OGH 13Os62/16s

OGH13Os62/16s6.9.2016

Der Oberste Gerichtshof hat am 6. September 2016 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Kirchbacher als Vorsitzenden sowie die Hofräte und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Lässig, Mag. Michel, Dr. Oberressl und Dr. Brenner in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Jülg als Schriftführer in der Finanzstrafsache gegen Robert S***** und einen anderen Angeklagten wegen Finanzvergehen der gewerbsmäßigen Abgabenhinterziehung nach §§ 11 dritter Fall, 33 Abs 1, 38 Abs 1 FinStrG über die Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz als Schöffengericht vom 11. März 2016, GZ 171 Hv 29/15z‑53, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit der Vertreter der Generalprokuratur, Generalanwalt Mag. Holzleithner und der Finanzstrafbehörde, Mag. Josef Weber, des Angeklagten Robert S***** und der Verteidiger Dr. Reisinger und Mag. Sauseng, zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:0130OS00062.16S.0906.000

 

Spruch:

In Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde wird das angefochtene Urteil aufgehoben, eine neue Hauptverhandlung angeordnet und die Sache an das Landesgericht für Strafsachen Graz verwiesen.

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurden Robert S***** (vormals: D*****) und Martin M***** „gemäß § 259 Z 3 StPO“ (anstelle von § 214 FinStrG; dazu RIS‑Justiz RS0114396 [T1]) von dem Vorwurf freigesprochen, sie hätten,

„indem sie von Beginn an Wolfgang B***** bei der Organisation und Beschaffung der gewünschten Schein‑ und Deckungsrechnungen für die BF*****gmbH maßgeblich unterstützten sowie das Gründen von Scheinfirmen ermöglichten, wodurch Abgaben durch Wolfgang B***** hinterzogen werden konnten“, zu den „unter Punkt A.I. der Anklage angeführten“ Finanzvergehen (demnach zu ergänzen:) des Wolfgang B***** beigetragen, der (A/I der Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Graz vom 18. Juni 2015, ON 28:) „im Zuständigkeitsbereich des Finanzamtes Graz‑Umgebung (§ 21 AVOG) als für die abgabenrechtlichen Belange verantwortlicher handelsrechtlicher Geschäftsführer der unter der Steuernummer ***** beim Finanzamt Graz‑Umgebung steuerlich erfassten BF*****gmbH (FN *****) mit Sitz in U*****, vorsätzlich und in der Absicht, sich durch die wiederkehrende Begehung von Abgabenhinterziehungen eine fortlaufende Einnahme zu verschaffen, unter Verletzung seiner abgabenrechtlichen Anzeige‑, Offenlegungs‑, und Wahrheitspflichten (§§ 119 ff BAO), nämlich durch die Erfassung von Schein‑ bzw. Deckungsrechnungen und damit verbunden die Geltendmachung von ungerechtfertigten Vorsteuern und Betriebsausgaben im buchhalterischen Rechenwerk und in der Folge in den diesbezüglichen Abgabenerklärungen (samt Bezug habenden Bilanzen), im Zeitraum 2011 mit der Erlassung der darauf beruhenden Erstbescheide für die Kalenderjahre 2009 und 2010, in Ermangelung einer Kenntnis der Abgabenbehörde über das Vorliegen von Scheinrechnungen, eine Abgabenverkürzung der bescheidmäßig festzusetzenden Umsatzsteuer für das Jahr 2009 in Höhe von EUR 68.295,84 und für das Jahr 2010 in Höhe von EUR 75.327,25, insgesamt daher von EUR 143.623,09 und Körperschaftssteuer für das Jahr 2009 in Höhe von EUR 27.313,69 und für das Jahr 2010 in Höhe von EUR 69.509,06, insgesamt sohin von EUR 96.822,76 bewirkt“ habe.

Dagegen wendet sich die aus Z 5 und 9 lit a des § 281 Abs 1 StPO ergriffene Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft.

Das Schöffengericht traf die (Negativ‑)Feststellung, „dass nicht mit der für einen Schuldspruch erforderlichen Gewissheit bzw. an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit festgestellt werden kann, dass beide Angeklagte die ihnen mit Anklageschrift vom 18. Juni 2015 vorgeworfenen Beitragshandlungen, betreffend dem rechtskräftig verurteilten Wolfgang B***** (vgl. ON 42, Urteil vom 29. Jänner 2016), getätigt haben“ (US 2).

Zur Begründung führten die Tatrichter im Wesentlichen (nur) aus, die beiden Angeklagten hätten „zusammengefasst“ das ihnen angelastete Verhalten in Abrede gestellt und auch nach Konfrontation mit der Aussage des in der Hauptverhandlung am 11. März 2016 als Zeugen vernommenen Wolfgang B***** an ihren leugnenden Einlassungen festgehalten. Insbesondere hätten sie bestritten, die „gegenständlichen“ (als ON 44 im Akt erliegenden) Rechnungen ausgestellt zu haben. Aufgrund „der Vielzahl der unterschiedlichen Darstellungen des nunmehr als Zeugen einvernommenen Wolfgang B*****“ sei dies nicht widerlegbar gewesen. Andere belastende Beweismittel seien im Verfahren nicht hervorgekommen, sodass „nach dem Grundsatz in dubio pro reo vorzugehen“ gewesen sei (US 3 f).

Rechtliche Beurteilung

Die Beschwerde wendet zutreffend ein, dass der Ausspruch des Schöffengerichts über entscheidende Tatsachen damit in mehrfacher Hinsicht unvollständig (Z 5 zweiter Fall) blieb, weil dieses bei der für die Feststellung solcher Tatsachen angestellten Beweiswürdigung folgende in der Hauptverhandlung vorgekommene (§ 258 Abs 1 StPO), der betreffenden (Negativ-)Feststellung entgegenstehende – demnach erhebliche (RIS‑Justiz RS0116877) –Verfahrensergebnisse unberücksichtigt ließ ( Ratz , WK‑StPO § 281 Rz 421):

Die Angaben des Angeklagten Robert S***** , wonach (sinngemäß)

– er die „Scheingeschäftsführer“ für jene Gesellschaften organisiert habe, welche die von Wolfgang B***** verwendeten Scheinrechnungen ausgestellt hätten (ON 52 S 19 iVm ON 18 S 7 verso f, ON 20 S 3 verso, 9 verso f und 13 sowie ON 41 S 9);

– er in ein bis zwei Fällen selbst Scheinrechnungen der I***** GmbH im Auftrag von Martin M***** an Wolfgang B***** überbracht habe (ON 52 S 19 iVm ON 20 S 7 verso und ON 41 S 9);

– er in Bezug auf die von der L***** GmbH ausgestellten Scheinrechnungen den „Scheingeschäftsführer“ Tomaz L***** über Auftrag des Wolfgang B***** mehrmals nach Österreich geholt habe, damit dieser die für die Unternehmensführung notwendigen Behörden- und Bankwege erledigen sowie diverse Dokumente unterschreiben könne (ON 52 S 19 iVm ON 20 S 11);

– die betreffenden Scheinrechnungen der St***** GmbH, der I***** GmbH, der C***** GmbH und der E***** GmbH vom Angeklagten Martin M***** ausgestellt worden seien, der als „Kopf und Denker der Gruppe“ die Geschäftsidee entwickelt habe (ON 52 S 19 iVm ON 18 S 3 verso f), sich mehrmals pro Woche in den Räumlichkeiten des Wolfgang B***** aufgehalten und diesem dabei die benötigten Scheinrechnungen teils ausgestellt, teils übergeben habe (ON 52 S 19 iVm ON 18 S 9 ff, ON 19 S 9 sowie ON 20 S 3 verso und 9);

– die (ebenfalls Scheinrechnungen ausstellende) L***** GmbH auf Initiative des Martin M***** gegründet worden sei, der auch dafür notwendige Behördenwege erledigt und die Unterlagen sodann Wolfgang B***** übergeben habe (ON 52 S 19 iVm ON 18 S 9 und ON 20 S 9 verso f);

ferner die Angaben des Zeugen Tomaz L***** , wonach er den Angeklagten Martin M***** kenne, dieser mit „K*****“ (gemeint Robert S***** ) und Wolfgang B***** zusammengearbeitet habe und er selbst mehrmals von „K*****“ (gemeint Robert S***** ) nach Österreich geholt worden sei, um hier Unterschriften zu leisten (ON 52 S 19 iVm ON 2 Anlage 4, darin S 3 f und 8).

Dem Erfordernis, einen Feststellungsmangel in Ansehung jener Tatbestandsmerkmale geltend zu machen, zu denen das Erstgericht keine Aussage getroffen hat (RIS‑Justiz RS0127315), genügt die Beschwerdeführerin, indem sie (aus Z 9 lit a) Feststellungen, die Schuldsprüche der Angeklagten (in objektiver und in subjektiver Hinsicht) trügen, durch deutlichen Hinweis auf dies indizierende Verfahrensergebnisse reklamiert.

Die aufgezeigten Begründungsmängel (Z 5 zweiter Fall) erfordern daher – wie schon die Generalprokuratur in ihrer Stellungnahme zutreffend darlegte – die Aufhebung des Freispruchs und die Neudurchführung des Verfahrens.

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