OGH 13Os24/16b

OGH13Os24/16b6.9.2016

Der Oberste Gerichtshof hat am 6. September 2016 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Kirchbacher als Vorsitzenden sowie die Hofräte und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Lässig, Mag. Michel, Dr. Oberressl und Dr. Brenner in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Jülg als Schriftführer in der Strafsache gegen Dr. Reinhard B***** wegen des Vergehens des Widerstands gegen die Staatsgewalt nach §§ 15, 269 Abs 1 StGB, AZ 13 Hv 13/15x des Landesgerichts St. Pölten, über den Antrag des Verurteilten auf Erneuerung des Strafverfahrens nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:0130OS00024.16B.0906.000

 

Spruch:

Der Antrag wird zurückgewiesen.

Gründe:

Dr. Reinhard B***** wurde mit Urteil des Landesgerichts St. Pölten vom 7. Juli 2015, GZ 13 Hv 13/15x‑45, des Vergehens des Widerstands gegen die Staatsgewalt nach §§ 15, 269 Abs 1 StGB schuldig erkannt und zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von fünf Monaten verurteilt.

Mit Urteil vom 10. November 2015, AZ 19 Bs 250/15a, gab das Oberlandesgericht Wien der Berufung des Angeklagten wegen Nichtigkeit sowie gegen die Aussprüche über die Schuld und die Strafe nicht Folge.

Gegen beide Entscheidungen richtet sich der Antrag auf Verfahrenserneuerung, mit dem der Verurteilte Dr. Reinhard B***** einen Verstoß gegen das Gesetzlichkeitsprinzip des Art 7 Abs 1 MRK auf Grund willkürlicher Anwendung des Strafgesetzes sowie gegen die Unschuldsvermutung des Art 6 Abs 2 MRK geltend macht. Überdies behauptet er unter dem Aspekt des Art 6 Abs 1 MRK eine Verletzung der Begründungspflicht.

Rechtliche Beurteilung

Für einen – wie hier – nicht auf ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte gestützten Erneuerungsantrag, bei dem es sich um einen subsidiären Rechtsbehelf handelt, gelten alle gegenüber dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte normierten Zulässigkeitsvoraussetzungen der Art 34 und 35 MRK (15 Os 115/14x) sinngemäß.

Dem Erfordernis der Ausschöpfung des Rechtswegs wird entsprochen, wenn von allen effektiven Rechtsbehelfen (also solchen, die eine wirksame Beschwerde im Sinn des Art 13 MRK darstellen, Grabenwarter/Pabel EMRK5 § 24 Rz 168) Gebrauch gemacht wurde (vertikale Erschöpfung) und die geltend gemachte Konventions-verletzung zumindest der Sache nach in Übereinstimmung mit den innerstaatlichen Verfahrensvorschriften im Instanzenzug vorgebracht wurde (horizontale Erschöpfung; RIS‑Justiz RS0122737 [T2, T13]).

Da somit Erneuerungsanträge gegen Entscheidungen, die der Erneuerungswerber im Instanzenzug anfechten kann, unzulässig sind, war der gegen das Urteil des Landesgerichts St. Pölten vom 7. Juli 2015, GZ 13 Hv 13/15x‑45, gerichtete Antrag schon deshalb zurückzuweisen (RIS‑Justiz RS0122737 [T40, T41]).

Zum Vorbringen in Ansehung des Urteils des Oberlandesgerichts Wien:

Weil die Opfereigenschaft nach Art 34 MRK nur anzunehmen ist, wenn der Beschwerdeführer substantiiert und schlüssig vorträgt, in einem bestimmten Konventionsrecht verletzt zu sein (Grabenwarter/Pabel, EMRK5 § 13 Rz 16), hat auch ein Erneuerungsantrag nach § 363a StPO deutlich und bestimmt darzulegen, worin eine (vom Obersten Gerichtshof sodann selbst zu beurteilende) Grundrechtsverletzung im Sinn des § 363a Abs 1 StPO zu erblicken sei (RIS‑Justiz RS0122737 [T17]). Dabei hat sich der Erneuerungswerber mit der als grundrechtswidrig bezeichneten Entscheidung in allen relevanten Punkten auseinanderzusetzen und – soweit er (auf Grundlage der Gesamtheit der Entscheidungsgründe) nicht Begründungsmängel aufzuzeigen oder erhebliche Bedenken gegen die Richtigkeit getroffener Feststellungen zu wecken vermag – seine Argumentation auf Basis der Tatsachenannahmen der bekämpften Entscheidung zu entwickeln (RIS‑Justiz RS0125393 [T1], zuletzt 12 Os 154/15m).

Unter dem vom Antragsteller angesprochenen Aspekt des Art 7 Abs 1 MRK prüft der Oberste Gerichtshof – soweit hier von Interesse – eine Verurteilung dahin, ob hiefür im Tatzeitpunkt eine ausreichend klare (materielle – vgl Grabenwarter/Pabel, EMRK5 § 24 Rz 134) Rechtsgrundlage bestand und diese ausreichend vorhersehbar und zugänglich war (vgl RIS‑Justiz RS0126841; 17 Os 13/14m mwN). Überdies darf das jeweilige Strafgesetz nicht unvertretbar oder willkürlich angewendet worden sein (vgl Thienel in Korinek/Holoubek, Österreichisches Bundesverfassungsrecht, Art 7 EMRK Rz 22; Renzikowski in Pabel/Schmahl IntKommEMRK Art 7 Rz 60 jeweils mwN; 17 Os 13/14m). Bei der Willkürkontrolle ist darauf abzustellen, ob die Bestrafung vernünftigerweise vorhersehbar war (Thienel aaO mwN) und die Auslegung des Rechts nachvollziehbar ist (Renzikowski aaO mwN).

Mit dem weitwendigen – im Übrigen unzutreffenden (vgl US 6 ff) – Vorbringen, das Oberlandesgericht habe nicht erkannt, dass die erstgerichtlichen Feststellungen mangels Konstatierungen über einen konkreten (weiteren) Tatplan des Angeklagten eine Verurteilung wegen des Vergehens des Widerstands gegen die Staatsgewalt nach § 269 Abs 1 StGB nicht tragen könnten, wird Willkür im obigen Sinn gar nicht behauptet.

Gleiches gilt, soweit der Erneuerungswerber in der „Nichtberücksichtigung von § 269 Abs 4 StGB eine Verletzung von Art 7 Abs 1 MRK“ sieht, hat doch das Oberlandesgericht Wien eingehend und nachvollziehbar dargelegt, warum es das Vorliegen des genannten Rechtfertigungsgrundes nicht annahm (US 8 f).

Weshalb in der Verurteilung des Erneuerungswerbers eine Verletzung der in Art 6 Abs 2 MRK normierten Unschuldsvermutung liege, macht der Erneuerungswerber mit der bloßen Behauptung, er sei verurteilt worden, „ohne dass seine Schuld gesetzlich nachgewiesen wäre“, nicht klar.

Eine Verletzung der Begründungspflicht liegt aus dem Blickwinkel des Art 6 Abs 1 MRK nur bei willkürlichen oder grob unvernünftigen („arbitrary or manifestly unreasonable“; vgl EGMR 20. 9. 2011 Oao Neftyanaya Kompaniya Yukos gg. Russland , Nr 14902/04 Rz 589; EGMR 25. 7. 2013 Khodorkovskiy und Lebedev gg. Russland ; Nr 11082/06 und 13772/05 Rz 803; jeweils mwN) Urteilsannahmen vor. Dies ist dann der Fall, wenn die Begründung eindeutig unzureichend, offensichtlich widersprüchlich ist oder eindeutig einen Irrtum erkennen lässt (RIS‑Justiz RS0129981). Demgemäß liegt sie nicht vor, wenn die Rechtsansicht des Gerichts bloß mit jener des Antragstellers nicht übereinstimmt (14 Os 92/14g).

Indem der Antrag unter Anführung eigener Auffassungen und Erwägungen die Ableitung der als „willkürlich und grob unvernünftig“ bezeichneten Feststellungen zur subjektiven Tatseite aus dem objektiven Geschehen als unzulässig kritisiert, wird ein im eben dargestellten Sinn qualifizierter Begründungsmangel demnach nicht angesprochen. Das prozessordnungswidrige Vorbringen entzieht sich solcherart einer inhaltlichen Erwiderung (RIS‑Justiz RS0124359).

Erneuerungsanträge ohne Befassung des EGMR zielen auf eine Verletzung der MRK oder eines ihrer Zusatzprotokolle ab, sodass sich die Entscheidung des Obersten Gerichtshofs allein darauf bezieht. Andere Rechtsverletzungen bleiben bei Behandlung dieses Rechtsbehelfs außer Betracht (vgl RIS‑Justiz RS0129606). Solcherart war auf das bloß eine „weitere Rechtsverletzung“ behauptende Vorbringen, das Berufungsgericht habe einem in der Berufungsverhandlung gestellten „Beweisantrag der ergänzenden Einvernahme des Angeklagten rechtsirrig nicht stattgegeben“, nicht weiter einzugehen.

Der Antrag war daher gemäß § 363b Abs 1 und 2 StPO schon bei der nichtöffentlichen Beratung als unzulässig zurückzuweisen.

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