European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0130OS00019.23B.0719.000
Rechtsgebiet: Strafrecht
Spruch:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.
Zur Entscheidung über die Berufungen werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.
Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Gründe:
[1] Mit dem angefochtenen Urteil wurde * D* des Verbrechens des schweren Raubes nach §§ 142 Abs 1, 143 Abs 1 erster und zweiter Fall StGB schuldig erkannt.
[2] Danach hat er am 28. Dezember 2019 in W* als Mitglied einer kriminellen Vereinigung unter Mitwirkung (§ 12 StGB) anderer Mitglieder dieser Vereinigung, nämlich mehrerer abgesondert verfolgter und zweier unbekannter Mittäter, mit Gewalt gegen Personen anderen, nämlich * M* und * T*, fremde bewegliche Sachen, und zwar ca dreizehn Kilogramm Kokain im Wert von 500.000 Euro sowie ca 106.000 Euro Bargeld, mit dem Vorsatz weggenommen, sich durch deren Zueignung unrechtmäßig zu bereichern, indem sie * T* zu Boden brachten und * M* mehrere Schläge gegen den Körper und die linke Kopfseite sowie einen Tritt gegen die rechte Augenregion versetzten, ein Mittäter * M* mit einem Messer im Bereich der rechten unteren Schulterblattregion in den Rücken stach und mehrere Mittäter die genannten Gegenstände an sich nahmen, wobei sie den Raub unter Verwendung einer Waffe, nämlich eines Messers, verübten.
Rechtliche Beurteilung
[3] Dagegen richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 3, 4 und 10 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten.
[4] Die Nichtigkeitsgründe des § 281 Abs 1 StPO sind voneinander wesensmäßig verschieden und daher gesondert auszuführen, wobei unter Beibehaltung dieser klaren Trennung deutlich und bestimmt jene Punkte zu bezeichnen sind, durch die sich der Nichtigkeitswerber für beschwert erachtet.
[5] Soweit die Rüge das Vorbringen zum Nichtigkeitsgrund des § 281 Abs 1 Z 3 StPO zu jenem zum Grund des § 281 Abs 1 Z 4 StPO erklärt, wird sie diesen Anforderungen nicht gerecht (RIS-Justiz RS0115902).
[6] Bei der Rüge von Verfahrensmängeln kann nur die unrichtige Entscheidung in der jeweiligen (prozessualen) Rechtsfrage beim Rechtsmittelgericht geltend gemacht werden. Die Sachverhaltsgrundlage dieser Entscheidung, über die das Schöffengericht in freier Beweiswürdigung zu entscheiden hatte, ist im Verfahren über die Nichtigkeitsbeschwerde der Überprüfung nur dahin zugänglich, ob das Gericht diese in formal einwandfreier Weise, also nicht willkürlich, geschaffen hat (RIS-Justiz RS0118977; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 40 f).
[7] Entgegen der Verfahrensrüge (Z 3) begründet das (durch Verlesung der entsprechenden Aktenteile bewirkte [ON 52 S 12 f]) Vorkommen von Nachrichten, Lichtbildern und Sprachnachrichten, die über die mit der Sky‑Verschlüsselungstechnologie ausgestatteten Mobiltelefone der Tätergruppe (US 8 ff) gesendet worden sind, in der Hauptverhandlung unter Anlegung des dargestellten Prüfungsmaßstabs keine Nichtigkeit nach § 281 Abs 1 Z 3 iVm § 140 Abs 1 StPO.
[8] Das Schöffengericht hielt dazu fest, dass der Server des Krypto-Messenger-Dienstes Sky im Rahmen eines Joint Investigation Teams (JIT) der französischen Behörden mit Belgien und den Niederlanden sichergestellt worden war, wodurch die von kriminellen Vereinigungen, die Mobiltelefone mit der Sky‑Verschlüsselungstechnologie verwendeten, gesendeten Nachrichten, Lichtbilder und Sprachnachrichten für die Strafverfolgungsbehörden zugänglich wurden. Weiters ging das Erstgericht von einem bloßen Beweistransfer, also davon aus, dass die österreichischen Behörden an diesen Ermittlungen nicht direkt beteiligt waren, sondern (nur) im Nachhinein von vorhandenen Beweisergebnissen informiert wurden, die in weiterer Folge durch die Staatsanwaltschaft im Rechtshilfeweg beigeschafft wurden (ON 52 S 6 f, US 3 und 7 f). Das Erstgericht ging (aktenkonform) auch davon aus, dass die österreichischen Behörden selbst nach dem Vorbringen des Beschwerdeführers in der Hauptverhandlung erst im April 2021 im gegebenen Zusammenhang relevante Ermittlungsschritte gesetzt hatten, wogegen die in Rede stehende Tathandlung bereits am 28. Dezember 2019 gesetzt worden ist (ON 52 S 6 ff).
[9] Soweit die Beschwerde darauf abzielt nachzuweisen, dass die Überwachung der Nachrichten durch die österreichischen Strafverfolgungsbehörden mitveranlasst worden sei, argumentiert sie außerhalb der angesprochenen Anfechtungskategorien. Mit den pauschalen Hinweisen auf die „Chronologie der Geschehnisse“ oder im Jahr 2021 ergangene Medieninformationen des Bundesministeriums für Inneres vermag die Rüge weder Willkür bei der Schaffung der angesprochenen Sachverhaltsannahmen noch eine unrichtige Lösung der diesbezüglichen Rechtsfrage aufzuzeigen.
[10] Auf der Basis der (der Beurteilung somit zugrundezulegenden) Sachverhaltsannahmen des Erstgerichts handelt es sich bei den Gesprächsauswertungen nämlich nicht um Ergebnisse einer nach dem 5. Abschnitt des 8. Hauptstücks der StPO angeordneten Ermittlungsmaßnahme. Eine innerstaatlich als Überwachung von Nachrichten nach § 134 Z 3 StPO zu beurteilende Vorgangsweise ausländischer Behörden unterliegt keinem Beweisverwendungsverbot nach § 140 Abs 1 StPO, weil sich die inländischen Verfahrensgesetze nicht auf ohne Veranlassung durch österreichische Strafverfolgungsbehörden entfaltete Tätigkeiten ausländischer Behörden beziehen (vgl RIS-Justiz RS0119110, jüngst 14 Os 106/22b und 15 Os 88/22p).
[11] Die Verfahrensrüge bleibt auch erfolglos, soweit sie das Vorkommen dieser Beweisergebnisse in der Hauptverhandlung unter dem Aspekt der Z 4 bekämpft. Es entspricht zwar ständiger Rechtsprechung, dass sich ein Angeklagter gegen eine – nicht unter ausdrücklicher Nichtigkeitssanktion stehende – Beweisverwendung durch eine auf die Sicherung eines fairen Verfahrens im Sinn des Art 6 MRK abzielende (im Rechtsmittelverfahren aus dem Grund der Z 4 des § 281 Abs 1 StPO durchsetzbare) Antragstellung wehren kann (erneut RIS-Justiz RS0119110). Der Erfolg einer solchen Rüge setzt jedoch einerseits die Argumentation voraus, dass der ins Treffen geführte Gesetzesverstoß jenen annähernd gleichwertig ist, an welche das Gesetz ausdrücklich eine Beweisverbotskonsequenz knüpft (RIS-Justiz RS0124168; Kirchbacher/Sadoghi, WK‑StPO § 245 Rz 75 und § 246 Rz 163; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 337; vgl auch RIS-Justiz RS0125172). Andererseits muss ein darauf gerichteter (in der Hauptverhandlung gestellter) Antrag allgemeinen Begründungserfordernissen entsprechen, also ein Vorbringen enthalten, zu welchem Zweck die beantragte Verfügung begehrt wird, warum diese zum angestrebten Zweck tauglich ist und weshalb dieser mit einer (Fall-)Norm in Verbindung steht, die ihrerseits aus dem (rechtlichen) Zweck der Absicherung eines fairen Verfahrens zur Feststellung der entscheidenden Tatsachen auf die konkrete Verfahrenssituation hin gebildet wurde (14 Os 106/22b, 13 Os 91/21p; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 333 ff; siehe auch RIS-Justiz RS0130796). Diesen Anforderungen wird die Verfahrensrüge nicht gerecht.
[12] Nach den (vom Erstgericht für glaubwürdig befundenen [US 7]) Angaben des Zeugen KI * H* in der Hauptverhandlung stellten den Sky-Server Frankreich, Belgien und die Niederlande im Rahmen eines Joint Investigation Teams sicher. Die österreichischen Behörden waren nach den Ausführungen des Ermittlungsbeamten nicht in die Ermittlungen eingebunden, die Beischaffung zur Verwendung in einem Gerichtsverfahren sei im Rechtshilfeweg erfolgt (ON 37 S 10 f).
[13] Ausgehend davon ließ der Antrag auf Vernehmung des den „Hauptermittlungsakt“ führenden Staatsanwalts Mag. * S* sowie des Leiters der Ermittlungsabteilung im Bundeskriminalamt * C* zum Beweis dafür, dass das Bundeskriminalamt seit 1. März 2021 „bzw“ seit 1. April 2021 „an den Ermittlungsmaßnahmen beteiligt war, i.e. Ermittlungen geführt“ hat, und „bei der Überwachung“ seit den genannten Zeitpunkten „beteiligt“ war (ON 37 S 29 f iVm ON 52 S 4 iVm ON 50 S 16 f), nicht erkennen, weshalb die begehrte Beweisaufnahme das behauptete Ergebnis hätte erbringen sollen (siehe aber RIS-Justiz RS0099453).
[14] Entsprechendes gilt für den zum selben Beweisthema gestellten Antrag auf „Beischaffung der Europäischen Ermittlungsanordnungen, des Stammakts“ und „der entsprechenden Berichte über den Vollzug dieser Ermittlungen“.
[15] Betreffend das weitere Vorbringen zur (unstrittigen [vgl US 3, 7 f]) „Beteiligung“ der österreichischen Polizeibehörden an der Auswertung der durch die französischen Behörden übermittelten Inhaltsdaten wird nicht klar, weshalb es sich dabei um einen Umstand handeln soll, der mit ausdrücklicher Nichtigkeit bedrohten Verstößen nach § 281 Abs 1 Z 2 und 3 StPO wenigstens annähernd gleichwertig ist.
[16] Aus einer Datenbereitstellung vor offizieller Anforderung im Rechtshilfeweg ist weder auf eine illegitime selbständige Überwachungstätigkeit österreichischer Polizeiorgane noch auf eine Veranlassung der Ermittlungen durch österreichische Behörden zu schließen.
[17] Mit der Behauptung, dass ein den durch ausländische Behörden durchgeführten Ermittlungsmaßnahmen vergleichbarer Eingriff nach der österreichischen Rechtsordnung nicht vorgesehen ist, wird ebenso kein Sachverhalt aufgezeigt, der einem mit Beweisverbotskonsequenz verknüpften vergleichbar ist.
[18] Gleiches gilt für den Einwand der Verletzung des rechtlichen Gehörs durch die französischen Strafverfolgungsbehörden infolge unterbliebener Information des Beschwerdeführers über die Ermittlungsmaßnahmen und deren (gerichtliche) Bewilligung sowie nicht erfolgter Zustellung des „gerichtlichen Beschlusses“.
[19] Die zum Beweis dieser angeblichen Mängel gestellten Anträge auf Vernehmung der für das französische Verfahren zuständigen Entscheidungsträger und eines „informierten Vertreters des Bundesministeriums für Justiz“ (ON 52 S 5 iVm ON 50 S 19) wurden demnach schon mangels Erheblichkeit (§ 55 Abs 2 Z 1 StPO) zu Recht abgewiesen. Mit Blick auf den Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung von gerichtlichen Entscheidungen, auf dem im Übrigen auch die Richtlinie über die Europäische Ermittlungsanordnung in Strafsachen basiert, besteht nämlich keine Pflicht der österreichischen Gerichte, die Rechtmäßigkeit der originär im Ausland erhobenen Maßnahmen nach den Vorschriften des ausländischen Gerichts zu überprüfen (Art 82 Abs 1 AEUV, Art 1 Abs 2 RL-EEA; Glaser/Kert, Die Europäische Ermittlungsanordnung, ZWF 2015, 97; BGH 2. 3. 2022, 5 StR 457/21 Rz 30).
[20] Mit dem Vorbringen zu Art 6 und Art 31 der Richtlinie 2014/41/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 3. April 2014 über die Europäische Ermittlungsanordnung in Strafsachen (RL-EEA) geht die Rüge erneut schon daran vorbei, dass von den österreichischen Ermittlungsbehörden nicht um die Durchführung von Überwachungsmaßnahmen, sondern um die Übermittlung von bereits sichergestellten Daten des Servers des Krypto‑Messengerdienstes Sky betreffend bestimmte Benutzer ersucht worden ist.
[21] Da eine Partei nicht befugt ist, einen Antrag auf Einholung einer Vorabentscheidung nach Art 267 AEUV zu stellen, war der gerade darauf gerichtete Antrag (ON 52 S 5 iVm ON 50 S 20 ff) unbeachtlich (vgl dazu RIS-Justiz RS0058452 [insb T4]).
[22] Soweit der Antrag als Anregung an den Obersten Gerichtshof zu verstehen ist, den Europäischen Gerichtshof im Weg einer Vorabentscheidung gemäß Art 267 AEUV mit der Frage der Auslegung von Bestimmungen der RL-EEA zu befassen, besteht dazu fallbezogen schon deshalb kein Anlass, weil die Zulässigkeit der Verwertung von Beweisergebnissen nach inländischem Recht zu beurteilen ist (vgl dazu auch BGH 2. 3. 2022, 5 StR 457/21 Rz 78).
[23] Weshalb die Feststellung zur Qualifikationsnorm des § 143 Abs 1 erster Fall StGB, dass der Zusammenschluss auf unbestimmte Zeit angelegt war, die Annahme des zeitlichen Elements der kriminellen Vereinigung im Zusammenhalt mit den übrigen diesbezüglichen Konstatierungen (US 4, 6 und 19) nicht tragen sollte (dazu Plöchl in WK2 StGB § 278 Rz 8), leitet die Subsumtionsrüge (Z 10) nicht aus dem Gesetz ab. Solcherart entzieht sie sich einer inhaltlichen Erwiderung (RIS-Justiz RS0116565).
[24] Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – gemäß § 285d Abs 1 StPO bereits bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen.
[25] Über die Berufungen hat das Oberlandesgericht zu entscheiden (§ 285i StPO).
[26] Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 390a Abs 1 StPO.
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