OGH 13Os85/97 (13Os86/97)

OGH13Os85/97 (13Os86/97)9.7.1997

Der Oberste Gerichtshof hat am 9. Juli 1997 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof. Dr. Brustbauer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Markel, Dr. Ebner, Dr. Rouschal und Dr. Ratz als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Miljevic als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Mathias H***** und andere Angeklagte wegen des Verbrechens des Mordes nach § 75 StGB und einer anderen strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten Gerold Thomas B***** sowie die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Geschworenengerichtes beim Landesgericht Salzburg vom 22. Jänner 1997, GZ 41 Vr 1415/96-151, sowie über die Beschwerde der Staatsanwaltschaft gegen den zugleich mit dem Urteil gemäß § 494 a StPO gefaßten Beschluß nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufungen und die Beschwerde werden die Akten dem Oberlandesgericht Linz zugeleitet.

Gemäß § 390 a StPO fallen dem Angeklagten auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit auf dem Wahrspruch der Geschworenen beruhendem Urteil wurde Gerold B***** der Verbrechen des Mordes nach § 75 StGB (A/I) und des schweren Raubes nach §§ 142 Abs 1, 143 erster Satz zweiter Fall StGB (A/II) schuldig erkannt, weil er am 25.Mai 1996 mit einem (mit gleichem Urteil rechtskräftig schuldig gesprochenen) Mittäter einen Mann, dem der Mittäter zwei Fußtritte gegen die rechte Kopfhälfte versetzte und ihn zeitweise zur Verhinderung der Gegenwehr mit einem Würgegriff festhielt, mit fünf bis zehn wuchtigen Hieben mit einer metallenen Schlagwaffe (Nunchako) vorsätzlich tötete (A/I) und dem Opfer unter Verwendung der bezeichneten Waffe eine Geldbörse mit mindestens 2.000 S raubte (A/II).

Rechtliche Beurteilung

Die dagegen vom Angeklagten aus § 345 Abs 1 Z 5 und 10 a StPO erhobene Nichtigkeitsbeschwerde geht fehl.

Die Verfahrensrüge (Z 5) moniert die Abweisung von Beweisanträgen.

Im Zuge der Hauptverhandlung beantragte der Verteidiger zunächst die Vernehmung der Mutter und der Großmutter des Angeklagten zum Beweis dafür, daß ihnen gegenüber dessen Lebensgefährtin Petra B*****, deren Vernehmung wegen Zeugnisunfähigkeit gemäß § 151 Z 3 StPO nicht durchgeführt wurde, erklärt habe, der Angeklagte sei zur Tatzeit bei ihr zu Hause gewesen, B***** sei zum Zeitpunkt dieses Gespräches durchaus in der Lage gewesen, die Wahrheit anzugeben, diesbezüglich könne ein "lucidum intervallum" nicht ausgeschlossen werden (S 17 f/VIII).

In weiterer Folge wurde (im Verlaufe des in der Hauptverhandlung vorgetragenen Gutachtens eines psychiatrischen Sachverständigen über die erwähnte Zeugnisunfähigkeit) beantragt, der Sachverständige möge unverzüglich eine neue Befundung durchführen und feststellen, ob Petra B***** am Tag der Hauptverhandlung vernehmungs- und verhandlungsfähig sei, ferner die Vernehmung deren Mutter als Zeugin darüber, inwieweit bei B***** nach dem Tag der Tat symptomfreie Intervalle aufgetreten sind (S 56 f/VIII). Das Beweisthema wurde bezüglich der beantragten Zeugin in der Folge dahin ergänzt, daß sie nicht nur über den Geisteszustand von Petra B***** nach dem Tag der Tat, sondern auch über die von dieser getätigte Aussage über den Verlauf der Nacht vom 23. auf den 24.Mai 1996 Aufschlüsse geben könnte (S 131/VIII).

Letztlich releviert die Beschwerde die Ablehnung des Antrages auf Verlesung von zwei Schreiben der Petra B***** (ON 108 und 108 a), die der Verteidiger ohne Angabe eines Beweisthemas beantragt hatte (S 137/VIII).

Durch die Abweisung dieser Beweisanträge wurden Verteidigungsrechte des Angeklagten nicht verletzt.

Zum Zeitpunkt der Entscheidung durch den Schwurgerichtshof darüber bot sich folgende Sach- und Beweislage:

Der vor der Polizei zur Mittäterschaft im wesentlichen geständige Beschwerdeführer (Vernehmung vor der Bundespolizeidirektion Salzburg, S 329 ff/IV, zahlreiche Vorhalte im Rahmen des Angeklagtenverhörs in der Hauptverhandlung, S 377 ff/VII; letztlich Verlesung in der Hauptverhandlung S 139/VIII) verantwortete sich bereits vor dem Untersuchungsrichter leugnend (ON 17, siehe oben) und gab an, er wäre zur Tatzeit nicht am Tatort sondern mit seiner Lebensgefährtin Petra B***** zusammen gewesen. Bei deren Auftreten im Rahmen der Hauptverhandlung als Zeugin ergaben sich jedoch begründete Bedenken an ihrer Fähigkeit, die Wahrheit anzugeben (§ 151 Z 3 StPO; S 421 f, 507 a/VII). Der Schwurgerichtshof ordnete deswegen die Einholung eines psychiatrischen Gutachtens über diese Frage an.

Nach diesem vom Sachverständigen in der Hauptverhandlung ausführlichst erörterten und in vielfacher Beziehung (insbesondere zur Frage des Andauerns dieses Zustandes, der Wahrscheinlichkeit einer Remmission sowie des plötzlichen Auftretens symptomfreier Zeiträume) ergänzten Gutachten (ON 144, S 23 ff/VIII) besteht bei Petra B***** spätestens seit Juni 1996 das Vollbild einer schizoaffektiven Psychose im Sinne einer schweren Geistes- und Gemütserkrankung. Sie leidet unter Wahnideen, extremen Stimmungsschwankungen, Denkstörungen und an einem erheblichen Realitätsverlust. Ihr subjektives Wirklichkeitserleben wird nicht nur von wahnhafter Fehlinterpretation der Realität im Sinne von Beobachtungs- und Verfolgungsideen sondern auch von extremer Kritiklosigkeit in bezug auf zwischenmenschliche Beziehungen bestimmt. Sie ist unfähig, selbst einfache Zusammenhänge zu verstehen und sehr suggestiv. Insgesamt ist sie deshalb außer Stande, die Wahrheit anzugeben. Es ist nicht vorhersehbar, ob und wann eine entsprechende Besserung ihres Leidens eintreten wird. Aus nervenärztlicher Sicht ist es fraglich, ob im Zuammenwirken von chronisch wiederkehrender Geistes- und Gemütserkrankung, kindlich-naiver Persönlichkeitsstruktur und sehr bescheidener intellektueller Ausstattung jemals ein psychischer Zustand eintreten wird, mit welchem die Fähigkeit, die Wahrheit anzugeben, einherginge. Zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung war eine symptomfreie Phase auszuschließen (siehe insbesondere S 559 f/VII, 27 ff, 37 ff/VIII).

Ausgehend von diesem Gutachten wurde die Vernehmung von Petra B***** wegen Zeugnisunfähigkeit nicht durchgeführt, zumal keine gegenteiligen aktenkundigen Unterlagen gegen die letztlich im Ermessen des Gerichts gelegene und von diesem getroffene Lösung vorliegen (Mayerhofer, StPO4, § 151 ENr 50).

Der von der Beschwerde im Zusammenhang mit dem Antrag auf unverzügliche neue Befundaufnahme der Petra B***** - wobei in diesem Antrag nicht einmal behauptet wurde, daß dafür eine relevante Zustimmungserklärung vorläge (s Mayerhofer StPO4, § 150, ENr 56 ff) - wiederholt herangezogene, jedoch aus dem Zusammenhang der Gutachtenserstattung gelöste Hinweis des Sachverständigen, es könne jederzeit eine schlagartige Besserung eintreten, vernachlässigt, daß der Sachverständige selbst im Zuge seiner Gutachtenserörterung ausdrücklich darauf hinwies, diese Möglichkeit nur aus

wissenschaftlicher Redlichkeit ("... nur der Genauigkeit halber ...", ... aus wissenschaftlichen Gründen ist das möglich ...") einzuräumen,

dies aber auf Grund jahrelanger Erfahrung mit vergleichbaren Patienten in nächster Zeit nicht zu erwarten und infolge seiner Untersuchung klar sei, daß eine symptomfreie Phase derzeit ausgeschlossen werden kann (S 37, 59 f/VIII). Zur Frage der von der Verteidigung in der Beschwerde wie bereits in der Hauptverhandlung aktualisierten Möglichkeit des Auftretens "lucida intervalla" führte der Sachverständige aus, daß bei Zusammenschau aller Befunde und Informationsquellen überhaupt nicht zu erwarten ist, daß sich ein solcher Zeitraum ergibt, der Begriff des "lucidum intervallum" insbesondere aber auch für die Art der psychischen Störung von Petra B***** nicht anwendbar ist (S 55/VIII).

Über Auftrag des Gerichtes holte der Sachverständige (im Zuge einer Hauptverhandlungsunterbrechung telefonisch) einen ergänzenden Befundbericht des die Zeugin behandelnden Arztes (dessen Namen und Stellung in der Landesnervenklinik Salzburg er angab) ein. Daraus ergab sich die völlige Bestätigung seiner bereits davor in der Hauptverhandlung abgegebenen Expertise. Die Zeugin befand sich zur Zeit der Durchführung der Hauptverhandlung in einem psychischen Zustand, der in seiner Schwere zumindest mit dem vergleichbar ist, welchen der Sachverständige selbst bei seiner Untersuchung vorgefunden hatte. Weiterhin war nicht zu erwarten, daß Petra B***** vernehmungs- bzw zeugnisfähig ist (nochmals S 59/VIII).

So gesehen ist der Beschwerdestandpunkt, der Sachverständige könne überhaupt nicht sicher sein, den ergänzenden Befundbericht tatsächlich vom behandelnden Arzt eingeholt zu haben, nicht haltbar. Der Sachverständige hat nach eingehender Befundaufnahme und Untersuchung (am 11. und 12.Dezember 1996, ON 144) und Überprüfung seines Standpunktes noch kurz vor der Hauptverhandlung durch persönlichen Kontakt mit der Erkrankten in der Landesnervenklinik (S 39/VIII) Befund und Gutachten erstattet, von denen nicht behauptet wird, daß sie mit in §§ 125, 126 Abs 1 StGB bezeichneten Mängeln behaftet seien. Er hat durch taugliche, verifizierbare Mittel eine Ergänzung des Befundes unternommen (siehe seine Angaben zum behandelnden Arzt). Er war auch auf Grund seiner Befassung mit dem Fall in der Lage, diesbezüglich allfällige Unklarheiten sofort zu erkennen. Durch die Unterlassung einer neuerlichen persönlichen Untersuchung von Petra B***** zur Zeit der Hauptverhandlung - wozu auch (wie erwähnt) eine ausdrückliche, rechtlich relevante Zustimmung nicht vorlag - wurde angesichts ihres seit langem verlaufenden, chronischen Krankheitsprozesses somit ein Urteilsnichtigkeit begründender Verfahrensmangel nicht gesetzt.

Die Vernehmung von Mutter und Großmutter des Angeklagten ist für den Nachweis ungeeignet, daß Petra B***** im Zeitpunkt von (behaupteten) Äußerungen ihnen gegenüber imstande war, die Wahrheit anzugeben und diesbezüglich ein "lucidum intervallum" vorlag. Schon allgemein sind medizinische Laien nicht in der Lage, solche Umstände zu beurteilen, im vorliegenden Fall ist dies infolge des bereits jahrelang verlaufenden Krankheitsprozesses der Bezeichneten (erste stationäre Aufnahme in der Landesnervenklinik Salzburg am 27.Juli 1986, S 523/VII) jedenfalls ausgeschlossen. Da der diesbezügliche Beweisantrag nicht einmal ansatzweise anzuführen vermag, wann Gespräche zwischen der Erkrankten einerseits und der Mutter und Großmutter des Angeklagten andererseits über dessen Aufenthalt zur Tatzeit geführt worden seien sollen und aus welchen (medizinischen) Gründen Petra B***** gerade zu diesen Zeiten dennoch in der Lage gewesen wäre, diesbezüglich verwertbare Angaben zu deponieren, konnte der Schwurgerichtshof zu Recht davon ausgehen, daß dieses Beweisanbot angesichts der sich auf Grund unmittelbarer Beweisergebnisse bietenden Sachlage kein maßgebliches, vom Antragsteller erwartetes Ergebnis erbringen könne (Mayerhofer, StPO4, § 345 Z 5 E 14 und 15).

Diese Überlegungen treffen ebenso auf die beantragte Vernehmung der Mutter von Petra B***** zu. Einerseits kann sie bereits als Nichtmediziner keine fachlichen Auskünfte über die lediglich mit entsprechendem Sachverstand zu beurteilende Frage geben, inwieweit bei ihrer Tochter nach dem 24.Mai 1996 symptomfreie Intervalle aufgetreten sind; andererseits ist der vom Sachverständigen berichtete schwerst psychotische Zustand dieser beantragten Zeugin, der sie unfähig macht, mit der Umwelt Kontakt aufzunehmen (S 61/VIII), keineswegs eine bloß von dritter Seite stammende, nicht überprüf- und verifzierbare Information sondern wird auch bereits durch die vom Sachverständigen angestellten Befunderhebungen bestätigt (S 525/VII). Dies ermöglicht es der beantragten Zeugin (infolge des vom Sachverständigen dargestellten psychischen Zustandes, der ebenso stichhältige Gründe in Richtung des § 151 Z 3 StPO bezüglich ihrer Person indiziert) auch nicht, Aufschlüsse über allfällige Angaben ihrer Tochter über den Verlauf der Nacht vom 23. zum 24.Mai 1996 zu geben.

Im übrigen zielt ein Antrag auf Vernehmung eines Dritten darüber, was eine Zeugin diesem von dem Tathergang erzählt hatte auf einen unzulässigen Erkundungsbeweis ab (15 Os 38/97).

Am 24.September 1996 langten bei der Staatsanwaltschaft Salzburg zwei undatierte und mit Petra B***** gezeichnete Schreiben ein. In der Hauptverhandlung beantragte der Verteidiger die Verlesung dieser Briefe. Dies lehnte der Schwurgerichtshof ab, weil für die Briefe die gleichen Voraussetzungen vorlägen, wie für die Unterlassung der Verlesung der Aussagen von Petra B***** vor Polizei und Untersuchungsrichter (S 137 f/VIII), welcher vom Staatsanwalt beantragten Vorgangsweise der Verteidiger zugestimmt hatte (S 131/VIII).

Der Antrag auf Verlesung dieser beiden Schriftstücke enthält kein Beweisthema. Diese Unterlassung schließt von vornherein die Geltendmachung des Nichtigkeitsgrundes nach § 345 Abs 1 Z 5 StPO aus (Mayerhofer, aaO, § 345 E 4).

Die Tatsachenrüge (Z 10 a) unterläßt es bei bloßem Hinweis auf das Vorbringen der Verfahrensrüge, aktenkundige Umstände aufzuzeigen, die in der Lage wären, erhebliche Bedenken gegen die Richtigkeit der im Wahrspruch der Geschworenen festgestellten entscheidenden Tatsachen hervorzurufen. Sie ist daher insoweit einer sachlichen Erörterung gar nicht zugänglich. Soweit damit die im Rahmen der Verfahrensrüge erörterten Briefe sowie die Aussagen von Petra B***** vor der Polizei berührt sind, haben diese, letztere mit Zustimmung des Beschwerdeführers, keinen Eingang durch Verlesung in das Beweisverfahren gefunden (S 139 f/VIII). Auch die bezeichneten Briefe sind jedoch angesichts der massiven unmittelbaren Belastung des Beschwerdeführers durch die Mitangeklagten nicht in der Lage, erhebliche Bedenken an den Feststellungsgrundlagen des Wahrspruches zu erzeugen.

Die Nichtigkeitsbeschwerde war somit insgesamt schon bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 344 iVm § 285 d StPO).

Über die zugleich erhobenen Berufungen und über die Beschwerde hat deshalb das Oberlandesgericht Linz zu entscheiden (§ 344 iVm §§ 285 i, 498 StPO).

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