Spruch:
Im Verfahren AZ 40 Hv 54/02v des Landesgerichts Salzburg verletzen
1. der gemeinsam mit dem Urteil des Geschworenengerichts beim Landesgericht Salzburg vom 25. Oktober 2002, GZ 40 Hv 54/02v-l08, gefasste Beschluss auf Widerruf der im Verfahren AZ 33 Hv 27/02x des Landesgerichts Salzburg ausgesprochenen bedingten Strafnachsicht und
2. der gemeinsam mit dem Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 3. Juli 2003, AZ 9 Bs 86/03, gefasste Beschluss, der Beschwerde der Angeklagten gegen den unter 1. genannten Beschluss nicht Folge zu geben (ON 139 des Hv-Aktes),
das Gesetz in den Bestimmungen der §§ 494a Abs 1 und 495 Abs 2 StPO.
Diese Beschlüsse werden aufgehoben. Dem Landesgericht Salzburg wird aufgetragen, im Verfahren AZ 33 Hv 27/02x über den Widerruf der bedingten Strafnachsicht aus Anlass der unter 1. genannten Verurteilung (§ 55 Abs 1 StGB) zu entscheiden.
Text
Gründe:
Mit (in gekürzter Form ausgefertigtem) Urteil des Landesgerichts Salzburg vom 1. August 2002, GZ 33 Hv 27/02x-16, wurde Mag. Sabine S***** des Verbrechens der Hehlerei nach § 164 Abs 2 zweiter Fall, Abs 3 und Abs 4 zweiter Fall StGB und einer anderen strafbaren Handlung schuldig erkannt und zu einer für eine Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt.
Mit Urteil des Geschworenengerichts beim Landesgericht Salzburg vom 25. Oktober 2002, GZ 40 Hv 54/02v-l08, wurde sie wegen einer Anfang März 2002 begangenen Tat des Verbrechens des Mordes als Bestimmungstäterin nach §§ 12 zweiter Fall, 75 StGB schuldig erkannt und unter Bedachtnahme auf das zuvor genannte Urteil gemäß § 31 StGB zu einer Freiheitsstrafe von 14 Jahren und sechs Monaten als Zusatzstrafe verurteilt, die derzeit in Vollzug steht (ON 147a, 151a). Zugleich beschloss dieses Gericht gestützt auf § 55 Abs 1 StGB den Widerruf der mit dem früheren Urteil ausgesprochenen bedingten Strafnachsicht.
Das Oberlandesgericht Linz gab der wegen des Ausspruchs über die Strafe erhobenen Berufung und der Beschwerde (§ 498 Abs 3 dritter Satz StPO) der Angeklagten mit Entscheidung vom 3. Juli 2003, AZ 9 Bs 86/03 (ON 139), nicht Folge; der Widerruf sei rechtsrichtig beschlossen worden (S 347/V).
Rechtliche Beurteilung
Der vom Erstgericht ausgesprochene und vom Rechtsmittelgericht unbeanstandet gebliebene Widerruf der bedingten Strafnachsicht steht, wie die Generalprokuratur in ihrer Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes zutreffend ausführt, mit dem Gesetz nicht im Einklang:
Nach § 55 Abs 1 StGB ist die bedingte Nachsicht (ua) einer Strafe zu widerrufen, wenn eine nachträgliche Verurteilung gemäß § 31 StGB erfolgt und eine bedingte Nachsicht bei gemeinsamer Aburteilung nicht gewährt worden wäre.
Die der Widerrufsentscheidung vom 25. Oktober 2002 ersichtlich zugrunde gelegte Bestimmung des § 494a Abs 1 StPO stellt ausdrücklich auf die Verurteilung wegen einer „vor Ablauf der Probezeit ... nach einer bedingten Nachsicht" begangenen strafbaren Handlung ab, während § 31 StGB nur für Taten gilt, die (wie die hier vorliegende) vor dem früheren Urteil begangen wurden. Die Zuständigkeit zur Entscheidung über den Widerruf bei nachträglicher Verurteilung (§ 55 StGB) richtet sich daher nach § 495 Abs 2 StPO (RIS-Justiz RS0111521; Jerabek in WK² § 55 [2006] Rz 5). Demnach obliegt die Beschlussfassung über einen Widerruf im Fall einer nachträglichen Verurteilung jenem Gericht, dessen Urteil eine bedingte Nachsicht enthält und - was freilich nur für den hier nicht gegebenen Fall Bedeutung hat, dass nicht nur eines der im Zusammenhang des § 31 StGB stehenden Urteile eine bedingte Nachsicht enthält - zuletzt rechtskräftig wurde. Daher war zur Entscheidung über einen allfälligen Widerruf der bedingten Strafnachsicht das Landesgericht Salzburg im Verfahren AZ 33 Hv 27/02x berufen.
Demzufolge hätte weiters das Oberlandesgericht Linz im Rechtsmittelverfahren zu AZ 9 Bs 86/03 aus Anlass der Beschwerde den Widerrufsbeschluss aufheben und dem Landesgericht Salzburg auftragen müssen, im Verfahren AZ 33 Hv 27/02x über den Widerruf zu entscheiden.
Weil die auf einer demnach gesetzwidrigen Zuständigkeitsannahme beruhende Widerrufsentscheidung geeignet ist, zum Nachteil der Verurteilten zu wirken, sah sich der Oberste Gerichtshof veranlasst, sie gemäß § 292 letzter Satz StPO zugleich mit der Feststellung der Gesetzesverletzung aufzuheben. Dem Landesgericht Salzburg war demzufolge die Beschlussfassung über den Widerruf im Verfahren AZ 33 Hv 27/02x aufzutragen.
Sofern mit dem im Gerichtstag vom Verteidiger unter Vorlage einer Fotokopie der Vorderseite eines ausgefüllten Formulars StPOForm.BedV5 erstatteten Vorbringen, dass „offenbar im Juli 2003" vom Widerruf der bedingten Strafnachsicht abgesehen wurde, sodass „zwei widersprüchliche Entscheidungen existieren", eine von der Generalprokuratur nicht geltend gemachte weitere Gesetzesverletzung angesprochen werden sollte, war dazu nicht Stellung zu nehmen, weil dem Obersten Gerichtshof im Verfahren über Nichtigkeitsbeschwerden zur Wahrung des Gesetzes ein Vorgehen nach § 290 Abs 1 zweiter Satz StPO in Betreff angefochtener Beschlüsse - wie hier - verwehrt ist: Analoge Anwendung dieser Bestimmung auf Beschlüsse scheidet mangels einer entsprechenden planwidrigen Lücke des § 292 StPO aus (Ratz, WK-StPO § 292 Rz 40 mN). Ob insoweit ein von einem strafgerichtlichen Organwalter veranlasster gesetzwidriger Vorgang (RIS-Justiz RS0123625) gegeben ist oder allenfalls ohne einen solchen das erwähnte Formular im Gegensatz zu den gefassten - nunmehr aufgehobenen - Beschlüssen (ON 108, 139) und zur Endverfügung (ON 146) ausgefüllt wurde, war demnach nicht zu entscheiden.
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