OGH 14Ob205/86

OGH14Ob205/862.12.1986

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof. Dr. Petrasch als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Prof. Dr. Friedl, Dr. Resch, Dr. Kuderna und Dr. Gamerith als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Herbert M***, Angestellter, Mödling, Türkengasse 9, vertreten durch Dr. Erich Kadlec, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei

L***-H*** Niederösterreich in Wien 1.,

Wipplingerstraße 2, vertreten durch Dr. Rudolf Stöhr und Dr. Johann Stöhr, Rechtsanwälte in Wien, wegen Unterlassung (Erlassung einer einstweiligen Verfügung), infolge Revisionsrekurses der klagenden Partei gegen den Beschluß des Landesgerichtes für ZRS Wien als Rekursgerichtes in arbeitsgerichtlichen Rechtsstreitigkeiten vom 13. Mai 1986, GZ. 44 R 223/85-16, womit die einstweilige Verfügung des Arbeitsgerichtes Wien vom 19. November 1985, GZ. 4 Cr 1135/85-3, abgeändert wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Der Kläger hat die Kosten seines Rechtsmittels selbst zu tragen.

Text

Begründung

Der Kläger ist Angestellter der beklagten Partei. Gegen ihn wurde wegen des Verdachtes von Unregelmäßigkeiten ein Disziplinarverfahren gemäß §§ 42 ff des Kollektivvertrages für die Angestellten der österr. Landes-Hypothekenbanken (in der Fassung vom 28. Juli 1978: im folgenden KV 1978) eingeleitet. Nachdem gegen den Kläger im selben Gegenstand auch ein strafgerichtliches Verfahren anhängig gemacht worden war, setzte der Vorsitzende der Disziplinarkommission mit Schreiben vom 13. Februar 1981 das gegen den Kläger laufende Disziplinarverfahren in sinngemäßer Anwendung des § 44 Abs 5 KV 1978 bis zum Abschluß des strafgerichtlichen Verfahrens aus. Mit Wirkung ab 1. Jänner 1983 wurde der KV 1978 durch den Kollektivvertrag vom 18. November 1983 (KV 1983) außer Kraft gesetzt (§ 59 Abs 1 und 3 KV 1983). Dieser sieht im § 42 Abs 5 vor, daß der Vorsitzende der Disziplinarkommission das Disziplinarverfahren bis längstens zum Abschluß des strafgerichtlichen Verfahrens aussetzen kann, wenn im selben Gegenstand auch ein strafgerichtliches Verfahren anhängig ist. Aufgrund dieser geänderten Bestimmung nahm die beklagte Partei das unterbrochene Disziplinarverfahren gegen den Kläger wieder auf (Schreiben vom 25. Jänner 1985).

Der Kläger hält diese Maßnahme wegen "unzulässiger Rückwirkung strafrechtlicher Bestimmungen" für rechtswidrig. Er beantragte unter anderem, die beklagte Partei schuldig zu erkennen, die Fortsetzung des Disziplinarverfahrens bis zum Abschluß des gegen ihn anhängigen Strafverfahrens zu unterlassen, und stellte ein im wesentlichen gleichlautendes Sicherungsbegehren.

Das Erstgericht verbot der beklagten Partei mit einstweiliger Verfügung, das gegen den Kläger eingeleitete Disziplinarverfahren vor Abschluß des gegen ihn anhängigen Strafverfahrens 28 e Vr 3653/80 des Landesgerichtes für Strafsachen Wien fortzusetzen. Das Rekursgericht gab dem Rekurs der beklagten Partei Folge, wies den Sicherungsantrag ab und sprach aus, daß der von der Abänderung betroffene Wert des Beschwerdegegenstandes S 2.000,-- übersteigt.

Die zweite Instanz war der Ansicht, daß der nur solche Verfügungen als Disziplinarmaßnahmen durch die Gerichte nachzuprüfen seien, denen der Charakter einer endgültigen Sanktion wegen eines bestimmten Verhaltens des Dienstnehmers zukomme.

Verfahrensrechtliche Schritte, wie die Einleitung des Disziplinarverfahrens, seien keine Disziplinarmaßnahme iS des § 102 ArbVG. Sie könnten nicht Inhalt eines zulässigen Feststellungsbegehrens sein, weshalb der beantragten einstweiligen Verfügung die rechtliche Grundlage fehle.

Rechtliche Beurteilung

Der gegen den Beschluß des Rekursgerichtes erhobene Revisionsrekurs des Klägers ist nicht berechtigt.

Wie der erkennende Senat in der Entscheidung vom 18. September 1980, 4 Ob 101, 102/80 (SZ 53/121 = JBl. 1981, 494) ausführlich dargelegt hat, sind verfahrensrechtliche Schritte ohne Strafcharakter, die - wie die Einleitung (und Durchführung) eines Disziplinarverfahrens - nur der Klärung dienen, ob sich der Verdacht eines disziplinwidrigen Verhaltens des Dienstnehmers bewahrheitet, keine Disziplinarmaßnahmen iS des § 102 ArbVG. Sie bedürfen daher auch nicht der Zustimmung des Betriebsrates. Mit dieser Entscheidung wurde allerdings nur der arbeitsverfassungsrechtliche Begriff der Disziplinarmaßnahme iS des § 102 ArbVG im Hinblick auf die sich daraus ergebenden Folgen gegenüber rein verfahrensrechtlichen Schritten abgegrenzt. Die Entscheidung schließt einen arbeitsvertraglichen Rechtsschutz gegen die Einleitung eines Disziplinarverfahrens durch Feststellung der Rechtsunwirksamkeit einer solchen Maßnahme noch nicht prinzipiell aus. Doch gelangt der erkennende Senat auch in diesem Bereich aus folgenden Gründen zum gleichen Ergebnis:

Das betriebliche Disziplinarstrafrecht beruht, soweit nicht für bestimmte (besonders öffentlich-rechtliche) Dienstverhältnisse gesetzliche Disziplinarvorschriften bestehen, auf einem dem Arbeitgeber durch Einzelvertrag oder Kollektivnorm eingeräumten einseitigen Gestaltungsrecht (Spielbüchler, Grundlagen des betrieblichen Disziplinarstrafrechts, RdA 1971, 7 [9]; Tomandl, ZAS 1974, 183 f). Es berechtigt ihn unter bestimmten materiellrechtlichen und allenfalls auch verfahrensrechtlichen Voraussetzungen zwecks Wahrung und Wiederherstellung der betrieblichen Ordnung zu Maßnahmen, mit denen dem Arbeitnehmer ein Nachteil zugefügt oder wenigstens angedroht wird (Arb 9.175 = ZAS 1974, 181 [Tomandl]; Arb 9861; Strasser in Floretta-Strasser, KommzArbVG 597 § 102 Anm 2.3; Martinek-Schwarz, AngG 6 VI 550). Dieses Gestaltungsrecht des Dienstgebers ist (zur Vermeidung von Willkür) notwendig an bestimmte materielle Voraussetzungen (Spielbüchler aaO 10), aber - sieht man von § 102 ArbVG ab - nicht zwingend an die Einhaltung eines bestimmten Verfahrens geknüpft (Spielbüchler aaO 12). Die Verletzung von Verfahrensvorschriften hat auch nicht notwendig die Unwirksamkeit der anschließenden Strafverhängung zur Folge (vgl Spielbüchler aaO 12; es könnte ja sein, daß ein bloßer Formverstoß die ausgesprochene Strafe in keiner Weise beeinflußt hat), wenngleich die österreichische Rechtsprechung bisher im allgemeinen davon ausgegangen ist, daß eine Verletzung von Verfahrensvorschriften die Disziplinarstrafe unwirksam macht. Da die Ausübung des dem Arbeitgeber eingeräumten Gestaltungsrechtes erst durch die Strafverhängung (oder den Ausspruch, daß davon abgesehen wird) ihren Abschluß findet, besondere Verfahrensvorschriften für die Verhängung der Disziplinarstrafe nicht bestehen müssen und auch, wenn sie bestehen, ihre Verletzung jedenfalls nicht zwingend die Unwirksamkeit der verhängten Strafe nach sich zieht, ist dem Dienstnehmer gegen die Einleitung des Disziplinarverfahrens und sonstige Verfahrensschritte grundsätzlich ein nachprüfender Rechtsschutz erst dann zu gewähren, wenn eine Disziplinarstrafe ausgesprochen worden ist. Ein Rechtsschutz gegen die Einleitung des Disziplinarverfahrens oder gegen andere Verfahrensschritte würde in die noch nicht abgeschlossene Ausübung des Gestaltungsrechtes des Dienstgebers vorzeitig eingreifen, das Verfahren unnötig verzögern und sich rückschauend als zwecklos erweisen, wenn das Disziplinarverfahren mit dem Ergebnis endet, daß eine Disziplinarstrafe nicht zu verhängen oder anzudrohen war. In aller Regel hat daher der Dienstnehmer erst nach Abschluß eines gegen ihn geführten Disziplinarverfahrens das Recht, die Überprüfung der verhängten Disziplinarmaßnahme auf ihre Rechtswirksamkeit im Wege der von der Rechtsprechung anerkannten Feststellungsklage (Arb 9623, 9839, 9860; SZ 53/121) zu begehren.

Im Einklang mit dem arbeitsverfassungsrechtlichen Begriff der Disziplinarmaßnahme ist somit im Regelfall in der Einleitung des Disziplinarverfahrens auch arbeitsvertragsrechtlich keine Maßnahme zu sehen, die einer sofortigen Überprüfung durch das Gericht zugänglich ist. Ob ausnahmsweise ein Rechtsschutz gegen die Einleitung eines Disziplinarverfahrens in Betracht käme - zu denken wäre an den Fall, daß für die Einleitung jede arbeitsvertragliche Rechtsgrundlage fehlt, also ein rechtlich irrelevanter Akt vorliegt (vgl Spielbüchler aaO 9) - kann hier auf sich beruhen, weil der vorliegende Kollektivvertrag ein eingehend geregeltes Disziplinarverfahren vorsieht.

Die Kostenentscheidung stützt sich auf die §§ 78, 402 EO und §§ 40, 50 ZPO.

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