European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0130OS00025.23K.0531.000
Rechtsgebiet: Strafrecht
Spruch:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.
Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Graz zugeleitet.
Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Gründe:
[1] Mit dem angefochtenen, auf dem Wahrspruch der Geschworenen beruhenden Urteil wurde * M* je eines Verbrechens der terroristischen Vereinigung nach § 278b Abs 2 StGB (I) und der terroristischen Straftaten nach § 278c Abs 1 Z 1 StGB (II) schuldig erkannt.
[2] Danach hat er in D*
I) sich vom Jahr 2004 bis zum Jahr 2012 als Mitglied (§ 278 Abs 3 StGB) an der terroristischen Vereinigung „Popular Front for the Liberation of Palestine – General Command“ (PFLP-GC) in dem Wissen (§ 5 Abs 3 StGB) beteiligt, dadurch diese terroristische Vereinigung in ihrem Ziel der Zerstörung des Staates Israel und der Errichtung eines unabhängigen Staates Palästina durch bewaffneten Kampf und bei ihren zur Erreichung dieses Ziels als erforderlich angesehenen terroristischen Straftaten nach § 278c Abs 1 StGB zu fördern, indem er als Chauffeur für die PFLP-GC, insbesondere für seinen Vater, den Leiter des Büros des Generalkommandeurs * J*, als bewaffneter Wachmann auf der Farm des J*, im Hauptquartier der PFLP-GC und bei Straßensperren der PFLP‑GC tätig war sowie im Juni 2011 vom Dach des Hauptquartiers der PFLP-GC in eine demonstrierende Menschenmenge schoss, sowie
II) im Juni 2011 eine terroristische Straftat nach § 278c Abs 1 StGB, und zwar das Verbrechen des Mordes nach §§ 15, 75 StGB, begangen, wobei die Tat „im Zusammenwirken mit den weiteren terroristischen Straftaten der terroristischen Vereinigung PFLP-GC“ geeignet war, eine schwere oder längere Zeit anhaltende Störung des öffentlichen Lebens herbeizuführen, und mit dem Vorsatz begangen wurde, die nicht den Zielen der terroristischen Vereinigung folgende Zivilbevölkerung Syriens auf schwerwiegende Weise einzuschüchtern, indem er durch das Schießen vom Dach des Hauptquartiers der PFLP-GC in eine demonstrierende Menschenmenge eine Person zu töten versuchte.
Rechtliche Beurteilung
[3] Dagegen richtet sich die Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten aus § 345 Abs 1 Z 5, 6, 10a und 11 (richtig) lit a StPO.
[4] Entgegen der Verfahrensrüge (Z 5) wurden durch die Abweisung (ON 29 S 42 f) der nachangeführten Beweisanträge Verteidigungsrechte des Beschwerdeführers nicht verletzt.
[5] Die Anträge auf Einholung
- einer Bestätigung des syrischen Innenministeriums zu den Ein- und Ausreisebewegungen des Angeklagten seit Jänner 2010,
- einer Bestätigung des syrischen Innenministeriums, dass es sich bei der vom Angeklagten vorgelegten Urkunde vom 9. Jänner 2023 um eine echte und richtige Urkunde des syrischen Innenministeriums handelt und der Angeklagte fünf Reisebewegungen im Zeitraum vom 21. September 2010 bis zum 9. Mai 2013 getätigt hat, weiters
- einer Ein- und Ausreisebestätigung der Vereinigten Arabischen Emirate sowie einer Bestätigung über die Ausstellung eines Visums für den Angeklagten für die Einreise in die Vereinigten Arabischen Emirate im September 2010 durch die Konsularabteilung der Botschaft der Vereinigten Arabischen Emirate in Wien,
jeweils zum Beweis dafür, dass sich der Angeklagte im Juni 2011 nicht in Syrien, sondern in den Vereinigten Arabischen Emiraten aufgehalten hat (ON 29 S 17 f), lassen nicht erkennen, weshalb die begehrte Beweisaufnahme trotz der Möglichkeit auch unkontrollierter oder illegaler Grenzübertritte geeignet sei, das Beweisthema des tatsächlichen Aufenthalts des Angeklagten im Juni 2011 zu klären (vgl RIS-Justiz RS0118444 [T5]; Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 328).
[6] Der Antrag auf Ausforschung, Ladung und Vernehmungangeblich an unbekannten Adressen in Dubai wohnhafter Brüder der vormaligen Ehefrau des Angeklagten zum Beweis dafür, dass sich der Angeklagte im Juni 2011 nicht am Tatort befand, sondern in den Vereinigten Arabischen Emiraten, wo er mit den solcherart als Alibizeugen Bezeichneten zusammengearbeitet habe (ON 29 S 42), verfiel zu Recht der Abweisung, denn er hätteweiteren Vorbringens bedurft, aus welchen Gründen die Durchführbarkeit der begehrten Beweisaufnahme in absehbarer Zeit zu erwarten wäre (RIS-Justiz RS0099502 [insbesondere T13 und T15], vgl auch RS0099399).
[7] Der Antrag auf Beiziehung eines Sachverständigen aus dem Fachgebiet „Länderkunde und Geschichte Syriens“ zum Beweis dafür, dass die PFLP-GC in Syrien im inkriminierten Zeitraum nicht ein auf längere Zeit angelegter Zusammenschluss von mehr als zwei Personen war, der darauf ausgerichtet war, dass von einem oder mehreren Mitgliedern dieser Vereinigung eine oder mehrere terroristische Straftaten ausgeführt werden oder Terrorismusfinanzierung betrieben wird (ON 29 S 42 f), lässt nicht erkennen, warum die beantragte Beweisaufnahme das vom Antragsteller behauptete Ergebnis erwarten lasse, womit er auf im Erkenntnisverfahren unzulässige Erkundungsbeweisführung abzielte (RIS-Justiz RS0118444; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 330 f). Dies insbesondere angesichts der aktenkundigen Erkenntnisse über die PFLP (ON 29 S 43 iVm ON 2 S 5 ff und ON 6 S 11 ff) sowie darüber, dass die PFLP wie auch die PFLP-GC in die Liste laut Beschluss (GASP) des Rates vom 4. August 2017, 2017/1426/GASP, der Personen, Vereinigungen und Körperschaften aufgenommen wurde, für die die Art 2, 3 und 4 des Gemeinsamen Standpunkts 2001/931/GASP über die Anwendung besonderer Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus gelten (EU‑Terrorliste [ON 29 S 43 iVm ON 3]).
[8] Der Antrag,einen solchen Sachverständigen auch zum Beweis dafür beizuziehen, dass die PFLP-GC in Syrien im inkriminierten Zeitraum nicht als Terrororganisation aufgetreten ist und syrische Bürger die PFLP-GC nicht als Terrororganisation wahrgenommen haben oder wahrnehmen haben müssen (ON 29 S 43), verfiel schon mangels Relevanz dieses Beweisthemas für die Lösung der Schuld- oder der Subsumtionsfrage zu Recht der Abweisung (§ 55 Abs 2 Z 1 StPO).
[9] Die Begründung der die Beweisanträge ablehnenden Beschlüsse steht nicht unter Nichtigkeitssanktion (RIS‑Justiz RS0121628). Das die Anträge ergänzende Beschwerdevorbringen hat mit Blick auf das aus dem Wesen des herangezogenen Nichtigkeitsgrundes resultierende Neuerungsverbot auf sich zu beruhen (RIS-Justiz RS0099618).
[10] Die Fragenrüge (Z 6) macht unter dem Aspekt des § 312 Abs 1 StPO nicht klar, weshalb die in den Hauptfragen enthaltenen Sachverhaltsschilderungen zur Abgrenzung der jeweils zu beurteilenden Tat von anderen Sachverhalten sowie zur rechtsrichtigen Subsumtion und deren Überprüfbarkeit nicht ausreichen sollten (vgl RIS-Justiz RS0119082) und welcher weiteren, die terroristische Eignung und Zielsetzung der Tat betreffenden Zusätze zur Hauptfrage 2 es aus welchen Gründen unter dem Blickwinkel hinreichender Individualisierung und Konkretisierung bedurft hätte.
[11] Soweit die Fragenrüge moniert, im Hinblick auf Angaben des Belastungszeugen hätte eine Zusatzfrage nach dem Rechtfertigungsgrund der Notwehr gestellt werden müssen, sucht sie den Nachweis der geltend gemachten Nichtigkeit prozessordnungswidrig bloß auf der Grundlage einzelner, isoliert aus dem Kontext gelöster Teile der Zeugenaussage zu führen, ohne sie in ihrer Gesamtheit zu berücksichtigen (RIS-Justiz RS0120766; Lässig, WK-StPO § 313 Rz 8).
[12] Der Nichtigkeitsgrund des § 345 Abs 1 Z 10a StPO zielt darauf, in der Hauptverhandlung vorgekommene Verfahrensergebnisse (§ 258 Abs 1 StPO iVm § 302 Abs 1 StPO) aufzuzeigen, die nahelegen, dass die Geschworenen das ihnen nach § 258 Abs 2 zweiter Satz StPO iVm § 302 Abs 1 StPO gesetzlich zustehende Beweiswürdigungsermessen in geradezu unerträglicher Weise gebraucht haben (RIS-Justiz RS0118780 [T13, T16 und T17]; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 470 und 490).
[13] Hievon ausgehend übersieht die Tatsachenrüge (Z 10a), dass der zur Überzeugung der Tatrichter von der Glaubwürdigkeit eines Zeugen aufgrund des von diesem in der Hauptverhandlung gewonnenen persönlichen Eindrucks führende kritisch‑psychologische Vorgang als solcher einer Anfechtung aus dem angesprochenen Nichtigkeitsgrund entzogen ist (RIS-Justiz RS0099649).
[14] Soweit die Rüge überdies (als Aufklärungsrüge) angeblich auf Außerachtlassung der Pflicht zur amtswegigen Wahrheitsforschung zurückzuführende Mängel der Sachverhaltsermittlung ins Treffen führt, behauptet sie nicht, dass der Beschwerdeführer an einer darauf abzielenden Antragstellung (Z 5) gehindert war (siehe jedoch RIS-Justiz RS0115823).
[15] Die Rechtsrüge (Z 11 lit a) macht nicht klar, welcher weiteren Feststellungen es aufgrund welcher Überlegungen zur rechtsrichtigen Subsumtion nach § 278c Abs 1 Z 1 StGB (II) bedurft hätte (siehe aber RIS-Justiz RS0095939, zur geforderten Beschaffenheit der Tat im Übrigen eingehendPlöchl in WK2 StGB § 278c Rz 10).
[16] In Ansehung der Subsumtion nach § 278b Abs 2 StGB (I) entwickelt die Rüge ihre Behauptung, dieser Tatbestand verlange Feststellungen zu einer konkreten „terroristischen Eignung“, prozessordnungswidrig nicht aus dem Gesetz (RIS-Justiz RS0116565 und RS0116569, zum erforderlichen Grad der Konkretisierung der in Aussicht genommenen terroristischen Straftat[en] siehe Plöchl in WK2 StGB § 278b Rz 7).
[17] Hinzugefügt sei, dass das Erstgericht – zum Vorteil des Angeklagten – verfehlt von einem zur Verfügung stehenden Strafrahmen von 10 bis zu 20 Jahren, nicht aber lebenslanger Freiheitsstrafe ausging (Z 11 erster Fall). § 278c Abs 2 letzter Satzteil StGB deckelt im Sinn des § 18 Abs 2 StGB die Anhebung der zeitlichen Höchststrafe, bewirkt aber keineswegs den Entfall einer für das Grunddelikt allenfalls angedrohten lebenslangen Freiheitsstrafe (vgl Plöchl in WK2 StGB § 278c Rz 25).
[18] Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher gemäß §§ 344, 285d Abs 1 StPO bereits bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen.
[19] Die Entscheidung über die Berufung kommt dem Oberlandesgericht zu (§§ 344, 285i StPO).
[20] Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.
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