OGH 13Os31/79

OGH13Os31/799.8.1979

Der Oberste Gerichtshof hat unter dem Vorsitz des Präsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Pallin und in Gegenwart der Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Piska, Dr. Horak, Dr. Schneider und Dr. Hörburger als Richter sowie des Richteramtsanwärters Dr. Plischnack als Schriftführers in der Strafsache gegen Gerhard A und andere wegen des Verbrechens des teils vollendeten, teils versuchten Diebstahls durch Einbruch nach den §§ 127 Abs 1 und 2, Z 1, 129 Z 1 und 15 StGB und anderer strafbarer Handlungen mit Zustimmung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung über die Nichtigkeitsbeschwerden des Angeklagten Gerhard A und der Staatsanwaltschaft (zugunsten dieses Angeklagten) gegen das Urteil des Landesgerichtes Linz als Schöffengerichtes vom 9. November 1978, GZ 24 Vr 1.324/

78-28, zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Den Nichtigkeitsbeschwerden wird Folge gegeben, das angefochtene Urteil, das im übrigen unberührt bleibt, in den unter Punkt B/I/1 (wegen Verbrechens der - versuchten - Unzucht mit Unmündigen nach den §§ 15, 207 Abs 1 StGB) und Punkt C/ (wegen Vergehens nach dem § 36 Abs 1 lit. b Waffengesetz) bezeichneten Schuldsprüchen des Gerhard A und demgemäß auch in dem diesen Angeklagten betreffenden Strafausspruch (einschließlich der Anordnung der Bewährungshilfe) aufgehoben und die Sache zur nochmaligen Verhandlung und Entscheidung im Umfang der Aufhebung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Helmut A und Ingeborg A werden mit ihren Nichtigkeitsbeschwerden und Berufungen auf diese Entscheidung verwiesen.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde u. a. der am 31. März 1963 geborene Malerlehrling Gerhard A des Verbrechens des teils vollendeten, teils versuchten Diebstahls (durch Einbruch) nach den §§ 127 Abs 1 und Abs 2 Z 1, 129 Z 1, 15 StGB (Punkt A/ des Urteilssatzes), des Vergehens (richtig: Verbrechens) der (versuchten) Unzucht mit Unmündigen nach den §§ 15, 207 Abs 1 StGB (Punkt B/I/1 des Urteilssatzes), des Vergehens der Nötigung zur Unzucht nach dem § 204 Abs 1 StGB (Punkt B/I/2 des Urteilssatzes), des Verbrechens (richtig: Vergehens) der Nötigung nach dem § 105 Abs 1 StGB (richtig: der versuchten Nötigung nach den §§ 15, 105 Abs 1 StGB) (Punkt B/II des Urteilssatzes) und des Vergehens nach dem § 36 Abs 1 lit. b WaffenG (Punkt C/ des Urteilssatzes) schuldig erkannt.

Die - ziffernmäßig - auf die Nichtigkeitsgründe der Z 5, 9 lit. a und lit. b des § 281 Abs 1 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten Gerhard A richtet sich nur gegen seine Schuldsprüche wegen Vergehens (richtig: Verbrechens) der (versuchten) Unzucht mit Unmündigen nach den §§ 15, 207 Abs 1 StGB (Punkt B/I/1 des Urteilssatzes) und wegen Vergehens nach dem § 36 Abs 1 lit. b WaffenG (Punkt C/ des Urteilssatzes). Die Staatsanwaltschaft strebt mit ihrer sich im Ergebnis zum Vorteil des Angeklagten auswirkenden Nichtigkeitsbeschwerde unter Geltendmachung des Nichtigkeitsgrundes der Z 10 der vorzitierten Gesetzesstelle in dem Gerhard A betreffenden Urteilsfaktum B/I/1 unter Hinweis auf § 207 Abs 3 StGB einen Schuldspruch wegen Vergehens der versuchten Nötigung zur Unzucht nach den §§ 15, 204 Abs 1 StGB (an Stelle des im Ersturteil ausgesprochenen Schuldspruchs wegen Vergehens - richtig: Verbrechens - der /versuchten/ Unzucht mit Unmündigen nach den §§ 15, 207 Abs 1 StGB) an.

Dem Angeklagten Gerhard A liegt im Urteilsfaktum B/I/1 nach dem Inhalt des bezüglichen Schuldspruchs zur Last, während der Osterferien 1978 (somit im März 1978) in Linz die am 5. Dezember 1964 geborene (somit zur Tatzeit noch) unmündige Schülerin Petra Maria B dadurch, daß er sie in eine offene Tür drängte und ihr in Verfolgung seines Vorhabens, ihren Geschlechtsteil zu betasten, den Reißverschluß der Blue-Jean-Hose öffnete, zu einer unzüchtigen Handlung zu verleiten (ersichtlich gemeint: auf andere Weise als durch Beischlaf zur Unzucht zu mißbrauchen) versucht zu haben. Der Schuldspruch wegen Vergehens nach dem § 36 Abs 1 lit. b WaffenG (Urteilsfaktum C/) erging deshalb, weil der Angeklagte Gerhard A am 10. Juni 1978 in Linz eine verbotene Waffe, nämlich ein als 'Nunchaku' bezeichnetes Gerät, unbefugt besaß.

Rechtliche Beurteilung

Zunächst kommt schon der Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten Gerhard A insoweit Berechtigung zu, als er - der Sache nach den Nichtigkeitsgrund der Z 9 lit. b des § 281 Abs 1 StPO relevierend - unter zutreffendem Hinweis auf den unter zwei Jahren liegenden Altersunterschied, der zwischen ihm - zur Tatzeit (März 1978) knapp fünfzehn Jahre alt - und seinem Opfer - damals rund dreizehneinviertel Jahre alt - bestand, und das Fehlen von Tatfolgen im Sinn des § 207 Abs 2 StGB für sich mit Recht den Strafausschliessungsgrund des § 207 Abs 3 StGB beansprucht, der jedenfalls seinem Schuldspruch wegen versuchter Unzucht mit (einer) Unmündigen nach dem Abs 1 dieser Gesetzesstelle entgegensteht. Aus diesem Grund erübrigt sich auch ein Eingehen auf die weiteren, gegen den vorbezeichneten Schuldspruch (Punkt B/I/1) gerichteten Einwände des beschwerdeführenden Angeklagten.

Desgleichen erweist sich die Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft insoweit als berechtigt, als auch sie in Bekämpfung dieses unter Punkt B/I/1 des Urteilssatzes bezeichneten Schuldspruchs das Vorliegen des Strafausschliessungsgrundes des § 207 Abs 3 StGB aufzeigt. Außerdem ist im Grundsätzlichen den weiteren rechtlichen Ausführungen in der Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft, mit denen sie im Urteilsfaktum Punkt B/I/1 einen Schuldspruch des Angeklagten A wegen Vergehens der versuchten Nötigung zur Unzucht nach §§ 15, 204 Abs 1 StGB anstrebt, zumindest im Ergebnis beizupflichten:

Anders als Burgstaller (JBl. 1978, S. 396) und Foregger-Serini (StGB2, S. 349, 350 und 355), die eine - echte - (Ideal-)Konkurrenz der Delikte nach den §§ 207 Abs 1 und 204 Abs 1 StGB bejahen, vertritt der Oberste Gerichtshof den Standpunkt (vgl. 13 Os 167/77 = ÖJZ-LSK 1978/

214, u.a.m. übereinstimmend mit Reissig-Kunst, Anm. 2 zu § 203, Anm. 1 zu § 205, Mayerhofer-Rieder, Anm. 6 zu § 207

StGB; sh auch EvBl. 1977/136 zu § 209 StGB), daß § 207 Abs 1 StGB (als lex specialis) das Delikt nach dem § 204 Abs 1 StGB verdrängt und in einem solchen Fall die gegenüber der unmündigen - vielfach gar nicht widerstandsfähigen - Person angewendete Gewalt oder gefährliche Drohung nur einen bei der Strafbemessung zu berücksichtigenden Erschwerungsgrund darstellt. Liegen aber - wie im vorliegenden Fall - bei der dem § 207 Abs 1 StGB zu unterstellenden Tat die Voraussetzungen des Absatzes 3 dieser Gesetzesstelle vor, so ist der Täter nach dem § 207 Abs 1 StGB nicht strafbar. Hat er aber die unmündige Person (durch Gewalt oder gefährliche Drohung) zur Unzucht genötigt, tritt in diesem Fall die Strafbarkeit des Täters nach dem § 204 Abs 1 StGB (und nicht nach § 105 Abs 1 StGB) ein (vgl. wieder 13 Os 167/77 u.a.m.).

Allerdings reichen die dem Schuldspruch des Gerhard A im Urteilsfaktum B/I/1 zugrundeliegenden Urteilsfeststellungen zu einer abschließenden Beurteilung, ob dieser Angeklagte den Vergehenstatbestand der versuchten Nötigung zur Unzucht nach den §§ 15, 204 Abs 1 StGB verwirklichte, nicht aus: Nach dem Inhalt dieses Schuldspruchs bestand die Tathandlung des Angeklagten A im Urteilsfaktum B/I/1 darin, daß er die unmündige Petra Maria B in eine offene Tür (hinein-)drängte und ihr dort - in Verfolgung seines Vorhabens, sie am Geschlechtsteil zu betasten - den Reißverschluß ihrer Blue-Jean-Hose öffnete. Hiezu wird in den Urteilsgründen unter Wiedergabe der bezüglichen, ersichtlich vom Erstgericht für richtig erachteten und demnach als Feststellungsgrundlage herangezogenen (geständigen) Verantwortung des Beschwerdeführers vor der Polizei und in der Hauptverhandlung im wesentlichen ausgeführt, der Angeklagte habe das Mädchen mit dem Rücken gegen die Mauer gedrängt und festgehalten und in weiterer Folge - zwar ohne dessen Einverständnis - den Reißverschluß der Blue-Jean-Hose geöffnet, weil er mit der Hand auf den Geschlechtsteil greifen wollte. Dazu sei es aber infolge der überraschenden Dazwischenkunft einer Frau nicht mehr gekommen (vgl. S. 165 und 166 d. A). Dieser dem Ersturteil zu entnehmende und erkennbar dem Schuldspruch zu Punkt B/I/1 zugrundegelegte Sachverhalt deckt zwar die rechtliche Annahme eines bereits in das Stadium des - strafbaren - Versuchs getretenen ausführungsnahen Verhaltens (§ 15 Abs 2 StGB) in bezug auf den vom Angeklagten nach seinem Tatplan angestrebten Mißbrauch des Mädchens zur Unzucht, hatte doch dieser Angeklagte, der seine Hand mit dem Geschlechtsteil seines Opfers in eine nicht bloß flüchtige sexualbezogene Berührung bringen wollte (vgl. ÖJZ-LSK 1976/79 und 1978/24, sowie Foregger-Serini StGB2, S. 349), zu diesem Zweck bereits den Reißverschluß der Hose (des Kindes) geöffnet. Das Ersturteil läßt aber nach den vorerwähnten, insoweit undeutlich gebliebenen Urteilsannahmen offen, ob der Angeklagte hier tatsächlich eine zur Verwirklichung des Vergehenstatbestandes nach dem § 204 Abs 1 StGB erforderliche Gewalt im Sinn einer nach den Umständen des Falles zur Beugung des entgegenstehenden Willens des Opfers geeigneten physischen Kraft von gewisser Schwere (EvBl. 1978/175) anwendete und damit sein Opfer zur Unzucht zu nötigen versuchte. Die weitere, im § 204 Abs 1 StGB angeführte Begehungsform 'durch gefährliche Drohung' kommt im Urteilsfaktum B/I/1 nach den Verfahrensergebnissen nicht in Betracht; vgl. insbesondere die Aussage der Zeugin Petra Maria B, S. 152 oben d. A. Vor allem aber enthält das Ersturteil zum Faktum B/I/1 auch keine Feststellungen darüber, ob der Angeklagte mit dem zur Verwirklichung der subjektiven Tatseite des § 204 Abs 1 StGB erforderlichen, u. a. auf Nötigung zur Unzucht durch das Mittel der Gewalt im vorerwähnten Sinn gerichteten Vorsatz handelte und sich bei der Tatbegehung einer solchen Gewaltanwendung auch bewußt war, wobei eine solche Feststellung im Hinblick auf die im Ersturteil vorgenommene - wie dargelegt unrichtige - Tatbeurteilung nach den §§ 15, 207 Abs 1 StGB allerdings nicht erforderlich war, weil das Delikt der Unzucht mit Unmündigen (§ 207 Abs 1 StGB) die Anwendung von Gewalt (oder gefährlicher Drohung) nicht voraussetzt.

Das Fehlen von Feststellungen in objektiver und subjektiver Beziehung zu dem im § 204 Abs 1 StGB angeführten Tatbestandsmerkmal 'mit Gewalt', die zur rechtlichen Beurteilung des dem Urteilsfaktum B/I/1 zugrundeliegenden Tatverhaltens des Angeklagten als Vergehen der versuchten Nötigung zur Unzucht nach den §§ 15, 204 Abs 1 StGB nötig wären, macht sohin eine Urteilsaufhebung in diesem Punkt des Schuldspruchs und eine Verfahrenserneuerung in diesem Umfang unvermeidlich. Es sei noch darauf verwiesen, daß sich der Angeklagte A in der Hauptverhandlung ausdrücklich dahin verantwortete, der Meinung gewesen zu sein, Petra Maria B 'werde es (gemeint: die unzüchtige Berührung) letztlich doch erlauben' und damit einverstanden sein, sodaß er 'kein schlechtes Gewissen' gehabt habe (S. 151 d. A), womit er dem Sinn nach einen nicht ernst gemeinten Widerstand des Mädchens behauptete. Im erneuerten Verfahren wird bei Prüfung der Frage, ob nach den Verfahrensergebnissen die vorerwähnten, bisher fehlenden Feststellungen getroffen werden können, auch auf diese Verantwortung des Angeklagten A Bedacht zu nehmen sein, zumal fremder Wille und Freizügigkeit des anderen unter Jugendlichen nicht unbedingt schon evidente Schutzobjekte des Strafrechtes sind (vgl. auch § 9 StGB, sh. 13 Os 121/78). Es kann aber auch der gegen den Schuldspruch im Urteilsfaktum C/ gerichteten Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten Gerhard A Berechtigung nicht aberkannt werden, mit der er auch den Nichtigkeitsgrund der Z 9

lit. b des § 281 Abs 1 StPO und unter Hinweis auf seine - allerdings von seinen polizeilichen Angaben (vgl. S. 18 des einbezogenen Aktes AZ 19 Vr 1418/78

des Landesgerichtes Linz) einigermaßen abweichende - Verantwortung in der Hauptverhandlung (derzufolge er vorher nicht gewußt hatte, daß das als 'Nunchaku' bezeichnete Gerät eine verbotene Waffe sei, und nach Kenntnis dieses Umstandes den Besitz an dieser Waffe aufgab; vgl. S. 149 d. A) einen ihm nicht vorwerfbaren und sohin schuldausschließenden Rechtsirrtum im Sinn des § 9

StGB releviert und in diesem Zusammenhang dem Ersturteil Feststellungsmängel zum Vorwurf macht.

Wohl ist bei einem erwachsenen schuldfähigen Täter Verbotskenntnis in der Regel zu vermuten, nicht aber bei einem zur Tatzeit erst fünfzehn Jahre alten Angeklagten, zumal gerade im vorliegenden Fall das in dem Besitz einer als 'Nunchaku' bezeichneten Waffe gelegene kriminelle Unrecht nicht als evident angesehen, die Vorwerfbarkeit eines solchen Rechtsirrtums also nicht ohne weiteres bejaht werden kann.

Angesichts der im Urteilsfaktum C/ auf einen Verbotsirrtum im Sinn des § 9 StGB hinauslaufenden Verantwortung des Angeklagten in der Hauptverhandlung wären daher hiezu im angefochtenen Urteil entsprechende Feststellungen erforderlich gewesen. Ihr Fehlen bewirkt, wie der Angeklagte A in seiner Nichtigkeitsbeschwerde zutreffend aufzeigt, auch in diesem Punkt des Schuldspruchs Urteilsnichtigkeit nach der Z 9 lit. b des § 281 Abs 1 StPO, sodaß sich auch insoweit eine Urteilsaufhebung und Verfahrenserneuerung als notwendig erweist.

Im zweiten Rechtsgang werden überdies auch Feststellungen darüber erforderlich sein, ob das im Urteilsfaktum C/ als 'Nunchaku' bezeichnete Gerät nach seiner - im einzelnen noch festzustellenden - Beschaffenheit, Funktion und Wirkungsweise als eine auf die Zufügung mindestens schwerer Verletzungen angelegte und hiefür geeignete Hiebwaffe gewertet werden kann, die unter den - hier wohl allein in Betracht kommenden - Begriff des 'Totschlägers' in der Bedeutung der Vorschrift des § 11 Abs 1 Z 5 WaffenG fällt, womit dieses Gerät als eine nach der vorzitierten Gesetzesstelle verbotene Waffe behandelt werden könnte (vgl. 13 Os 39/79). Der im Ersturteil enthaltene Hinweis, ein 'Nunchaku' sei sowohl als Schlagwaffe als auch zum Würgen verwendbar (S. 169 d. A), ist, zumal jede weitere Feststellung über dieses Gerät fehlt, nach dem Vorgesagten für die Beurteilung als eine nach dem § 11 Abs 1 Z 5 WaffenG verbotene Waffe nicht ausreichend.

Es war sohin spruchgemäß zu entscheiden.

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