OGH 13Os61/19y

OGH13Os61/19y9.10.2019

Der Oberste Gerichtshof hat am 9. Oktober 2019 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Lässig als Vorsitzenden sowie die Hofräte und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer, Mag. Michel, Dr. Oberressl und Dr. Brenner in Gegenwart der Schriftführerin Mag. Jukic in der Strafsache gegen Herbert R***** wegen des Verbrechens des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 und 3 erster Fall StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts Salzburg als Schöffengericht vom 2. April 2019, GZ 36 Hv 61/17s‑75, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2019:0130OS00061.19Y.1009.000

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Linz zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

 

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Herbert R***** mehrerer Verbrechen des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB (I), des Verbrechens des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 und 3 erster Fall StGB (II) sowie mehrerer Vergehen des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs 1 Z 1 StGB (III) schuldig erkannt.

Danach hat er vom September 2016 bis zum 23. Oktober 2016 in T*****

(I) fünfmal dadurch, dass er sich von der 2006 geborenen K***** R***** beim gemeinsamen Duschen seinen Penis waschen ließ, eine geschlechtliche Handlung von einer unmündigen Person an sich vornehmen lassen,

(II) anlässlich der letzten der zu I genannten Handlungen mit K***** R***** eine dem Beischlaf gleichzusetzende Handlung unternommen, indem er mit seiner Zunge ihre Vagina penetrierte, wobei die Tat eine reaktive depressive Symptombildung, mithin eine schwere Körperverletzung (§ 84 Abs 1 StGB), zur Folge hatte und

(III) durch die zu I und II angeführten Handlungen mit seiner minderjährigen Stieftochter K***** R***** geschlechtliche Handlungen vorgenommen und von ihr an sich vornehmen lassen.

Rechtliche Beurteilung

Die dagegen aus § 281 Abs 1 Z 4 und 5 StPO ergriffene Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten ist nicht im Recht.

Entgegen der Verfahrensrüge (Z 4) wurden durch die Abweisung der Anträge, den „Akt betreffend den Eintrag“ von Univ.‑Prof. DDr. G***** in der „SV‑Liste vomLG I***** beizuschaffen“, diesen „von der Tätigkeit als Gutachter in diesem Verfahren zu entheben, einen anderen Sachverständigen mit der Erstellung eines aussagepsychologischen Gutachtens zu beauftragen“und „das Gutachten“ des Sachverständigen Univ.‑Prof. DDr. G***** „nicht zu verwerten“ (ON 74 S 2), Verteidigungsrechte nicht geschmälert.

Das Begehren auf Beischaffung des genannten Aktes und Enthebung des Sachverständigen samt Beiziehung eines anderen Experten wurde mit nicht näherkonkretisierten Plagiatsvorwürfen im Internet gegen Univ.‑Prof. DDr. G***** und dessen „nicht … ausreichende[r] Zuverlässigkeit“ begründet. Damit wurde der Sache nach dessen mangelnde Sachkunde behauptet. Ein solcher Einwand war jedoch – wie hier – nach Erstattung von Befund und Gutachten (vgl ON 32) zufolge der Spezialregelung des § 127 Abs 3 StPO nicht mehr zulässig (RIS‑Justiz RS0126626). Mängel im Sinn dieser Bestimmung wurden bei der Antragstellung nicht behauptet.

Die Begründung des Antrags, das (bereits erstattete) Gutachten nicht in der Hauptverhandlung vorkommen zu lassen, weil die Zeugin K***** R***** „nach den vorliegenden Unterlagen“ (gemeint offenbar: vom Sachverständigen anlässlich der Befundaufnahme) „nicht ausreichend über ihre Entschlagungsrechte belehrt wurde“, ist unverständlich, weil es sich beim Sachverständigen– dem gegenüber eine Aussagepflicht ohnehin nicht besteht (vgl RIS‑Justiz RS0118956 [insbes T1 und T3]) – (von § 165 Abs 3 StPO abgesehen) nicht um eine „Verhörsperson“ handelt, er also nicht Adressat der in § 159 Abs 1 StPO normierten Informationspflicht ist. Befunde, die Tatsachenschilderungen enthalten, sind daher im Übrigen auch keine „amtlichen Schriftstücke“ im Sinn des § 252 Abs 1 StPO, weshalb deren Vorkommen in der Hauptverhandlung unter dem Aspekt § 281 Abs 1 Z 3 StPO unbeachtlich ist (RIS-Justiz RS0120787; 14 Os 86/15a; Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 236 und 365; Kirchbacher, WK‑StPO § 252 Rz 28 f; Lässig, Das Rechtsschutzsystem der StPO und dessen Effektuierung durch den OGH, ÖJZ 2006, 406 [409]).

Erachtet sich der Angeklagte durch die Verlesung von in einem Sachverständigenbefund enthaltenen Zeugenangaben in seinem Recht, Fragen an Belastungszeugen zu stellen (Art 6 Abs 3 lit d MRK), verkürzt, kann er sich dagegen durch entsprechende – aus § 281 Abs 1 Z 4 StPO geschützte – Antragstellung zur Wehr setzen. Diese dient der Durchsetzung des Unmittelbarkeitsprinzips, weshalb ein sachgerechter Antrag nicht auf Verhinderung der – hier zumal mündlichen, also unmittelbaren (ON 74 S 4 ff) – Gutachtenserstattung in der Hauptverhandlung, sondern auf (ergänzende) Befragung jener Person, deren Angaben im Befund enthalten sind, zu richten ist (vgl 13 Os 142/14b).

Mit dem auf den Antrag, das Gutachten des Sachverständigen Univ.‑Doz. Dr. H***** (ON 68) nicht zu verlesen, weil „wieder nicht ersichtlich ist, ob die beiden Zeugen über ihr Entschlagungsrecht belehrt wurden“ (ON 73 S 2), bezogenen Vorbringen wird die weitere Verfahrensrüge auf die obigen Ausführungen verwiesen.

Der Antrag (ON 73 S 3) auf „Beischaffung des Strafaktes gegen den Angeklagten wegen angeblichen Missbrauchs an seiner leiblichen Tochter“ und „Vorspielung der kontradiktorischen Einvernahme der Minderjährigen“ (in jenem – eingestellten – Verfahren) nannte kein erhebliches Beweisthema (RIS‑Justiz RS0116503). Soweit mit der Behauptung, es habe dort „suggestive Einflüsse durch die Mutter“ gegeben, allenfalls die Glaubwürdigkeit der Zeugin K***** R***** erschüttert werden sollte, wurde nicht dargelegt, weshalb die begehrte Beweisaufnahme ergeben sollte, diese Zeugin habe in Bezug auf entscheidende Tatsachen die Unwahrheit gesagt (RIS‑Justiz RS0120109 [T3], RS0107040 [T5]; Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 330).

Ein erhebliches Beweisthema ließ auch der Antrag auf zeugenschaftliche Vernehmung von Birgit R***** und Elisabeth R***** dazu, dass „weder ein Privatdetektiv engagiert worden war, noch Stalking Handlungen gesetzt wurden, noch dass eines oder bis zu alle KlassenschulkollegInnen der K***** R***** auf dem Schulweg abgefangen und befragt wurden“ (ON 73 S 4), vermissen. Inwieweit dieser Umstand für „die psychische Verfassung“ des Tatopfers (gemeint ersichtlich: die Beurteilung von diesem durch die zu II angelastete Tat erlittener Verletzungsfolgen [vgl § 206 Abs 3 erster Fall StGB]) von Bedeutung sein sollte, wurde nicht erklärt.

Entgegen der Mängelrüge ist die Begründung der Feststellungen zum objektiven Tatgeschehen (insbesondere zu den Tatzeiten) nicht unvollständig (Z 5 zweiter Fall). Denn das Erstgericht hat die Angaben des Tatopfers bei der kontradiktorischen Vernehmung, die Aussagen des Angeklagten und der Zeugin Michaela R***** und Unterlagen über die Arbeitszeiten dieser beiden im Tatzeitraum ausführlich erörtert (US 4 ff). Zu einer Auseinandersetzung „mit den vorgelegten Arbeitszeitaufzeichnungen“ im Detail war es schon mit Blick auf das Gebot zu gedrängter Darstellung der Entscheidungsgründe (§ 270 Abs 2 Z 5 StPO) nicht verhalten.

Da die Tatrichter die Verantwortung des Beschwerdeführers mit mängelfreier Begründung als nicht glaubhaft verwarfen (US 15), konnte eine nähere Erörterung seiner Einwände, der zu II angelastete Tathergang sei „schon aufgrund der örtlichen Gegebenheiten“ nicht möglich gewesen, unterbleiben (RIS‑Justiz RS0098642 [T1]). Die dazu getroffenen Feststellungen stützten die Tatrichter auf eine ausführliche Analyse der – auch mit Blick auf sonstige Beweisergebnisse für glaubhaft befundenen – Angaben des Tatopfers (US 6 ff). Dies ist – der weiteren Mängelrüge (Z 5 vierter Fall) zuwider – unter dem Aspekt der Begründungstauglichkeit nicht zu beanstanden.

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO).

Daraus folgt die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufung (§ 285i StPO).

Der Kostenausspruch beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

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