European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:0130OS00043.16X.0518.000
Spruch:
In der Strafsache AZ 17 U 374/14k des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien verletzen
1./ das Urteil des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien vom 16. Juni 2015, GZ 17 U 374/14k‑58, in der Anwendung des erhöhten Strafrahmens im Sanktionsausspruch (§ 260 Abs 1 Z 3 StPO) betreffend Deniz A*****, Romeo V*****, Gerhard Ag***** und Baris T***** § 91 Abs 1 StGB idF vor BGBl I 2015/112;
2./ das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Berufungsgericht vom 25. November 2015, AZ 134 Bl 120/15p,
a./ im Unterlassen der amtswegigen Wahrnehmung der den unter 1./ genannten Aussprüchen nach § 468 Abs 1 Z 4 (§ 281 Abs 1 Z 11 erster Fall) StPO anhaftenden Nichtigkeit § 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO iVm § 471 StPO;
b./ in der nach vorangegangener Aufhebung des erstinstanzlichen Strafausspruchs und Strafneubemessung erfolgten meritorischen Entscheidung über die Berufung des Angeklagten Hasan K***** wegen des Ausspruchs über die Strafe den aus § 464 Z 2 StPO iVm § 471 StPO hervorgehenden Grundsatz, dass eine solche Entscheidung den aufrechten Bestand des erstinstanzlichen Strafausspruchs voraussetzt;
c./ im Unterbleiben der Aufhebung des in Ansehung des Angeklagten Hasan K***** gemäß § 494a Abs 1 Z 2 und Abs 6 StPO gefassten Beschlusses des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien vom 16. Juni 2015, GZ 17 U 374/14k‑58 (S 4), auf Absehen vom Widerruf bedingter Strafnachsicht und Verlängerung der Probezeit den sich aus §§ 494a Abs 1, 498 Abs 3 dritter Satz StPO ergebenden Grundsatz der Abhängigkeit von nach § 494a StPO
gefassten Beschlüssen vom aufrechten Bestand eines konnexen Strafausspruchs.
Das Urteil des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien vom 16. Juni 2015, GZ 17 U 374/14k‑58, das im Übrigen unberührt bleibt, wird in den Strafaussprüchen hinsichtlich der Angeklagten Deniz A*****, Romeo V*****, Gerhard Ag***** und Baris T*****, demzufolge auch im gemäß § 494a Abs 1 Z 2 und Abs 6 StPO gefassten Beschluss betreffend Romeo V*****, aufgehoben und die Sache im Umfang der Aufhebung zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Bezirksgericht Innere Stadt Wien verwiesen.
Gründe:
Mit Urteil des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien vom 16. Juni 2015, GZ 17 U 374/14k‑58, wurden Hasan K*****, Deniz A*****, Romeo V*****, Gerhard Ag***** und Baris T***** des Vergehens des Raufhandels nach § 91 Abs 1 „2. Fall“ StGB idF vor BGBl I 2015/112 schuldig erkannt und hiefür nach „§ 91 Abs 1, 2. Strafsatz StGB“ jeweils zu Geldstrafen verurteilt.
In den Entscheidungsgründen (US 7 ff) wird festgestellt, dass am 20. Oktober 2013 in einem Wiener Lokal ein Streit des Angeklagten Hasan K***** mit einem anderen Gast einen Tumult auslöste. Die Lokalangestellten Amirhossein H***** und Baris T***** forderten Hasan K*****, Deniz A*****, Romeo V***** und Gerhard Ag***** zum Verlassen des Lokals auf. Amirhossein H***** wurde von einem unbekannten Täter gestoßen und stürzte zu Boden. Es kam zu einer Schlägerei zwischen Hasan K*****, Deniz A*****, Romeo V***** und Gerhard Ag***** einerseits sowie Baris T***** und weiteren Beteiligten andererseits. Sämtliche Genannte versetzten einander Schläge, Tritte und Stöße, versuchten, einander von anderen wegzuziehen, und nahmen solcherart vorsätzlich an einer Schlägerei teil, durch welche Amirhossein H***** eine Ausrenkung des Schultergelenks, sohin eine an sich schwere Körperverletzung mit einer mehr als 24 Tage dauernden Gesundheitsschädigung und Berufsunfähigkeit, erlitt.
Mit unter einem gefassten Beschlüssen sah das Bezirksgericht Innere Stadt Wien vom Widerruf der Hasan K***** zu AZ 82 Hv 124/12y und Romeo V***** zu AZ 54 Hv 77/12f je des Landesgerichts für Strafsachen Wien gewährten bedingten Strafnachsichten ab und verlängerte die Probezeit jeweils auf fünf Jahre (US 4).
Deniz A*****, Romeo V*****, Gerhard Ag***** und Baris T***** ließen diese Entscheidungen unbekämpft.
In Stattgebung der Berufung des Angeklagten Hasan K***** wegen Nichtigkeit (§ 281 Abs 1 Z 11 StPO) hob das Landesgericht für Strafsachen Wien mit Urteil vom 25. November 2015, AZ 134 Bl 120/15p (ON 96), das angefochtene Urteil, das im Schuldspruch unberührt blieb, im Hasan K***** betreffenden „Ausspruch über die strafbare Handlung“ sowie im Strafausspruch auf und erkannte in der Sache selbst, dass Hasan K***** „hiedurch das Vergehen des Raufhandels nach § 91 Abs 1 erster Fall StGB begangen hat“. Hiefür verurteilte es den Genannten nach „§ 91 Abs 1, erster Strafsatz StGB“ erneut zu einer Geldstrafe. Im Übrigen wies es die Berufung dieses Angeklagten wegen Nichtigkeit als unbegründet zurück und gab seiner Berufung wegen Schuld „und Strafe“ sowie mit unter einem gefassten Beschluss „der Beschwerde (§ 498 Abs 3 StPO)“ keine Folge (ON 96 S 1).
Die Sanktionsaussprüche hinsichtlich Deniz A*****, Romeo V*****, Gerhard Ag***** und Baris T***** (§ 260 Abs 1 Z 3 StPO) ließ das Berufungsgericht unbeanstandet (ON 96).
Rechtliche Beurteilung
Wie die Gereralprokuratur in ihrer zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zutreffend ausführt, stehen die genannten Urteile des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien (ON 58) und des Landesgerichts für Strafsachen Wien (ON 96)mit dem Gesetz nicht im Einklang:
1./ Die im Urteil des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien vom 16. Juni 2015, GZ 17 U 374/14k‑58, enthaltenen Feststellungen (US 7 ff) tragen die Anwendung des höheren Strafrahmens (vgl RIS‑Justiz RS0125921; Jerabek in WK2 StGB § 91 Rz 2, 23; Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 666) des § 91 Abs 1 StGB idF vor BGBl I 2015/112 nicht:
Das Vergehen des Raufhandels nach § 91 Abs 1 StGB idF vor BGBl I 2015/112 besteht in der tätlichen Teilnahme an einer Schlägerei und ist ‑ sofern diese eine schwere Körperverletzung (§ 84 Abs 1 StGB) eines anderen verursacht ‑ mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder Geldstrafe bis zu 360 Tagessätzen bedroht. Wird durch eine Schlägerei der Tod eines anderen verursacht, führt dies bloß zu einem erhöhten Strafrahmen (Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren), also einer erweiterten Strafbefugnis im Sinn von § 281 Abs 1 Z 11 erster Fall StPO, ändert aber an der Schuldfrage (§ 260 Abs 1 Z 2 StPO), mithin am Strafsatz (also der Subsumtion; § 281 Abs 1 Z 10 StPO) nichts (RIS‑Justiz RS0125921). Die Annahme des erhöhten Strafrahmens des § 91 Abs 1 StGB idF vor BGBl I 2015/112 war auf Basis der Entscheidungsgründe (US 7 ff) verfehlt.
2./ Das Landesgericht für Strafsachen Wien als Berufungsgericht hätte im Rechtsmittelverfahren AZ 134 Bl 120/15p die zu 1./ aufgezeigte ‑ mit materieller Nichtigkeit (Z 11 erster Fall; vgl dazu RIS‑Justiz RS0125921; Jerabek in WK2 StGB § 91 Rz 23; Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 666) behaftete ‑ Überschreitung der Strafbefugnis aus Anlass der Entscheidung über die Berufung des Angeklagten Hasan K***** auch in Ansehung der Angeklagten Deniz A*****, Romeo V*****, Gerhard Ag***** und Baris T***** von Amts wegen wahrnehmen müssen (§ 471 StPO iVm § 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO; RIS‑Justiz RS0114232, RS0114318).
3./ Auf Grund der in Stattgebung der Berufung wegen Nichtigkeit gemäß § 468 Abs 1 Z 4 (§ 281 Abs 1 Z 11) StPO beim Angeklagten Hasan K***** in der Berufungsverhandlung (§ 471 StPO iVm § 288 Abs 2 Z 3 erster Satz StPO) erfolgten Kassation des erstinstanzlichen Strafausspruchs samt Strafneubemessung (US 1) hätte das Rechtsmittelgericht über die Berufung des zuvor Genannten wegen des Ausspruchs über die Strafe (§ 464 Z 2 StPO) mangels aufrechten Bestands des hiefür erforderlichen Strafausspruchs nicht meritorisch entscheiden dürfen, sondern den Angeklagten Hasan K***** mit seiner Strafberufung auf die Strafneubemessung verweisen müssen.
4./ Bei Beschlüssen gemäß
§ 494a StPO handelt es sich um „bedingte“ Beschlüsse, deren rechtlicher Bestand von der Rechtskraft des Urteils abhängig ist, das den Anlass für die Beschlussfassung bildet. Jede Abänderung oder Aufhebung des Strafausspruchs der Anlassverurteilung durch das Rechtsmittelgericht macht diese Beschlüsse ‑ unabhängig davon, ob auch sie angefochten wurden oder nicht ‑ hinfällig und bedingt deren Aufhebung (RIS‑Justiz RS0101886, RS0100194; Jerabek, WK‑StPO § 498 Rz 8).
Das Landesgericht für Strafsachen Wien als Berufungsgericht hätte daher zufolge Aufhebung des Strafausspruchs in Ansehung des Hasan K***** zugleich auch den diesen Angeklagten betreffenden Beschluss auf Absehen vom Widerruf bedingter Strafnachsicht und Verlängerung der Probezeit (§ 494a Abs 1 Z 2 und Abs 6 StPO) aufheben, nach Neubemessung der Strafe eine neue Entscheidung nach § 494a StPO in den durch das Verschlechterungsverbot (§ 290 Abs 2 StPO [hier iVm § 471 StPO]) gezogenen Grenzen treffen und den Angeklagten mit seiner impliziten (§ 498 Abs 3 dritter Satz StPO) Beschwerde auf die Strafneubemessung verweisen müssen.
Mit Blick auf den solcherart verfehlten Beschluss, der (impliziten) Beschwerde „nicht Folge zu geben“, liegt jedoch kein Nachteil für den Verurteilten Hasan K***** vor. Denn das Berufungsgericht sah damit im Ergebnis ‑ ebenso wie zuvor das Bezirksgericht Innere Stadt Wien ‑ vom Widerruf der dem Genannten zu AZ 82 Hv 124/12y des Landesgerichts für Strafsachen Wien gewährten bedingten Strafnachsicht unter Probezeitverlängerung auf fünf Jahre ab (US 1, 7).
Da eine den Verurteilten Deniz A*****, Romeo V*****, Gerhard Ag***** und Baris T***** nachteilige Wirkung der zu 1./ aufgezeigten und wie zu 2./ dargestellt vom Berufungsgericht verfehlt nicht von Amts wegen aufgegriffenen Gesetzesverletzung nicht auszuschließen ist, sah sich der Oberste Gerichtshof veranlasst, deren Feststellung auf die im Spruch ersichtliche Weise mit konkreter Wirkung zu verknüpfen (§ 292 letzter Satz StPO).
Die zu 3./ und 4./ aufgezeigten Gesetzesverletzungen waren hingegen mangels Nachteils für den Verurteilten Hasan K***** lediglich festzustellen.
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