigen Verhaltens des Arbeitsnehmers bewahrheitet, keine Disziplinarmaßnahmen im Sinne des § 102 ArbVG sind (SZ 53/121 mwH; Arb. 9.145, 9.895 ua.). Er macht aber weiterhin geltend, daß sich der Arbeitgeber nicht willkürlich über Verfahrensvorschriften hinwegsetzen dürfe und daß bereits eine regelwidrige Durchführung des Disziplinarverfahrens die Interessen des betroffenen Arbeitnehmers schwer beeinträchtige.
Richtig ist, daß die Abgrenzung des arbeitsverfassungsrechtlichen Begriffs der Disziplinarmaßnahmen im Sinne des § 102 ArbVG gegenüber rein verfahrensrechtlichen Schritten einen allfälligen arbeitsvertraglichen Rechtsschutz gegen die Einleitung und Durchführung des Disziplinarverfahrens noch nicht unbedingt ausschließt. Damit ist aber für den Kläger nichts gewonnen. Wie der Oberste Gerichtshof bereits zu 14 Ob 205/86 in einem ganz gleichgelagerten Fall eingehend darlegte, beruht das betriebliche Disziplinarstrafrecht, soweit nicht für bestimmte Arbeitsverhältnisse gesetzliche Disziplinarvorschriften bestehen, auf einem dem Arbeitgeber durch Einzelvertrag oder Kollektivvertragsnorm eingeräumten einseitigen Gestaltungsrecht (Spielbüchler in DRdA 1970 9 f). Dieses berechtigt den Arbeitgeber zwecks Wahrung und Wiederherstellung der betrieblichen Ordnung zu Maßnahmen, mit denen dem Arbeitnehmer ein Nachteil zugefügt oder zumindest angedroht wird (Arb. 9.175; Strasser in Floretta-Strasser, Kommentar zum ArbVG § 102 Anmerkung 2.3;
Martinek-Schwarz AngG6 550). Das privatrechtliche (JBl 1976, 365) Gestaltungsrecht des Arbeitgebers ist zur Vermeidung von Willkür notwendig an bestimmte materielle Voraussetzungen
(Spielbüchler aaO 10), aber - sieht man von § 102 ArbVG ab - nicht zwingend an die Einhaltung eines bestimmten Verfahrens geknüpft (Spielbüchler aaO 12). Diese notwendige Unterscheidung verkennt der Revisionswerber, wenn er weiterhin ausführt, durch den KV 1983 seien strafrechtliche Normen geschaffen worden, die eine vorher ausgeschlossene Verurteilung nunmehr rückwirkend ermöglichten. An der Voraussetzung des Vorliegens eines strafwürdigen Verhaltens des Arbeitnehmers als Bedingung einer Disziplinarmaßnahme hat sich vielmehr auch durch den neuen Kollektivvertrag nichts geändert. Geändert wurde vielmehr nur eine Verfahrensvorschrift, die es dem Vorsitzenden der Disziplinarkommission seit 1.Jänner 1983 ermöglicht, das Disziplinarverfahren nach seinem Ermessen längstens bis zum Abschluß des strafgerichtlichen Verfahrens auszusetzen. Daß es dabei auf eine Rückwirkung dieser Verfahrensvorschrift auf den zeitlichen Geltungsbereich des KV 1978 nicht ankommt, zeigen gerade die vom Revisionswerber angeführten Bestimmungen der §§ 191 und 192 ZPO, wonach ein wegen Präjudizialität unterbrochenes Verfahren durchaus auch von Amts wegen aufgenommen werden kann (Fasching ZPR Rz 613). Auch der weitere Einwand des Klägers, er habe durch die verfahrensleitende Verfügung auf Aussetzung des Disziplinarverfahrens schon rechtsgeschäftlich einen klagbaren Anspruch gegen die Beklagte erworben, berücksichtigt nicht den durch das eingeräumte Gestaltungsrecht vorgegebenen verfahrensrechtlichen Charakter der von einer von der Beklagten unabhängigen Disziplinarkommission vorgenommenen Verfahrensschritte, auf die nicht weiter einzugehen ist.
Soweit nämlich ein bloßer Formverstoß die auszusprechende Strafe nicht beeinflußt, hat die allfällige Verletzung von Verfahrensvorschriften auch nicht notwendig die Unwirksamkeit der anschließenden Strafverhängung zur Folge (Spielbüchler aaO 12). Da die Ausübung des dem Arbeitgeber eingeräumten Gestaltungsrechtes erst durch die Strafverhängung oder den Ausspruch, daß von einer Strafe abgesehen wird, ihren Abschluß findet, besondere Verfahrensvorschriften für die Verhängung der Disziplinarstrafe nicht bestehen müssen und selbst wenn sie bestehen, ihre Verletzung jedenfalls nicht zwingend die Unwirksamkeit der verhängten Strafe nach sich zieht, ist dem Arbeitnehmer gegen die Einleitung des Disziplinarverfahrens und gegen sonstige Verfahrensschritte grundsätzlich ein nachprüfender Rechtsschutz erst dann gewähren, wenn eine Disziplinarstrafe ausgesprochen worden ist. Ein Rechtsschutz gegen die Einleitung des Disziplinarverfahrens oder gegen andere Verfahrensschritte - wie hier gegen die Aufhebung der Unterbrechung - würde in die noch nicht abgeschlossene Ausübung des Gestaltungsrechtes des Arbeitgebers vorzeitig eingreifen, das Verfahren unnötig verzögern und sich rückschauend als zwecklos erweisen, wenn das Disziplinarverfahren mit dem Ergebnis endet, daß eine Disziplinarstrafe nicht zu verhängen oder anzudrohen war. In aller Regel hat daher der Arbeitnehmer erst nach Abschluß eines gegen ihn geführten Disziplinarverfahrens das Recht, die Überprüfung der verhängten Disziplinarmaßnahme auf ihre Rechtswirksamkeit im Wege der von der Rechtsprechung anerkannten Feststellungsklage zu begehren (Arb. 9.623, 9.839, 9.860, 9.893, 9.895; SZ 53/121). Im Einklang mit dem arbeitsverfassungsrechtlichen Begriff der Disziplinarmaßnahme ist somit im Regelfall in der Einleitung des Disziplinarverfahrens auch arbeitsvertragsrechtlich keine Maßnahme zu sehen, die einer sofortigen Überprüfung durch das Gericht zugänglich ist. Ob ausnahmsweise ein Rechtschutz gegen die Einleitung eines Disziplinarverfahrens mangels Fehlens jeglicher Rechtsgrundlage in Betracht käme, kann hier auf sich beruhen, weil der vorliegende Kollektivvertrag ein eingehend geregeltes Disziplinarverfahren vorsieht (14 Ob 205/86 mwH).
Aus diesen Erwägungen erweisen sich die Begehren des Klägers als unberechtigt, so daß der Revision kein Erfolg beschieden sein konnte. Die Kostenentscheidung ist in den §§ 41 und 50 ZPO begründet.
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